Crowdfunding in der Architektur

„Eigentlich war es eine Schnapsidee“ –

ein Interview mit Steen Rothenberger über Crowdfunding in der Architektur

Crowdfunding ist die Möglichkeit im World Wide Web durch ein Kollektiv Kapital einzusammeln, um ein Projekt zu realisieren. Auch Gebäude können damit finanziert werden. In Frankfurt a. M. ist eines der ersten gebaut worden, der Kleine Ritter. Was bedeutet das für die Architektur?
Wir trafen uns mit Steen Rothenberger, Geschäftsführer der Rothenberger 4xS GmbH und Investor des Kleinen Ritters.

DBZ: Wie haben Sie Crowdfunding für Immobilien entdeckt?
Steen Rothenberger: Eigentlich war es eine Schnapsidee bei einem Mittagessen. Ich war mit Michael Ullmann (Anm. d. Red.: Geschäftsführer der Firma Betterterms GmbH, die mit kapitalfreunde.de eine Crowdfunding-Plattform für Immobilien betreibt) gemeinsam Mittagessen, der als erster das Crowdfunding für Immobilien in Deutschland gestartet hat: die Plattform heißt Kapitalfreunde.de. Bei einem Mittagessen kam uns die Idee, dass wir ein Referenzprojekt starten möchten und schauen, wo das Projekt uns hinführt. Mir kam es sehr gelegen, da ich mich in ein kleines Viertel in Frankfurt, Alt-Sachsenhausen, verliebt habe. Dort wollten wir das Projekt versuchen. Ich sehe es als meine Aufgabe als „Quartiersentwickler“ Emotionen an dieses Viertel zu binden. Und dafür ist Crowdfunding das perfekte Instrument.

Wie weckt man dabei Identität und Emotionalität bei der Crowd?
Crowdfunding ist eine emotional gesteuerte Geschichte. Das bedeutet, man begeistert sich für die witzigen, lustigen, kleinen Ideen, als das es wirklich die guten Geschäftsideen fördert. Wenn man es mal abgrenzt vom Crowdfunding für Immobilien. Damit Crowdfunding funktioniert, bedarf es bunter Bilder oder emotional aufgeladener Bilder, Texte etc.

Wie haben Sie das beim „Kleinen Ritter“ erreicht?
Wir haben ein oder zwei Videos gemacht, die wir verteilt haben. Darüber haben wir das Projekt kommuniziert. Das ist bei Immobilien, bzw. bei einer Projektentwicklung, natürlich nicht ganz einfach, Bilder zu zeigen, die letztendlich das Projekt überzeugend transportieren. Das bekommt man mit Visualisierungen, Plänen und Zeichnungen hin. Das bedarf jedoch einer Menge Arbeit. Ich habe nach einiger Zeit die Bremse gezogen, da ich nur bereit war ein gewisses Maß an Mehrarbeit in die Vorbereitung dieses Crowdfundings zu investieren. Es ist irgendwann eine zeitliche Kapazität überschritten worden, wo ich gesagt habe: Das muss jetzt reichen. Ich wollte nicht viel Geld einsammeln, sondern schauen was machbar ist.

Hatten Sie Vorbilder aus anderen Ländern?
Ich bin bewusst blauäugig in dieses Projekt gestartet. Ich bin der Meinung, dass es manchmal einer gewissen Naivität bedarf, um Pionierarbeit zu leisten oder auch verrückte Ideen in die Tat umzusetzen. Wenn man zu viel weiß, denkt man zu viel über Falltüren und Probleme nach, die sich stellen werden. Deswegen haben wir uns wenig mit diesem Thema auseinandergesetzt.

