Ulrich Müthers Kurmuschel und Rettungsturm
Wüstenrot Stiftung finanziert die Sanierung zweier Architekturikonen auf Rügen 30.04.2018Um es gleich zu schreiben: Die gemeinnützige Wüstenrot Stiftung hat nicht nur finanziert, sie hat auch fachlich moderiert. Zwischen den beauftragten Architekten, den Eigentümern (Gemeinden auf Rügen), den Denkmalschützern, Hochschulen und vor Tagen auch vor der Fachpresse. Die war eingeladen, sich vor Ort (Binz und Sassnitz auf Rügen), ihr eigenes Bild zu machen. Vom Ergebnis der Sanierung/Rettung/Erhaltung …
Der Geschäftsführer der Stiftung, Prof. Philip Kurz, wurde nicht müde, darauf hinzuweisen, dass die Stiftung nur solche Architekturprojekte in den Fokus nimmt, die nach ihrer Rettung/Sanierung/Wiederinbetriebnahme eben genau letzteres zu leisten in der Lage sind: die Wiederaufnahme ihres Betriebs. Das muss nicht der ursprüngliche sein, in Binz steht der Rettungsturm von Ulrich Müther (*1934 und † 2007 auf Rügen) seit Jahren Heiratswilligen für das Ja-Wort zur Verfügung, in Sassnitz allerdings ist die Kurmuschel seit Anfang an und bis heute ein Musikpavillon auf der Strandpromenade.
Warum der Müther? Weil er ein Eigensinniger war, ein begnadeter Ingenieur und ein Bauunternehmer, der auch zu DDR-Zeiten die Freiheiten hatte, die man nur auf Grundlage von Gegenleistungen erwarten konnte. Seine experimentellen Schalenbauten (gerade die in Binz und die in Sassnitz) stehen für eine radikale Moderne und zählen zu den herausragenden kulturellen Hinterlassenschaften der DDR.
Vor allem in seiner Heimat, an der Ostseeküste, errichtete Ulrich Müther eine Reihe spektakulärer Bauten wie etwa das Inselparadies in Baabe (1966), die Ostseeperle in Glowe (1968) und den Teepott in Warnemünde (1968). Zudem entwickelte er Ende der 1960er Jahre ein Verfahren für den Bau von Bobbahnen, welches so überzeugend war, dass Bob- und Schlittenbahnen weltweit nach Müthers Prinzip errichtet wurden.
Die Herstellung von Müthers nur wenige Zentimeter dünnen Schalen aus Beton war zeitaufwendig, aber materialsparend und entsprach daher den wirtschaftlichen Bedingungen der DDR. Ihre Gestaltung galt in den 1960er Jahren als Bild für den Fortschritt und steht in Zusammenhang mit den Arbeiten des spanisch-mexikanisch-US-amerikanischen Architekten Felix Candela und des Architekten Herbert Müller aus Halle, die bereits in den 1950er Jahren mit hyperbolischen Paraboloidschalen aus Beton experimentierten. Nach der Verstaatlichung seiner „Produktionsgenossenschaft des Handwerks“ zum VEB Spezialbau 1972 wurden seine Bauwerke auch zu einem Exportgut für die DDR. So konzipierte er seine Schalenbauten auch in Libyen, Jordanien, Kuwait, Polen, Kuba und Finnland.
Dennoch: Viele Bauten Müthers sind nach der sogenannten Wiedervereinigung 1989 verfallen oder wurden mangels geeigneter Nutzung abgerissen. Internationales Aufsehen erregte der Abriss der Großgaststätte „Ahornblatt“ in Berlin im Jahre 2000. Die meisten heute noch existierenden Bauwerke von Müther stehen unter Denkmalschutz.
Dass sich die Wüstenrot Stiftung den Müther-Bauten auf Rügen angenommen hat, war, so Philip Kurz, eigentlich ein Zufall. Er habe vor einigen Jahren in einer Museumsbuchhandlung den schmalen („aber recht teuren“) Architekturführer von Rahel Lämmler und Michael Wagner in die Hand bekommen: "Ulrich Müther. Schalenbauten in Mecklenburg-Vorpommern" (bei niggli). Dessen Lektüre habe ihn veranlasst, mit der Gemeinde in Binz zu telefonieren. Die hatte ihn an Prof. Matthias Ludwig verwiesen, der das Müther-Archiv an der Wismarer Hochschule betreut. Damit wurde die Sache 2014 in Gang gesetzt, es gab ein Gutachten, in dessen Folge sich die Stiftung zwei Bauten als beispielhaft Projekte auswählte, „um die Möglichkeiten einer Instandsetzung auszuloten“ (Stiftung): den ehemaligen Rettungsturm der Strandwache in Binz (1981, der hat – obwohl zweiter Bau – die Nummer 1) und den Musikpavillon Kurmuschel in Sassnitz (1987). Den Pavillon entwickelte Müther zusammen mit dem Architekten Dietmar Kuntzsch, Professor an der Kunsthochschule Berlin-Weißensee und dem Statiker Otto Patzelt, wie er überhaupt die meisten seiner Projekte mit Architekten und weiteren Fachingenieuren plante und realisierte.
Salzhaltige Luft, Wind und Sand sowie eine breite Temperaturspanne hatten in den vergangenen Jahrzehnten beiden Bauten erheblich zugesetzt, zusätzlich beanspruchten bauphysikalische Mängel (insbesondere beim Rettungsturm) die Substanz. Am 26. April nun wurde der Rettungsturm 1 von der Gemeinde Binz feierlich wiedereröffnet, seine Grundsanierung soll den Bau in den kommenden zehn Jahren stabil halten. Ein vertraglich fixierter Pflegeplan liegt vor. Die Kurmuschel muss noch ein wenig auf ihre feierliche Wiedereröffnung warten, hier sind die letzten Arbeiten an den Oberflächen und vor allem die um das Gebäude herum noch nicht abgeschlossen.
Auf dem Rückweg nach Berlin ging es noch am „Rügen-Hotel“ vorbei. Hier sind die Wüstenroter in den vergangenen Monaten in der Regel abgestiegen; wegen der fantastischen Sicht auf die Ostsee. Aber auch, weil sich hinter der Platte ein Schwimmbad befindet, dessen Decke eine hyperbolische Paraboloidschale ist. Von Müther, von wem sonst! Be. K.
Unser Monatsinterview mit der Architektin Heike Nessler, mit Matthias Ludwig und Philip Kurz lesen Sie in der Juni-Ausgabe. Über die Sanierungsdetail in den kommenden Tagen hier im Netz.