Baukultur ist eine schöne Sache

In der Berliner Humboldt-Box trafen sich 250 Baukulturinteressierte ... ausgerechnet!?

Es hatte gerade aufgehört zu regnen, und obwohl ich mich mit aller Verstandeskraft dagegen wehrt, strahlte die Humboldt-Box am Schlossplatz warm und einladend von innen heraus und wirkte mit einem Mal ganz versöhnlich und sanft eingebettet in die vorweihnachtlich bunte Abendlichtstimmung der überbeleuchteten Mitte Berlins. Der Dom gegenüber, auch das Alte Museum in klassisch dezenter Gelbgoldtönung ihres gar nicht so gelben Steins waren jetzt wie ältere Geschwister und nicht mehr das, was sie doch eigentlich sein sollen: Beispiele für Baukultur, die von der provisorischen Humboldt-Box-Architektur aus zu bewundern jedem Besucher aufgegeben ist. Dass er oder sie lerne, wie große, ja großartige Architektur in der Mitte der Hauptstadt auszusehen habe. Bis das Schloss steht, dann bitte die Blicke wenden!

Hier also Versöhnung am noch offenen Schloss-Grabefeld. Hergestellt mittels farbenfroher, der Jahreszeit geschuldeter Hintergrundlichterkulisse. Die auch von den in nächster Ferne grell rot leuchtenden Werbetüchern über der so verhüllten Hülle der Bauakademie-Box vis-a-vis nicht zu zerstören ist und auch nicht von der in geschmacklosem violett-rosa illuminierten RTL-Inhaberin aus Gütersloh. Hierhin also hatte die für Baukultur verantwortliche Bundesstiftung Baukultur zu Vortrag und Podiumsdiskussion geladen. Und man kann sagen, die eine Rechnung ging auf: Es kamen viele. Rund 250 Interessierte, Architekten, Medienvertreter, Politiker, auch ein paar interessierte Bürger und Initiatoren, Vereinsvorsitzende und Kilian, ein drei Monate junger Junge, der allerdings das Beste verschlafen sollte.

Vordergründig sollte in der „Baukultur im Dialog“-Veranstaltung der vierte und abschließende Band des „Berichts der Baukultur“ vorgestellt werden (hier sprach die Mitherausgeberin Ursula Baus, frei 04 publizistik). Doch Michael Braum, Vorstandsvorsitzender der Bundesstiftung Baukultur, wäre nicht Micheal Braum, wenn er nicht auch dieses Forum dafür genutzt hätte, die Standpunkte der von ihm maßgeblich geführten Stiftung ins Fachleute-Gedächtnis zu hämmern. Vor Jahrzehnten gab es mit Johannes Leppich das „Maschinengewehr Gottes“, heute ist der in Berlin wohnende Schnellsprecher mit Arbeitssitz in Potsdam der „preacher man“ der Baukultur, der auch an diesem Abend mehr Sätze/Absätze ins Publikum feuerte, als die im Programm angekündigten „strategische Empfehlungen“.

Auf dem Podium saßen neben Michael Braum und dem Architekturtheoretiker und Moderator des Abends, Olaf Bartels, die ehemalige Stadtbaurätin Münchens, Christiane Thalgott (für die Kollegin aus Berlin, Regula Lüscher, die absagen musste), die Architektin Laura Fogarasi-Ludloff für Team11, der Architekt Volker Staab, Staab Architekten, sowie der Philosoph, Städtebautheoretiker und ehemaliger Redakteur der FAZ, Michael Mönninger.

Die Diskussion drehte sich um vieles, darum beispielsweise, ob wir starke StadtbaurätInnen brauchen oder eher die kommunalen Gremien fachlich zu stärken sind. Die einen wollten die Ideologien als Hindernis für konsensuale Diskurse abgeschafft wissen, andere wiederum verstärkten das Ideologische in durchaus abfälligen Bemerkungen über die Positionen der ungenannt Anderen. Ist der die Stadtsoziologie der deutschen Nachkriegsjahre beeinflussende Philosoph Karl Raimund Popper heute noch zitierfähig, und wie geht man mit ebenfalls gut eingeführten, seit vielen Jahrzehnten dienlich gemachten Protagonisten für eine kritische Sicht auf Stadtentwicklung und Historie um? Der kleine Streit, ob ein Max Frisch-Zitat so oder so auszulegen ist und ob der eigentlich mehr Autor als Architekt seiende Schweizer … aber das führt zu weit.

Volker Staab gab den interessanten, leider nicht weiter vertieften Hinweis, dass schon an den Hochschulen zu viel abstrahiert werde, leider eben bis in die Realisierungsphase hinein. So sei es mehr und mehr üblich, dass junge Absolventen nur noch temporäre Dinge machten, kleine Interventionen, Reflexe über das Bauen anstatt das Bauen selbst. Gründe für die Realisierungsabstinenz gibt es genügend, ein Wesentlicher wird sein, dass das Aufgabenfeld der Architekten bei zunehmend steigender Absolventenzahl rasend schnell schrumpft.

Auch wurde nur ganz kurz gestreift – obwohl im Untertitel der hier präsentierten Publikation wortwörtlich behauptet –, inwieweit wir überhaupt von einer offenen Gesellschaft sprechen können, auf welche Strukturen das gemünzt ist, und mit welcher Zukunftsperspektive das abnehmend Halbdurchlässige, das zunehmend Geschlossene des ehemals Öffentlichen ausgestattet sind, wie die Privatisierung von Bildung oder die Verfestigung des Elitengedankens auch im nicht Elite seienden Mittelstand (den es ja gar nicht mehr gibt!) die Städte prägen, mehr, als das vordergründig jedoch immer wieder gerne zitierte Kapital, das zwar frei flottiert, jedoch seinen zumeist geheimen Hafen kennt. Nichts davon in der Humboldt-Box, die als Investorengeschenk an die Pleite-Stadt Berlin Blicke ermöglichen wird auf eine für die Zukunft von Kilian und seine Freunde völlig unnütze Baustelle.

Dass am Ende des hin und her wogenden, insgesamt aber sehr moderat geführten Gesprächs die von Michael Braum in schon penetranter Weise wiederholte Dialektik aus Zuspitzung/Aufweitung der Baukulturinitiative stand: „Es ist schon viel erreicht, wenn wir über Baukultur reden“, war erwartbar. Weniger die in einer kleinen Nachdiskussion aufkeimende Erkenntnis, dass eine ganz sicher nötige Revolution unser Gesellschaftsverfassung – die vielleicht unmöglich ist aber notwendig – von Architekturtheoretikerseite als „langweilig“ abgetan wurde. Langweilig, liebe LeserInnen, kann eine Podiumsdiskussion sein, eine Revolution aber macht zuallerst Angst, denn niemand weiss, wie sie (für uns alle) ausgeht. Be. K.

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