Was waren Ihre Beweggründe ein Projekt mit Crowdfunding zu finanzieren?
Ich hatte klare Marketingbeweggründe. Das heißt, so viele Menschen wie möglich an eine Adresse zu binden. Natürlich gibt es so was wie Eigentümer- und Besitzerstolz. Doch wenn man es schafft mit Crowdfunding verschiedene Eigentums- und Besitzverhältnisse sowie ganz unterschiedliche Menschen an eine Adresse zu binden, werden diese Leute sich automatisch mit dieser Adresse auseinandersetzen und identifizieren. Das ist, was ich mir für diese Adresse oder dieses Viertel Alt-Sachsenhausen wünschen würde. Wenn man es also schafft ein Konzept für eine Immobilie zu entwickeln, eine Immobilie hat und Projektpartner sucht, die sich durch kleine Beiträge einbringen, dann ist Crowdfunding perfekt. Die Beiträge müssen nicht mal Kapital sein, das können auch Meinungen, ehrenamtliche Tätigkeiten oder Impulse sein. Wichtig ist, an der Stelle nicht allzu blauäugig zu sein zu glauben, nur weil man eine gute Idee hat, ist es leicht über das Internet Geld zu sammeln. Um eine Standardfinanzierung, zusammengesetzt aus Eigenkapital, Mezzanine und Fremdkapital, werden wir lange nicht herumkommen. Das werden die Standardprodukte für eine Finanzierung bleiben. Crowdfunding kann man zum Beimischen verwenden. Projekte letztendlich nur durch Crowdfunding zu finanzieren, sehe ich zum momentanen Zeitpunkt noch nicht.

Wie setzt sich die Finanzierung bei dem Projekt „Kleiner Ritter“ zusammen?
Der „Kleine Ritter“ setzt sich zu ca. 60 % aus Eigenkapital zusammen, etwa 35 % sind Fremdkapital und der Rest ist Crowdfunding. An den Verhältnissen merken Sie, dass das Crowdfunding deutlich unter 10 % liegt. Denn das Kapital war nicht der entscheidende Beweggrund Geld über Crowdfunding zu sammeln, sondern die emotionale Bindung an den Ort und das Projekt. Dafür sehe ich beim Crowdfunding eine riesige Chance: Emotionen an eine Adresse, an einen Ort, an ein Viertel zu binden.

Was haben die „Crowdfunder“ von dem Projekt außer Identifikation mit einer Adresse?
Die Personen haben ein Nachrangdarlehen gegeben. Etwa 60 Personen haben über vier Jahre ein Darlehen an die Projektgesellschaft gegeben. Dieses Darlehen wird nach den vier Jahren mit 6 % Verzinsung zurückgezahlt. Zur Sicherheit dient den Leuten, dass sie nachrangig im Grundbuch eingetragen sind. Das heißt sie haben einen echten Titel. Das unterscheidet das Crowdfunding von Immobilien maßgeblich von anderen Crowdfunding-Kampagnen. Es liefert mehr Sicherheit.

Inwiefern?
Wenn man im Grundbuch eingetragen ist, hat man ein Anrecht auf sein investiertes Geld. Das bedeutet: Wenn beispielsweise ein Projekt scheitert und der Projektentwickler letztendlich die Hand hebt und sagt, wir lassen die GmbH, in der das Projekt verankert ist, gegen die Wand fahren, hat derjenige, der das Nachrangdarlehen gegeben hat, die Chance an sein Geld zu kommen, wenn die Immobilie verwertet wird. Dadurch fließt Geld zurück. Zunächst wird die Bank ausbezahlt. Und das was übrig bleibt, hat der Darlehen-Geber zur Verfügung, um sich selbst aus der Konkursmasse zu bedienen. Das ist eine Sicherheit, die im Grundbuch manifestiert ist. Und das ist der Unterschied zu anderen Crowdfunding-Kampagnen. Da hat man keine Sicherheit. Das Crowdfunding von Immobilien ist heute noch nicht verstanden. Zumindest der Weg des gesicherten Darlehens, den die Kapitalfreunde eingeschlagen haben. Denn das darf man nicht vergessen. Es ist eine Geldanlage. So wurde es auch beim „Kleinen Ritter“ vermarktet und verkauft und nicht als „seid Teil eines Ganzen.“ Es ist ein echtes Geldgeschäft. Die ganzen Auflagen der BaFin (Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht) machen es so schwierig, solche Geschäfte letztendlich zu manifestieren.

