Die Kunst des Konstruierens
Fritz Leonhardt-Ausstellung in Stuttgart. Von Rüdiger Sinn, Stuttgart 22.01.2018Brücken und Türme – das waren sein Metier. Fritz Leonhardt, der Vater des Stuttgarter Fernsehturmes, wäre dieses Jahr 100 Jahre alt geworden. Aus diesem Anlass zeigt das Südwestdeutsche Archiv für Architektur und Ingenieurbau (saai) in Zusammenarbeit mit den Universitäten Karlsruhe und Stuttgart eine große Retrospektive des Ingenieurs und seines Werks.
Fritz Leonhardt zählt weltweit zu den berühmtesten Bauingenieuren des 20. Jahrhunderts. Ihm sind unter Anderem entscheidende Entwicklungen im Brückenbau zu verdanken. Eine Vorreiterrolle spielte er beim Bau des Stuttgarter Fernsehturmes (1953 bis 1956). Zahlreiche weitere Türme in Deutschland, unter anderem der Fernsehturm in Hamburg wurden von ihm und seinem Büro realisiert.
Die Ausstellung, die zunächst bis Ende Juli in Stuttgart zu sehen ist, ist in einen biografischen und einen bautechnischen Teil gegliedert. Der biografische Abschnitt widmet sich in chronologischer Abfolge seinem Werdegang. Geboren 1909, wächst Fritz Leonhardt in Stuttgart auf. Den ersten direkten Kontakt zur Baubranche (sein Vater ist Architekt) hat er nach dem Abitur beim Praktikum in einem Architekturbüro. Er entscheidet sich aber für das Bauingenieurswesen und studiert ab 1927 an der Universität Stuttgart. Während seiner Studienzeit macht Leonhardt Praktika und einen Studienaustausch in den USA. Sein Onkel ist auf der Großbaustelle der Golden Gate-Bridge in San Fransisco beschäftigt. Besuche und technische Auseinandersetzungen mit der Konstruktion sind auch ein Grund dafür, dass der Brückenbau seine Passion wird.
Hoch motiviert reist der junge Ingenieur nach seinem Studium und einem weiteren Studienaufenthalt in Indiana/USA für knapp ein Jahr durch die Staaten und Mexiko. Auf seiner Route besucht er Bauwerke, die soeben in der Fertigstellung begriffen sind. Der Hoover-Damm bei Las Vegas und auch die George Washington-Bridge in New York sind nur einige davon. Auch hier beschäftigt er sich schon intensiv mit dem Brückenbau, er zeichnet, fotografiert, wandert.
1933 kehrt Leonhardt zurück ins Nazi-Deutschland. Er erhält sogleich seine erste Anstellung beim Reichsautobahnbau. Sein erster großer Erfolg ist die Reichsautobahnbrücke in Köln-Rodenkirchen (1938 bis 1941), die als erste echte Hängebrücke in Deutschland realisiert wird. Noch vor dem Krieg gründet er 1939 ein Büro in München als beratender Ingenieur, das heute unter dem Namen Leonhardt, Andrä & Partner in Stuttgart sowie zahlreichen weiteren Dependencen besteht. Er plant und projektiert in München, der damals so genannten "Stadt der Bewegung", Großprojekte der Nazi-Herrschaft, und knüpft Kontakte zu Architekten wie z.B. Paul Bonatz. Zu diesem Zeitpunkt kann sich Leonhardt dann auch nicht mehr der Partei erwehren und tritt in die NSDAP ein, wird aber – trotz des beginnenden Krieges – vom Kriegsdienst freigestellt. Leonhardt plant mit seinem Büro den neuen Hauptbahnhof mit einer gigantischen Kuppel. Das Bauwerk mit einem Durchmesser von 265 Metern tritt in direkte Konkurrenz zu Albert Speers „Halle des Volkes“ in Berlin (geplant mit 250 Meter). Beide Bauten werden zwar nie fertig gestellt, die angefertigten Zeichnungen und die zeichnerischen Vergleiche mit der Cheops-Pyramide und dem Eifelturm in Paris lassen aber den Größenwahn transparent werden.
