Wohnen an der Spree

Arcostraße. Neuinterpretation des Berliner Blocks, Berlin

Mit ihrem neuen Wohnareal direkt an der Spree definieren blrm Architekt*innen (ehem. blauraum Architekten) aus Hamburg den Berliner Gründerzeitblock neu und verleihen ihm bei hoher Dichte Durchlässigkeit und Offenheit. Das Ganze beruht auf einem Entwurf von Bruno Fioretti Marquez, dem blrm Architekt*innen ein luftiges und qualitätvolles Ensemble schenken.


Foto: Joshua Delissen

Foto: Joshua Delissen

In Berlin Charlottenburg, südlich der Mierendorffinsel, trennt die Spree das Wohnviertel im Süden von den Industriegebieten im Norden. Zwischen Richard-Wagner-Platz und Spree liegt die gewachsene Wohngegend Alt-Lietzow. Höhere Wohntürme ersetzten nach dem Krieg einige zerstörte Gründerzeitbauten, sie tragen heute zur Heterogenität des Gebiets bei. Für das Grundstück am nördlichen Ende der Arcostraße, direkt am Spreeufer, fand 2013 das Workshopverfahren „Urban Living: Strategien für das zukünftige Wohnen“ statt, ausgerichtet von der Berliner Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Umwelt. Bruno Fioretti Marquez erhielten damals den ers­ten Platz für ihren Entwurf einer Wohnanlage aus zueinander versetzten Baukörpern, die über Laubengänge verbunden waren. Da das Grundstück unmittelbar an einen Spazierweg entlang der Spree grenzt, der etwas weiter westlich zum Park des Schloss Charlottenburg führt, wurde die Öffnung des Ensembles nach Norden angestrebt.

Die Weiterführung des Projekts übernahmen 2019 das Büro blrm Architekt*innen aus Hamburg, das damals noch lauraum Architekten hieß. Sie wurden mit anderen Büros von der Gewobag im Zuge der öffentlichen Ausschreibung angefragt. blrm Architekt*innen erhielten den Auftrag für die Ausführung. Im Wesentlichen handelt es sich bei der im April 2023 fertiggestellten Wohnanlage um eine Weiterführung des bisherigen Entwurfs, was seitens der Gewobag so gewünscht war, den die Architekten aber in ihrer eigenen Handschrift realisieren konnten. „Wir fanden die Idee von Bruno Fioretti Marquez ohnehin sehr stark, somit haben wir gerne damit gearbeitet“, sagt Rüdiger Ebel im Interview. „Allerdings gab es einige Aspekte, die wir bei der Überführung in die Realität noch berücksichtigen mussten, was zum Beispiel die Abstandsflächen und die Ausnutzung des Grundstücks anging. Wir haben einige Zwänge gelöst, die auch zu Veränderungen führten.“

blrm Architekt*innen ging es darum, dem dicht bebauten Blockgrundstück Durchlässigkeit zu verleihen
Foto: Joshua Delissen

blrm Architekt*innen ging es darum, dem dicht bebauten Blockgrundstück Durchlässigkeit zu verleihen
Foto: Joshua Delissen

Licht, Luft, Sonne

Nach wie vor sahen blrm Architekt*innen eine Neuinterpretation und Aufspaltung des Berliner Blocks vor. Statt zu allen Seiten einen Blockrand zu bilden, formen die fünf Häuser entlang der Arcostraße inmitten von Gründerzeitfassaden einen geschlossenen, gleichförmigen Riegel mit unregelmäßig angeordneten Balkonen. Nur vom Hof aus sind die EInzelhäuser durch Vor- und Rücksprünge ablesbar. Die Anzahl der vier- bis sechsgeschossigen Häuser reduzierten die Architekten aufgrund von baurechtlichen Vorgaben bezüglich der Abstandsflächen von zwölf auf zehn. So gibt es nun fünf Punkthäuser, die sich auf dem Hof verteilen. „Der Block löst sich in das Grundstück auf“, sagt Joshua Delissen von blrm Architekt*innen vor Ort. So stehen die drei Häuser in zweiter Reihe ein gutes Stück von der geschlossenen Bebauung entfernt und versetzt zu dessen Vorsprüngen. In dritter Reihe befinden sich zwei weitere Häuser, wiederum versetzt, aber mit geringerem Abstand zu den Häusern im Inneren des Hofes. „Die Dichte und den Maßstab der Gründerzeitbebauung haben wir ein Stück weit beibehalten, ihre Abgeschlossenheit haben wir aber aufgelöst, wir haben sie luftiger und durchlässiger gestaltet und damit in ein neues Lebensgefühl übersetzt“, sagt Rüdiger Ebel. Das ermöglicht einen vielgestaltigen Freiraum im Hof, der sich zwischen den Punkthäusern und Stützen schlängelt.

