Lehren im Ausland
Der Umgang mit den
Student:innen erinnerte Birgit Remuss an ihre Lehre in Deutschland: Hier wie dort wird mit beinahe den gleichen Schwierigkeiten
gekämpft und sich über ähnliche Erfolge gefreut
Foto: Birgit Remuss
Die Idee entstand während des Corona- Lockdowns. Frustriert durch Homeoffice und fehlenden Kontakt zu den Student:innen begann ich geistig in die Ferne zu schweifen. Ich informierte mich über Möglichkeiten, als Dozentin im Ausland zu unterrichten, recherchierte die Partnerhochschulen der Jade- Hochschule und stieß dabei auf einen hilfsbereiten emeritierten deutschen Professor, der jahrelang in Griechenland gelebt und gearbeitet hatte. Von da an ging alles sehr schnell. Er vermittelte mir den Kontakt zu zwei griechischen Professorinnen, die an der Aristoteles-Universität in Thessaloniki lehren. Es begann ein lebhafter, interessanter und anregender Austausch. Schnell war klar, dass wir einen guten Draht zueinander und Lust hatten, miteinander zu arbeiten.
Erasmus & DAAD
Die ersten Einladungen liefen über Erasmus. Bereits im Herbstsemester 2021 kamen die beiden Kolleginnen aus Thessaloniki für eine Woche nach Oldenburg. Sie gaben Korrekturen in meinen Lehrveranstaltungen und der Fachbereich hatte das Glück, sowohl einen spannenden Vortrag von Prof. Rena Sakellaridou über die Arbeit ihres erfolgreichen Büros SPRACH sowie einen interessanten Vortrag über Architektur, Geschichte und neuere Stadtentwicklung in Thessaloniki von Prof. Styliani Lefaki zu hören. Auch ich ging für eine Woche nach Thessaloniki, wo ich als Gastkritikerin herumgereicht wurde und einen Vortrag über die Architektur meiner Heimatstadt Berlin hielt.
Nach Absprache mit dem Fachbereich in Oldenburg, mich für ein sogenanntes Akademisches Auslandssemester freizustellen, hatte ich beim Deutschen Akademischen Austauschdienst einen Antrag auf ein Stipendium für eine Kurzzeitdozentur gestellt und bewilligt bekommen. Also ging es im Februar für das Sommersemester 2022 nach Thessaloniki.
Die Aristoteles Universität befindet sich im Zentrum Thessalonikis. Im Hochhaus des Fachbereichs Architektur befindet sich die Administration
Foto: Birgit Remuss
Thessaloniki
Die Stadt ist mit über 1 Mio. Einwohner:innen die zweitgrößte Stadt Griechenlands, eine lebhafte Hafenstadt mit einer mehr als 5 km langen Strandpromenade. Es ist eine sehr dichte, junge und multikulturelle Stadt in der neben den Griechen die Römer, Türken und Juden das urbane Gefüge und den Charakter der Stadt geprägt haben.
Überall finden sich Spuren der wechselhaften Vergangenheit in Form von teilweise als Weltkulturerbe deklarierten Gebäuden, Denkmälern und Ruinen, Kirchen und Moscheen, Hamams und Türmen sowie Resten der alten Stadtmauer.
Die Aristoteles-Universität ist mit 81.500 Student:innen nicht nur die größte Universität Griechenlands, sondern auch eine der größten Europas. Dementsprechend ausgedehnt ist der mitten in der Stadt liegende Campus. Der Fachbereich Architektur hat eigene Gebäude: Neben den Unterrichts- und Vorlesungsräumen gibt es ein Hochhaus für Administration und Büros mit einem großartigen Ausblick – zumindest wenn das Büro in Richtung Meer zeigt.
Lehre
Von Anfang an wurde ich als vollwertiges Mitglied des Lehrkörpers in die Betreuung und Korrektur von Entwurfsseminaren, die Notenvergabe und bei Vorlesungen integriert. Gemeinsam mit einer Kollegin habe ich im vierten Semester das Entwurfsseminar „Architectural Design in natural Environment“ geleitet. Außerdem war ich Gastkritikerin im Masterseminar „Insights: International Competition_Office Complex in Berlin“ und Teil des Teams der Lehrenden im interdisziplinären Postgraduiertenprogramm ‘’Museology and Cultural Management’’, den es meines Wissens in dieser Form in Deutschland nicht gibt. Zusätzlich habe ich Diplomand:innen betreut.
