Architektur ohne uns
Text: Beneditk Kraft/ DBZ
Das schon einmal vorneweg: „architect, verb“ liest sich wunderbar leicht, die Sprache ist präzise und spielerisch pointiert. Die dennoch vorhandene und irgendwie dann auch trockene Sachlichkeit der Darlegungen erzeugen nicht selten ein Aha! Hier schreibt einer über gängige Mythen in der Architekturdebatte im Feuilleton (nicht unbedingt über den Diskurs). Einer, der es wissen muss, weil er selbst Teil dieser Debatte ist bzw. das Büro, dem er als Partner angehört: OMA. Reinier de Graaf ist dort vielleicht die andere Seite von der, die Rem Koolhaas mit seinem Ernst, seinem Intellekt und einer unverfrorenen (aufgesetzten?) Impertinenz der Debatte gegenüber besetzt. Reinier de Graaf ist mehr das Enfant terrible, das meist ironisch, meist provokant und – wieder meist – auf den nicht selten schmerzenden Punkt in der Debatte kommt.
Und da sind wir bei einem zentralen Problem: Wie kann dieser charmante Provokateur ernst genommen werden in seinem Schreiben über „die neue Sprache des Bauens“, wenn er selbst wesentlicher Teil des von ihm kritisierten Architekturgeschäfts ist? Kann man seine Kritik ernst nehmen? Kritik an dem Geschäft Architektur, das Wirtschaft und Politik längst den Architekt:innen aus der Hand genommen haben? Kritik am Architekturzirkus, der sich in der Explosion internationaler Architekturpreise und dem (gefühlten!?) Zwang, an diesen teilzunehmen, niederschlägt? Oder an diesen unsinnigen Bürorankings, die nichts anderes widerspiegeln, als die Sehnsucht nach Anerkennung und zugleich Auswahlkriterium sind für die Vergabe von Aufträgen aus der privaten Immobilienwirtschaft? Kritik an der – hier wunderbar zerpflückten und in dieser Weise wohl noch nicht so detailliert beschriebenen – internationalen Zertifizierungsmaschinerie, die zu nichts weniger führt als einem „Immer Mehr“, aber angeblich sauberer, nachhaltiger und gewiss marktresilienter? Der Immobilienmarkt weltweit bildet den dreifachen Wert des jährlichen, globalen Bruttosozialprodukts ab, 280 Billionen US$, ein Markt, der danach schreit, bedient zu werden. Architekt:innen sind hier längst nicht mehr dabei, konstatiert der Autor: „To much is at stake to leave architecture to architects“. Und auch vor diesem Hintergrund scheint seine Reise durch die Begriffswelt auf den ersten Blick einem Zynismus geschuldet zu sein, der Lust am Verriss einer sich immer noch elitär gebenden Kolleg:innenschaft. Sein Blick auf und unter die Begriffswelt offenbart allerdings ein System, in dem Gestaltung, Verantwortung und Zukunftswollen kaum noch eine reale Rolle zu spielen scheinen.
Dass wir einen solchen Gang durch den wohlgeordneten, sehr gut funktionierenden Dschungel internationaler, ja globaler Geschäftsinteressen mit Reinier de Graaf als Expeditionsleiter machen können (für ein kleines Geld!), das ist das wesentliche Pfund, mit dem es zu wuchern gilt nach der Lektüre ohne eine einzige, auch keine emblematisch eingesetzte Abbildung. Dass wir am Ende noch mit dem umfangreichen Glossar „The Principles of Profspeak“ verabschiedet werden, ist möglicherweise kontraproduktiv; könnte es doch dazu verleiten, das vorher Aufgebohrte mit Profspeak anschließend wieder zu schließen. Aber da hat jeder seinen eigenen Kopf.
Und ganz zuletzt steht die Frage, ob Rudofsky nicht doch Recht habe mit seiner These, Architektur ohne Architekten ist nicht nur denkbar, sie sei bereits. Für eine digital dominierte, von Algorithmen kreierte Welt ist das Realität. Wie sich dem widersetzen? Das müssen wir selbst in die Hand nehmen, der Autor sagt dazu nichts; und alles zuvor. Be. K.