Was im Winter noch farblos wirkt, wird sich zum Sommer hoffentlich in einen bunten und vielfältigen Lebensraum verwandeln
Foto: Joshua Delissen

Was im Winter noch farblos wirkt, wird sich zum Sommer hoffentlich in einen bunten und vielfältigen Lebensraum verwandeln
Foto: Joshua Delissen

Terrassenbänder für Nachbarschaften

Um mehr Fläche zu gewinnen, verzichteten blrm Architekt*innen gegenüber dem Entwurf von Bruno Fioretti Marquez auch auf einzelne Treppenanlagen an den Gartenhäusern. Die Erschließung erfolgt nun von der Arcostraße, eine zweite Erschließung mit außenliegenden Treppen kommt von den beiden westlichen Gartenhäusern. An der Haupterschließung auf der Ostseite führen vier Treppenhäuser mit Aufzügen in die Obergeschosse, von wo im 1. bis 4. OG Laubengänge direkt zu den Wohnungen in den Gartenhäusern führen. Das Ensemble wirkt dank dieser Adaptionen weniger kleinteilig, klar strukturiert, einige Flächen konnten unversiegelt bleiben. So sind Grünflächen als verschieden große Inseln in die helle Bepflasterung eingeschnitten. Im Zwischenraum der beiden östlichen Gartenhäuser ist eine Spielfläche eingerichtet. Hier kann vom Laubengang im 1. OG aus durch eine metallene Rutsche in den Sand gerutscht werden. Als frische Abwechslung zum Grau von Beton und Stahl leuchtet der Zaun, der die Spielfläche der Kita im Erdgeschoss des südlichsten Hauses einrahmt, in kräftigem Pink. Ähnlich der Durchmischung in Berliner Gründerzeitbauten, sind in den Erdgeschossen Kleingewerbeflächen, ein Restaurant und eine Kita untergebracht. Sechs Gewerbeflächen sind bereits vermietet, ein Betreiber für das vorgesehene Restaurant wird noch gesucht.

Die Anordnung der Gebäude ermöglicht eine visuelle Verbindung des Hofgrundstücks mit dem Spazierweg an der Spree
Foto: Joshua Delissen

Die Anordnung der Gebäude ermöglicht eine visuelle Verbindung des Hofgrundstücks mit dem Spazierweg an der Spree
Foto: Joshua Delissen

Bezahlbarer Wohnraum

In den Obergeschossen befinden sich insgesamt 111 Mietwohnungen, von denen die Hälfte gefördert und damit mietpreis- und belegungsgebunden ist. Der Quadratmeterpreis liegt zwischen 6,50 € und 6,70 €. Dabei variieren die Wohnungsgrößen zwischen rund 30 m² und 130 m² mit ein bis sechs Zimmern. Im Rahmen des geförderten Wohnungsbaus sind die Größen der einzelnen Räume und zum Teil ihre Ausstattung vorgegeben. Wie Rüdiger Ebel beschreibt, war die Aufgabe an dieser Stelle, innerhalb dieser Rahmenbedingungen funktionale Grundrisse und eine gute und robuste Architektur zu entwickeln. Das könne manchmal einem Puzzlespiel gleichen, es sei aber gerade eine reizvolle Herausforderung, innerhalb des recht engen Kostenrahmens Wohnqualität zu schaffen. Das gelingt den Architekten mit den Terrassenbändern, die die Häuser verbinden sowie mit den Öffnungen zu den Außenräumen. Die Terrassenbänder dienen als Erschließungsfläche, gleichzeitig als Gemeinschaftsorte für Begegnungen. Sie bieten zudem private Austritte für die einzelnen Wohnungen. „Unsere Hoffnung ist, dass in diesen vernetzten Bereichen kleine und lebendige Nachbarschaften entstehen“, sagt Rüdiger Ebel. Die Abgrenzung von privaten Bereichen mithilfe von Zäunen sei nicht vorgesehen gewesen. Sie stellte sich aber als zwingend heraus, um möblierbare Flächen von den Fluchtwegen abzugrenzen, erzählen die Architekten. Einzelne Gitter können individuell bepflanzt werden und so einen leichten Sichtschutz bieten. Da das 5. OG nicht an einem Laubengang liegt und somit nicht darüber entfluchtet wird, war ein zweiter Rettungsweg für die dort liegenden Wohnungen notwendig, sodass hier großzügige Maisonettewohnungen mit einer zweiten Ebene und viel Luftraum durchgesetzt werden konnten, die viel Wohnqualität bieten.

