Altes Kraftwerk in Rheinfelden

Weltweite Unterstützung für den Erhalt des alten Maschinenhauses. Von Fabrice Müller, Stein (AG)/CH

Am Internationalen Kongress für die Bewahrung des industriellen Kulturerbes in Freiberg (D) erhielt die Rettung des alten Kraftwerkes von Rheinfelden namhafte Unterstützung. Zwei weltweite Resolutionen sollen nun die Regierungen in Bern und Stuttgart zum Handeln bewegen.

Der bevorstehende Abriss des alten Kraftwerkes von Rheinfelden hat in der ersten Septemberwoche am Weltkongress des Internationalen Komitees für die Bewahrung des industriellen Kulturerbes („The International Committee for the Conservation of the Industrial Heritage“, TICCIH) große Empörung ausgelöst. Kurt Beretta hat im Auftrag der beiden Städte Rheinfelden und der IG pro Steg an der Technischen Universität Freiberg – Sachsen die Situation zum alten Maschinenhaus Rheinfelden präsentiert und dabei wertvolle Kontakte zu Spezialisten aus aller Welt geknüpft. Der Rheinfelder Vertreter verwies auf die universellen Werte des alten Kraftwerkes: Dieses ist weltweit die erste großtechnische Anlage zur Erzeugung von Drehstrom mit einer Frequenz von 50 Hertz; weiter gilt sie als Keimzelle des europäischen Verbundnetzes mit noch zwei bestehenden Maschinengruppen aus den Jahren 1897 und 1898 sowie als älteste noch erhaltene Anlage zur großtechnischen Nutzung von erneuerbarer Energie, nachdem das „Adams Powerhouse #1“ an den Niagarafällen (USA) schon 1961 abgerissen worden ist. Außerdem wies Kurt Beretta darauf hin, dass für die Baubewilligung, respektive den Planfeststellungsbeschluss von 1998 auf Schweizer Seite die technologiehistorische Bedeutung nicht untersucht und aus rein ökologischen Gründen der Abriss des Maschinenhauses verlangt worden war. „Durch neue bedeutende Publikationen von Professor Gerhard Neidhöfer wurde nun die Einschätzung der Bedeutung vom europäischen auf welthistorisches Niveau angehoben“, betont Kurt Beretta.

370 Fachleute aus der ganzen Welt

Am Weltkongress der TICCIH haben 370 Spezialisten aus über 30 Ländern und aus allen Kontinenten teilgenommen. Sie alle bemühen sich, der Entwicklung, die zu unserem heutigen Wohlstand in vielen Teilen der Welt geführt hat, ein Gesicht zu geben. Im Gegensatz zu den klassischen Denkmälern wie Kirchen und Schlösser haben die Industriedenkmäler einen viel größeren und direkteren Bezug zu den Tätigkeiten unserer Vorfahren. Sie widerspiegeln das frühere Arbeitsleben des gewöhnlichen Volkes und nicht einer Elite. Das Maschinenhaus von Rheinfelden erzählt laut Kurt Beretta nicht nur Geschichten der Vergangenheit, sondern ist als Pionier für die großtechnische Nutzung erneuerbarer Energie auch zukunftsorientiert. „An einer solchen, zukunftsgerichteten industriehistorischen Perle werden selbst ökologische Kreise langfristig nicht mehr unberührt vorbeischauen können.“

Weltweite Resolution für das Maschinenhaus von Rheinfelden

Für drei akut gefährdete bedeutende Industriebauwerke auf der Welt hat die Generalversammlung und anschließend der internationale Ausschuss der TICCIH unter ihrem neuen Präsidenten, Professor Patrick Martin von der Michigan Technological University in Houghton, Michigan (USA), drei Resolutionen verabschiedet. Die erste davon betraf Rheinfelden: Sie wurde von der Vorsitzenden der Sektion Wasserkraft, Randi Bårtvedt, Norwegen, vorgetragen und von der Generalversammlung mit großem Applaus bestätigt. Sie kam auf Vermittlung des Schweizer Repräsentanten des TICCIH, Dr. Hans-Peter Bärtschi, Winterthur, zustande. Eine weitere Resolution zur Rettung des alten Kraftwerkes von Rheinfelden wurde von TICCIH-Deutschland unter Dipl.-Ing. Norbert Tempel, Abteilungsleiter am Westfälischen Industriemuseum Dortmund und Herausgeber der Fachzeitschrift „Industrie-Kultur“, sowie Dr. Axel Föhl, Sprecher der bundesweiten Arbeitsgruppe Industriedenkmalpflege der Vereinigung der Landesdenkmalpfleger (VDL), verabschiedet. Empfänger beider Resolutionen sind Ministerpräsident Günther H. Oettinger, Stuttgart, Regierungspräsident Peter Beyeler, Aarau, das Regierungspräsidium in Freiburg i. Br. sowie das Bundesamt für Energie in Bern.

Hoher Stellenwert einer TICCIH-Bewertung

Die Stimme des TICCIH hat einen hohen Stellenwert. TICCIH ist die Weltorganisation, die sich für den Erhalt, die Dokumentation, die Erforschung und Interpretation des industriellen Kulturerbes einsetzt. Sie berät den internationalen Rat für Monumente und Stätten der UNESCO (ICOMOS) und das Komitee des UNESCO-Weltkulturerbes bezüglich Welterbe-Kandidaten. „Es ist zu hoffen, dass dieser hohe Stellenwert jetzt auch in Stuttgart und Bern wahrgenommen wird. Ein Abbruch des alten Kraftwerkes Rheinfelden muss zum jetzigen Zeitpunkt um so nachdrücklicher als ein nicht mehr gutzumachendes Vergehen am industriellen Weltkulturerbe bezeichnet werden“, so Kurt Beretta. Die Schweiz sei speziell gefordert, da sie für den Abbruchentscheid eines im Ausland gelegenen industriellen Kulturerbes von weltweiter Bedeutung eine entscheidende Rolle gespielt habe.

Keine nennenswerten Mehrkosten für Rheinfelden

Kann das alte Maschinenhaus in Rheinfelden vor dem Abriss bewahrt werden, entstehen dadurch laut Kurt Beretta und Peter Scholer von der IG pro Steg für die beiden Städte Rheinfelden Schweiz und Baden keine nennenswerten Mehrkosten. Dieses wurde auch von den Experten des TICCIH-Weltkongresses bestätigt. Wie die Erfahrungen mit anderen industriekulturellen Objekten zeigen, bringe der Erhalt in der Regel sogar weniger Kosten mit sich als ein Abbruch. „Wichtig ist, dass für das Projekt eine eigene Trägerschaft gegründet wird, die die Vollmacht hat, den Abriss zu verhindern und ein neues Verfahren einzuleiten. Wir verlangen ein fünfjähriges Abrissmoratorium, um die Situation neu beurteilen zu können“, erklärt IG-Präsident Peter Scholer. Für die Nutzung des alten Maschinenhauses existiert bereits ein Konzept, das vorsieht, das Gebäude als Campus für Bildung, Wirtschaft und Kultur zu nutzen.

Zu den Aktivitäten der Interessengemeinschaft PRO STEG Rheinfelden unter www.ig-pro-steg.com

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