Greta Gemünden studiert Bauingenieurwesen an der TU Berlin. In diesem Sommersemes-ter absolvierte sie ein Auslandssemester an der Universidad Politécnica de Madrid.
Foto: Greta Gemünden
Warum hast du dich für ein Auslandssemester in Madrid entschieden?
Den Wunsch, eine Weile im Ausland zu studieren, hatte ich bereits vor Beginn meines Studiums. Dahinter stecken insbesondere Neugierde und Abenteuerlust: das Bedürfnis, sich einmal aus dem gewohnten Umfeld zu entfernen, um dafür umso mehr neue Dinge zu entdecken; die Neugierde auf eine andere Sprache und eine andere (Bau-)Kultur. Während des Studiums wurde ich in meinem Vorhaben durch meinen Professor in Tragwerkslehre, Prof. Dr. Maik Schlaich, bestärkt. Er hat in den Vorlesungen stets betont, dass wir die immensen Herausforderungen, mit denen wir uns als Architekt:innen und Ingenieur:innen konfrontiert sehen, nur bewältigen können, indem wir Hand in Hand mit unseren Kolleg:innen im Ausland zusammenarbeiten. Denn ihnen kann nur durch stetige Innovation begegnet werden, die wiederum aus dem Austausch unterschiedlicher Herangehensweisen und Interpretationen hervorgeht.
Ich wollte unbedingt im spanischsprachigen Ausland studieren und so meine bereits vorhandenen Sprachkenntnisse erweitern. Konkret für Spanien habe ich mich entschieden, weil ich das Land bis dahin nicht kannte und weil dort die europäische Normierung gültig ist. Schließlich ist die Wahl auf die Universidad Politécnica de Madrid (UPM) gefallen, deren Kooperation mit meiner Universität, der TU Berlin, besonders auch durch Professor Schlaich besteht.
Was hast du sowohl akademisch als auch persönlich gelernt?
Bei der Vorbereitung auf das Auslandssemester habe ich darauf geachtet, Fächer zu wählen, die für meinen Studiengang interessant sind, jedoch nicht in dieser Form an der TU Berlin angeboten werden. So habe ich Kurse wie „Bauingenieurwesen und Umwelt“, „Geschichte, Kunst und Ästhetik des konstruktiven Ingenieurbaus“ und „Material Recycling“ belegt. Hier lernten wir unter anderem das Erstellen eines Gutachtens zum Einfluss des (Bau-)Projekts auf die Umwelt und analysierten unterschiedliche Methoden zum Recyclen von Materialien sowie zur Energiegewinnung. Das Fach Baugeschichte hat meinen Auslandsaufenthalt besonders bereichert, da wir während des Reisens die Gelegenheit hatten, viele der beeindruckenden Bauwerke Spaniens auf ihre epochentypischen Merkmale zu untersuchen. Hier wurde mir eines immer wieder deutlich: „Der Spanier“ ist eitel. Ich bekam den Eindruck, dass Bauten wie die Sagrada Famila von Gaudí und die vielen Werke von Calatrava als Sinnbild dieser spanischen Liebe zur Ästhetik verstanden werden können. Allerdings wurde ich während meines Semesters in Madrid auch vor einige Herausforderungen gestellt. Das Durchblicken des Dschungels aus Studienadministration und Organisation mit abweichenden akademischen Schwerpunkten – dazu in einer Fremdsprache – hat meine Selbstständigkeit auf die Probe gestellt und ein hohes Maß an Anpassungsfähigkeit gefordert. Im Gegenzug wurde mein Spanisch durch die Vorlesungen und stetige Konversation deutlich verbessert und um einige Fachbegriffe erweitert, sodass der fachliche Austausch nun zwar nicht fließend, aber immerhin gut möglich ist.
Was würdest du das nächste Mal anders machen?
