Im Gespräch mit … Anne Femmer und Juliane Greb

Wie ein Selbstversuch

Alle zwei Jahre wieder: die Architekturbiennale in Venedig. Besonders gespannt sind wir hier immer auf den deutschen Beitrag, der auf der 18. Architekturbiennale unter dem Titel: „Open for Maintenance – wegen Umbau geöffnet“ steht und einen Pavillon zeigt, der eine ungewöhnlich profane Funktion übernimmt: Er ist ein Materiallager. Wirklich nicht mehr? Wir fragten nach.

Juliane Greb und Anne Femmer
Foto: Benedikt Kraft / DBZ

Juliane Greb und Anne Femmer
Foto: Benedikt Kraft / DBZ

Kompliment, so voll habe ich den deutschen Pavillon als Ausstellungsort noch nicht gesehen! Vollgepackt mit Material, das auf seine Verarbeitung wartet, ein zweites Mal, denn alles da drinnen ist gebraucht. „Wegen Umbau geöffnet“ ... Wie soll das klingen? Provokant? Ist euer Motto ein Stolperstein?

Juliane Greb (JG): Ich glaube, es ist eher eine Einladung.

Anne Femmer (AF): Ja, eine Einladung, sich den Umbau anzuschauen, also die Baustelle, die Bauteillager, alles, was den Bauprozess ausmacht.

O.K, Umbau ist gerade DAS Thema. Bildet ihr hier den Mainstream ab? Was ist euer Antrieb?

JG: Wir behaupten sicher nicht, hier etwas neu erfunden zu haben. Es geht um Umbau, aber auch um Unterhalt und Pflege – diese Themen sind angesichts der ökologischen und sozialen Krise sehr relevant. Sie beschäftigen uns in unserer Büropraxis und darüber hinaus in vielen Lebensbereichen.

AF: Die Frage ist, wie dies auch zur Bauindustrie und zu den Investor:innen durchdringt. Möglicherweise müssen wir hier mehr …

... forcieren!?

AF: Ja, wir müssen mehr Einfluss auf die breitere Diskussion nehmen.

JG: Es geht uns um ein anderes Verständnis des Berufsstands, der immer noch stark geprägt ist vom Bild der Architekt:innen, die als autonome Künstler:innen ein abgeschlossenes Werk schaffen. Wir denken, dass es heute wichtig ist, die Architektur auch als eine pflegende Praxis zu begreifen, wobei dies die kreativen Prozesse natürlich nicht ausschließt.

Diese Sicht scheint mir ein Generationending zu sein. Matthias Sauerbruch jedenfalls möchte auf keinen Fall Hausmeister sein! Und tatsächlich scheint auf den ersten Blick die pflegende Praxis eher die Arbeit der Hausmeister zu sein? Oder wo kann der Hausmeister kreativ werden?

JG: Gerade der Umgang mit bestehenden Gegebenheiten erfordert besonders viel Kreativität.

AF: Auch ein Vertreter der älteren Generation, Alvaro Siza, beschreibt den Hausmeister oder die Hausmeisterin in „Living in a House“ als eine sehr kreative, für ein Haus wesentliche Persönlichkeit, die ein Haus als Organismus liest und versteht.

Den Neubau verbieten?

JG: Wir wollen nichts verbieten, wir wollen mehr Wertschätzung. Der Begriff „Maintenance“ im Titel ist eine Referenz zur feministischen Kunstpraxis, die bereits in den 1970er-Jahren den Stellenwert der alltäglichen Sorgearbeit für den Erhalt von Gesellschaften betonte und aufzeigte, dass Kunst und Pflege kein Widerspruch zueinander sein müssen.

AF: Wir wünschen uns eine Erweiterung der Disziplin der Architektur. Als Generalist:innen sollten wir eine weitere Disziplin abdecken, zu Macher:innen werden, die selbst mit Hand anlegen und damit Teil des gebauten Werks werden können.

JG: Das Zusammendenken von sozialen und ökologischen Themen ist dabei zentral.

Sozial und ökologisch zusammen … das sollte man, sonst kommen wir noch in Teufels Küche!

