Zeit- und Bilder- und Lesereise durch 70 Jahre DBZ-Geschichte(n)
„Und schreib ja keine Geschichten! Und nicht zuviel Historisches, das will doch keiner lesen …“! So viel zu den Kolleginnen, die sich eher zögerlich dazu äußerten, was denn ein Rückblick sein könnte in 70 Jahren Zeitschriftengeschichte. Aber warum eigentlich nicht damit anfangen, was wohl niemand von Ihnen noch erlebt hat (wenn doch, bitte melden!!): das Erscheinen der ersten Ausgabe der DBZ Deutsche Bauzeitschrift im Januar 1953.
Also starte ich 1953. Martin Mittag und Regierungsbaurat Dr.-Ing. Hanns Frommhold hatten sich im Jahr zuvor zusammengetan, ihre ohnehin schon rege publizistische Buch-Arbeit um ein weiteres Spektrum zu erweitern: Eine Zeitschrift sollte es jetzt werden, eine Fachzeitschrift zum Bauen. Beide hatten Anfang der 1950er-Jahre bereits mit der „Baukonstruktionslehre“ (Mittag, C. Bertelsmann, Gütersloh 1952ff) und „Wohnungsbaunormen“ (Frommhold, Werner Verlag, Düsseldorf 1950ff.) in ihren bis heute aktualisierten Auflagen das Baugeschehen in Deutschland kommentiert und teils auch reglementiert, neben Schwergewichten wie der „Bauentwurfslehre“, dem Neufert (Erstauflage 1936 im Ullstein Verlag, damals unter dessen Imprint „Bauwelt-Verlag“ in Berlin). Aus der Fortschreibung dieser Arbeiten – Martin Mittag war damals Dozent an der Bauschule in Lage/Lippe – wollte man „noch eine neue Bauzeitschrift“ auf den Markt bringen. Tatsächlich fragte sich die „Schriftleitung“ in der ersten Ausgabe, ob man denn „diesen Zustand noch verschlimmern“ wolle, ein Zustand, der beschrieben wird durch das Vorhandensein von doch bereits 100 Bauzeitungen und -zeitschriften mit monatlich etwa 4 000 Druckseiten.
„Es ist dem in der Praxis stehenden Bauschaffenden schon zeitlich unmöglich, sich einen ausreichenden Überblick über den Inhalt dieser vielen Zeitschriften zu verschaffen“
Man fragt sich, ob denn damals noch Zeit war für die Bauschaffenden, eine weitere Zeitschrift zu lesen … Oder sollte ich schreiben: sie zu abonnieren?! Denn immerhin startete die DBZ mit einer Auflage von 75 000 Exemplaren (in den Folgejahren zunächst auf 20 000 reduziert, dann wieder angehoben etc.), eine Investition, die bestes verlegerisches Kalkül offenbart. Grund für „noch eine neue Bauzeitschrift“ sei, das in einer unüberschaubaren Menge und Güte publizierte Wissen zu bündeln, es – wie man heute gerne schreibt – zu kuratieren (damals noch schriftzuleiten). Und damit war das Programm klar: „Die DEUTSCHE BAUZEITSCHRIFT hat sich zur Aufgabe gestellt, die wichtigsten Entwicklungen und Nachrichten aus allen Gebieten des Bauschaffens so zusammenzustellen, dass sie einen Überblick über das Ganze gibt, damit jedem die Möglichkeit einer ausreichenden Orientierung bietet und Meinungsverschiedenheiten ausgleicht, die durch zu speziell orientierte Fachblätter entstehen könnten.“ Man wolle also „die erforderliche Zusammenarbeit aller Bautätigen […] fördern.“ Was nichts anderes besagt, als dass man in integraler Planung unterwegs war. Das ist auch heute die Benchmark: integrale Planung fordern und durch geeignetes redaktionelles Handeln befördern. Nur das mit den „Meinungsverschiedenheiten ausgleichen“ passt vielleicht in die Jahre der jungen Republik, die eine Wiederaufzubauende war und nicht eine, die vor Umbauordnung, Resilienzforderungen oder CO2-Bepreisung steht.
Das Thema nachhaltiges Bauen wie wir es heute verstehen, wurde damals in keiner Weise diskutiert, aber dennoch gelebt: Aus den Trümmern der Städte wurde neue Städte gebaut. Und weil die Not groß war, wurde einfach gebaut, teils dann aber so schlicht, dass man glaubte, man könne das Manko über den Einsatz von Chemie ausgeleichen, konstruktiver Bautenschutz war etwas für die ländliche Idylle, für die Denkmalpfleger vielleicht noch, die ihren Wissenschatz vom „richtigen Bauen“ nicht in die Ökonomie der Wiederaufbaujahre zu transferieren wusste; und wohl auch nicht als Möglichkeit für das Neubauen erkannte.