Die Spanier gehen gerne feiern, auch unter der Woche. Vor 22 Uhr wird in Spanien nicht einmal ans Abendessen gedacht und in den Club geht es frühestens um ein Uhr morgens. Wie es die Spanier fertigbringen, am nächsten Morgen um halb neun wieder mehr oder weniger aufmerksam in der Vorlesung zu sitzen, ist mir leider bis zum Schluss ein Rätsel geblieben. Das werde ich das nächste Mal herausfinden. Ob nach langen oder kurzen Nächten: Wie schwierig das Studium in einer Fremdsprache ist, habe ich absolut unterschätzt. Nicht nur wird das Verständnis ohnehin schon komplexer Sachverhalte durch den mangelnden Wortschatz und die schnelle Aussprache, vielleicht sogar noch mit einem regionalen Dialekt, um einiges erschwert. Das Studium sowie die Klausurvorbereitung nehmen durch das ständige Übersetzen unbekannter Wörter die doppelte oder gar dreifache Zeit in Anspruch. Für jeden, der wie ich vornehmlich seine Sprachkenntnisse verbessern will, ist dieser Aufwand gerechtfertigt. Liegt die Priorität jedoch auf den Prüfungsergebnissen, sollte lieber eine geläufigere Sprache gewählt werden.
Foto: Greta Gemünden
Was zeichnet die Bauingenieurslehre und -vermittlung in Spanien im Gegensatz zu der in Deutschland aus?
Eine überraschende Erkenntnis erlangte ich in dem Modul Stahlbau. Meine Vermutung, dass es aufgrund der europäisch genormten Nachweise viele Ähnlichkeiten mit der Lehre in Deutschland geben müsste, wurde nicht bestätigt. Im Gegensatz zu der Lehre in Deutschland wird in Spanien mehr Wert auf das Auswendiglernen von Formeln gelegt. Eine übersichtliche Zusammenstellung der benötigten Kennwerte bzw. Nachweise, wie die Schneider Bautabellen, gibt es an der UPM nicht. Stattdessen darf der Eurocode nur für wenige ausgewählte Aufgaben genutzt werden. Des Weiteren werden die aktuellen Methoden im Bauwesen in der spanischen Lehre detaillierter vermittelt, aber leider selten Ausblicke in zukünftige Entwicklungen gegeben.
Sehr überzeugt jedoch hat mich das Konzept einer Prüfung in der Mitte des Semesters. Wird diese bestanden, muss in die Abschlussprüfung lediglich über den Stoff der zweiten Semesterhälfte geschrieben werden, ansonsten wird der Stoff des gesamten Semesters abgefragt. Anders als an der TU Berlin dauert der Bachelor in Bauingenieurwesen an der UPM acht anstatt sechs Semester. Allerdings erfolgt dort nach dem sechsten Semester bereits eine Spezialisierung.
Insgesamt habe ich ausgesprochen viel aus meinem Auslandssemester in Madrid mitgenommen. Zum einen habe ich fachlich viel dazugelernt und mein Spanisch erheblich verbessert, zum anderen konnte ich mich persönlich weiterentwickeln, viele internationale Freundschaften schließen und viel über das Land und Europa lernen.
Jannik Kastrup studiert Stadtplanung an der BTU Cottbus. Das Sommersemester 2022 absolvierte er an der Estonian Academy of Arts in Tallinn im Studiengang Urban Studies.
Foto: Jannik Kastrup
Warum hast du dich für ein Auslandssemester in Tallinn, an der Estonian Academy of Arts, entschieden?
Auf Tallinn fiel die Wahl, weil mich die heterogene Struktur, die Lage zwischen Helsinki, Riga und Stockholm sowie die post-sowjetischen Transformationsprozesse faszinierten. Die Estonian Academy of Arts genießt gerade seit dem Umzug 2018 in ein neues Gebäude einen sehr guten Ruf. Der englischsprachige Studiengang Urban Studies setzt sich etwa mit Themenfeldern wie Ethnographie und Tourismus auseinander, mit denen ich mich im urbanen Kontext gerne näher beschäftigen wollte. Dabei war es mir wichtig, innerhalb der Gasthochschule vor allem auch mit den lokalen Student:innen aus sehr verschiedenen akademischen Backgrounds zusammenzuarbeiten und nicht in einer Blase von Austauschstudent:innen zu verbleiben. Das war an der Estonian Academy of Arts aufgrund der kleinen Gruppengrößen und vollständigen Integration der Austauschstudent:innen in den Studienalltag immer gegeben. Besonders gereizt hat mich, im Studiengang Urban Studies – im Gegensatz zur Stadtplanung – urbane Fragestellungen stärker von künstlerischer Seite zu betrachten, ein wenig mehr losgelöst vom planerischen Kontext.
