Geldstrafen, Schuheputzen und eine Architektur aus Luft

Zum Tode des Architekten, Künstlers und Visionärs Werner Ruhnau

Bei all dem Schreiben über den Tod und die posthume Auszeichnung Frei Ottos (hier auf S. 15) ist ein wenig untergegangen, dass der am 11. April 1922 in Königsberg geborene Werner Ruhnau verstorben ist. Der Architekt, Hochschullehrer und – wie er selbst von sich sagte – Homo ludens studierte in Danzig, Braunschweig und Karlsruhe und hatte das Ideal der mittelalterlichen Bauhütte zu etwas Grundsätzlichem in seiner Arbeit gemacht. 1953 gründete er mit Harald Deilmann, Ortwin Rave und Max von Hausen das legendäre „Architektenteam im Baubüro der Landwirtschaftskammer“ dem wir u. a. das Stadttheater in Münster (1955) zu verdanken haben sowie, hier allerdings in anderer und erweiterter Runde das Musiktheater im Revier in Gelsenkirchen (1959).

Die im Zusamenhang mit dem Entstehen der Theaterarchitektur gegründeten, unmittelbar neben der Baustelle gelegenen Theaterbauhütte (1956-59), war eine erste Künstler-/Architektenkommune, in der „unter anderem die Familie Ruhnau wohnte, gingen die Künstler, vor allem Yves Klein, Paul Dierkes und Franz Krause, der anwesende Herr Schwarzhof und die anderen Mitarbeiter meines Baubüros, die Ingenieure, Poliere, ja auch die Bauherren ein und aus; hier brodelte unsere Ideenschmiede“, so Werner Ruhnau noch im Dezember 2014 in seiner Rede anlässlich des 55. Geburtstag des Musiktheaters in Gelsenkirchen. Und dort weiter: „Hier riefen wir die „Blaue Revolution“ aus und gründeten als Avantgarde zu deren Durchsetzung die „Partei der blauen Patrioten“. Laut Parteiprogramm sollten in Europa die Macht-, Sexual- und Konsumtriebe der Bürger sensibilisiert werden. Angesichts der ersten Fresswelle in den 50ern erklärten wir die Tiere zu unseren Geschwistern und wollten deren Verzehr als ‚Kannibalismus‘ abschaffen. Wir träumten davon, dass - ausgehend von der Kreativität der Darsteller auf der Bühne - die Besucher auf den umlaufenden Treppen und im Foyer zu Akteuren für die Bürger draußen werden, die nun, schöpferisch ermutigt, die Gestaltung ihrer Stadt selbst in die Hand nehmen:

‚Le dépassement de la problematique de l’art‘, ‚Den Wandaktien-Kunsthandel abschaffen‘, ‚Alle Bürger sind Künstler‘ – so tönte es zehn Jahre vor der 68ern und vor Beuys aus unserer Theaterbauhütte.“

Und in dieser Bauhütte herrschte strenge Sitte, eine Art Wohnvertrag versprach Geldbußen oder Schuheputzen bei Verstößen bis hin zum Rauswurf. Schöne wilde Zeiten.

Doch Ruhnau war nicht bloß Erfinder einer „Luftarchitektur“, er war daneben auch Architekt ganz profaner Bauten, so 1968-72 das Sozial- und Verwaltungsgebäude der Fleischwaren­fabrik Herta, Herten, 1972 die Olympische Spielstraße in München, 1978 Umbauten für das Schauspielhaus Frankfurt, 1984-90 Bauten für die Werkbundsiedlung Oberhausen-Altstaden, 1986-89 der Umbau des Grillo-Theaters Essen, Ebertbad Oberhausen, 1990 die Beteiligung an der Künstlernekropole in Kassel und 1992-95 der Umbau des Theaters der Altmark in Stendal.

Eine seiner letzten Arbeiten ist die eigene Grabstelle in schon genannten Künstler-Nekropole-Kassel. Die von ihm „Spielraum“ genannte Bodenarbeit versinnbildlicht in Miniatur das, was Werner Ruhnau in Leben und Arbeiten begleitete: das Theater als der wichtige und vielleicht einziges Ort des Spielens. Am 6. März hat Werner Ruhnau von Essen aus seine letzte Reise nach Kassel angetreten.

Auf der Website Werner Ruhnaus finden sich zahlreiche Fotografien, Pläne und Texte von und über Ruhnau mit noch immer relevanten Forderungen nach einem anderen Bauen. Be. K.

 

Informationen zur Künstler-Nekropole Kassel.

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