Zweigeschossige Dachaufstockung eines denkmalgeschützten Ensembles, Hamburg
Hamburg ist eine Stadt, die kontinuierlich wächst. In die Vorstädte hinein (Wilhelmsburg), aber auch nach innen. Und weil hier der freie Boden Mangelware ist – und teuer sowieso – geht es in den Bestand. Wenn der dann noch unter Denkmalschutz steht, wird es anspruchsvoll und herausfordernd.
Hamburg-Eimsbüttel gehört zur Kernstadt Hamburg, eine Stadt, die so eigensinnig wie unaufhaltsam auf die 2-Millionen-Bewohnerinnen-Marke zustrebt. Das Wachstum produziert Knappheit auf einem wie überall kostspieliger werdenden Eigentums- und Mietwohnungsmarkt, der wie überall gerade ein wenig eingebremst ist. Rechnet sich nicht mehr, so die Wohnungsbauunternehmen und Banken. Rechnet sich doch, wenn man bereits Boden und Immobilie besitzt und letztere eine Sanierung erwartet. Davon jedenfalls war der Bauherr, Theo Latzel / Stadtboden Grundstücks GmbH & Co. Betriebs KG, Berlin, mehr als überzeugt. Das Ergebnis macht ihn, so im Gespräch vor Ort, sehr zufrieden. Zufrieden ist auch Jan Trutz vom Berliner Büro Trutz von Stuckrad Penner Architekten, die den Dachaufbau in Eimsbüttel aus dem Kontext entwarfen, planten und realisierten. Und: Spaß habe die Sache auch gemacht.
Die Architekten und der Bauherr kennen sich von vorausgegangenen Projekten in Berlin. Beide schwören – neben „der Menge Expertise, die der Bauherr als Bestandshalter mitbringt“ (Jan Trutz) oder „dem Vertrauen auf Planungskompetenz im Einzelfall“ (Theo Latzel) – auf die beiderseitige Offenheit zum Dialog. Den hätten sie von Anfang Entwurfsphase bis Ende Schlüsselübergabe gemeinsam geführt. Auch und ganz besonders mit der Denkmalbehörde der Stadt. Ohne diesen Austausch, so resumierten beide im Gespräch, wäre die Dachaufstockung nicht so geworden, wie sie wurde. Und möglicherweise überhaupt nicht.
Was man von hoch oben sehen kann, ist aus dem Straßenraum kaum erkennbar: Die Aufstockung der insgesamt acht Häuser im Ensemble ist zweigeschossig
Foto: Andrew Alberts
Der Bestand, ein Denkmal
Bei dem Mietshausensemble von 1908 – acht Einzelhäuser hinter einer abgewogen gestalteten Klinkerfassade, entworfen vom Architekten Heinrich Krug – handelte es sich um ein Denkmal des sogenannten „Reformwohnungsbaus“, das als „Hamburger Burg“ eine S-förmige Großform mit 100 Zweizimmer-Wohnungen entlang der Methfessel-/Lutterothstraße bildet. Die teilzerstörte Anlage mit Cour d’Honneur für kleine Leute zur Straße und gegenüberliegendem Park sowie einem Hof, der von der Seitenstraße erschlossen wird, wurde nach dem Krieg 1939-45 repariert. Allerdings ohne den durchaus opulenten Dachstuhl, dessen Gestus Gutbürgerlichkeit widerspiegelte und weniger das Genossenschaftliche der Bauherrschaft. Das vierte Geschoss wurde von einer Betonplatte geschlossen auf die ein flaches, aus dem Straßenraum heraus kaum wahrnehmbares Satteldach gestellt worden war. Diesen eher schlichten Abschluss jenseits der Traufe wollte das Denkmalamt visuell erhalten wissen, maximal sollte also ein Geschoss ergänzt werden.
Isometrie Dachaufbau, o. M.
Abb.: Architekten
Hier ist der Trägerrost auf der Bestandsdecke noch zu erkennen
Foto: Architekten
Zweigeschossig, aber anders. Gestaltung
Doch ein klassischer Dachgeschossausbau hätte wenig Fläche gebracht, schon gemessen am Aufwand, eine Baustelle in dieser Höhe einzurichten. Der Bauherr wollte die Zweigeschossigkeit unbedingt, die ihm heute 23 Mietwohnungen beschert, sämtlich vermietet. Der Weg dahin war ein „dialogischer“, wie Jan Trutz betonte, mit dem Bauherrn und mit dem Denkmalschutzamt. Während das Gespräch mit dem Auftraggeber dahin ging, Flächenpotenziale zu ermitteln, die sich aus einem generellen Erschließungsschema entwickelten, war das Gespräch mit den Bestandsschützern des Amts eines, in dem es um das maximal Mögliche ging und dabei immer die unterschiedlichen Zeitschichten respektvoll zu einem Ganzen zu verweben. So wurde die Betonplatte als Basis angenommen, auf der alles errichtet wurde: ein in Anmutung an die Fassade neu aufgesetzter Drempel, der mehr Wohnfläche erzeugt, große Gauben und Loggien, die sich entgegengesetzt trichterförmig in den Straßenraum öffnen, schwarz patinierte Zinkrauten für die Dachhaut, grün gestrichene Holzfenster in Anlehnung an die Bestandsbauzeit.
