Vom Reststoff zum Rohstoff: Warum Städte Abwasser nutzen sollten
Neue Rekorde bei Temperatur und Trockenheit, das galt auch für Deutschland im Sommer 2022. Viele Regionen haben daher mit Wassermangel zu kämpfen. Klimaprognosen bis 2050 zeigen, dass in manchen Teilen des Landes um bis zu 20 % weniger Grundwasser gebildet wird. Auf der anderen Seite stellen Starkregenereignisse wie im Sommer 2021 die Kommunen vor ganz neue Herausforderungen. Wie Stadtentwicklung und Wassermanagement sich künftig aufstellen müssen, erläutern uns zwei Experten des auf Bau, Immobilien und Infrastruktur spezialisierten Beratungsunternehmens Drees & Sommer SE: Philipp Alber, Experte für integriertes Wassermanagement und Jochen Kurrle, Infrastrukturberater und Starkregenmanager.
Viele Regionen, auch in Deutschland, haben mit Wassermangel zu kämpfen
Foto: Jasmin Merdan/gettyimages
Wie ist es um den Wasserverbrauch in Deutschland insgesamt bestellt?
Philipp Alber: Egal, ob in der Stadt oder auf dem Land – Privathaushalte verbrauchen generell weniger Wasser als noch vor 30 Jahren: Seit den 1990er-Jahren beobachten wir eine Abnahme des privaten Wasserverbrauchs durch wassersparende Armaturen, Toilettenspülungen und effizientere Geräte. Seit 2010 hat sich der Verbrauch bei rund 120 Litern Wasser pro Kopf und Tag eingependelt. Laut Statistischem Bundesamt verbrauchen auch öffentliche Wasserversorgung, verarbeitendes Gewerbe und die Energieversorgung im Schnitt von Jahr zu Jahr weniger Wasser. Das ist die als positiv hervorzuhebende Entwicklung. Dem entgegen stehen die Folgen des Klimawandels durch ausbleibende Regenfälle in trockenen Sommern bei einhergehend erhöhten Verbräuchen, wie etwa für Bewässerung und Kühlung.
Welche Folgen hat das für die Wasserversorger?
Philipp Alber: Bei der Bodenseewasserversorgung in Baden-Württemberg zum Beispiel schließen sich stetig neue Abnehmer an. Kommunen und Versorger sichern sich teilweise doppelt ab, falls die lokale Wasserversorgung in kritischen Zeiten nicht mehr ausreicht. Die Wasserversorger müssen in Zukunft in der Lage sein, in größerem Umfang Wasser zu speichern oder Puffer aufzubauen, um längere Trockenzeiten zu überbrücken. Außerdem brauchen sie Strategien, wie sie in kurzer Zeit größere Regenmengen aufnehmen und speichern können.
Wo herrscht der größte Wasserverbrauch?
Philipp Alber: Wichtig ist, dass wir zunächst unterscheiden zwischen dem Wasserverbrauch insgesamt und dem Trinkwasserverbrauch. Zum Beispiel sehen wir in der Industrie häufig sehr hohe Wasserverbräuche. Diese benötigen allerdings kein Wasser in Trinkwasserqualität. In Deutschland werden jährlich rund 5 Mrd. m³ Wasser für die öffentliche Wasserversorgung und cirka 20 Mrd. m³ für die nicht öffentliche Wassergewinnung wie Industrie, Gewerbe und Energiegewinnung verwendet. Wenn wir uns den Gesamtwasserverbrauch anhand der Statistik für Wassergewinnung für das Jahr 2019 ansehen, liegt die Energieversorgung hier mit knapp 45 % an der Spitze – die öffentliche Wasserversorgung – also der Bezug an Trinkwasser liegt nur bei knapp 27 %.
Hochwasser in Barby an der Elbe. Vorbeugende Maßnahmen können
helfen, Schäden zu vermindern
Foto: Thomas Linßner
Wofür wird unser Trinkwasser genutzt?
Philipp Alber: Die größten Mengen an Trinkwasser – rund 36 % – fallen für die Körperpflege an, also fürs Duschen, Baden, Händewaschen. Rund 27 % – also mehr als ein Viertel - unseres Trinkwassers spülen wir sogar die Toilette hinunter. Doch wir verbrauchen nicht nur Wasser an sich. Allein die Bereitstellung des Trinkwassers für die öffentliche Wasserversorgung benötigt nach Recherchen des Bundesverbandes für Betriebs- und Regenwasser e. V. ca. 3 770 GWh elektrische Energie. Das führt Schätzungen zufolge zu einer CO2-Emission von rund 2 Mio. Tonnen pro Jahr. Gleichzeitig benötigt auch die Energieversorgung enorme Wasserressourcen. Eine Trinkwassereinsparung bedeutet demnach sowohl eine Energieeinsparung als auch eine Einsparung des für die Energieversorgung benötigten Wasserbedarfs.