Nach dem Krieg und der Wiedereröffnung seines Büros in Stuttgart 1946, gilt Leonhardts Aufmerksamkeit – neben dem Bau von neuen Brücken in Leichtbauweise – dem Wiederaufbau. In der zerstörten Heimatstadt entwickelt er die Konstruktionsform der Schüttbauweise, eine Form, bei der Ziegelsplitt recycelt und mit Beton vermischt wird. Zahlreiche Häuser im Nachkriegsdeutschland wurden mit dieser Methode gebaut. Der Brückenbau lässt ihn aber nicht los. Der vierspurige Bau der Deutzer Rheinbrücke in Köln (Einweihung 1948), zeigt seine Grundhaltung, Material sparend ästhetisch ansprechende Bauwerke zu gestalten.
Der größte Erfolg und weltweite Aufmerksamkeit gelingt Fritz Leonhardt zweifelsohne mit dem Bau des Stuttgarter Fernsehturmes. Der erste Turm – vormals waren abgespannte Stahlmasten üblich – wurde als Stahlbetonröhre realisiert und diente mit dem sich nach oben verjüngenden Masten und dem Ringfundament als Vorbild für alle weiteren Türme in der Welt. Beim Bau kam die Fähigkeit Leonhardts zum Tragen, nicht nur unter ästhetischen Gesichtspunkten zu konstruieren, sondern auch die technischen Möglichkeiten auzuloten. Nicht nur wegen dieses Bauwerks gilt Leonhardt auch heute noch als „Spannbeton-Papst“. Seinem Forscherdrang entsprangen zahlreiche Innovationen und Patente. Mit seinem Ingenieurbüro und dem Institut für Massivbau der Technischen Hochschule Stuttgart, entwickelte er unter anderem das Taktschiebeverfahren, das den Bau von Spannbetonbrücken rationalisierte.
Während seiner Rektorenzeit an der Hochschule Stuttgart (1967 bis 1969) waren die Studentenunruhen eine seiner größten Herausforderungen. Allerdings war der liberale Leonhardt eher auf der Seite der Studierenden zu finden und übte selbst Kritik an der Hochschulstruktur in Deutschland. Nach 70-jähriger Schaffenszeit und zuletzt Beratertätigkeit stirbt Fritz Leonhardt 1999 in Stuttgart.
Die Ausstellung wird für den Besucher mit über 20 Architekturmodellen erfahrbar gemacht. Zudem gibt es rund 200 Exponate, Filme und Dias, zum größten Teil aus Privatbesitz, die dem Besucher, neben der Ingenieursleistung, auch den Menschen Fritz Leonhardt näher bringen sollen. Eine Zeittafel und eine riesige Weltkarte zeigen, dass der Ingenieur auch noch im hohen Alter an der Planung und Realisierung weltweiter Projekte tätig war.
Leonhardt war kein linientreuer Nazi, obwohl er in der Partei war. Sein Kriegseinsatz gegen Ende des Krieges und die Leitung des Konstruktionsbüros für das Projekt „Riese“ (geplantes Führerhauptquartier) erhärtete seine kritische Haltung gegenüber Nazideutschland. So wurde er nach dem Krieg als Mitläufer eingestuft. Seine kritische Haltung zu Nazi-Deutschland wird in der Ausstellung als Zitat bei seiner Arbeit für den neuen Münchner Hauptbahnhof dokumentiert: „Die ganze Arbeit hatte aber auch etwas gespenstisches, (…) draußen tobte ein mörderischer Krieg, und hier wurde eine größenwahnsinnige Planung betrieben, von der wir mindestens ahnten, dass sie nicht verwirklicht werden würde.“
Die Ausstellung im Stuttgarter LBBW-Forum am Hauptbahnhof dauert bis zu 26. Juli. Vom 14. August an ist die Schau in Köln zu sehen, dann zieht sie nach Berlin und München; www.fritz-leonhardt.de.
Das aufwändig gestaltete Begleitbuch „Fritz Leonhardt 1909 – 1999. Die Kunst des Konstruierens“, hrsg. v. Joachim Kleinmann und Christiane Weber, bietet einen erfreulichen Mehrwert und lässt die Schaffensleistung des Fritz Leonhardt transparent werden. Es ist im Buchhandel (79 €) und in der Ausstellung (39 €) erhältlich.