Die 2. Aufstockungsebene hat Dach-gärten vor den um 90 Grad zur Straßenachse gedrehten Fensterfronten. Die Dachhaut zu Hof und Straße kann so geschlossen bleiben
Foto: Andrew Alberts
Der eigentliche Kniff ist dann in der zweiten Ebene die Drehung der großen Fenster zu den anliegenden Dachterrassen um 90 Grad zur Straßenachse. Sie sind damit von unten aus nicht sichtbar, der Eindruck der Eingeschossigkeit, den die darunterliegenden Gauben und Loggien vermitteln, bleibt erhalten. Das klingt am Ende sehr einfach, ist aber das Ergebnis eines kreativen Prozesses, in dem die Planerinnen von Trutz von Stuckrad Penner Architekten irgendwie das Perfekte herausholten: Angemessenheit im Materialeinsatz, der Farbigkeit und Detaillierung, der geschmeidige Übergang von Alt zu Neu, Wohnungen mit Bühne und Rückzug und eine Dachlandschaft, die wunderbar zwischen 19. Jahrhundert und unserer Zeit dezent wie selbstbewusst sich präsentierend oszilliert.
Im Hinterhof wurden die drei Treppenhäuser des Bestands um Fahrstuhlschächte erweitert. Diese erschließen nun auch den Dachaufbau. Die Hoffassade wurde dezent gestaltet und gedämmt
Foto: Andrew Alberts
Gibt der Bestand die Grundrisse vor?
Im Grunde genommen ist eine Dachfläche – auch die hier so mäandrierende – nichts anders, als ein erdbodengleiches Baugrundstück: Beide Flächen lassen dieses oder jenes zu, mehr aber nicht. Bei der Höhe, in der der Dachaufbau realisiert wurde, kommt allerdings ganz entscheidend die Erschließung dazu. „Gestartet sind wir mit der Entwicklung eines Erschließungsschemas“, so Jan Trutz, „von da aus haben wir zusammen mit dem Bauherrn sehr genau geschaut, was auf den Flächen möglich, was gewünscht ist. Welche Potenziale für die Grundrisse genutzt werden können, auch mit Blick auf die Zweigeschossigkeit einiger Wohnungen, sowohl im Dachaufbau wie aber auch aus dem Bestand in den Neubau hinauf.“ Und die aus diesen Vorüberlegungen heraus sehr kreativ entwickelten Wohnungstypen sind derart variiert, dass man schon den Eindruck bekommt, der zweite bauliche Rettungsweg, der in dieser Höhe unabdingbar ist, hätte vieles verkompliziert: Ja und Nein, denn durch die Zusammenführung der Treppenhäuser „entstanden lange Flure, die uns dazu zwangen, die Wohnungstypen stärker zu variieren.“ Was am Ende dazu führte, dass es auch kleinere Einheiten gibt. „Bestimmte Wohnungsgrößen ziehen eine bestimmte Zimmerzahl nach sich. Allerdings muss man auch sagen, dass der Bestand durchaus eine größere Variabiltiät erzeugt hat“, so Theo Latzel. Nach oben hin peilte man ca. 110 m² als maximale Größe an, „hier sind die Mietkosten so, dass es eine ausreichende Nachfrage gibt. Mehr wird schwierig.“ Und: „Bei Wohnungsgrößen zwischen ca. 25 m² bis etwa 115 m² – wobei der Großteil der Wohnungen zwischen 55 m² und 85 m² liegt – wollen wir ganz bewusst unterschiedliche Mieter erreichen, damit wir eine dauerhafte Durchmischung auf Mieterseite haben.“
Die komplizierte Verschachtelung der Wohnungen er-gab auch Räume mit hohen Decken. Das Grün der Fens-
terrahmen leitet sich aus den Originalfarben des Bestands ab und wurde für alle Tür- oder Fensterfassungen im Ensemble verwendet
Foto: Andrew Alberts
Sanierung / Dachaufstockung
Ohne den Sanierungsbedarf wäre der Dachaufbau nicht gemacht worden, so der Bauherr. Schrittweise wurden im Bestand – beinahe Wohnung für Wohnung – die Heizungsanlagen und die Fenster erneuert und das gesamte Gebäude an die Fernwärme angeschlossen. Die Fassade zum hinteren Hof wurde dezent mittels mineralischer Dämmung unter Putz ertüchtigt, hier finden sich zudem die drei neuen Fahrstuhlschächte, die an die Haupttreppenhäuser angesetzt wurden. Dass diese mit Fenstern versehen werden konnten (Brandüberschlag) verdanken sie dem 120 Grad-Winkel, den sie zur Fassade bilden. Fenster, Dämmung, Fernwärme und der neue Dachabschluss verleihen den Wohnungen nun etwa den Energiestandard eines Effizienzhaus 55.