AF: Du siehst, es geht auf keinen Fall darum, dass Architekt:innen weniger zu tun bekommen, sondern eher mehr.

Kommen wir zum Pavillon, hier hinter uns.Musstest ihr euch mit seiner Geschichte auseinandersetzen, euch reiben an dem dunklen Erbe, so wie es nicht nur die Künster:innen meist radikal, sondern auch viele eurer Vorgänger:innen gemacht haben? Was war euer architektonischer Blick auf Gestalt und Geschichte dieses Gebäude?

JG: Wir haben nicht versucht, gegen die Monumentalität des Gebäudes anzukämpfen, sondern eher probiert, es ein Stück weit zu demokratisieren – vor allem durch die neue, repräsentative Rampenanlage. Nun muss niemand mehr die provisorische Rampe seitlich vom Pavillon nehmen. Alle Besucher:innen, ob mit Rollstuhl, mit Kinderwägen oder mit Sackkarren, können den frontalen Eingang nutzen.

AF: Jetzt hat dieser sperrige Repräsentationsbau einen etwas humaneren Charakter, er ist inklusiv!

Wie kann man das, war ihr hier gedacht und gemacht habt, in unsere alltägliche Bau- und Planungspraxis übersetzen? Würdet ihr sagen: Es ist doch ganz einfach, kommt, guckt es euch an und dann versteht ihr es!

JG: Wir wollen wirklich niemanden belehren!

Aber inspirieren?!

JG: Inspirieren gerne.

AF: Wir hoffen, dass die Arbeit am Bestand Freude macht, dass es den Architekt:innen Spaß macht, sich solcher Dinge anzunehmen und mehr und mehr den Entwurf vom Bestehenden, von den Materialien, die schon da sind, inspirieren zu lassen.

Materialien spielen eine offenkundig zentrale Rolle hier im Pavillon. Erzählt uns doch dazu einmal die Geschichte.

AF: Wir haben schon seit dem vergangenen Sommer angefangen, mit den Kurator:innen und Künstleri:nnen der Kunstbiennale Kontakt aufzunehmen und sie gefragt, ob wir Reste davon übernehmen können. Tatsächlich haben wir direkt nach der Finissage der Kunstbiennale Material einsammeln können, das sonst auf dem Müll gelandet wäre.

JG: Viele waren froh, sich nicht um den Abtransport kümmern zu müssen. Einige, die erst nicht mitmachen wollten, waren hinterher dann doch mit dabei, weil …

AF: … ihr Material oft dann doch nicht mehr weiterverwendet wurde.

Wie waren denn eure Vorgaben? Müll wolltet ihr definitiv nicht haben?

AF: Wir haben fast alles angenommen. Gerade die Elemente, die nicht so offensichtlich weiterverwendbar sind. Wir fanden es spannend, nicht nur Installationen, die um die Kunstwerke herum gebaut werden, zu sammeln sondern auch die Kunstwerke selbst.

Gab es ein Lagerkonzept? So, wie die Materialien im Raum liegen, scheinen sie einer Choreografie zu folgen?

JG: Nein, nicht direkt. Wir möchten vor allem, dass unsere Wertschätzung sichtbar wird. Die Spuren der Reinigung, die des Putzens und des Nägel Entfernens sollen sichtbar sein. Sortiert haben wir das Material nach Herkunft, so sind kleine Skulpturen aus den Stapeln entstanden.

AF: Und natürlich haben wir die Materialien so gelagert, dass man sich gut bedienen kann.

Die Werkstatt in einem der Pavillonnebenräume hat etwas von einer Installation: Wurde in ihr auch schon gearbeitet?

AF: Die Werkstatt nutzen wir schon seit Beginn des Aufbaus, sie war das Erste, das wir eingerichtet haben. Und alle Eingriffe sind mit dem gesammelten Material in der Werkstatt entstanden.

Die Treppenanlage auch?

AF: Ja, die komplette Rampe, der Toilettenanbau, alles.

Ihr seid ein Riesenteam, ich glaube, das größte hier, wenn ich dem Katalog trauen darf?!

