Materiallager in heiliger Halle
"Open for Maintenance – Wegen Umbau geöffnet", der deutsche Beitrag zur 18. Architekturbiennale Venedig 19.05.2023 |Neben aller inhaltlichen Diskussion darüber, was denn die Generalkommissar:innen des deutschen Pavillons in Venedig in eben diesem zeigen und wie sie das machen, stand immer auch das historische Erbe dieses Baus im Zentrum der Berichte, aber eben auch im Zentrum der Ausstellungskurator:innen. Das Inszenatorische ist in dieser 18. Architekturbiennale-Ausstellung sehr in den Hintergrund geraten und wird zugleich - aber eben sehr anders - in den diesjährigen Beitrag zurückgeholt.
Pavillonansicht mit Rampenanlage und einigen Beteiligten des Kurator:innenteams davor
Foto: Benedikt Kraft / DBZ
Treppen-/Rampenanlage aus Vorgefundenen ... zu schön, zu nützlich, um wieder entfernt zu werden
Foto: Benedikt Kraft / DBZ
Rampe
Foto: Benedikt Kraft / DBZ
"Open for Maintenance – Wegen Umbau geöffnet", das soll nach Paradoxon klingen, zumindest sollen wir stolpern über etwas, das scheinbar widersprüchlich ist. Wegen Umbau ist doch immer geschlossen? Weil dort gearbeitet wird, weil Räume sich verändern, Oberflächen, Technik. Weil Lärm ist und Dreck und weil sich die Eigentümer:innen etwas anderes vielleicht vorstellen, etwas, das nach dem Umbau mit dem vor dem Umbau nicht mehr übereinstimmt. Ein Neustart möglicherweise ohne die alte Geschichte.
Bitte die Füße abtreten! Eingang ins Materiallager, also in den altehrwürdigen Pavillon
Foto: Benedikt Kraft / DBZ
Noch in der Art einer Installation aufgebaut, wird sich der formalästhetische Aspekt, der hier vielleicht noch nicht einmal gewollt war, in den nächsten Wochen und Monaten verändern
Foto: Benedikt Kraft / DBZ
Das "Wegen Umbau geöffnet" spielt da aber wohl eher auf mehreren Ebenen, nicht zuletzt der, dass Umbau neue Chancen öffnet, Leer- und damit Stillstehen wieder in Schwung (auf den Markt) bringt, es reaktiviert. Und uns damit Möglichkeiten gibt, das Neue im Alten zu denken und zu planen. Kurz und gut, es geht um den in der letzten Zeit immer wieder, immer lauter gepriesenen und doch so wenig geliebten Bestand. Sein Potential, sowohl, was seine gestalterisch / planerischen Herausforderungen angeht, aber eben auch seine Fähigkeit, das drängende Klimaproblem grundlegender anzupacken. Denn wer im Bestand arbeitet, arbeitet mit dem Vorhandenen und möglichst mit dem, was lokal vorhanden ist.
Blick durch den vollgepackten Hauptraum in die Nebenräume (Arbeitsraum und Teeküche)
Foto: Benedikt Kraft / DBZ
Nun könnte man sagen, dass wir das doch schon so lange wissen. Und könnten uns fragen, wieso hier so wenig voran gegangen ist. Muss es wirklich erst vor unserer Haustür brennen? Wahrscheinlich. Immerhin, der Beitrag - gedacht in Germany und made in Germany / Italy - geht die Sache erstmals radikal pragmatisch an. So wurde das ganze Konzept Ressourcenverantwortung schon auf die vorhergehende Kunstschau der Kunstbiennale 2022 aufgesetzt. Das Haus wurde - so wie es von Maria Eichhorn bearbeitet und hinterlassen wurde - beinahe unverändert übernommen. Mit Teilen der Arbeiten, also dem Material, mit dem die Künstlerin ihre Arbeiten fertigte. Diese Tatsache bereits, die Übernahme der Kunst in einen sehr pragmatisch, kunstfernen Materiallagerkontext, erscheint ungewöhnlich, verändert die Sicht auch auf Kunst und Kunstmarkt. Denn bisher war es doch so, dass das Weiter- und Wiederverwenden von Kunst immer und ausschließlilch neue Kunst zu generieren hatte.
Toilettenraum mit neuartiger WC-Technik
Foto: Benedikt Kraft / DBZ
Toilettenraum mit neuartiger WC-Technik, aber ansonsten komplett gebrauchter Materialien
Foto: Benedikt Kraft / DBZ
Wer den Pavillon betritt wird in der Haupthalle von den mehr als 2 m hoch gestapelten Dingen überrascht. Wohin der Blick auch geht: jedwedes Material. Unterschiedlichster Art und Größe, fein säuberlich vom Boden hoch in die Höhe gestapelt. An allen Teilen kleben kleine Etikette mit QR-Codes, aber auch mit Hinweisen auf das Material, ihre Herkunft etc.). Sie alle stehen für kleinere bauliche Arbeiten an Projekten von örtlichen Initiativen bereit, die damit Reparaturen, Veränderungen oder schicht Dekore realisieren können. Gleichzeitig können alle - die Material übrig haben - das hier wieder einlagern.