Verschwenden wir also zu viel Trinkwasser?
Philipp Alber: Eindeutig Ja. Für Waschen, Toilettenspülung oder Bewässerung benötigen wir kein Wasser in derart hoher Qualität – hier können bis zu 50 % reduziert werden. Eine Lösung wäre, für diese Anwendungsfälle Regenwasser zu nutzen, das in Zisternen gesammelt wird. Das ist keine neue Idee, sondern bereits seit über 20 Jahren Stand der Technik. Beim Potsdamer Platz in Berlin, dessen Bau Drees & Sommer begleitet hat, bilden unterirdische Zisternen ein „Gewässersystem“, das komplett vom städtischen Regenwassersystem abgekoppelt wurde. Aktuell planen wir in Bad Vilbel eine der größten Regenwasserzisternen mit Betriebswassernutzung in Europa. Andere Alternativen sind zum Beispiel die Nutzung von komplett wasserlosen Toiletten, Grauwassernutzung oder sogar eine Schwarzwasseraufbereitung, wie es in Ländern wie Dubai und Singapur bereits seit einigen Jahren umgesetzt wird.
Die Lösung gegen Wassermangel lautet also in erster Linie, wie bislang Wasser zu sparen?
Philipp Alber: Nicht nur. Sicher ist es in vielen Bereichen sinnvoll, Wasser einzusparen. Parallel dazu sollten wir jedoch von dem Gedanken wegkommen, dass eine simple Reduzierung langfris-tig ausreichen wird. Wir müssen beginnen, in Kreisläufen zu denken. Solange wir Wasser rein verbrauchen, statt es immer wieder zu gebrauchen, wird es uns nicht gelingen, gegen den Wassermangel anzugehen. Was ich damit meine: Ein Gebäude zum Beispiel, das statt schmutzigem Abwasser sauberes Trinkwasser produziert, ist die Richtung, in die wir denken müssen.
Was ist dafür Voraussetzung?
Philipp Alber: Basis für Wasserkreisläufe und Mehrfachnutzung ist die Stoffstromtrennung. Aktuell wird im Bestand wie auch im Neubau eine doppelte Leitungsführung – das heißt Regen- und Trinkwasser müssen getrennt geführt werden – leider meist aus Kostengründen abgelehnt. Hier arbeiten wir aktuell mit unseren Kolleg:innen aus Hamburg und Freiburg an mehreren Analyse-Verfahren, um zu prüfen, ob sich ein Bauobjekt für ein Grauwasser-Recycling eignet. Neben den Wasserqualitäten und -mengen untersuchen wir auch die Potenziale für kombinierte Wärmerückgewinnung im Prozess. Für Bauherr:innen wird das Thema Wasserkreisläufe immer wichtiger. Das merken wir zunehmend in unserer Beratungstätigkeit zu ESG und EU-Taxonomie. Ableiten lässt sich auch, wie Kommunen, Städte und Länder ihre Fördermaßnahmen gestalten müssen, damit sich zum Beispiel eine doppelte Leitungsführung für die Bauherr:innen wirtschaftlich rechnet. Davon profitieren wiederum die Stadt und das Land in Zeiten des Wassermangels, wenn das Wasser anderen Nutzungen zur Verfügung steht. Voraussetzung sind die Rahmenbedingungen für ein volkswirtschaftliches Handeln.
Wasserentnahme 2019
Grafik: Statistisches Bundesamt
Was müssen Stadtplaner:innen mit Blick auf den Gesamtwasserhaushalt beachten?
Philipp Alber: Noch viel zu häufig wird die regulierende Wirkung von Grünflächen auf den Wasserhaushalt, insbesondere die Wasserhaushaltsbilanz, unterschätzt. Die Grundwasserneubildung bildet die Basis einer resilienten Wasserversorgung und eines konstanten Wasserdargebots. Umso besser und länger wir das Regenwasser im Einzugsgebiet – sowohl in den Städten als auch in der Land- und Forstwirtschaft – zurückhalten, speichern, versickern lassen, desto besser und gleichmäßiger entwickeln sich die Verhältnisse für die Unterlieger:innen. Gleichzeitig sind wir damit für längere Trockenphasen besser gerüstet. Gesamtheitlich betrachtet ist die Wasserversorgung demnach eine Gemeinschaftsaufgabe, zu der jede bebaute und nicht bebaute Fläche ihren Teil beitragen kann. Wir haben also nicht allein durch den Verbrauch, sondern auch durch die Pufferwirkung einen individuellen Einfluss auf das Wasserdargebot. Das Konzept der blau-grünen Infrastruktur hängt zudem, besonders im urbanen Kontext, stark mit dem Thema Mikroklima zusammen.