Wie viel Geld konnten die Personen investieren?
250 € bis 2000 € konnten angelegt werden. Und das ist eine Sache, die nicht unterschätzt werden sollte. Ich habe das Gefühl, das Crowdfunding von vielen momentan missverstanden wird, als eine Möglichkeit für geringes Geld Kapital einzusammeln. Das ist jedoch nicht so, nicht bei Crowdfunding für Immobilien. Außerhalb dessen, im Designbereich zum Beispiel schon. Jedoch gibt es dort de facto keinen „echten“ Gegenwert – lediglich den emotionalen Gegenwert. Das ist im Immobilienbereich nicht machbar und sollte auch nicht machbar sein. Es ist eine Anlage, der einen echten Gegenwert zugeordnet ist. Eine echte Verzinsung. Über diese Naivität werden viele stolpern. In dem Moment, in dem jemand eine Crowdfunding-Kampagne startet, der weder Geld noch einen track record (Anm. d. Red.: Referenzliste bereits realisierter Projekte) in dem Bereich hat, wird es schwierig. Entweder gibt es einen Haufen Verrückter, die in solch ein Projekt investieren und keinen Gegenwert erwarten. Oder so ein Projekt scheitert. Crowdfunding ist eine riesige Chance für Immobilien. Aber dann müssen auch echte Werte und echte Fakten geliefert werden. Alles andere kann nicht mehr als ein Hype sein, der irgendwann vorübergeht, wenn der letzte seine 250 € gibt und sich fragt, was habe ich denn jetzt davon gehabt?

Vielleicht Einflussnahme? Kann die Crowd, die Gestaltung beeinflussen?
Rein rechtlich nicht. Rein emotional, fände ich es schön, wenn die Crowd auch ihre Meinung äußert. Wir haben die Crowd beim „Kleinen Ritter“ bei einigen Entscheidungen im Innenausbau mitentscheiden lassen. Die Fliesenauswahl beispielsweise wurde von der Crowd getroffen. Die Abstimmung lief online über Facebook. Die Leute hatten die Möglichkeit aus drei Materialien zu wählen. Da gab es eine schöne Abstimmung im Netz. Die von der Crowd ausgewählte Fliese ist nun auch verbaut. Jetzt muss man ehrlich sagen, diese Fliese war auch meine Präferenz. Wie hätte ich reagiert, wenn eine andere Wahl getroffen worden wäre? Die Gestaltung ist immer eine Sache zwischen Architekt, Bauherr und Energien, die um das Projekt schweben. Die Crowd war nun einer dieser außenliegenden Impulse, die auch Einfluss haben sollen und dürfen. Wenn man Crowdfunding ernsthaft betreibt, sollte man auch akzeptieren, dass es Leute gibt, die nicht nur Leidenschaft, sondern auch echtes Kapital geben. Diese Leute sollten natürlich auch ihre Meinung äußern dürfen. Ob man die Meinung berücksichtigt, ist dann jedem selbst überlassen. Wir haben sie berücksichtigt. Wobei es auch sehr leicht war, denn sie hat zu 100 % unseren Geschmack getroffen.

Wird Crowdfunding auf die Stadtgestaltung Einfluss nehmen?
Ich glaube erstmal nicht. Dafür ist der Stellenwert noch nicht groß genug.

Sollte die Crowd jederzeit Einfluss auf die Gestaltung des Projekts haben?
Nein. Ich glaube nicht, dass die Masse eine bessere Entscheidung trifft als der Einzelne was Gestaltung, Stadtplanung etc. anbelangt. Der kleine gemeinsame Nenner kann nie zu einer außergewöhnlichen Architektur, einem außergewöhnlichen Quartier oder außergewöhnlichem Bauen führen. Demnach müssen gewisse Entscheidungen von Einzelnen getroffen werden, die gewisse Eitelkeiten und gewisse Verrücktheiten haben, gewisse Visionen verfolgen. Aber sie sollten ebenso gewisse Kompetenzen haben, um auch manchmal unpopuläre Entscheidungen durchzudrücken. So entstehen außergewöhnliche Projekte. Ich glaube nicht, dass das Crowdfunding Einfluss auf die Stadtgestaltung haben wird und das es das haben sollte. Das sehen Sie in vielen Bereichen: nur weil DSDS (Anm. d. Red.: Deutschland sucht den Superstar, eine Castingshow eines privaten Fernsehsender) ausgestrahlt wird, wird die Musik in Deutschland nicht besser. Der maßen taugliche Geschmack bringt unsere Architektur nicht weiter.