Im Vordergrund die Betondecke des in den 1950er-Jahren reparierten Bestands. Auf dieser liegt der Stahlrost, auf dem die Aufbauten mit Stahlrahmen, Mauerwerksschotten und Holzbauteilen aufgesetzt wurden
Foto: Architekten
Eine wesentliche Sanierungsaufgabe war die Reparatur / Ertüchtigung der Ziegelfassade – oder genauer gesagt: die der Vollwandkonstruktion. Die war gegen Schlagregen nicht mehr dicht und auch optisch schadhaft; Oberflächen waren abgeplatzt, der Fugenmörtel porös. Fugennetz und Ziegel wurden komplett erneuert, letztere mit neuen Steinen aus der Ziegelei Rusch aus dem nahen Alten Land, die bis heute einen Ring-ofen betreibt, der möglicherweise auch die Steine produziert hat, mit denen der Wohnbau vor gut 100 Jahren errichtet wurde. Die Glasur der Mauerziegel und Formsteine für den Sockelbereich wurde in Velten bei Berlin vorgenommen.
Bei der Dachaufstockung schauten die Architekten genau, welche baukonstruktiven Vorgaben welche Lösungen erlaubten. Jan Trutz: „Wir wollten erst alles mit Holz bauen, aber leider waren die Spannweiten für eine ökonomisch vertretbare Lösung zu groß. So haben wir eine Hybridkonstruktion aus Stahl und Holz gewählt. Das Ganze musste brandschutztechnisch F90 gekapselt sein, ein großer Planungs- und natürlich auch Finanzaufwand.“ Auf die Bestandsbetonplatte wurde ein Stahlrost gelegt, der die Lasten in die Außen- und Innenwände abträgt. Darauf wurden die Teile des Stahlrahmenbaus gehoben, in welchen man die Holzdecken und -wände einbaute. Der Aufbau auf die vorhandene Betonplatte erlaubte eine gewisse Flexibilität beim Anschluss (z. B. TGA) des Aufbaus auf den Bestand.
Fazit
Auf die Frage an den Bauherrn, ob er eine solche Arbeit wieder einmal machen werde, antwortet Theo Latzel: „Als Bestandshalter bauen wir selten neu. Zwar haben wir Dachausbauten in der Vergangenheit schon gemacht, aber das war damals kaum wirtschaftlich. Hier in Hamburg haben wir gelernt, dass sich eine solche Aufgabe dann anbietet, wenn der Bestand ohnehin saniert werden muss. In diesem Kontext gerne wieder!“ Nach Einschätzung von Jan Trutz ist die Bauaufgabe „zwar nicht neu, doch gerade in Zeiten des akuten Wohnungsmangels ist eine innerstädtische Aufstockung ein Schatz, den wir gerne gehoben haben. Damit solche Projekte aber gelingen, braucht man nicht nur gute Architekten, sondern auch mutige Bauherrinnen, die manche Umwege mitmachen. Und natürlich eine für viele Fragen offene und kooperative Behörde, sei es die Denkmalpflege oder die örtliche Genehmigungsbehörde.“
Detailschnitt Drempel Straßenseite, M 1 : 15
1 Rinne aus Titanzink (mind. alle 3 m handwerkl. hergestellte Verbreiterung zum Standrohr)
2 Ytong Planblock
3 HEB 160
4 HEB 100
5 Z-Folie
6 Kimmstein von Schöck, 150 x 113 mm
7 Fußplatte 120 x 120 mm, geschraubt (2 x M12), auf 5 mm Thermostop
8 icopal POLAR SK auf EPS
9 HEB 240
10 PUR WLS 024 Puren AL-K
11 Gesimsblech, mit Bitumenkaltkleber befestigt
12 Gesimsdurchführung mit Futterrohr
13 Kernbohrung DN 120
14 KVH 120 x 120 / 40 x 120
15 KVH 160 x 240
Trutz von Stuckrad Penner Architekten,
Katharina von Stuckrad, Götz von Stuckrad, Jan Trutz
www.trutzvonstuckradpenner.de
Foto: Antonia Leicht
