Ständiges Bröckeln

Wie zwei deutsche Architekten in England an das Verschwinden erinnern. Ein Film

Zwei junge Architekten und der Mythos untergegangener Orte an der Ostküste Englands: Ein Langzeit-Dokumentarfilm über ein faszinierendes Architekturprojekt und die Zeit der ersten Berufsträume. Ein Film über Küstenerosion und die unvermeidlichen Erosionsprozesse im Leben.

Anne Niemann und Johannes Ingrisch hatten gerade ihr Studium abgeschlossen, als sie einen internationalen Architekturwettbewerb gewinnen konnten. Ihre Idee ist so einfach wie gut: An der strukturschwachen Ostküste Englands soll ein Wahrzeichen gebaut werden, das die Küstenerosion veranschaulicht und Touristenströme anlockt. Eine Skulptur aus gigantischen Edelstahl-Stelen im Meer, deren Silhouette eine vor vielen hundert Jahren versunkene Kirche nachbildet. Ein dramatisches Symbol für versunkene Orte. Doch was nun? Wie realisiert man als Berufsanfänger ein Kunstprojekt, das einige Millionen Euro kostet und bei dem jeden Tag neue Probleme auftauchen? Und das alles in einem Land mit ausgesprochen eigensinnigen Bewohnern?


Denn auch wenn sich die britische Küste in permanenter Veränderung befindet, wird Veränderung hier nicht unbedingt willkommen geheißen. Im Frühjahr 2004 wurde die Idee der Münchner Architekten von der East of England Development Agency (EEDA) zum Gewinner des „Landmark East“-Wettbewerbs gewählt. Der Preis beinhaltete das Budget für die Durchführung einer umfassenden Machbarkeitsstudie an dem kleinen Ort Dunwich, der im Mittelalter ein bedeutender Hafen war und heute bis auf ein paar Häuser komplett versunken ist. Dunwich ist berühmt dafür, nicht mehr zu existieren. Ein ruhiger Ort, in dem das Leben seinen geregelten Gang nimmt. Zwar bröckelt die Küstenlinie, alle paar Jahre versinkt ein Gebäude im Meer, aber davon lassen sich die wenigen verbliebenen Bewohner, alles betuchte ältere Herrschaften, nicht aus der Fassung bringen. „Very british“ erklären sie Anne und Johannes, dass sie und ihr Projekt hier aber auch gar nichts verloren haben. Doch das ist erst der Anfang: Vor den beiden Architekten liegt ein langer, erlebnis- und erkenntnisreicher Weg voller beruflicher und privater Entscheidungen. LOST TOWN erzählt von beidem: von den Tücken bei der Verwirklichung eines großen Architekturprojekts und vom inneren Reifeprozess zweier ambitionierter Architekten.
Am Anfang und Ende von LOST TOWN blicken wir mit den Architekten hinaus aufs Meer. Die Ostküste Englands ist eine verträumte Gegend im ständigen Wandel. Es ist schwer zu sagen, wo das Land endet und das Meer beginnt. Ein Ort der Imagination, der Romantik, der Melancholie. „Verlorene Orte, verlorene Zeit“, schreibt der Schriftsteller Peter Sager in seinem Buch „Englische Landschaften“: „Manchmal, selten, finden wir hier, was wir immer suchten.“
 

„Losttown“, ein Dokumentarfilm von Jörg Adolph. Produziert von Caligari Film München, D 2004–2009, 90min., DV/Digi Beta/35mm, 16:9, Farbe, Dolby SR.
 
Nach der Premiere auf dem Münchner Filmfest 2009 findet auf Initiative von m8architekten eine weitere Vorführung in einem dafür besonders passenden Rahmen statt: in der im Umbau befindlichen Kirche St. Markus im Münchner Museumsviertel. Termin: Freitag, 26.02.2010.  19.00 Empfang mit Begrüßung durch Jutta Höcht-Stöhr, Leiterin der evangelischen Stadtakademie München.  20.00 Film (ca. 90min), ab  21.30 Filmgespräch mit den beiden Architekten und dem Filmemacher sowie einer Außenposition aus Kunst und Architektur.

Ort: St.Markus-Kirche, Gabelsbergerstraße 6, 80333 München, www.st-markus-m.de
 
Eintrittspreise:8€, ermäßigt 4€, Karten sind an der Abendkasse erhältlich.
 
Im Rahmen des Vortragabends ZUGESPITZT in der Architekturgalerie München findet ein weiteres Filmgespräch mit Anne Niemann und Johannes Ingrisch statt. Näheres unter www.architekturgalerie-muenchen.de
 
 Allgemeine Informationen zum Projekt LOSTTOWN finden Sie auf der Website www.losttown.net
 

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