Gab es Schwierigkeiten mit Behörden bezüglich des Crowdfundings in Alt-Sachsenhausen?
Es gab eine hohe anwaltliche Beratung an die Kapitalfreunde, um zu schauen, dass letztendlich die Auflagen der BaFin erfüllt werden. Wie der Stand der Dinge da momentan ist, weiß ich nicht. Wir hatten es damals durch das Nachrangdarlehen gelöst. Was ich eine sehr spannende Variante finde.

Warum?
Weil in unserem Fall haben die Anleger eine sehr gute 6 % Rendite bekommen. Wo bekommen Sie heutzutage noch 6 %? Plus eine Besicherung mit dem Nachrangdarlehen. Wenn der Betreiber des Projekts seriös ist, dann ist das von der Rendite sehr spannend. Aber dementsprechend auch nicht spannend für Leute, die Projekte machen wollen und echtes Kapital suchen. Bei uns war es wie gesagt eine Marketing-Kampagne und wir waren deswegen gewillt diese 6 % auszugeben. Aber für jemand der ein Projekt Spitz auf Knopf kalkuliert, sind 6% bei der momentanen Zinslandschaft ein ganz schöner Brocken. Diese Finanzlage ist dann eine natürliche Selektion der Projekte.

Welche Projekte scheitern?
Wenn das Projekt per se nicht seriös genug, zu risikobehaftet ist. Die Bank gibt ihnen kein Geld und genügend Eigenkapital ist auch nicht vorhanden. Das ist ja momentan der Grund, warum Leute den Weg des Crowdfundings einschlagen. Ich hoffe es gibt noch andere Beweggründe ein Projekt Schwarm zu finanzieren, sonst bekommen wir als Angebot nur schrott. Und ich glaube, an der Stelle hat Herr Ullmann auch zu kämpfen. Nicht um Crowdfunder, die gewillt sind Geld zu geben, sondern um gute Projekte von Projektentwicklern, die gewillt sind auch mal ein höheres Zinsnievau einzugehen, um Crowdfunding zu ermöglichen.

Und welche Projekte gelingen?
Als Erstes braucht man eine gewisse Seriosität oder auch Bonität. Es ist als Projektentwickler heutzutage nicht leicht ohne Geld und Referenzliste ins Netz zu gehen und zu sagen ich suche Geld für folgendes Bauvorhaben. Dafür ist Bauen heutzutage viel zu Komplex mit den Anforderungen an Baurecht, Gestaltung, Städtebau etc. als dass man ohne Referenzliste mit Leichtigkeit Geld einsammelt oder ein Projekt umsetzt. Als Zweites benötigt man die Immobilie. Eine Mikrolocation, die in irgendeiner Form funktioniert. Und als Drittes ein schlüssiges Nutzungskonzept. Wenn man kein schlüssiges Nutzungskonzept hat, scheitert jede gute Projektentwicklung. Und das ist beim Crowdfunding auch nicht anders. Demnach hängt es stark vom Konzept ab, das man für diese Immobilie hat, ob das Projekt gelingt.

Wird Crowdfunding für Bauvorhaben in Zukunft eine Rolle spielen?
Ich glaube Crowdfunding wird in Zukunft eine Rolle spielen. Zum einen die Möglichkeit des Informationsaustauschs von Einem zu einer ganzen Masse und zum anderen die Energien, die dadurch gehoben werden können, bergen ein riesiges Potential. Es hängt sehr stark davon ab, wie erfolgreich die ersten Projekte laufen. Wie viel noch kommt, wie viel noch in der Pipeline hängt. Und es hängt sehr stark davon ab wie die Regularien letztendlich gestaltet werden, um solche Dinge zuzulassen. Eine Finanzierung von Projekten unabhängig von Institutionen wäre gigantisch. Es lässt sich nicht abschätzen, ob das nun in 5, 10 oder 15 Jahren geschieht. Aber irgendwann, bin ich mir sicher, ist das der Fall. Es hängt, wie gesagt, von den einzelnen Projekten ab. Ob man es schafft ein Momentum zu erreichen was nachhaltig bestehen bleibt. Und ob die Regularien, die von Seiten der Behörden aufgelegt werden und an die man sich halten muss, die Idee schon im Keim ersticken lassen. Oder ob man eine Chance bekommt, das Crowdfunding an der Stelle weiterzubetreiben.

Das Interview führte Sarah Centgraf in der ersten Etage eines Bürogebäudes in Frankfurt a. M., das nicht über Crowdfunding finanziert wurde.

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