Massiver fünfköpfiger Ziegelbau
Mittelpunktbibliothek
in Berlin-Köpenick

Stadtreparatur wurde vor allem bei dem Projekt einer neuen Bibliothek im Berliner Bezirk Köpenick verlangt. Eine Aufgabe, die die Berliner Architekten Bruno-Fio-retti-Marquez mit einem massiven fünfköpfigen Ziegelbau auf das Beste lösten, der überzeugend in Material und Form an den Bestand anknüpft.

Vom Wasser der Spree und Dahme umspült ist die Halbinsel, auf der sich die Altstadt von Köpenick erstreckt. Bis 1920 eine eigenständige Kommune kann dieser Stadtteil auf eine längere Geschichte als Berlin zurückblicken. Obwohl auch hier das 20. Jahrhundert viele Wunden in das Stadtgefüge riss, so blieben doch seine mittelalterlichen Wurzeln weitaus präsenter als im Berliner Zentrum. Eine Wunde war bis vor kurzem noch der Alte Markt, der als Platz kaum mehr wahrnehmbar war, wo Bombenkrieg und Nachkriegszeit viele Lücken im Stadtgrundriss hinterließen. Doch nun fasst dort erstmals wieder ein neues Gebäude die südöstliche Ecke des Platzes, dessen Volumen zwar weitaus größer als alles Vorhandene ist, aber das sich gestalterisch höchst elegant in den Bestand einfügt.

1 886 m2 auf drei Geschossen bietet nun das neue Gebäude für eine Stadtteilbibliothek, die ursprünglich in einem nur zweigeschossigen Körper unterkommen sollte. So zumindest hatte es die Ausschreibung eines Realisierungswettbewerbs im Jahre 2005 vorgesehen, dem die meisten Teilnehmer folgten, jedoch nicht die Berliner Architekten Bruno-Fioretti-Marquez, die damit den Wettbewerb für sich entscheiden konnten. Klar erkannten sie, dass es hier eines höheren Volumens bedurfte, um eine wichtige Gelenkstelle sehr unterschiedlicher Stadträume überzeugend miteinander zu verknüpfen.  Denn zum Wasser, zur Spree hin, befand sich in unmittelbarer Nachbarschaft ein hohes backsteinernes Fabrikgebäude des 19. Jahrhunderts. Südlich des Baufeldes hingegen erstreckte sich ein hohes wilhelminisches Schulgebäude, eine Art von Dorfanger, und ein altes, niedriges Fachwerkgebäude, in dem sich heute das Heimatmuseum befindet. Zwischen verschiedenen Räumen und Schichten der Stadtgeschichte, zwischen Stadt- und Landschaftsraum musste so das neue Gebäude vermitteln. 

Bruno-Fioretti-Marquez fanden darauf die passende Lösung, ein Gebäude, dessen große Ausdehnung von 12 x 19  x 37 m visuell gekonnt minimiert wurde. Sie schufen eine Kippfigur, die in ihrer Erscheinung zwischen Häuser-Ensemble und Solitär wechselt. Giebelständig zu Anger und Straße endet so ihre schwere Backsteinhülle in fünf Giebeln, die in Material und Form vielfältige Assoziationen ans Mittelalter aufdrängen, aber zugleich auch sehr zeitgenössisch anmuten. Denn ihrer bewegten Gebäudesilhouette schließt sich noch ein Spiel mit der Öffnung der Wand an, mit drei sehr unterschiedlich großen Fensterformaten, die sich vermeintlich aleatorisch über die Fassaden verteilen und nochmals effektvoll das große Volumen aufbrechen.

