„Sicherung und Stärkung des stadtverträglichen Einzelhandels“ –

ein Interview mit Bodo Temmen, Gesamträumliche Planung und Stadtentwicklung Bauamt Bielefeld, zur Entwicklung des Einzelhandels in der Bielefelder Innenstadt

In der Innenstadt von Bielefeld werden diesen Sommer zwei Einkaufspassagen modernisiert und erweitert – die Marktpassage und City Passage. Mit dem Umbau der City Passage soll in der Innenstadt eine Mall entstehen. Knapp 9 000 m² Ladenfläche werden insgesamt gewonnen. Ein Gewinn oder ein Verlust für den vorhandenen Einzelhandel? Was erhofft sich die Stadt von den Erweiterungen? Die DBZ Deutsche BauZeitschrift korrespondierte mit Bodo Temmen, Abteilungsleiter Gesamträumliche Planung und Stadtentwicklung im Bauamt der Stadt Bielefeld.

DBZ: In der Bielefelder Innenstadt wird es in naher Zukunft zwei dicht aufeinanderfolgende Großprojekte geben. Die Markt- und die City Passage werden modernisiert und erweitert. Wie sehen die Pläne bei der Marktpassage aus? Und was ist das Ziel des Umbaus?
Bodo Temmen: Die Marktpassage ist Teil eines Portfolios, das das US-amerikanische Fondmanagementunternehmen Cerberus Capital Management in den vergangenen Monaten von der insolventen Secur-Gruppe übernommen hat: das sogenannte „Phoenix-Portfolio“. Das Phoenix-Portfolio beinhaltet neun Einkaufspassagen mit einer Gesamtfläche von ca. 92 000 m². Die Immobilien sind über ganz Deutschland verteilt und befinden sich neben Bielefeld in den Städten Bonn, Buchholz, Konstanz, Minden, Nürnberg, Radevormwald, Rheine und Viersen. Cerberus hat die Berliner Acrest Property Group mit der Koordinierung der Vermögensverwaltung sowie mit der Vermietung und Entwicklung von Immobilien aus dem Portfolio beauftragt. Unmittelbar nach Bekanntwerden der Übernahme der Marktpassage hat die Stadt Bielefeld Kontakt zum neuen Eigentümer bzw. zur beauftragten Acres Property Group aufgenommen, um den Sachstand und die weiteren Entwicklungsperspektiven der Marktpassage zu klären. Es bestätigte sich, dass der neue Eigentümer sich intensiv mit dem Objekt auseinandersetzte, um dieses zu überarbeiten, mit dem Ziel, die Marktpassage zukünftig zeitgemäßer und wettbewerbsfähiger aufzustellen. Um dieses Ziel zu erreichen wurde es notwendig, die Verkaufsflächen gegenüber der Ist-Situation durch Umstrukturierung im baulichen Bestand zu erhöhen.

Und bei der City Passage?
Der Standortbereich City Passage im Block zwischen Bahnhofstraße, Zimmerstraße, Herforder Straße und Stresemannstraße umfasst heute insgesamt ca. 30 000 m² Grundstücksfläche und einen derzeitigen Einzelhandelsbestand von knapp 29 000 m² Verkaufsfläche. Die Nutzungen beinhalten neben Einzelhandel auch Dienstleistungen, eine Bank sowie ein Parkhaus. Der Block ist dicht bebaut mit meist großformatigen Baukörpern, an der Bahnhofstraße jedoch auch mit kleinteiligeren Strukturen. Die größten Anbieter sind das Warenhaus Kaufhof mit einer Verkaufsfläche von 14 100 m², der Elektronikmarkt Saturn mit 3 700 m² und der Schuhmarkt Görtz mit 1 300 m². Der Block ist von einer eingeschossigen, etwas in die Jahre gekommenen Passage, der City Passage durchzogen. Das Projekt der ECE-Projektmanagement GmbH zielt darauf ab, unter dem Namen City Passage Bielefeld ein Shopping-Center zu errichten. Mit dem Projekt sollen vorhandene Einzelhandelsstrukturen umstrukturiert, erweitert und modernisiert werden. Dabei sollen auf vier Etagen insgesamt ca. 25 600 m² Verkaufsfläche, 1 500 m² Gastronomiefläche sowie 600 m² Dienstleistungsfläche entstehen, die durch eine Mall und ein Atrium erschlossen werden. Darüber hinaus sind auf zwei Dachgeschossen 560 Stellplätze vorgesehen. Das Projekt entspricht den branchenüblichen Standards und setzt auf einen Mix aus großflächigen Magnetbetrieben und kleinteiligen Anbietern mit zentrenrelevanten, textilorientierten Sortimenten. Der Standort stellt sehr gut geeignete Potentialflächen für die Lokalisierung eines Shopping-Centers dar, da er auch heute schon einen der zentralen Bausteine des Hauptgeschäftsbereiches bildet.