„Ihr Ziel ist, nur wichtigen Themen aus allen Gebieten in Aufsätzen von bleibender Bedeutung Platz zu geben und ihren Lesern das Wertvollste in gestraffter Form unter ausgiebiger Verwendung von Zeichung und Foto zu bieten.“
Diese Ansage rührte aus dem professionellen Herkommen Mittags: Praxisbezug über die Vorlage von Werksplanungen, von Zeichnungen und Diagrammen, die im Heft „Arbeitsblätter“ genannt werden und im Stil der Baukonstruktionslehre gehalten sind (oder auch mal daraus übernommen, eine Konnektivität, die eine Mitbewerberin der DBZ bis heute pflegt). Dieses Geben und Nehmen nennt man heute „Synergie“, damals war es noch die „Rationalisierung der geistigen Arbeit“, die – so die Schriftleitung im Vorwort „Was wir wollen“ in der ersten DBZ – das oberste Ziel der redaktionellen und verlegerischen Arbeit sei. Und weil wir in Deutschland, was den Baubestand angeht, an einem Nullpunkt waren, arbeitete die DBZ mit diesen Arbeitsblättern am damals Wesentlichen, am Grundsätzlichen des Bauens: Pflichtnormen werden vorgestellt, Begriffe wie Umbauter Raum erläutert, es werden auch Kachelöfen und ihre Bauarten dargestellt, der Bau von Kaminen oder die Verlegung schwimmenden Estrichs (Fotoreihe). Und ganz unvermittelt auch der Bautechnische Luftschutz, dessen Bestimmungen, wie es heißt, „durch die Entwicklung der Kriegstechnik zum Teil überholt sind“. Immerhin seien die im Merkblatt vorgestellen Bauten „nahtreffersicher, d. h., sie schützen gegen die Wirkung bekannter Bomben, auch von Atombomben, wenn diese in einem bestimmten Abstand vom LS-Raum detonieren“ (S. 30).
Fünf Laibe Brot oder doch lieber eine aktuelle DBZ?
Die Inhaltsverzeichnisse der ersten Jahrgänge waren – aus heutiger Sicht – so sperrig, wie das Schwarzweiß der dicht an dicht platzierten Inhalte (lediglich die Cover waren (zwei-)farbig). Die Redaktion veröffentlichte neben den schon genannten Arbeitsblättern Informationen zu Bautechnischen Erlassen, zur Bauforschung, berichtete aus Bauhandwerk und -industrie, veröffentlichte Merkblätter (so in der ersten DBZ eines zum Hausbock, einem kleinen Tierchen, dessen Familienmitglieder den damals noch sehr verbreiteten Holzbau bedrohten und gegen die sogenannte „Holzschutzmittel“ verabreicht wurden, die uns heute Probleme beim Bauen im Bestand machen). Überraschenderweise, aber natürlich aus der Zeit verständlich, gibt es zudem zahlreiche Reportagen von Autoren, die das europäische, aber auch US-amerikanische Ausland bereisten und von dort Berichte über das aktuelle Bauen mitbrachten. So schaute man nach Hannover, Basel oder Manhatten, dort u. a. auf das Lever Hochhaus (1952) von Gordon Bunshaft und Natalie de Blois, beide SOM. Dessen Sanierung SOM übrigens gerade eben via Email an mich meldete: „Today [16.11.2023], Skidmore, Owings & Merrill (SOM), joins Brookfield Properties and WatermanCLARK, LLC in celebrating the completion of the newly renovated and restored Lever House.“ 70 Jahre habe SOM ihren Bau pfleglich begleitet, 70 Jahre voller Architekturgeschichten; die ich hier nicht erzählen werde, versprochen!
Ach ja, die erste DBZ – und viele danach – kostete 3 Mark im Jahresabo, zzgl. 15 Pfennige Versand, das Einzelheft (am Kiosk?) 3,5 Mark. Das wäre etwa soviel, wie damals fünf Kilo-Laibe Brot kosteten, womit klar wird, dass die DBZ heute relativ günstiger zu haben ist als damals!
Der DBZ zum 5. Geburtstag: Vierfarbendruck etc. Die Professionalisierung eines Start-Ups
Fünf Jahre später – und ich verspreche, die Rückschaufenster werden gleich größer – ein erstes Resumee der Herausgeber: Man sei sehr zufrieden. 25 000 Abonnenten und die Einnahmesituation (Anzeigengeschäft) erlaubten es, „nunmehr einen Teil des Heftes im Offsetdruck zu bringen.“ Auch wurde der Umfang verdoppelt und der „Architekturteil“ – den wir heute intern immer noch so bezeichnen – könne nun auf Kunstdruckpapier, z. T. im Vierfarbendruck, realisiert werden. Zudem sei eine Blockheftung möglich! Was es nicht alles gab …
Auch gab es ein Gedicht zum Anlass, dessen Verse ich hier nicht wiedergeben möchte, vielleicht auch, weil sein Autor und „derzeitiger Leitartikler“ „ … honorarlos / in die Leier gegriffen“ hatte.