Ob es sich denn für ein Architekturbüro lohne, auf diesem Feld zu arbeiten? „Unbedingt. Klar, die Größe des Projekts in der Fläche, aber auch in der Zweigeschossigkeit ergibt sehr spezielle Fragestellungen, die spezielle Antworten fordern; aber eigentlich sind das Fragen, die auch bei kleineren Projekten auf die Planerinnen zukommen. Es hat Spaß gemacht, in diesem Projekt zu experimentieren, exemplarische Lösungen zu entwickeln auf der gestalterischen, technischen, statischen, der brandschutzrelevanten Ebene und nicht zu vergessen der der Vermarktung. Wir verstehen uns neben unserer Kompetenz als Gestalter auch als Dienstleister, die über alle selbstverständlich gestalterisch technische Kompetenz hinaus den Bauherrn auch in Fragen der Vermarktungschancen beraten. Auch das ist wesentlicher Teil unserer Arbeit auf diesem Feld.“
Und damit kann man schließen mit der Feststellung, dass je höher die Zwänge und gleichzeitig dialogbereiter die Entscheider, das Ergebnis um so besser wird. Bauen im Bestand fordert und fördert die Baukultur, von der wir doch alle reden. Die andere Baukultur ist das modisch einfaltslose Einerlei an allen Ecken und Kanten unserer Städte. Oder wie formuliert es der Bauherr: „Wenn das Haus nicht unter Denkmalschutz gestanden hätte, wäre vielleicht etwas anderes herausgekommen; aber mich überzeugt das Ergebnis. Ich bin an Werthaltigkeit interessiert. Das zahlt sich auf Dauer aus, nicht nur, weil man weniger nacharbeiten muss, sondern auch langfristig aufgrund der Attraktivität der Wohnungen höhere Mieterträge erzielen kann.“ Benedikt Kraft / DBZ
Projektdaten
Objekt: Zweigeschossige Dachaufstockung einer denkmalgeschützten Wohnanlage
Standort: Hamburg–Eimsbüttel, Methfessel- Ecke Lutterothstrasse
Typologie: Mietwohnungsbau
Bauherrin: Stadtboden Grundstücks GmbH & Co. Betriebs KG, Berlin
Architektur: Trutz von Stuckrad Penner Architekten, Berlin
Team: Jan Trutz, Götz von Stuckrad, Katharina von Stuckrad
Bauleitung: KMT Planungsgesellschaft mbH, Hamburg
Bauzeit: 01.2019 – 12.2021
Grundstücksgröße: 3 303 m²
Grundflächenzahl: 0,49
Geschossflächenzahl: 2,98
Nutzfläche: 6 803 m² WF (Bestand+Neubau),
1 283 m² WF Neubau
Brutto-Grundfläche: 2 543 m² Neubau, 9 500 m² Bestand
Baukosten (nach DIN 276):
Gesamt brutto: 17,37 Mio €
KG 300+400
Hauptnutzfläche: 2 553 €/m²
Fachplanung
Tragwerksplanung: Westphal Ingenieurgesellschaft für Bauwesen mbH, Hamburg, www.westphalgmbh.de
TGA-Planung: GT-Consult, Beratenden Ingenieure für Gebäudetechnik VBI, Hamburg, www.gt-consult.de
Landschaftsarchitektur: Landschaftsarchitektur + Felix Holzapfel-Herziger & Julian Benesch PartG mbB, Hamburg, www.l-plus.de
Brandschutz: Peter Stanek Brandschutz, Berlin
Energie
Primärenergiebedarf: 52 kWh/m²a nach EnEV (Alt+Neubau)
Endenergiebedarf: 90 kWh/m²a nach EnEV (Alt+Neubau)
Jahresheizwärmebedarf: 66 kWh/m²a nach PHPP/EnEV (Alt+Neubau)
Energiekonzept:
U-Werte Gebäudehülle Neubau:
Außenwand = 0,15 W/(m²K)
Dach = 0,13 W/(m²K)
Fenster (Uw) = 1,3 W/(m²K)
Verglasung (Ug) = 0,6 W/(m²K)
Haustechnik:
Anschluss an das Fernwärmenetz. Bäder mit dezentraler Lüftung, Wohnungen natürliche Lüftung.
Hersteller
Beleuchtung: ifö, ifoelectric.com
Bodenbeläge: Forbo, www.forbo.com
Dach: VM-Zinc, www.vmzinc.com
Fassade/Außenwand: Klinkerwerk Rusch GmbH, www.rusch-klinker.de
Fenster: Menck Fenster, www.menck-fenster.de
Innenwände/Trockenbau: Knauf,
www.knauf.de
Sanitär: Geberit, www.geberit.de
Innentüren: Jeldwen, www.jeld-wen.de
Beschläge: FSB, www.fsb.de; MEGA, www.mega.swiss