Nachaltigkeit

Architektenkongress ARCHIKON 2018

Widersprüchlichen Anforderungen mit ganzheitlichen Konzepten begegnen

„Mit dem nunmehr zweiten Landeskongress für Architektur und Stadtentwicklung möchte die Architektenkammer Baden-Württemberg einen einzigartigen Treffpunkt für die gesamte Baubranche bieten – ihren eigenen Mitgliedern genauso wie Vertreterinnen und Vertretern aus Landesverwaltung, Kommunen und Wirtschaft“, erklärte Präsident Markus Müller am 1. März in Stuttgart vor den rund 1.300 Anwesenden. Ziel sei nicht nur, dem oftmals unscharf erscheinenden Anliegen der Nachhaltigkeit ein klares Gesicht zu geben, sondern auch berufspraktische Fragen wie Digitalisierung, Bodenpolitik oder Vergabeverfahren zukunftsweisend aufzuarbeiten.

Die heutigen Trends seien alles andere als nachhaltig. Dies und die Klimapolitik sollten Betroffenheit bei den Menschen erzeugen und ihnen Vorteile einzelner Maßnahmen stärker darstellen, ist die Überzeugung von Prof. Dr. Ernst Ulrich von Weizsäcker. Als Beispiel nannte er das Passivhaus. Bei diesem seien zwar zunächst höhere Investitionen nötig, doch rechneten sie sich langfristig für den Nutzer, weil die Heizkosten entfallen. Der Ko-Präsident des Club of Rome und ehemalige Präsident des Wuppertal Instituts für Klima, Umwelt, Energie regte eine stetige, sozial- und industrieverträgliche Verteuerung des Naturverbrauchs an. „Denn nur so lässt sich langfristig eine gesunde Balance zwischen Mensch und Natur herstellen.“ Von Weizsäcker sieht Deutschland beim Einsatz von erneuerbaren Energien als wichtiges Vorbild für andere Staaten.

Weg von der Verbrauchsgesellschaft hin zu einer werterhaltenden, ist auch die Forderung von Markus Müller. Der Präsident der baden-württembergischen Architektenkammer beruft sich auf das erklärte Ziel der Bundesregierung, bis zum Jahr 2050 den klimaneutralen Gebäudebestand zu erreichen. Hintergrund ist, dass ein Viertel der Gesamtenergie in Deutschland für die Beheizung von Gebäuden verwendet wird. In der Pflicht sieht Müller dabei die gesamte Gesellschaft: „Derzeit reden alle vom Klimaschutz, aber nur diejenigen bezahlen die Kosten, die als Bauherr ein Gebäude neu errichten oder im Bestand sanieren. Deshalb brauchen wir eine signifikante Steigerung der Förderquoten und eine Bepreisung klimaschädlicher Energieproduktion.“

Doch ist nachhaltiges Handeln weit mehr als energiesparendes Verhalten. Amandus Samsøe Sattler präzisierte: „Nachhaltigkeit kann nur zu einer erfolgreichen Bewegung werden, wenn wir sie auch für den Betrachter erkennbar und erlebbar machen.“ Technik sei kostenintensiv und habe keine große Lebensdauer. Stattdessen regte der Münchner Architekt an, Gebäude mit haltbaren und festen Baustoffen und guten Details zu entwickeln, „um sie über einen langen Zeitraum mit Freude zu nutzen.“

In diese Richtung ging auch das Credo von Prof. Dr. Susanne Hofmann, Gründerin des auf Beteiligungsprozesse spezialisierten Berliner Büros ‚die Baupiloten‘. „Die nachhaltigste Architektur ist die, mit der sich ihre Nutzer identifizieren. Dafür spielt die Ästhetik eine wichtige Rolle. Denn kann man sich mit etwas identifizieren, das man nicht schön findet?“

Wie breit das Thema Nachhaltigkeit zu bearbeiten ist, spiegelte sich auch im umfangreichen Seminarangebot wider, das unter den Oberbegriffen Baukultur, Energiewende, Low-Tech, Suffizienz und Kreisläufe ganz unterschiedliche Ansätze vertiefte. Aus deren Nebeneinander ergäben sich oft Zielkonflikte, erklärte Kammerpräsident Müller. Denn wer wolle etwa das Ulmer Münster mit einer Wärmedämmung versehen? Auch anderswo träfen verschiedene Interessensfelder aufeinander. So wirke verdichtetes Bauen dem enormen Flächenverbrauch entgegen, gleichzeitig gelte es für die Rückzugsbedürfnisse des Individuums die richtigen Antworten zu finden.

Kreativität und Mut, Unbekanntes auszuprobieren: zwei notwendige Eigenschaften für Planerinnen und Planer auf der Suche nach neuen Lösungswegen. Dazu erklärte die Berliner Architektin Nanni Grau, deren Büro ‚Hütten und Paläste‘ auf besondere Standorte und Bauaufgaben spezialisiert ist: „Stadt braucht Experimente, in denen neue Formen des Arbeitens und Zusammenlebens, aber auch der Finanzierung und Teilhabe am Grundbesitz erprobt werden können.“

Rund 70 Referentinnen und Referenten gaben im ICS Internationales Congresscenter Stuttgart ihren Blick auf Strategien der Nachhaltigkeit und die Zukunft des Berufsbildes wieder. Einig war man sich, dass Architekten und Stadtplanern eine Schlüsselrolle zukommt, auch und insbesondere dann, wenn scheinbar Widersprüchliches aufeinander trifft. Forderungen aus den Bereichen Bauphysik, Gestaltung, Funktion, städtebauliche Relevanz oder historischer Erhaltungswert – immer müsse es darum gehen, alle wichtigen Belange im Blick zu behalten, gegeneinander abzuwägen und zu einer individuell angepassten Lösung zu führen.

Als größter Architektenkongress  bundesweit bot ARCHIKON die Gelegenheit, beispielhafte Anregungen für solch ganzheitliches Handeln auch politischen Entscheidungsträgern bekannt zu machen und sich für die komplexen Anforderungen im Berufsleben fortzubilden.

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