Erleuchtung bis zum Systemausfall

James Turrell, der Magier des Lichts reizt unsere Sinne mit LEDs und schierer Größe. Von Redakteur Benedikt Kraft

Wer mit dem Zug nach Wolfsburg reist, landet dicht neben Zaha Hadids Betonmonstrum „Phäno“ und ganz am Anfang der Porschestraße. Die führt einen südlich auf einen Hügel zu, welchen Hans Scharoun mit seinem Wolfsburger Theater krönte. Doch bis dahin ist ein weiter, vielfach von schrägen Verkaufspavillons mit schräger Ware zugestellter Weg zurückzulegen. Irgendwann, wenn die Straßenraumsituation entspannter wird, der Blick ungehindert ein paar Meter vorausschweifen kann, kommt linkerhand das Kulturhaus (heute Volkshochschule) von Alvar Aalto. Von hier aus ist auch das Kunstmuseum Wolfsburg sichtbar, das in der Vergangenheit architektonisch (Schweger und Partner) weniger von sich reden machte, als bis heute über seine Ausstellungen; aber sollte das auch anders sein?!

Am Rande deutscher Kulturlandschaft: rekordverdächtiges

Hier endlich angekommen, gleichsam am Rande wie paradoxer Weise im Zentrum deutscher Kulturlandschaft wurde am vergangenen Wochenende eine Ausstellung eröffnet, die internationales Format hat. Und, aus Sicht der Ausstellungsmacher, rekordverdächtig ist: größte Einzelausstellung in Deutschland, größtes Projekt weltweit. Und nicht von irgendwem, sondern gleich vom größten (auch weil sehr prominenten wie zugleich sympathischen) Lichtkünstler unserer Zeit: James Turrell. Der gebürtige Kalifornier hat gemeinsam mit dem Kunstmuseum Wolfsburg seine „bisher größte begehbare Lichtinstallation realisiert, die er je für ein Ausstellungshaus entwickelte“ (Kunstmuseum). Auf einer Grundfläche von 700 m² erhebt sich elf Meter hoch bis unter die verglaste Museumsdecke eine Raum-in-Raum-Konstruktion. Es handelt sich um einen zweigliedrigen Baukörper, in dessen Innerem ein „Ganzfeld Piece“ realisiert wurde. Zwei ineinander übergehende Räume – zuerst der Viewing Space, den man über eine steil hinabführende Rampe durchschreitet bis zu seinem Boden –, dann der Sensing Space, den zu betreten nicht erlaubt und eigentlich auch gar nicht möglich ist: Er ist dicht, schier massiv gepackt mit einem ständig den Farbton wechselnden Licht (bei einer ähnlichen Installation in den USA hatte es einen Besucher derart gepackt, dass er kopfüber in diesen Lichtraum sprang; die harte Landung führte zu einem in den USA üblichen Prozess, in welchem der Farbsüchtige den Künstler verklagte).

Turrell: Religion gehört zum Leben des Menschen wie Sex

Tatsächlich ist der Lichtraum in dieser Größe bisher einmalig, eine Sensation am Rande der Kulturlandschaftswahrnehmung Deutschlands, die ihr Pendant in dem Abgelegensein des zentralen Werks Turrells findet, im Roden Crater, irgendwo in der Wüste von Arizona (nahe Flagstaff). Und: Beide sind dem Licht gewidmet, seiner Erfahrung, dem Sichaussetzen. Und weil es zuvor solcherart Dimension noch nicht gab, warnte Museumsdirektor Markus Brüderlin: Man müsse, bliebe man länger als 20 Minuten im Ganzfeld Piece, mit „Systemausfällen“ rechnen. Er meinte damit Orientierungslosigkeit und all ihren Begleiterscheinungen. Damit wäre man dann bei der Physik, bei biochemischen Prozessen, bei Neurologie und Farbpsychologie. Oder in religiösen Sphären, deren Vorhandensein der Künstler durchaus bejaht: Religion gehört zum Leben des Menschen wie Sex; mehr aber sei sie auch nicht.

Systemausfälle möglich

Systemausfälle? Das Museum möchte den Zugang zum Ganzfeld Piece auf maximal vier Personen beschränken. Die können sich dann eine Viertelstunde dort aufhalten – wenn sie es aushalten. Da die Schau, über deren Kosten nichts zu erfahren war, bis April 2010 zu besuchen ist, besteht eine schmale Chance, sich der Physis des Lichtes auszusetzen; wer ganz sicher gehen will, kann den Raum auch für eine Zeit und für sich mieten (max. für 20 Menschen, bitte beim Museum anfragen). Das sich verändernde Licht, dessen Farbspektrum von Rot zu Blau und wieder zu Rot und so weiter wandert, wird über 55.000 Einzellichtpunkte (LEDs) erzeugt, die mittels hierfür entwickeltem Farbmanagement die typische Kälte der LED-Beleuchtung hinter sich gelassen haben. Indirekte Strahlung und Reflexion auf den ganzweißen Rauminnenseiten erzeugen so immaterielle Farbflächen beziehungsweise den Eindruck von frei im Raum stehender, sich materialisierter Farbe.

