Gebaute Matrix mit Low Tech in Wien

HOLODECK architects übergeben Wirtschaftspark Breitensee

HOLODECK architects gewannen 2007 den Wettbewerb zur städtebaulichen Neuordnung und Verdichtung des Areals und wurden mit der Umsetzung als Generalplaner beauftragt. Die Ausführung erfolgte in drei Etappen. Die erste Bauphase umfasste die Sanierung eines bestehenden Gebäudehoftraktes sowie die Errichtung des neuen Haupteinganges mit LKW-Zufahrt. Ein verglastes Cafè signalisiert diese Neuerungen in den Straßenraum. Im zweiten Bauabschnitt wurde der straßenseitige Industriebau aus der Gründerzeit revitalisiert und um zwei Etagen aufgestockt. In der letzten Bauphase entstand der jetzt fertig gestellte Neubau für Multifunktionen im Innenhof.

Städtebauliche Nachverdichtung

Das Konzept der städtischen Verdichtung wird aus den vorhandenen Maßstäben und Bezügen zur Umgebung entwickelt. Als Entwurfsgrundlage für die Situierung und Ausbildung der Baukörper dient HOLODECK architects ein funktionaler Parameter – der Weg zur Produktion ‚die LKW-Schleife‘. Entwurfsziel ist es, optimierte Arbeitsabläufe auch in der verdichteten Bauweise für die produzierenden Betriebe zu schaffen. Um dies zu gewährleisten, legt sich der 4-geschossige, multifunktionale Neubau im Westen auf den bestehenden Hoftrakt und bildet im Süden als Brücke das verbindende Element zur zweigeschossigen Aufstockung in der Goldschlagstraße.

Der historisch gewachsene, städtische Gewerbestandort im 14. Wiener Gemeindebezirk, Goldschlagstraße / Missindorfstraße, wurde von HOLODECK architects mit Büros, Ateliers, Produktionsstätten, einem Veranstaltungsort sowie Gastronomiebetrieben ergänzt und damit urban weiterentwickelt.

Industriebau neu interpretiert

Der neu konzipierte Skelettbau mit beidseitiger Belichtung ist eine Weiterentwicklung der bestehenden industriellen Produktionsstätten des 19. Jahrhunderts in eine moderne Arbeitswelt mit flexibel nutzbaren Räumen. Diese Loftsstruktur vermittelt eine eigenständige Atmosphäre und lässt sich entsprechend der Mieterbedürfnisse flexibel adaptieren. Ganz bewusst haben die Architekten beim Neubau auf abgehängte Decken und Doppelböden verzichtet um eine Raumhöhe von mindestens 3.28 m zu erhalten. Es gibt im gesamten Gebäude kaum Verkleidungen anzutreffen. Die Betonunterzüge, basierend auf Statik und Leitungsführung entwickelt, sind wie die gesamte Technik, wie alle Leitungen, Verkabelungen und Schraubverbindungen sichtbar, weiß gestrichen und ergeben ein einheitliches Erscheinungsbild. Die unterschiedlichen Fassaden des gewachsenen Umfeldes fließen mit ihren Proportionen und Rhythmen in die Fassadengestaltung des Neubaus ein.

Multifunktionale Nutzung

Die neu entstandenen Arbeitswelten bieten den zukünftigen Mietern maximale Variabilität. Im straßenseitigen, zweigeschoßigen Dachaufbau befinden sich zehn Büroeinheiten, acht Maisonetten und zwei eingeschossige Lofts. Jedes Büro verfügt über eine Terrasse mit Fernblick und kann auch als Wohnatelier genutzt werden. Im revitalisierten Bestand sind neben dem Cafe Büroeinheiten und ein Fernsehstudio untergebracht. Hier ist die gesamte Etage mit Loftcharakter durch Glaswände in kleinere Einheiten aufgeteilt. Die großflächigen, offenen Grundrisse im Neubau finden sowohl als Gewerbeflächen wie auch als Büros ihre Verwendung. Freistehende Boxen dienen mit schallabsorbierender Verkleidung als Besprechungsräume oder Rückzugsorte. Ein Atrium mit Glasdach im Kern des Gebäude, das sich über mehrere Etagen erstreckt, kann als Sozialraum für Mitarbeiter und auch für externe Veranstaltungen genutzt werden. Räume für Seminare und Gastronomie im Erdgeschoss ergänzen das Raumangebot.

