Abrissstopp in Berlin
Friedrich-Jahn-Stadion erhält ein paar Wochen Schonfrist 12.11.2024 |Der längst vom Berliner Senat beschlossene Abriss des Friedrich-Jahn-Stadions, gegen den zahlreiche Initiativen protestierten und prominente Architekten argumentierten, ist gestoppt. Nicht, weil Verwaltung und Politik ein Einsehen hätten, sie haben vielmehr ein paar wesentliche Verfahrensschritte übersehen. Beispielsweise ein nachvollziehbares Umzugspapier für rund 90 Nistplätze auf dem Gelände, die von Sperlingen zur Aufzucht ihres Nachwuchses genutzt werden. Abrissstopp bis Ende Februar 2025, eigentlich hinreichend Zeit, den Abriss noch einmal zu überdenken.
Mehr als 60 Jahre Fußballgeschichte hat das Leichtatletik- und Fußballstadion im Friedrich-Ludwig-Jahn-Sportpark in Berlin Prezlauer Berg geschrieben, dann sollte es abgerissen werden. Der hier ansässige Fußballklub zielt auf Aufstieg (aus der Regionalliga) und damit – wie immer in solchen Fällen – auch Zuwachs von Attraktivität. Ein Stadion sollte eben groß genug sein, wetterfeste Steh- und Sitzplätze haben, eine Infrastruktur, die Events aller Art möglich macht etc. Verkauft wurde die Modernisierungsinitiative unter dem Schlagwort „Inklusion“.
Abrisskandidat mit Schonfrist: Cantianstadion im Friedrich-Ludwig-Jahn-Sportpark in Berlin-Prenzlauer Berg
Foto: Benedikt Kraft
Das Gelände hat eine weit bis ins 19. Jahrhundert zurückreichende Geschichte, das, was wir heute hier topografisch vorfinden ist nichts weniger als die Trümmerlandschaft, die durch Aufräumarbeiten der zerbomten Bezirke entstanden war. Hier hinein nun realisierte man nach dem Weltkrieg 1939-45 das sogenannte „Große Stadion“ (Entwurf Rudolf Ortner) mit etwa 30000 Sitzplätzen, weitere Sportflächen in nächster Nachbarschaft entstanden.
Haupttribühne aus den späten 1980er-Jahren. Die VIP-Vorfahrt - auch Mielke-Rampe genannt - liegt schon in Trümmern hinter dem Bauzaun
Foto: Benedikt Kraft
Zum Ende der DDR-Zeit 1986–1987 wurde das Stadion mit der Haupttribüne ergänzt – West- und Eingangsfassade mit roten Glaselementen verkleidet (Entwurf: Fisarova/Ondrej) –, die Gegengerade überdacht und die fächerförmig geneigte Flutlichtmasten aufgestellt. In der Sanierung 1998 erhielt das Stadion seine grellbunten Schalensitze. In den Folgejahren – so auch anlässlich des Finales der UEFA Women’s Champions League 2015 – investierte das Land Berlin immer wieder in Rasen und Umkleiden, Sanitäranlagen und Brandschutz; ein paar Millionen €, immerhin.
Fragiler Zubau aus den letzten Jahren mit Anschluss an die Haupttribüne
Foto: Benedikt Kraft
Doch schon 2014 gab es erste Abriss- und Neubaupläne im Rahmen einer das Gelände insgesamt betrachtenden Machbarkeitsstudie, vor zwei Jahren dann 2021 ein Werkstattverfahren – mit Bürgerinnenbeteiligung – zur Untersuchung von drei Planungsvarianten: Erhalt, Neubau, Neubau an anderer Stelle. Das Resumee: „Durch einen Neubau des Stadions an gleicher Stelle (Szenario 1) können die Anforderungen erfüllt werden.“Oder anders gesagt: „Der Erhalt und Umbau des vorhandenen Stadions (Szenario 2), der zu großen Teilen einem Neubau entspricht, ist mit Zielkonflikten behaftet.“ Die aus dem völlig überdimensioniert formuliertes Bedarfsprogramm folgerten. Aus dem Werkstattverfahren wurde die Realsierungswettbewerbsauslobung generiert. Dann folgen noch – gleichsam im Anhang der „Auslobung Offener zweiphasiger hochbaulicher und städtebaulich-freiraumplanerischer Realisierungswettbewerb“ vom April 2022 Hinweise auf ökologische Prinzipien, also den „ressourcenschonenden Umgang mit dem baulichen Bestand“; der ja nicht mehr vorhanden ist!?
Zugang zum Gelände, dauerhaft geschlossen
Foto: Benedikt Kraft
Gewonnen haben den Wettbwerb O+M Architekten, Dresden. Im September 2024 wurde mit dem „konstruktiven Rückbau Tribünen- und Nebengebäude, Gegentribüne und Wallaufbauten“ begonnen, die Bagger arbeiteten bis zum 4. November. Dann entschied das Berliner Verwaltungsgericht über eine Klage, die der Umweltverband Naturfreunde Berlin gegen den aktiven Abriss des Jahnstadions eingereicht hatte. Der Verband argumentierte, der Senat habe die Verpflichtungen zum Artenschutz – die länger schon auf dem Tisch liegen und also bekannt sein müssen – nur unzureichend umgesetzt. Das Verwaltungsgericht folgte dieser Auffassung und untersagte mit sofortiger Wirkung den Abriss mit der Begründung, dass offensichtlich hinreichende Maßnahmen fehlten, um die knapp 100 Brutplätze des Haussperlings und weiterer Arten zu schützen. Tatsächlich habe, so die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung, Bauen und Wohnen, den Bau sogenannter „Sperlingshäuser“ vorgehabt, die aber noch nicht umgesetzt. Da die Brutperiode der Vögel im Frühjahr beginnt und bis zum Herbst dauert, ist der Baustopp zumindest bis Ende März 2025 wirksam.
Denkmalschutz für Hinterlandmauersegment … dient kreativer Gestaltung
Foto: Benedikt Kraft
Die Verwaltung hat bereits angekündigt, den Mangel sofort zu beseitigen und damit die Grundlage des Urteils zu entkräften. Ob das aber ausreicht, den Baustopp sofort aufzuheben? Noch steht alles, die Baustelleneinrichtung könnte auch für eine kleinere, den Bestand einbeziehende Lösung genutzt werden, die Bissspuren der Bagger sind noch marginal. Aber so dilletantisch das Vorgehen der Senatsverwaltung bisher war und so sehr hier dem Neubau das Wort geredet wird – ca. 200 Mio. € stehen im Raum, vor dem Hintergrund tiefgreifender, milliardenschwerer Sparerfordernissel – ist die Hoffnung eine kleine, hier, im Sportpark könnte die Stadt einmal das machen, was Verbände und Bürgerinnen längst schon fordern: Weniger politisch motiverter Aktionismus aber dafür kluges, abgewogenes Handeln. Eine Denkpause ist da, jetzt fehlt nur noch das in dieser Pause gemachte Nachdenken.