AF: Wir haben viele venezianische Initiativen eingebunden, um das Projekt in der Stadt zu verorten und außerhalb des Biennale-Geländes zu wirken. Morgen beispielsweise kannst du das auf unserer Eröffnungsfeier erleben: Diese findet als offenes Nachbarschaftsfest auf Giudecca statt.

JG: Auch die Materialsammelaktion ist eine Kollaboration mit der Organisation „Rebiennale“, die das Weiter- und Wiederverwenden von Bien­nalematerial in einem etwas kleineren Maßstab schon seit Jahren praktizieren.

Es wird immer behauptet, Aussteller:innen hätten nicht mehr als drei Minuten, um alles zu sagen. Was man in dieser Zeit nicht schaffe, sei auch schon verloren. Wie unterstützt ihr die Besucher:innen, gibt es einen Katalog?

AF: Es gibt ein dünnes Heft und ein dickes Heft.

Durch dick und dünn … Gibt es museumsdidaktische Dinge? Führt ihr euer Publikum?

AF: Unser Pavillon ist auf verschiedenen Ebenen erlebbar. So kann man einfach durch die Räume schlendern, den Raumeindruck des Lagers erleben. Als nächstes fallen die Materialettiketierungen auf: Diese verraten die Verknüpfung zur vergangenen Kunst-Biennale. Allen Räumen sind Funktionen zugeordnet, die tatsächlich benutzt werden können. In der Küche wird Kaffee gekocht, im Versammlungsraum gespielt. Texte zu den Räumen erläutern die Hintergründe und die Rolle der Mitwirkenden.

JG: Jeder der möchte, ist eingeladen zu bleiben. Dieses Angebot macht nicht jede Ausstellung hier auf dem Gelände.

Aber die Werkstatt darf man nicht benutzen.

AF: Sie wird von Gesell:innen des Handwerks und Architekturstudent:innen dauerhaft belegt. Heute fangen wir an. In einem ersten Projekt im autonomen Kulturzentrum „Laboratorio Occupato Morion“ wird eine Wohnung von angehenden Techniker:innen des Maler- und Lackierhandwerks instand(be)setzt. Gefördert wird das Programm von der Sto-Stiftung.

Vorletzte Frage: Wie bekommt ihr euer Thema in die Breite? Also aus dieser Biennale-Blase hinaus in die reale Welt?

AF: Die Biennale hat eine große, internationale Sichtbarkeit.

JG: Das war für uns der Ansporn, überhaupt mitzumachen. Wir hoffen auf Rückmeldungen aus der Bauindustrie, wünschen uns, dass wir durch Forschungsprojekte, wie die wasserlose Toilette, inspirieren und vielleicht gelingt es uns, eine CO2-Bilanz zu ziehen, womit wir handfeste Argumente hätten für das, was wir hier auch theoretisch argumentieren.

Meine letzte Frage: Was nehmt ihr mit in eure eigene Arbeit als Architekt:innen? Wohin geht es nach der Biennale in den nächsten, sagen wir zwei Jahren?

JG: Die Themen des Unterhalts, der Pflege und der Reparaturen prägten unsere Praxis natürlich auch bereits vor dem Biennaleprojekt.

AF: Vielleicht sind die Blicke durch neue Erfahrungen genauer geworden. Ja, wir sprechen viel darüber, aber wenn wir das hier wie im Selbstversuch durchführen, wird einem vieles nochmals bewusster.

Letzte Frage nach der letzten: Was ist Ende November, wenn das Lager noch oder wieder voll ist?

AF: Das Lager wird aufgebraucht sein! Hoffen wir!

Also es muss raus, definitiv?

AF: Ja, wir müssen den Pavillon räumen. Tatsächlich hatten wir schon Anfragen von Kurator:innen für die Kunst-Biennale nächstes Jahr, die Interesse an unserem Material haben.

JG: Was ideal wäre!

Das wäre sicherlich ideal. Und wunderbar.

Mit zweien des großen Kurator:innenteams, mit Anne Femmer und Juliane Greb, unterhielt sich DBZ-Redakteur Benedikt Kraft am deutschen Pavillon in den Giardini Venedigs am 18.05.2023.

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