Das Geheimnis der Installation

Um es gleich vorweg zu sagen: wie das Ganzfeld technisch funktioniert, darüber ist nur andeutungsweise zu erfahren. Torsten Braun von "die Lichtplaner", der immer dabei ist, wenn James Turrell in Deutschland ein Projekt realisiert, erklärte sein beredtes Schweigen am Telefon indirekt: Es sei schwierig für ihn, die Wirkung des Ganzfeldes auf sich wirken zu lassen weil er immer des gesamten komplexen Zusammenspiels der Technik gewahr bleibe. 296 LED-Linien, die in die Wandoberflächen eingelassen wurden, Lichtfarbwechsel im 7,5 min.-Takt (von Rot zu Blau), zeitlich versetzt in den beiden großen Räumen (mal folgt der Viewing Space dem Sensing Space, mal der Sensing Space dem Viewing Space), und natürlich die Quadration der Dimmschritte, welche die rasante Chip-Entwicklung der letzten Jahre ermöglichte: 16- statt 8-Bit-Technologie oder anders: Anstatt den Farbton in 255 Schritten viel zu ruckhaft zu verändern, kann das heute in 255 x 255 Schritten kaum noch spürbar verändert werden, das Licht gleitet in gut 65.000 Zwischenschritten von Rot zu Blau in 7,5 min. oder 145 Taktungen pro Sekunde.

Drei Tage dauerte es, bis James Turrell den Farbwechsel zusammen mit Technikern vor Ort programmierte, und hier, so Torsten Braun, käme der Künstler Turrell ins Spiel: "Was Sie und ich technisch vielleicht auch könnten, würde am Ende ein buntes Farbspiel. Wahrscheinlich wäre niemand ergriffen oder euphorisch, allenfalls geblendet von Größe und uferloser Spielerei." In dem hier anliegenden PDF erkennt man weitere, allerdings bauliche Details, die allerdings lediglich das physikalische Gefäß Raum vorstellen, mehr nicht.

"Before I die"

Die große Arbeit mit dem ironische Titel „Bridget’s Bardo“ steht eingebettet in die Präsentation weiterer Arbeiten, so eine neue Wedgework-Arbeit und ein „Tall Glass Piece“, beide Variationen eines älteren Themas. Spannend wird die Ausstellung dort, wo in den frühen Grafiken Turrells die Anfänge seines Philosophierens über das Licht dokumentiert sind („Projection Pieces“ aus der Serie „Still Light“ (1966-69) und man eine Ahnung davon bekommt, wie der Künstler sich schließlich an seine größte Arbeit machen konnte: das Lichtobservatorium Roden Crater. In diesem erloschenden Vulkankrater soll bis Ende 2012 ein Lichterfahrungstempel größtenteils unterirdisch realisiert worden sein, für dessen Dasein Turrell jeden Cent der Erlöse seiner Auftragsarbeiten hineinsteckt. Die in der Ausstellung gezeigten Modellschnitte (Messing und Gips) vom Crater Projekt sind Stücke einer Auflage von 35, sicherlich in einer Topgalerie dieser Welt käuflich zu erwerben. Überhaupt hat man den Eindruck, Turrells Arbeiten der letzten Jahre hätten nur noch das eine Ziel: mit ihrer Vermarktung den Kratertempel fertigstellen zu können, und zwar „before I die“, so der am 6. Mai 1943 geborene Magier, Tüfftler, Farmer, Flugzeugpilot, Mathematiker, Seher und unfreiwilliger Guru einer Zivilisation, der langsam aber sicher die Spiritualität ausgetrieben wird. In Wolfsburg ist davon ein wenig zu entdecken … wenn man denn die Zeit hätte, den wabernden Lichtdom auf sich wirken zu lassen.

James Turrell. The Wolfsburg Project

Noch bis 5. April 2010

Kunstmuseum Wolfsburg

Hollerplatz 1

38440 Wolfsburg

Tel.: 05361/26690

info@kunstmuseum-wolfsburg.de

Kunstmuseum Wolfsburg

 

Öffnungszeiten

Di-So 11 bis 18 Uhr, Di bis 20 Uhr

Katalog bei Hatje Cantz, Ostfildern

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