Freiräume und Erschließung

Die Erschließung der einzelnen Bauteile erfolgt über den Innenhof, der somit verstärkt zum Zentrum der Kommunikation und Interaktion der gesamten Anlage wird und die Identität des Wirtschaftspark Breitensee mitgestaltet. Die Anlieferung im Neubau erfolgt über drei Stiegenhauskerne mit Lastenaufzügen. Eine dreidimensionale Abfolge von unterschiedlich zugeordneten Außenbereichen – begrünte Terrassen, Bürobalkone und Gemeinschaftsatrium – intensivieren den Austausch. Ein behindertengerechtes Fußgängernetz aus öffentlichen und halböffentlichen Wegen verbindet Gebäudetrakte und Straßenzüge miteinander. Eine unterirdische, öffentliche Garage („Volksgarage“) liegt unter einem Teil des Wirtschaftsparkes und ermöglicht Kurz- und Dauerparken.

Nachhaltiges Konzept

Der gesamte Gebäudekomplex ist eine gebaute Matrix in Low Tech Charakter: Reduktion auf das baulich Notwendigste, Vermeidung von Verkleidungen sowie die Wahl von hochwertigen Materialen und Systemen ohne komplexe Steuerungen. Die bewusst gewählten sichtbaren Schraubverbindungen stellen ein Zitat an die handwerkliche Produktion an diesem alteingesessenen Industriestandort dar.

Die Fassadenausbildung wurde für dieses Projekt speziell aus Systemteilen entwickelt. Ein exakt ausgetüfteltes, harmonisches Zusammenspiel von transluzenten, transparenten und opaken Fassadenelementen, sowie ein außenliegendes, manuell verschiebbares Sonnenschutzmetallgewebe, ermöglicht eine angenehme Belichtung bei gleichzeitiger Reduzierung der Sonneneinstrahlung. Aufgrund der Vermeidung von abgehängten Decken oder Doppelböden kann die Gebäudestruktur als Speichermasse genutzt werden und sichert somit ein angenehmes Raumklima und geringe Betriebskosten.

Fakten

Wirtschaftspark Breitensee
Goldschlagstraße 172, A- 1140 Wien
Wettbewerb: 1. Preis 05.2007
Fertigstellung: 04.2010 - 05.2013 - 02.2014
Bauherr: Wien Holding GmbH
Nutzfläche: BGF Neubau oberirdisch: ~ 13.000 m²
BGF Sanierung : etwa 2500 m²
Außenanlagen : etwa 5500 m²
Städtebau & Architektur: HOLODECK architects
Generalplanung: HOLODECK architects

HOLODECK architects
Marlies Breuss, Michael Ogertschnig, Hannes Zergoi (seit 2013), HOLODECK architects wurde 1998 in Wien und Berlin gegründet.
www.holodeckarchitects.com

Thematisch passende Artikel:

Architects for Future rufen zu nachhaltigem Bauen auf

Architects-for-Future-DAM-Sarah_Centgraf

Während Tausende bei Fridays for Future in Frankfurt am Main auf die Straße gingen, trafen sich im Deutschen Architekturmuseum einige Architekten, Ingenieure, Planer, Stadtabgeordnete und...

mehr
Ausgabe 07/2016

Industriebau und die Vernetzung der Produktions­prozesse

Die Zeiten, in denen der Industriebau zur schlichten Einhausung von Produktion und Fertigung diente, müssen vorbei sein. Gefordert ist bei aller Funktionalität auch die Architekturqualität. Das...

mehr
Ausgabe 03/2016 Innsbrucker Ring, München

Nachverdichtung durch Vorfertigung Innsbrucker Ring, München

In einem Sanierungsgebiet der Landeshauptstadt München am Mittleren Ring entstand 2012 eine Wohnanlage. Ziel der Maßnahme war die flächenschonende Nachverdichtung des Wohnquartiers. Drei bestehende...

mehr
Ausgabe 12/2023

Dichte gestalten

Nachverdichtung und Aufstockung sind unsere Kernthemen bei Hirschmüller Schindele Architekten. Daher zeigten wir in unserem Beitrag zur Ausstellung „Time Space Existence“ im Rahmen der...

mehr
Ausgabe 12/2023

Nachverdichtung – rechtliche Hürden bei der Flächenoptimierung

1. Grenzen der Grundstücksausnutzung durch das öffentliche Recht Die Grenzen der Nutzung eines Grundstücks werden u.?a. durch die einschlägigen öffentlich-rechtlichen Vorschriften aufgezeigt. Im...

mehr