Rätselhaft erscheint allen Passanten das Innenleben des Hauses, dessen Geschossigkeit ihnen bis zum Betreten verborgen bleibt. Erst tief im Inneren der Bibliothek wird die architektonische Konzeption deutlich. Drei in Form und Material sehr unterschiedliche Baukörper vereinen sich hier in einem einzigartigen Amalgam zu einem Raumkörper. Eingestellt in den massiven Körper aus Backstein erstreckt sich im Inneren ein zweiter Körper aus Beton, der dem freien Raumfluss der Moderne verpflichtet ist, der sich mit Galerien immer wieder überraschend zu zweigeschossigen Lufträumen öffnet. Doch auch zum Außenraum öffnen sich seine Raumebenen großzügig, die geschickt mit den Öffnungen der Wände verknüpft wurden. Letztlich sind alle Festverglasungen in Art der „Petersburger Bilderhängung“ angeordnet, um immer wieder neue Ausblicke auf Stadt- und Landschaftsraum zu eröffnen.

Als Drittes erstreckt sich über Hülle und Raumebenen ein versetztes Faltwerk in weiß gestrichenem Brettschichtholz als ein eigener plastischer Körper, dessen tiefe Balken das Licht der Oberlich­ter geschickt im Raum streut. Nicht nur assoziativ erinnert die architektonische Konzeption an die Analoge Schule Fabio Reinharts, der ab den späten 70er Jahren sehr komplex und materialreich die Moderne mit der Tradition zu versöhnen versuchte. In Venedig, wo Reinhart lehrte, lernten sich die drei Architekten kennen, die es in den Neunzigern nach Berlin zur Gründung eines Büros verschlug. Ein Glücksfall für Berlin und für Köpenick, wo die Analoge Schule bislang von niemandem vertreten wurde, die hingegen in der neuen Schweizer Architektur mit Andrea Deplazes oder Miroslav Sik faszinierende Weiterentwicklungen gefunden hat.


Wenngleich der Sichtbeton einmal mehr nicht die Qualität der Nordschweizer erreichte und letztlich ebenso weiß wie die Innenseiten der Außenwände lasiert werden musste, so ist dennoch das Haus nicht nur räumlich und gestalterisch, sondern auch in seiner materiellen Fügung beeindruckend. Ein massives, fünfköpfiges Mauerwerk konnten hier die Architekten mit ihrer Schweizer Projektarchitektin Nele Dechmann trotz der neuen strengen EnEV durchsetzen, wofür sie nur entlang der kalten Nordseite ihren Grundriss und Wandquerschnitt verändern mussten.

Mit den Ziegeln „77 Lehnskov“ im alten Reichsformat von 25  x 12 x 6,5 cm knüpften sie unmittelbar an die Ziegel des alten Schulhauses an, das modernisiert die ganze Verwaltung der Bibliothek aufnahm. 64 cm massiv sind drei ihrer Außenwände, deren ganze Tiefe in den Laibungen der Öffnungen dank innenbündiger Fenstersetzungen erfahrbar ist. Über die Hälfte der langen Nordseite erstreckt sich nun haushoch ein einläufiges Treppenhaus, das als Wärmepuffer dient. Nur vierköpfig ist dort die Außenwand mit 14,5 cm Wärmedämmung und 2,5 cm Gipskarton, entlang der ebenfalls alle Sekundärräume wie etwa die Zellen der Einzelarbeitsbereiche konzentriert wurden.

Diese Raumorganisation, wie auch die Implantierung zweier Seminarräume im Kern des Erdgeschosses sowie eines Lesercafés zum Platz, ermöglichte den freien Raumfluss des Lesebereichs, dessen Mobiliar ivon den Architekten mitentwickelt wurde. Mit kostengünstigen MDF implantierten sie die Buchregale als eigenwillig mäandrierende oder inselartige Raumkörper sekundärer Ordnung, die nun die Blicke noch stärker auf bestimmte Raumöffnungen hin fokussieren. Auf höchstem Niveau setzten sie damit die Grundthemen des Hauses fort, nämlich den steten Wechsel von dichten zu offenen Raumsituationen, von körperlicher Massivität zu spielerischen Perforationen für viele ganz unerwartete Raumerfahrungen. Claus Käpplinger, Berlin

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