Schrumpfung war gestern
In ihren IBA-Projekten suchen Sachsen-Anhalts Städte die Balance zwischen quantitativer Stagnation und qualitativem Wachstum – mit zum Teil ausgesprochen konzeptionellen Projekten. Ein Beispiel aus Halberstadt 22.01.2018Regenbogenfarbig präsentiert sich das Logo der Internationale Bauausstellung 2010 in Sachsen-Anhalt. Erstmals ist ein ganzes Bundesland Thema einer IBA. Koordiniert und wissenschaftlich begleitet durch das Bauhaus Dessau und die Landesentwicklungsanstalt Sachsen-Anhalt erprobten 19 Städte seit 2002 neue Werkzeuge des Stadtumbaus, um sich gegen den demographischen Wandel zu stemmen. Gezieltes Schrumpfen soll den Niedergang der Städte aufhalten. Die Ergebnisse – oder eine schöpferische Zwischenbilanz der Aktivitäten – sind Gegenstand der grundunterschiedlichen, aber fast durchweg sehenswerten IBA Präsentationen.
Unter dem Motto "Weniger ist Zukunft" formt sich aus grauer Tristesse ein bunter (Projekt-)Reigen: von Merseburg bis Stendal, von Eisleben bis Weißenfels wurden die unterschiedlichsten städtebauliche Lösungsansätze getestet die nun im Abschlussjahr der IBA vor Ort präsentiert werden.
Treppenförmige Mini-Ausstellungen - IBA-Docks genannt - bieten den Besuchern alle relevanten Informationen zu den lokalen Projekten. Die Ansätze reichen von Investitionsprojekten der Stadt und privater Bauherren über Forschungsprojekte zu kooperativen Planungen oder der Stärkung von vorhandenen Standortvorteilen. So setzte Naumburg auf die Bildung ihrer Stadtbevölkerung in Sachen Baukultur während Köthen die Anwendung der Homöopathie auf die Probleme der Stadtentwicklung erprobte. Was aber, wenn die Leerflächen zunächst einfach bestehen bleiben? Können Leerräume auch positive Bestandteile einer Stadt sein? Dieser mutigen Frage nach städtischen Leerräumen als Gestaltungsaufgabe und Gegenstand sozialer Aneignung ging Halberstadt mit Hilfe der Szenografen Rose Epple und Detlef Weitz von chezweitz & roseapple in Zusammenarbeit mit Dr. Martin Peschken (TU Braunschweig) in den letzten Jahren nach. Mit dem sogenannten "Trainingspfad des Sehens" wurden sowohl die positive wie auch die negativen Aspekte der Leere sowie deren Potenzial als nutzbarer Stadtraum ins öffentliche Bewusstsein gerückt, um das das ästhetische, kulturelle und soziale Potenzial „leerer“ Räume erfahrbar zu machen. Sukzessive wurden durch künstlerische und performative Interaktionen wie Vorlese-, Klang- oder Filmpicknicks leere Orte für die Bewohner Halberstadts zu einem Experimentierfeld für die Wahrnehmung und den produktiven Umgang mit verschiedenen Aspekten und Erscheinungsformen von Leere. Die multimediale Ausstellung „Entdecke die L ere!“ in der ehemaligen Städtischen Badeanstalt von Halberstadt führt nun die Ergebnisse zusammen und fordert die Besucher gleichzeitig auf, sich selbst der Herausforderung der Leere zu stellen: Eine raumgreifende Videoinstallation füllt das seit 1999 leerstehende Schwimmbecken des Bades und visualisiert in assoziativen Bildern die unterschiedlichen Aspekte der räumlichen, sozialen, sinnlichen und emotionalen Eigenschaften von Leere in Halberstadt. Und während Leuchtkästen im Schwimmbad die einzelnen Stationen des Trainingspfads dokumentieren und der "Blätterwald" anhand des Schriftverkehrs der vergangenen Jahre die Kultivierung der Leere in Halberstadt erfahrbar macht, ermutigt ein Stadtplan den Besucher der Ausstellung zu Spaziergängen durch die Stadt und lädt mit einfachen Aufgabenstellungen zum eigenen Entdecken der Leere ein, die für Halberstadt auch eine Chance für neue urbane Qualitäten darstellt. Frank Peter Jäger
Internet: www.iba-stadtumbau.de