In den Obergeschossen konnten blrm Architekt*innen großzügige Maisonettewohnungen realisieren
Foto: Joshua Delissen

In den Obergeschossen konnten blrm Architekt*innen großzügige Maisonettewohnungen realisieren
Foto: Joshua Delissen

Die Terrassenbänder sind Gemeinschaftsorte für die Nachbarschaft und erlauben auch eine individuelle Gestaltung von kleinen Privatbereichen an den Wohnungen
Foto: Joshua Delissen

Die Terrassenbänder sind Gemeinschaftsorte für die Nachbarschaft und erlauben auch eine individuelle Gestaltung von kleinen Privatbereichen an den Wohnungen
Foto: Joshua Delissen

Vom obersten Laubengang, im 4. OG, bietet sich ein Blick durch das Netz an Terrassen und Gittern und bis zum Grün an der Spree, das sich dahinter erahnen lässt. Der ruhigen und zurückhaltenden Architektur ist abzulesen, dass hier und da an Kosten gespart werden musste. Vor allem aber bietet sie für die Bewohnerinnen und Bewohner zahlreiche Möglichkeiten, sich ihren Lebensraum sehr persönlich zu gestalten.

Natalie Scholder/DBZ

Die innerstädtische Blockrandbebauung löst sich zum Blockinneren auf und zieht dadurch die Uferlandschaft ins Blockinnere. Gemeinsam mit den Erschließungsbrücken entsteht ein interessanter Gemeinschaftsaußenraum, der durch die Gewerbeeinheiten im Erdgeschoss zusätzlich belebt wird. So erreicht das Projekt einen luftigen Charakter trotz hoher Verdichtung.«
DBZ Heftpartner Eyrich-Hertweck Architekten, Berlin

Projektdaten

Objekt: Arcostraße. Neuinterpretation des Berliner Blocks, Berlin

Standort: Arcostraße 9–15, 10587 Berlin (Charlottenburg)

Typologie: Mehrgeschosswohnungsbau

Bauherrin: Gewobag Wohnungsbau-Aktiengesellschaft Berlin

Nutzung: Wohnen, KiTa, Kleinstgewerbe

Architektur: blrm Architekt*innen, www.blrm.eu

Team: Lasse Eumann, Lisa Hepp, Lars Madsen, Michelle Menck-Garrido, Simon Ochoa-Sierra, Oliver Schanz, Stephanie Schmachtl, Andreas Tödling, Franka Trenkle

Bauleitung: Assmann Beraten + Planen GmbH

Bauzeit: 04.2020–04.2023

Grundstücksgröße: 4 330 m²

Grundflächenzahl: 0,65

Geschossflächenzahl: 2,93

Nutzfläche gesamt: 7 860 m²

Brutto-Grundfläche: 13 056 m²

Brutto-Rauminhalt: 37 700 m³

Fachplanung

Tragwerksplanung, TGA-Planung, Lichtplanung, Akustik, Energieplanung: Assmann Beraten + Planen GmbH, www.assmann.info

Landschaftsarchitektur: Holzwarth Landschaftsarchitektur, www.holzwarth-landschaftsarchitektur.de

Brandschutz: hhp berlin, www.hhpberlin.org

Primärenergiebedarf: 24,1 kWh/m²a nach EnEV -DV Bln 2013

Endenergiebedarf: 47,5 kWh/m²a nach EnEV -DV Bln 2013

U-Werte Gebäudehülle

Außenwand: 0,16 W/m²K

Bodenplatte: 0,18 W/(m²K)

Dach: 0,12/0,15 W/m²K bei EPS/PUR

Fenster (Uw): 1,9 W/m²K

Verglasung (Ug): 1,0 W/m²K

Luftwechselrate n50: 1,04/h

Haustechnik: alle Räume mit Fußbodenheizung.

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