Insgesamt fand ich erstaunlich wenige Unterschiede im Umgang mit den Student:innen. Hier wie dort wird mit ähnlichen Schwierigkeiten gekämpft und sich über ähnliche Erfolge und Fortschritte gefreut. Im Unterschied zu Deutschland lassen sich die Student:innen in Griechenland im Durchschnitt mehr Zeit zum Studieren, was oft auch an den leider immer noch krisenbedingten fehlenden Zukunftsperspektiven liegt.
Der Umgang mit den Student:innen erinnerte Birgit Remuss an ihre Lehre in Deutschland: Hier wie dort wird mit ähnlichen Schwierigkeiten gekämpft und sich über ähnliche Erfolge und gefreut
Foto: Birgit Remuss
Sprache
Griechisch ist keine leicht zu lernende Sprache. Trotz regelmäßigem Unterricht reichte mein Griechisch nicht für komplizierte Konversationen oder gar Vorträge. So war die Unterrichts- und Vorlesungssprache bei mir Englisch, was tatsächlich kein Hindernis darstellte. Nahezu alle Student:innen sprachen Englisch auf einem ausreichend hohen Niveau. Auch außerhalb der Universität kam ich so überall problemlos zurecht.
Das Leben in Griechenland
Zwei Monate lang habe ich fast ausschließlich die Kleidung getragen, die ich bei meinem Aufbruch aus Norddeutschland im Februar anhatte. Bis in den April hinein war es außergewöhnlich kalt, bisweilen hörte ich nahezu neidisch den deutschen Wetterbericht. Als es dann aber heiß wurde, blieb es konstant über 30 Grad, mit hoher Luftfeuchtigkeit und wenig Abkühlung bei Nacht. Das mediterrane Leben spielt sich bis spät nachts auf der Straße ab und man gewöhnt sich schnell an die Dauerhitze.
Die Lage als Handels- und Hafenstadt und die Einflüsse der verschiedenen Kulturen hat Thessaloniki zur Hochburg der guten Küche gemacht. Ob in Tavernen, auf Märkten und Bazaren, in Restaurants oder Bäckereien, alles ist köstlich!
Mentalität
„Siga siga“ heißt sinngemäß: immer mit der Ruhe (wörtlich übersetzt: langsam, langsam). Ich habe die Griechen als sehr freundlich und höflich, sehr ruhig und entspannt wahrgenommen. Es dauert lange und ist äußerst selten, bis sie wütend werden. Dann jedoch wird es richtig laut!
Sprichwörtlich ist die griechische Unpünktlichkeit, meine deutsche Korrektheit wurde zum Running Gag. So sehr ich mich auch bemühte, ich war immer und überall die Erste.
Perspektiven
Um meine positiven Erfahrungen in Zukunft auch mit Student:innen teilen zu können, habe ich gemeinsam mit den Kolleginnen in Griechenland mehrere internationale Workshops für Student:innen aus Deutschland, Griechenland, der Türkei und Finnland geplant. Inspiriert durch meine positiven Eindrücke möchte ich Student:innen ermutigen, Möglichkeiten wie Erasmus wahrzunehmen, um andere Kulturen und Mentalitäten, andere Herangehensweisen und Lehrmethoden kennenzulernen.
Mein akademisches Auslandssemester war ein voller Erfolg und auf vielen Ebenen eine großartige Erfahrung. Der historische und architektonische Reichtum Griechenlands ist zutiefst beeindruckend. Der Austausch mit den sehr kosmopolitischen Kolleg:innen war äußerst inspirierend und die Arbeit mit den Student:innen anregend und auch für mich lehrreich. Es sind wirkliche Freundschaften entstanden und die sprichwörtliche griechische Gastfreundschaft und Offenheit hat mich sehr berührt. Ich kann mir gut vorstellen, in Zukunft noch einmal in Griechenland zu unterrichten. Wie meine Kollegin Prof. Venetia Tsakalidou es zu meinem Abschied ausdrückte: „You are one of us now“.
Birgit Remuss (im Bild rechts) leitete in ihrem Auslandssemester als Dozentin unter anderem ein Entwurfsseminar im vierten Semester
Foto: Birgit Remuss