Umbau neu lernen in Gelsenkirchen

Welche Chancen, Ressourcen und Werte stecken in (m)einem Haus? Wie lässt sich Umbauen neu erlernen? Und: Müssen wir das eigentlich? Im UmBauLabor in Gelsenkirchen erprobt und diskutiert ein kleines Team der Baukultur NRW bis Ende 2026 nachhaltiges und kreislaufgerechtes Planen und Bauen, und zwar im Maßstab 1:1. Seit dem 14. März 2024 werden in der Bergmannstraße 23 Materialien betrachtet, werden Räume (gedanklich) und praktisch umgedeutet. Dabei gilt die Maxime: lieber gebraucht oder aufgewertet als neu. Noch sieht es dort sehr nach Labor aus und nicht nach Ergebnis. Das soll aber auch so sein.

Bevor wir uns in die Bergmannstraße 23 im Zentrum von Gelsenkirchen aufmachen, ein Rückblick in die Kindheit, die des Autoren. Da gab es in der eigenen Straße große, alte, vor allem aber leer­stehende Häuser, deren Gärten verwildert, die Fens­terscheiben teils zerbrochen und die Haustüren – zur Straße und zum Garten – verrammelt waren. Ging man näher hin, gab es zudem immer einen leicht moderigen Geruch, der aus dem Keller kam oder aus Räumen, die lange schon leer und dem Wetter zu offen standen.

Dort hinein musste man dann irgendwann, magisch getrieben von kindlicher Vorstellung vom Geheimen, das sich mit Verbotenem mischt. Abends nicht, da wären die Ängste zu groß, eher nach dem Mittagessen. Eindringen ging immer, kleine Schrammen zählten nicht. Innen über Holzböden und -treppen auf die Haustour, leise musste man sein, immer darauf gefasst, überrascht zu werden von anderen Eindringlingen oder dem lauten Rufen der Erwachsenen, die einen erwischt hatten.


Den vermuteten Schatz hatte ich nie gefunden

Geschichten hatten die Häuser zu erzählen mit ihren Oberflächen, mit den kleinen Hinterlassenschaften, dem besonderen Dämmerlicht und der meist vorhandenen Zugluft, die Gerüche aller Art mit sich trug. Tapeten schälten sich von den Wänden, die gemauert waren oder Fachwerk unter bröckelndem Putz zeigten. Die Dielen trugen Teppich- oder Kunststoffreste, Farben. Den vermuteten Schatz habe ich nie gefunden, dafür aber eine Erinnerung an Raum und Ort mitgenommen, die sich bis heute in Gerüchen, Licht- und Geräuscheindrücken scheinbar unverändert festgesetzt haben. Kindheit.

Diese Häuser sind damals schon abgerissen worden (wann wurde der „Rückbau“ erfunden?) und obwohl sie mir oder der Familie nicht gehörten, hatte ich dieses Verschwinden immer als Verlust erlebt. Bis heute geht diese Geschichte so: Alte Häuser stehen irgendwann leer und warten auf den Abriss. Je nach Qualität dauert diese Zwischenzeit, die wir heute als Chance begreifen. Chance, noch einmal über den Abriss nachzudenken und vielleicht einen Umbau ins Auge fassen. Denn eine reine Bestandssanierung ist oft nicht zielführend, Flächen, Kubaturen, Grundrisse, die einmal vielleicht funktionierten, sind heute überholt: zu groß, zu klein, zu dunkel, zu viele Treppen.