Können Sie das näher ausführen?
Philipp Alber: Um sich, wie beispielsweise im Regelwerk DWA A102 beschrieben, dem natürlichen Wasserhaushalt möglichst weit anzunähern, müssen abhängig von den lokalen Rahmenbedingungen teilweise Verdunstungsanteile von bis zu 70 % angesetzt werden. Dieses Ziel ist nur mit entsprechenden Grünflächen und Begrünung in Verbindung mit Regenwasserrückhaltung erreichbar. Aus diesem Grund wird neben der „Schwammstadt“ mittlerweile auch häufig von der wassersensiblen, wasserbewussten oder blau-grünen Stadt gesprochen. Zu viel oder zu wenig beim Wasser hat eine gewisse Analogie zu den aktuellen Herausforderungen in der Energiewirtschaft, bei der ein Ausgleich der Spitzen nur durch Speicherung und flexible Abnehmer:innen umgesetzt werden kann. Der wesentliche Unterschied ist, dass wir das beim Wasserhaushalt teilweise sogar durch geringere Investitionskosten erreichen. Durch nachhaltige Mobilitätskonzepte lassen sich für Verkehr benötigte versiegelte Flächen minimieren, der Grünflächenfaktor im Straßenraum steigern und gleichzeitig Kosten einsparen. Solche Infrastruktur-Maßnahmen helfen zusätzlich auch gegen Starkregen und Überschwemmungen.
Stichwort Starkregen. Er lässt sich nur bedingt vorhersagen – inwieweit ist es dennoch sinnvoll, präventiv zu planen? Beim Neubau und vor allem bei einer Ertüchtigung im Bestand?
Jochen Kurrle: Die vergangenen Jahre haben klar gezeigt, dass nahezu alle Landesteile Deutschlands in den Sommermonaten von mehr oder weniger starken Regenereignissen betroffen waren. Somit kann es Jede und Jeden treffen. Die zerstörerische Kraft des Wassers war dabei stets so hoch, dass enorme Schäden an infrastrukturellen Einrichtungen und Gebäuden entstanden sind. Spürbar wird dieses für Immobilienbesitzer:innen auch an den jährlich steigenden Raten für die Gebäudehaftpflichtversicherung. Die Schäden durch Starkregen lassen sich in der Regel nicht gänzlich vermeiden, jedoch durch gezielte Maßnahmen vermindern, um Eigentum vor Schadenseinfluss zu schützen. Dieser Schutz kann auch nicht alleine der Öffentlichen Hand übertragen werden. Erst eine gemeinschaftliche Prävention aus privatem und öffentlichem Engagement bietet einen optimalen und maximalen Schutz. Bei Immobilien führen Maßnahmen zum Rückhalt des Niederschlagwassers auf dem Grundstück durch Dachbegrünungen und Versickerungen zu einer Entlastung der öffentlichen Kanalisation. Ist das Niederschlagswasser erst einmal im öffentlichen Raum oder der öffentlichen Kanalisation angelangt, gilt es, die Immobilie vor Wasserzutritt von außen zu schützen. Bewährte Maßnahmen für Bestands- und Neubauten sind der Einbau von Rückschlagklappen, das Hochziehen von Lichtschächten, der Einbau von Türen und Fenstern insbesondere in Untergeschossen, die dem Wasserdruck standhalten, die Einfriedung von Gebäuden oder ganzen Grundstücken. Insbesondere bei Neubauten sollten bei der Standortwahl tiefliegende oder gewässernahe Grundstücke vermieden werden.
Wassergewinnung 2019
Grafik: Statistisches Bundesamt
Regenrückhalteräume schützen nicht nur vor Überschwemmungen. Wird das gesammelte Wasser bereits sinnvoll genutzt?
Jochen Kurrle: Ja, es gibt zwischenzeitlich gute Beispiele, in denen Niederschlagswasser als Brauchwasser in Zisternen gespeichert wird. Es kann hervorragend für die Bewässerung von Grünflächen in den Sommermonaten genutzt werden. Das Niederschlagswasser eignet sich sogar für die Waschmaschine oder für die Toilettenspülung. Das wird bei Bestandsgebäuden wegen der fehlenden doppelten Leitungsführung und des immer noch sehr preisgünstigen Trinkwassers aber sehr selten umgesetzt, wie Herr Alber bereits andeutete. Trink- und Niederschlagswasser müssen allerdings immer getrennt geführt werden. Um Niederschlagswasser als Trinkwasser nutzen zu können, muss es die strengen gesetzlichen Vorgaben der Trinkwasserverordnung erfüllen und entsprechend aufbereitet werden. Das scheitert häufig an der wirtschaftlichen Umsetzbarkeit. Sinnvoller erscheint deshalb eine Anreicherung der Ressource Grundwasser durch die Versickerung von Niederschlagswasser.