Damit man seine Dinge aber auch vor Ort schon zuarbeiten kann, liegt rechterhand der Haupthalle eine kleine Werkstatt, die allen zur Verfügung steht, aber sicherlich nicht für größere Säge- oder Fräßarbeiten geeignet ist (keine Absaugeanlage beispielsweise). Sie ist zum Hauptraum hin offen, jeder kann den Arbeiter:innen beim Sägen, Schrauben, Fügen zuschauen. Und wo Menschen sind, muss auch eine Toilette sein, die findet sich - inklusive Wickeltisch - im Nachbarraum. Eine Unisex-Toilette, die zusammen mit einem Sanitärhersteller entwickelt wurde, ebenso eine Trockentoilette: Wasser gibt es im Pavillon - wie eben auch in vielen der kleinen Umbauprojekte auch - nicht aus der Leitung.
In einem der Seitenräume: die Teeküche. Wie alles andere hier auch komplett aus gebrauchten Materialien gefertigt, die hier vor Ort anfielen (Kunstbiennale aus dem Vorjahr beispielsweise)
Foto: Benedikt Kraft / DBZ
Gegenüber, auf der anderen Seite des Materiallagers, liegt die Teeküche, in der allein die Kaffeemaschine neu ist. Alles andere besteht aus Materialien, die vor Ort waren und für die Küche umgenutzt/umgearbeitet wurden. Das gleiche gilt für den letzten Raum, den so genannten Arbeitsraum: ein großer Tisch, ein paar Stühle, Regale. Und in der Ecke stehen, wie um ihre Stangen zusammengerollt, Fahnen. Oder sind es Teppich- und andere Textilbahnen?!
Der Arbeitsraum fürs Arbeiten und alle informellen Meetings
Foto: Benedikt Kraft / DBZ
Draußen überrascht - die Kenner? - die Rampen- und Treppenanlage, die sich - für die Nichtkenner - so fügt, als wäre sie immer schon da. Der Leichtbau ist elegant, zweckmäßig und dimmt das Monumentale des Pavillons auf einen erträglicheren Maßstab. Dass hier allerdings mittels Malerei eine Art Trompe-l'œil produziert wurde, erscheint etwas über und mit Blick auf das eigentlich zu vermittelnde dann zu zaghaft: Die HOlzkonstruktion hätte man gerne als solche auch mit den Augen erkannt und nicht erst im Darüberlaufen.
Pressekonferenz Kuratorenkernteam mit Bundesbauministerin Klara Geywitz (mit Mikro)
Foto: Benedikt Kraft / DBZ
Was am Ende, im November, mit dem Lager geschieht? Was mit der neuen (Rampen-)Erschließung? Das Lager könnte leer sein, es könnte sein, dass es ausgeräumt werden muss. Bereits jetzt wurde seitens der Künstlerschaft der folgenden Kunstbiennale bereits Interesse an Resten geäußert. Die Treppen-/Rampenanlage sollte man genau so aber vielleicht mit dauerhafterem Material (natürlich gebraucht) nachbauen.
Die Werkstatt, ausgestattet für die meisten Arbeiten vor Ort
Foto: Benedikt Kraft / DBZ
Ein großartiges Statement ist diese Arbeit zur 18. Architekturbiennale, eines, das von vielen vielen Stimmen getragen und realisiert wurde. Dass es so wunderbar selbstbewusst daherkommt, ohne den allerdings seit länger schon weniger gewordenen Architekturauftritt über die Fotografie, Pläne und Erläuterungstexte, ohne diesen ganzen Leistungsschauhintergrund der immer noch auch vom Wirtschaftsministerium geförderten Expo, das macht Hoffnung, Hoffnung darauf, dass auch die Politik sich endlich nicht länger treiben lässt, die 400000 nun doch endlich zu schaffen! Bestand reimt sich - ganz sicher so gewollt - auf Verstand. Und den kann man in den Giardini im deutschen Beitrag erkennen ... Und schön ist es auch geworden!
Kuratorisches Team: Anne Femmer, Franziska Gödicke, Juliane Greb, Christian Hiller, Petter Krag, Melissa Makele, Anh-Linh Ngo, Florian Summa
Team: Elke Doppelbauer, Nora Dünser, Mirko Gatti, Anna Hugot, Beatrice Koch, Daniel Kuhnert, Arno Löbbecke, Victor Lortie, Vittorio Romieri, Barbara Schindler, Finn Steffens
Instagram: @germanpavilionvenice
Open for Maintenance - Wegen Umbau geöffnet
www.labiennale.org/en
Laufzeit: 20.05 – 26.11.2023