Was hast du sowohl akademisch als auch persönlich gelernt?
In meinem Auslandssemester habe ich vor allem gelernt, eine größere methodische Offenheit zu entwickeln. Während ich es aus meinem Bachelorstudium noch gewohnt war, Projektthemen, gerade etwa des Städtebaus und der Stadtplanung, nach festgelegten analytischen Methoden zu begegnen, habe ich in meiner Zeit an der Estonian Academy of Arts gelernt, die Scheu vor neuen methodischen Zugängen abzulegen. Auch durch die sehr gute materielle Ausstattung der Hochschule war es mir möglich, einen Kurzfilm und eine multimediale Installation zu realisieren und ein Seminar mit einer szenischen Lesung abzuschließen – allesamt für mich unerprobte Methoden. Der Austausch und die enge Kooperation mit meinen Mitstudent:innen, die beispielsweise im filmischen oder ethnographischen Bereich teils umfassendes Vorwissen mitbrachten, ermöglichten mir eine steile Lernkurve. Darüber hinaus konnte ich meine eigenen Kompetenzen, etwa in der Kartographie oder der Analyse, in den Projekten ebenfalls jederzeit einbringen.
Foto: Jannik Kastrup
Was würdest du nächstes Mal anders machen?
Im Laufe des Semesters an der Estonian Academy of Arts habe ich die Durchlässigkeit zwischen den verschiedenen Fachgebieten sehr zu schätzen gelernt, die es mir erlaubte, etwa Materialien, Werkstätten und Räume für meine Projekte zu nutzen sowie für ein Projekt auch mit dem Studiengang Innenarchitektur zu kooperieren. In einem künftigen Auslandssemes-ter würde ich versuchen, eine größere Anzahl von Kursen anderer Fachgebiete zu besuchen, die an meiner Heimuniversität nicht angeboten werden und mich stärker auszuprobieren. Davon abgesehen, bin ich sehr glücklich über meine Entscheidung, ein Auslandssemester in Tallinn im Rahmen meines Masterstudiums in einem Studiengang zu absolvieren, der sich deutlich von meinem Stadtplanungsstudium in Deutschland unterscheidet.
Was zeichnet die Stadtplanungslehre und -vermittlung in Estland im Gegensatz zu der in Deutschland aus?
Bei den Master-Programmen Stadtplanung an der BTU Cottbus-Senftenberg und Urban Studies an der Estonian Academy of Arts handelt es sich um zwei konzeptionell sehr unterschiedliche Studiengänge. Während Stadtplanung an der BTU technisch und praxisnah ausgelegt ist, ist Urban Studies an der Estionian Academy of Arts deutlich experimentellerer und künstlerischer. Projekte sind demnach weitaus weniger lokalen rechtlichen Rahmenbedingungen unterworfen, sondern orientieren sich eher daran, Problemstellungen aus innovativen Sichtweisen zu betrachten oder künstlerisch-gestalterische Lösungen zu erarbeiten, die am Ende des jeweiligen Projekts im Rahmen einer öffentlichen Ausstellung präsentiert werden. Diese jeweiligen Endprodukte variieren in ihrer Gestaltung und Methodik häufig sehr stark, je nach Interessen und fachlichem Background der Student:innen. Ein weiterer Unterschied besteht in der deutlich flexibleren Gestaltung der Zeitpläne in Tallinn, bei der kurzfristige Änderungen oft möglich sind, wohingegen an der BTU meist schon zu Beginn des Semesters alle wichtigen Termine feststehen.
Ulrich Meyer ist Pressesprecher der TUM − Technische Universität München. Mithilfe von Mitarbeiter:innen der verschiedenen Fachabteilungen, insbesondere des International Office, beantwortete er unsere Fragen zum Thema Auslandsstudium von Architektur- und Bauingenieurstudent:innen.
