Alles ist Common Ground. Oder nichts
Das Motto der Architekturbiennale 2012 kann man so oder ganz anders verstehen. Von Heinrich Lee 22.01.2018Common Ground ... der Sprachwissenschaftler versteht darunter die Annahme über einen abstrakten gemeinsamen „Wissensraum“, der zwischen Kommunikationspartnern besteht. Bestünde dieser Wissensraum nicht, gäbe es keine Verständigung. In vereinfachender Weise könnte man sagen, dass dort ein Common Ground besteht, wo eine gemeinsame Sprache gesprochen wird (Fachsprache, Dialekt, Nationalsprache etc.). Doch bereits bei der im allgemeinen Gebrauch seienden Nationalsprache sind auch unter Muttersprachlern Verständigungsprobleme (Missverständnisse) dann möglich, wenn die Kommunikanten aus unterschiedlichen Millieus/Kulturräumen etc. stammen.
David Chipperfield nun meinte - entgegen vieler anderer Behauptungen, die größtenteils sicherlich dem Wunsch entsprangen, die wachsende Occupy-Bewegung, erfolgreiche und zunehmende Bürgerproteste, Bürgerbeteiligungsverfahren etc. auf die architektonische Planungswelt angewandt zu sehen - mit dem Motto, das er über die Architekturbiennale 2012 in Venedig stellte, tatsächlich alles andere als den Common Space, Shared Space, die Open Community, das Spacemaking etc. Chipperfield erwartete von den von ihm geladenen Architekten und Architektenteams, von den Kuratoren der Nationenbeiträgen und anderen Beteiligten, dass sie sich auf eine gemeinsame Sprache besännen. Zum Beispiel. Oder auf das Alltägliche, mit welchem die Planergemeinschaft den Alltag zu überstehen habe. Das Handfeste vielleicht, die an der Aufgabe orientierte Arbeit. Denn ihm, so betonte er auch auf der Eröffnungspressekonferenz der Biennale in Venedig, ihm sei der Starrummel, die himmelhochjauchzende Singulärleistung der ewig Publizierten ein wenig fruchtbarer Graus. Womit sich der vielfach international Ausgezeichnete und ständig kopierte Stararchitekt allerdings auf einen sehr windigen Argumentationsstandort begab.
Common, das kann heißen alltäglich, auch gewöhnlich, ja vulgär, in jedem Fall aber allen gemein, vertraut, vielfach geübt, bekannt und selten hinterfragt. Der Common Ground, wie ihn sich der Kurator Chipperfield wünschte, ist also etwas, das zurückführen möchte auf einen schlichten Anfang, an dem alles noch übersichtlicher erschien von heute aus gesehen. Es gab weniger Architekten, es gab weniger Wissenschaft. Überhaupt die! In einer seiner frühen Stellungnahmen zum Thema fand sich noch der harsche Vorwurf an die Wissenschaft, sie sei der Morast (morass), auf welchem die Leistungen der Architekten gründlich ins Wanken gerieten: Geschichte, Politikwissenschaft, Soziologie, Stadtraumforschung, Sozialwissenschaft u. a.
Was aber haben die geladenen Architekten mitgebracht, was ist aus ihrer Sicht der Common Ground, von welchem aus die Zukunft neu diskutiert werden sollte? Die Architekten bringen mit: Modelle, Zeichnungen. Sie bauen Räume, schöne und krude. Sie füllen sie mit Möbeln oder Sounds (Alvaro Siza füllt seinen Pavillonbau mit Licht und Regen und Bäumen, die bereits die Blätter verlieren, der Jahreszeit sei Dank). Oder mit sich selbst (Jean Nouvel, Peter Zumthor, Zaha Hadid, Herzog & de Meuron) und denen, die sie verehren (Peter Märkli, Grafton). Oder sie zeigen Fassadenvarianten eines und des selben Themas (Hans Kollhoff).
Der Deutsche Pavillon nimmt das Thema auf seine Weise ernst, das Common wurde hier vordergründig mit alltäglich, gewöhnlich übersetzt; so eindrücklich, dass der Minister Peter Ramsauer glaubte, er müsse hier ein Bild korrigieren, das sich der Besucher vielleicht von der deutschen Baukunst mache: Wir können mehr als das, was hier gezeigt wird!
Wenn man durch die Gaststadt Venedig läuft, wird man überall mit dem Common Ground konfrontiert, man muss ihn nur entdecken: Marktplätze für die Einheimischen, Wege, Straßen, Brücken, Mauern. Absperrungen, Aussparungen. Treffpunkte, Haltestellen, Ausblicke auf die Stadt. Kampfzonen. Friedenszonen. Common Ground ist überall, oder nirgends. Für die Architekturbiennale 2014 wünsche ich mir dieses Motto: What would you say dear All?