Wie gelingt das?
Jochen Kurrle: Das mittels Retentionsräumen zurückgehaltene Regenwasser kann nach Abklingen der Niederschläge nach und nach in die Kanalisation abgegeben werden, wodurch das Kanalnetz entlastet wird. Bei älteren Strukturen sind das häufig noch Mischwassernetze, bei Anlagen aus der jüngeren Vergangenheit reine Regenwassernetze, die getrennt vom Schmutzwasser geführt werden. Der Umbau einer Mischwasser- in eine Trennkanalisation erfolgt allerdings in der Regel nur dann, wenn das Kanalnetz alters- oder belastungsbedingt ohnehin angepasst werden muss, um die Gebührensätze für die Bürger:innen bezahlbar zu halten.
Welche zusätzlichen Kosteneffekte sind zu berücksichtigen, wenn eine Siedlung als Schwammstadt geplant wird?
Jochen Kurrle: Auf der Kostenseite steht im Wesentlichen der Platzbedarf für Retentionsflächen und Versickerungsflächen. In urbanen Räumen müssen entsprechende Räume der Vermarktung entzogen werden, sofern bei der Retention Flächen nicht multifunktional genutzt werden können. Auf der Habenseite sind möglicherweise reduzierte Kanalquerschnitte zu verbuchen. Eine Steigerung der Aufenthaltsqualität, eine Verbesserung der klimatischen Rahmenbedingungen in den Sommermonaten und eine Anreicherung des Grundwassers sind sehr wertvoll, monetär jedoch oftmals schwer zu bewerten.
Welche Erfahrungen haben Sie bei Ihren gegenwärtigen Projekten sammeln können – hinsichtlich der Akzeptanz durch die Bewohnerschaft aber auch hinsichtlich der Funktionalität im Alltag?
Jochen Kurrle: Werden Retentionsräume stadtplanerisch ansprechend umgesetzt, finden sie durch eine erhöhte Aufenthaltsqualität in den urbanen Räumen eine hohe Akzeptanz bei der Bewohnerschaft. Dasselbe gilt auch für die Nutzung von Regenwasser zur Außenbewässerung aus Zis-ternen. Aus unseren Projekten wissen wir, dass die Akzeptanz zur Nutzung von Niederschlagswasser als Brauchwasser für Toilettenspülung etc. aus wirtschaftlichen Gründen derzeit leider weniger bis nicht gegeben ist. Das muss sich ändern. Denn es kann nicht immer nur nach wirtschaftlichen Gründen entschieden werden: Ein Großteil der Gesellschaft würde eine nachhaltige und zukunftsfähige Lösung befürworten. Und hier müssen wir ansetzen: Um eine Umsetzung in der breiten Masse zu erreichen und damit einen wirklichen Effekt auf den Gesamtwasserhaushalt zu erzielen, braucht es eine gesamtwirtschaftliche Betrachtung und daraus abgeleitete Anreize für die konkrete Umsetzung. Hier spielt die Politik eine große Rolle. Und auch die kommenden Regeln der EU-Taxonomie und die ESG-Vorgaben. Letztlich wird es sich auszahlen, wenn wir die technischen Errungenschaften, die wir alle schon haben, auch wirklich einsetzen – und uns so unsere Ressource Wasser erhalten.
Jochen Kurrle ist Infrastrukturberater und Starkregenmanager bei Drees & Sommer. Der diplomierte Bauingenieur steuert Projekte aus dem Bereich Umwelt, Verkehr und Infrastruktur. Er ist Experte für die Planungsbewertung bei Anlagen der Umwelt und Entsorgungstechnik und verantwortet das Projektmanagement und die Systemplanung für große Erschließungsvorhaben und Verkehrsanlagen
Foto: Drees & Sommer
Philipp Alber betreut als Senior Consultant bei Drees & Sommer die Themenfelder wasserbewusste Stadtentwicklung /Schwammstadt und integrierte Regenwasserbewirtschaftung. Der studierte Umweltschutztechniker erstellt als Experte für integriertes Wassermanagement unter anderem Konzepte für urbane Gewässer, Wasserkreisläufe und blau-grüne
Infrastruktur
Foto: Drees & Sommer