Wertschätzender Umgang

Im Juli 2021 veröffentliche Architects for Future –
A4F ihre Version von einer (Muster-)Umbauordnung, die eine dringende Aktualisierung der gesetzlichen Rahmenbedingungen (Musterbauordnung) für das Bauen zum Inhalt hatte. „Ein klimaneutraler Gebäudesektor“, so damals die Architektin Christina Patz, Koordinatorin für Bauen im Bestand bei A4F, „ist nur realisierbar, wenn neben Energieeffizienz im Betrieb folgende Punkte umgesetzt werden: Erstens: Revitalisierung des Gebäudebestande, zweitens: Wertschätzender Umgang mit den Ressourcen Fläche und Material, drittens: Kreislauffähiges Bauen.” Exakt diese drei Überthemen hat nun der Baukultur Nord­rhein-Westfalen e. V., Sitz in Gelsenkirchen und Nachfolger des M:AI, zum Anlass genommen, dem zähen Diskurs ein Labor, genauer, ein UmBauLabor zur Seite zu stellen. Der Verein suchte ein leerstehendes, möglicherweise auf seinen Abbruch wartendes Haus, in dem Expertinnen und Studenten, Handwerkerinnen und Journalisten das zum Versuchen und Machen und Anschauen erhalten, was das Umbauen ausmachen könnte. Viele Städte im Umkreis konnten Häuser anbieten, am Ende wurde es ein Wohn- und Gewerbebau in der Bergmannstraße in Gelsenkirchen, sehr zentral zum Zentrum, der Hauptbahnhof ist ca. 15 Minunten Gehzeit entfernt.

Die Wohnstraße mit sehr heterogenen Nachbarschaften – von Gewerbe bis zu Sakralbauten, wie beispielsweise die länger schon profanierte Heilig-Kreuz (Arch.: Josef Franke) mit beeindruckender Deckenausmalung (Gerhard Kadow) – überrascht tatsächlich mit einem für das Projekt von der Stadt zur Verfügung gestellten Gründerzeitbau, den man an dieser Stelle nicht erwartet hat.

Anders allerdings als seine zahllosen Pendants in vielen deutschen Städten ist die Nr. 23 – Baujahr 1903 – im Erdgeschoss komplett geöffnet: Hier hatte einmal eine Fleischerei ihren Laden. Spuren davon sind noch an allerdings längst überbauten Wandoberflächen zu finden, ein paar Einrichtungsgegenstände im Hof zeugen von dem blutigen Handwerk. Zuletzt waren im Erdgeschoss eine Autowerkstatt untergebracht und ein Imbiss.


Was kann man im und mit dem Bestand machen?

In den beiden Obergeschossen plus Dachgeschoss – alle drei über einen zum Mittelrisaliten stilisierten Erkerturm vertikal verbunden – gab es große Wohnungen, die teils im Grundriss erhalten, teils bereits eigenartige Unterteilungen erfahren haben, wie sie viele Wohnbauten aus dieser Bauzeit haben über sich ergehen lassen müssen. Zudem finden sich in dem Haus an den meisten Zimmer-übergängen als kleine Stufen ausgebildete Niveausprünge, Stolperkanten, die dem Sichneigen und Schieben des Hauses geschuldet sind: Der ehemalige Bergbau ist gleich um die Ecke. Da die komplette Stromversorgung zentral stillgelegt wurde, ist der Ersatz mit zahlreichen Steckdosenauslässen auf den Wänden zweckmäßig, aber nicht dauerhaft verlegt. Die Kunststofffenster schließen so gerade noch regendicht. Die Wände zeigen Tapeten jeden Geschmacks, Wand- und Bodenöffnungen zeugen von ersten Inspektionen und Begutachtungen. Es ist sehr still im Haus. Es ist sehr still im Bestand, der hier auf etwas wartet. Auf was aber?

Was kann man im und mit dem Bestand machen? Was geben seine Materialien, seine Stoffe, seine Bauteile her? Ist das, was abbruchreif aussieht, tatsächlich Bauschutt, Müll am Ende? Wesentliche Fragen, die heutige Planer, Immobilienhändler, Politikerinnen und private Bauherren interessieren. Nicht nur, weil Ressourcenschonung zum guten Ton gehört, sondern auch, weil die Materialkosten die Arbeitskosten so langsam überholen. Das rund 120 Jahre alte Haus in der Bergmannstraße eignete sich insbesondere auch, weil über die ehemalige gewerbliche Nutzung im EG eine öffentliche Bespielung überhaupt erst möglich ist und das Team des Baukultur NRW e. V. Gäste einladen kann: Studentinnen, Stadtbauräte, Planerkollegen, aber auch, und das ist dem Verein sehr wichtig, die Nachbarschaft. Und die Presse sowieso, die soll über die Veranstaltungen schreiben. Beispielsweise über Workshops zum Thema Schimmel, die sich nicht in erster Linie an Fachleute, sondern an die vom Schimmel Betroffenen wenden.