Gab es eine Bedarfsanalyse für diese Projekte?
Mit den oben genannten Projekten sind große Chancen für die Zukunftsfähigkeit der Bielefelder Innenstadt verbunden. Mit Blick auf eine wünschenswerte räumlich-funktionale Ausgewogenheit – auch unter Berücksichtigung der Altstadt – mussten sich die Projekte in der Konkretisierung und Umsetzung auch weiterhin an den Anforderungen einer urbanen, alle Quartiere mitnehmenden Innenstadtentwicklung messen lassen. Um die damit verbundenen Fragestellungen im Zusammenhang zu bewerten, zu fundieren und zu koordinieren, wurden die Projektentwicklungen durch ein Fachgutachten zur absatzwirtschaftlichen, funktionalen bzw. städtebaulichen Verträglichkeit begleitet. Dieses bildete die Grundlage für die Erörterung und Beschlussfassung der politischen Gremien.

Inwiefern kann der vorhandene Einzelhandel in der Bielefelder Innenstadt von der Erweiterung und Modernisierung der beiden Passagen profitieren?
Zu den übergeordneten stadtentwicklungsplanerischen Zielen der Stadt Bielefeld gehören neben der Sicherung und Stärkung eines gesamtstädtischen, attraktiven Einzelhandelsangebotes und der landesplanerischen Funktion als Oberzentrum vor allem die Sicherung und der Ausbau einer attraktiven Innenstadt mit ihren unterschiedlichen Quartieren – Altstadt, Bahnhofstraße, Wilhelmstraße – die Sicherung und Stärkung einer funktional gegliederten Versorgungs- und Zentrenstruktur sowie der Nahversorgung. Die Stadt ist sehr daran interessiert, ihr starkes innerstädtisches Einzelhandelsangebot weiter zu qualifizieren und die City durch neue hochwertige Angebote und Konzepte zu ergänzen. Vor diesem Hintergrund sind die Vorhaben der Marktpassage sowie der City Passage in der Bielefelder Innenstadt (als Projektierungen im baulichen Bestand) zu begrüßen.

Gab es die Idee eine Zwischennutzung, abgesehen von Ladengeschäften, in der Marktpassage anzustreben?
Die Vorbereitungen wurden konsequent auf das derzeit in Realisierung befindliche Nutzungs- und Baukonzept ausgerichtet. Teile der Marktpassage befinden sich auch während des Umbaus in Einzelhandelsnutzung.

Gab es bei der Planung kritische Stimmen der Bürger? Der Politik? Oder der Einzelhändlern?
Ein Arbeitskreis „Stadtverträglicher Einzelhandel“, der vor wenigen Jahren erfolgreich die Erarbeitung des Einzelhandels- und Zentrenkonzeptes der Stadt Bielefeld begleitet hatte, hatte hieran anknüpfend auch die o.g. Projektentwicklungen in der Innenstadt fachlich beratend begleitet. Teilnehmer waren neben der Verwaltung, der Handelsverband, die Industrie- und Handelskammer, die Handwerkskammer, die WEGE Wirtschaftsförderung sowie Vertreter der Fraktionen und Gruppen des Rates. Ferner konnten die Investorenprojekte in der Frühphase einer Masterplanung für die Innenstadt in den öffentlichen Dialog eingebunden werden. Beides diente einer transparenten und sachbezogenen Erörterung und Vorbereitung der Planung. Erforderliche Weichenstellungen für die Erarbeitung und Überarbeitung von Plankonzepten sowie für die städtebauliche Planung wurden auf der Grundlage von Fachgutachten in den politischen Gremien erörtert und beschlossen.

Was erhofft sich die Stadt Bielefeld von der Sanierung und Erweiterung der City- und Marktpassage?
Die Chancen der geplanten Umstrukturierungen liegen vor allem in der Steigerung der Attraktivität der Bielefelder Innenstadt als dem prägenden Einkaufsort und auch Visitenkarte der Stadt. Es ist zu erwarten, dass eine entsprechende Aufwertung der Innenstadt auch zu einer Zentralitätssteigerung der Stadt Bielefeld insgesamt beitragen wird. Eine positive Entwicklung ist insbesondere auch die zukunftsfähige Umgestaltung revitalisierungsbedürftiger Objekte.
Hierzu bieten die im zentralen Versorgungsbereich liegenden Projekte unterschiedliche Ansätze zur Weiterentwicklung und Profilierung der Bielefelder Innenstadt. Die Initiative der ECE-Projektmanagement GmbH zur Einführung eines innerstädtischen Shopping-Centers in die Bielefelder Handelslandschaft wird als Chance gesehen und wird einen wichtigen Beitrag zur Weiterentwicklung des Quartiers sowie zur Umwandlung des Betriebstyps Warenhaus mit eingelassener Passage leisten. Das Engagement der Berliner Acrest Property Group dient der zeitgemäßen und wettbewerbsfähigen Profilierung der Marktpassage und wird – nicht zuletzt vor dem Hintergrund des Leerstands – begrüßt und unterstützt. Die in Vorbereitung bzw. Umsetzung befindlichen Projekte werden einen wertvollen Beitrag zur Weiterentwicklung im innerstädtischen Bestand leisten.

Das Interview führte Sarah Centgraf per Email als Recherche zum Artikel „Einkaufszentren erleben in Deutschland einen Aufschwung – und das ist nicht gut“, erschienen in der DBZ 6|2015.


Weitere Informationen: Bauamt Bielefeld

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