Das Heft war nun 15 Prozent teurer, aber dicker, es gab – auf anderes Papier gedruckt – ausfaltbare Pläne, eine Marketing-Idee, die damals schon nicht neu war, aber immer wieder auftaucht in der Zeitschriftengeschichte. Die Paginierung der Einzelhefte war über das Jahr fortlaufend, im ersten Jahrgang endeten wir mit Seite 670, vierzig Jahre später, im letzten Jahrgang mit fortlaufender Pagina, endeten wir bei sagenhaften 2160 Seiten! Mit Januar 1995 lief die Paginierung dann für jedes Heft getrennt.
Wir waren einmal Bertelsmann ... das ist lange her
Längst waren wir Teil der Bertelmann Fachzeitschriften, ein sogenanntes Profit-Center im Medienkonzern in Gütersloh, den wir Anfang dieses Jahrtausends mit vielen anderen Verlagen und Druckereien verlassen mussten: Der Konzern brauchte Geld für den Rückkauf von RTL Aktien. So waren wir zeitweilig ein Unternehmen bei Springer Science Media, dann Docu Group, schließlich ein Invest der in London sitzenden GMT, die am Ende nicht so recht wusste, wohin mit einem Produkt, das in der digitalen Verlagswelt noch nicht so recht angekommen zu sein schien. Das war der Punkt, an welchem unserer jetztiger Eigner, Michael Voss, den Verlag übernahm und bis heute führt, in teils schwerer See mit Blick geradeaus bis zum wild schwankenden Medienlandschaftshorizont.
Aber da war aus der DBZ längst ein Verlag mit 18 Titeln geworden, die meis-ten sind Derivate ehemaliger Heft-Rubriken, die zu erfolgreichen und teils leider schon wieder verschwundenen eigenen Ausgaben wurden: Licht&Architektur ist so ein Produkt, Büro, aber auch Bad&Design und andere. Die Bausanierung wurde Bauhandwerk, die TAB entlastet und ergänzt uns um das Haustechnische, viele weitere eigenständige Titel haben ihre Wurzeln hier in der DBZ, andere wurden in den dann ausgegründeten Titeln neu- und weiterentwickelt. Die Bauwelt in Berlin kam in den 1970er-Jahren bereits dazu, das Bundesbaublatt, manche Verarbeitertitel … Vieles davon wäre nicht bei uns, hätten die Gründer des Projekts DBZ nicht vor 70 Jahren die Vision gehabt, das komplette Bauen abzubilden, rechtlich, gestalterisch, forschend, praxisnah.
Start in die digitale Welt, noch auf wackeligen Füßen
Und mit DBZ-online, wie der erste Webauftritt 1998 holprig genannt wurde, starteten wir dann auch in die digitale Welt, die uns Verlagen immer noch vor große Herausforderungen stellt. Heute sind wir auch in den sogenannten Sozialen Netzwerken aktiv, Facebook oder Instagram und Youtube gehören ebenso zum redaktionellen Alltag wie der digitale DBZ-Newsletter und unsere demnächst 100 Folgen umfassende Gesprächsreihe „DBZ, der Podcast“.
Ich habe das meiste nicht nennen können, insbesondere nicht die Namen derjenigen, die dieses Heft prägten und heute noch prägen und morgen schon wieder verändert aussehen lassen werden. Es mögen hundert Menschen sein, die alle vom Bauen und dem Schreiben, Fotografieren, Gestalten, Filmen oder (Fach-Veranstaltungen moderieren begeistert waren und sind. Die Kontinuität in der Besetzung der „DBZ-Mann-(und Frau-)schaft“ ist längst nicht mehr über Jahrzehnte zu erkennen, die Welt ändert sich schneller und mit ihr steigen die Dynamiken im Team, das zurzeit wohl das jüngste ist in der Redaktionsgeschichte; oder will das dem in die Jahre gekommenen Schreiber nur so scheinen?
Der Blick zurück, vor dem man mich warnte, hat aber das gebracht: Geschichte kann so oder so verlaufen, die der DBZ ist wohl die eines Erfolgs. Insbesondere, wenn ich darauf schaue, was ihr Dasein in der Fachwelt bewirkt hat im fokussierten Hinschauen und durchaus auch meinungsbildenden Berichten über die Dinge des Bauens, die für das relevant sind, was demnächst einmal sein wird und vielleicht sogar sein sollte!?