Foto: Astrid Eckert/TUM
Welche Länder sind für ein Auslandssemester oder -praktikum bei Architektur- und Bauingenieur-Student:innen besonders beliebt, welche vielleicht unterschätzt?
Im Bauingenieurwesen sind das englischsprachige Ausland (Großbritannien und Irland) sowie die skandinavischen Länder am beliebtesten. Skandinavien hat eine hohe Reputation aufgrund der englischen Lehrangebote, der Lehrinhalte und der starken Verknüpfung von Theorie und Praxis, da sich das Studium in diesen Ländern aus vielen Projektarbeiten zusammensetzt. Bei den Architekturstudent:innen sind die Niederlande, Italien, Spanien, Schweden und Dänemark besonders beliebt. Im außereuropäischen Ausland sind Singapur, Neuseeland und Australien sehr gefragt. Die osteuropäischen Länder werden generell deutlich weniger nachgefragt und oft auch unterschätzt. Das ist sehr schade, da unsere Partneruniversitäten in Osteuropa ebenfalls eine qualitativ hochwertige Lehre in englischer Sprache anbieten.
Welche Chancen bietet ein Auslandsstudium oder -praktikum, besonders für Architektur- und Bauingenieurstudent:innen?
Am Fachbereich Architektur der TUM ist im achtsemestrigen Bachelor-Studiengang ohnehin ein Auslandssemester fester Bestandteil – das ist übrigens ein Alleinstellungsmerkmal der TUM unter den europäischen Architekturschulen. Die Student:innen haben im Ausland die Möglichkeit, Lehrinhalte zu studieren bzw. zu vertiefen, die an der TUM nicht oder nur in geringem Maße angeboten werden, da diese z. B. ein Spezifikum bestimmter Partneruniversitäten sind. Im Bauingenieurwesen sind das etwa Küstenschutz oder Erdbebensicherheit. Zudem können sich die Student:innen in einem Auslandssemester oder -praktikum damit auseinandersetzen, welche ähnlichen oder unterschiedlichen Ansätze im Bauen und in der Architektur unter Berücksichtigung der länderspezifischen Gegebenheiten verfolgt werden. Dies weitet den fachlichen Blick und kann durchaus die Karrierechancen erhöhen. Grundsätzlich befördert die Auslandserfahrung eine Sensibilisierung für globale Herausforderungen.
Foto: Astrid Eckert/TUM
Welche Sorgen, die Student:innen vor einem Auslandssemester oder -praktikum eventuell haben, sind unbegründet?
Am wichtigsten ist für unsere Student:innen der Ort ihres Auslandaufenthalts. An den Wunschort zu kommen, beschäftigt sie sehr. In der Regel finden sich aber alle Student:innen im Ausland gut zurecht. Im Bauingenieurwesen machen sich einige Student-:innen Gedanken, dass sich ihr Studium durch das Auslandssemester oder -praktikum verlängert und sich dies womöglich negativ auf ihren Lebenslauf und damit auf ihre Karrierechancen auswirken könnte. Diese Sorge ist jedoch unbegründet. Ganz im Gegenteil: Die meisten Personalverantwortlichen legen bei akademischen Bewerber:innen besonderen Wert auf hohe soziale und interkulturelle Kompetenzen. Ein Auslandsaufenthalt wird hier sehr positiv gesehen und macht eine mögliche Studienzeitverlängerung um ein Semester dann mehr als wett. Zudem werden in den meisten Fällen die Studienleistungen im Ausland an der TUM anerkannt.
Wie konnten Auslandssemester und interkulturelle Begegnungen während der Corona-Pandemie stattfinden?
Nur an wenigen Partneruniversitäten wurden die Auslandsaufenthalte komplett abgesagt. Natürlich waren die Student:innen durch die Situation verunsichert und viele haben von sich aus das Auslandssemester abgesagt, da es für sie nicht die „richtige“ Auslandserfahrung gewesen wäre, die sie sich erwartet und gewünscht hätten. Einige Student:innen konnten aber online oder hybrid an Veranstaltungen der Partneruniversitäten teilnehmen. Wir haben jedoch insgesamt einen deutlichen Rückgang registriert. Das kommende akademische Jahr dürfte hingegen wieder nahezu wie vor Corona werden.