Wir trafen uns mit Baukultur NRW e. V. im ehemaligen Imbiss, dem großen, zur Straße, zur Nachbarschaft hin offenen Veranstaltungssaal mit Santana Gumowski, Projektmanagerin UmBauLabor, und Peter Köddermann, Geschäftsführung „Programm“ der Baukultur NRW e. V. Sie führten uns durchs Haus, den Hof und einfach alle Orte und machten mit uns am Ende unseren „DBZ, der Podcast“ (Release am 9. September 2024). Beide wiesen uns darauf hin, dass dieses Projekt mit seinem Praxisbezug – Laborsituation, aber Maßstab 1 : 1 – und der daraus resultierenden Anschaulichkeit vor allem aus der Diskursblase heraus möchte, einer Blase, in der wir alle uns gut unterhalten können. Doch der hier häufig erzielte Konsenz ist wenig wirksam angesichts der drängenden Aufgaben, die vor unseren Füßen liegen.


Eine Art von Inkubator

Das UmBauLabor will also etwas bewegen, zusammen mit der Stadt Gelsenkirchen arbeitet das Team mit jeweils eingeladenen Akteuren an Szenarien eines Umbaus, der für Häuser dieser Art ganz pragmatische Lösungen aufzeigen möchte. Vielleicht gibt es Korrekturen an den Bodenversprüngen, ganz sicher eine neue Elektrik, eine effektive Dämmung, Schallschutz, Brandschutz …
Das Ganze dann mit Materialien, die schon im Haus vorhanden sind oder aus anderen, vergleichbaren Häusern kommen. Die Toilettenräume an den Treppenabsätzen könnten – zusammengeschlossen – Raum geben für eine vertikale Erschließung. Die den Hof fassenden Zubauten bieten Fläche für Gemeinschaft, der Hof ist zukünftig Dreh- und Angelpunkt für Nachbarschaftliches?!

Es soll alles einfacher werden, vielleicht kleiner, dafür kostengünstiger. Gelsenkirchen leidet nicht an mangelndem Wohnraum, eher an inaktiver Quartiersentwicklung, die energetisch, kulturell, ökonomisch und produktiv gedacht werden sollte. Das doch zumindest auf der Fassade aufwendig gestaltete Haus, dessen Schicksal voraussichtlich bis zum Projektende am 31. Dezember 2026 offenbleibt, könnte hier eine Art von Inkubator werden, der den Verantwortlichen im Rat und überall in der Republik aufzeigt, was möglich ist im Bestand. Was das aber sein wird, muss das UmBauLabor noch erweisen. Im Augenblick zeigt es viele offengelegte Wunden, Fragen, die auf neue Antworten warten. Ich drücke die Daumen, dass es tatsächlich etwas Neues gibt, und sei es nur die überzeugende Antwort auf längst und wiederholt gestellte Fragen nach einem nachhaltigen Wirtschaften mit nachhaltigen Effekten auf Ökonomie und Stadtkultur.                    Benedikt Kraft/DBZ

www.baukultur.nrw/fokus/umbaulabor
Welche Chancen, Ressourcen und Werte stecken
in (m)einem Haus? Wie lässt sich Umbauen neu
erlernen? Und: Müssen wir das eigentlich? Im UmBauLabor in Gelsenkirchen erprobt und diskutiert ein kleines Team der Baukultur NRW bis Ende 2026 nachhaltiges und kreislaufgerechtes Planen und Bauen und zwar im Maßstab 1 : 1. Seit dem 14. März 2024 werden in der Bergmannstraße 23 Materialien betrachtet, werden Räume gedanklich und praktisch umgedeutet. Dabei gilt die Maxime: lieber gebraucht oder aufgewertet als neu. Noch sieht es dort sehr nach Labor aus und nicht nach Ergebnis. Das soll aber auch so sein.
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