Bollinger+Grohmann - "Hinter den Kulissen"
Eine Ausstellungsbesprechung von Christian Brensing, Berlin 22.01.2018Tragwerksplanung heute bedeutet schon lange nicht mehr die alleinige Berechnung und Bestimmung von Kräften in einer Baukonstruktion. Architekten definieren den umbauten Raum in vielfachen Arten und Weisen auf die Bauingenieure Antworten, oder noch besser, eine kreative Entsprechung finden sollten. Bei solchen Prozessen hat der „einfache Statiker“ ausgedient. Der Tragwerksplaner wird zum kongenialen Design-Partner des Architekten, der ihm den Raum und die Konstruktion entschlüsselt oder gar erst erschließt. Das zeitgenössische Verständnis der Tragwerksplanung ist daher eher mit einer Kunstform oder neuen Dimensionen von Kreativität gleichzusetzen.
Von diesem Zauber der einer Baukonstruktion innewohnen kann, handelt die Ausstellung „Hinter den Kulissen“ im DAM. Seit dreißig Jahren verwirklichen Klaus Bollinger und Manfred Grohmann ihre Visionen von Konstruktionen und Räumen, die in vielen Fällen mit herkömmlichen Bauten wenig gemeinsam haben. Die Europäische Zentralbank in Frankfurt am Main (Coop Himmelb(l)au, das Rolex Learning Center in Lausanne (SANAA), das Kunsthaus Graz (u. a. Peter Cook), die unterirdische Städel Erweiterung in Frankfurt am Main (schneider+schumacher) oder die Stationsdächer der Nordkettenbahn in Innsbruck (Zaha Hadid) sind zu einem Synonym für die Künste von Bollinger+Grohmann geworden. Den Ausstellungstitel „Hinter den Kulissen“ mag man daher getrost als ein leicht ironisches Understatement begreifen. Standesgemäß drängt man sich nicht in den Vordergrund. So zeigt die Ausstellung auch nur ausnahmsweise vollendete Projekte, vielmehr sind es Prozesse, die von Belang sind. Wie Dinge entstehen, ausgearbeitet, umgesetzt, variiert und letztendlich auf der Baustelle realisiert werden, davon handeln die unterschiedlichen Kabinette.
Immer beginnt ein Prozess mit einer Idee, einer Assoziation oder gar Vision. Die Bodenhaftung oder gar der Realitätssinn gehen dabei aber nicht verloren. Man bleibt bewusst erdverbunden, direkt und unmittelbar: auf blanken knallgelben Schaltafeln entfalten sich die Entwürfe und Planungsschritte. Ein auf die Tafeln genagelter schwarzer Faden hilft dem Betrachter sich nicht im Labyrinth der Planungen zu verlieren. Bei aller Geradlinigkeit führen aber nicht alle Ideen direkt zum Ziel. Aber immer ist das Ziel die Baustelle, auf der die Betrachter sich wieder einfinden, um im Rückblick zu erkennen wie aus einer anfänglichen kühnen Vision eine gebaute Realität geworden ist. Beispielhaft mag hier die „Tragwerkslandschaft“ des Rolex Learning Centers sein, wo das durchgehende architektonische Raumkonzept zu „Hügeln“ und „Mulden“, d.h. einer bis zu 85 m spannenden, flach geneigten und mehrfach gekrümmten Betonschale führte. Die Optimierung des Tragwerks, der Aufbau der Betonschalung, die Vorspannung einzelner Abschnitte und das Betonieren einer Fläche von 4.200 m² in nur 48 Stunden setzten Maßstäbe und verwandelten den Bauprozess in ein einzigartiges Erlebnis, dem man im Gebäude heute noch nachgehen kann.
Bollinger+Grohmann zeigen dem Besucher der Ausstellung Wege durch ein „terrain vague“ und lassen uns erahnen, welche Kombination aus Intuition, Kreativität und Können es bedarf dabei nicht zu scheitern. „Hinter den Kulissen“ offenbart die Kräfte, die Bauten im Innersten zusammenhalten und wie sie sich vor unseren Augen spektakulär entfalten.
Bollinger+Grohmann, Hinter den Kulissen. Ausstellung.
Deutsches Architekturmuseum, Frankfurt am Main, 15. Juni – 1. September 2013
Zur Ausstellung erscheint ein Katalog.