CORE Oldenburg, Oldenburg
In bester B-Lage stand in Oldenburg lange Zeit eine alte Filiale der ehemals traditionsreichen Kaufhauskette Hertie leer. Nun hat ein Investorenkollektiv um das örtliche Architekturbüro Angelis & Partner sich des Objekts angenommen und zum Nukleus einer neuen urbanen Dichte entwickelt. Die potenziellen Erlösbringer im Erdgeschoss öffneten sie deshalb für die Städter:innen.
Text: Jan Ahrenberg / DBZ
Ein Blick auf die Zahlen offenbart das Dilemma: Befeuert von den Schließungen während der Lockdowns in den vergangenen Jahren hat sich der Schrumpfungsprozess im Handel noch einmal deutlich beschleunigt. Selbst in den 1A-Lagen, so befand der Immobilien Verband Deutschland (IVD) in 2021, belaufe sich der Gewerbeleerstand in kleinen und mittelgroßen Städten inzwischen auf 15 %. Etwas abseits des Trubels sieht es noch schlimmer aus: 25 % der 1B-Lagen finden aktuell keine neuen Mieter:innen. Und von einer Trendumkehr, so heißt es in der Branche, kann angesichts der steigenden Energiepreise keine Rede sein. Im Gegenteil: Mit Galeria Kaufhof strauchelte Anfang November dieses Jahres die letzte verbliebene Kaufhauskette erneut in die Krise.
Schlechte Zeiten für den innerstädtischen Handel? Während sich die Verkaufszahlen im Internet – trotz aktuell leichter Einbrüche – langfristig solide entwickeln, leidet der Präsenzhandel unter der einfachen Verfügbarkeit von Alltagsprodukten per Mausklick. Die Ware allein lockt keine Konsument:in mehr vom Sofa. Neue Konzepte müssen her.
Die Markthalle bietet ein niederschwelliges gastronomisches Angebot, welches das CORE auch für die Öffentlichkeit zugänglich und interessant macht. Einzelhändler sollen das Angebot in diesem Winter erweitern
Foto: Core / Ulf Duda
„In einer idealen Welt“, so sagt Alexis Angelis vom Oldenburger Architekturbüro Angelis & Partner, „würde ich Dinge des alltäglichen Bedarfs wie Nahrung oder Toilettenartikel künftig automatisiert geliefert bekommen. Dafür muss ich meinen Fuß nicht vor die Tür setzen.“ Und wie er sehen es viele Konsument:innen offenbar auch. Allerdings beschäftigt er sich, anders als die meisten, auch mit den Folgen des veränderten Konsumverhaltens. „In einer Stadt, in der nicht mehr große Ketten und Kaufhäuser den Ton angeben, wird künftig wieder mehr Platz für den kleinen und kreativen Handel sein.“ Und auch die Mischnutzung, so prophezeit er, wird an Bedeutung zunehmen.
Die multifunktionalen Veranstaltungsflächen werden von den örtlichen
Hochschulen, Kulturschaffenden und Unternehmen genutzt
Foto: ERCO ERCO GmbH, / Lukas Palik Architekturfotografie Düsseldorf
Konsumgeschichte aus Beton
Das City Center Oldenburg (CCO) ist ein Beispiel für diese Entwicklung: Ende der 1950er-Jahre als größtes Hertie-Warenhaus in der Region Weser-Ems eröffnet, erlebte es seine Blütezeit in den 1960er- bis späten 1980er-Jahren. 1967 wandelt die Stadt ein angrenzendes, rund 13 ha großes Gebiet zu Deutschlands erste und größter Fußgängerzone um. Das Geschäft brummte, auch und gerade weil im Umfeld nur wenige Motoren brummten. Oldenburg war seiner Zeit voraus, als andere noch die autogerechte Stadt proklamierten. Und nun könnte es wieder so sein.
Die diagonale Erschließung im Obergeschoss verbindet die unterschiedlichen Co-Workinglandschaften miteinander und mit den Fassaden
Foto: CORE / Ulf Duda
An einer Fahrradstraße gelegen, die auch heute noch in das belebte Oldenburger Fußgängerzonen-Geflecht mündet, tritt das CORE nicht nur das Erbe der Hermann Tietz-Dynastie (Hertie) an, die 1882 in Gera ihren Ursprung nahm. Sondern auch das Erbe der Um- und Zwischennutzungen, die das Gebäude nach der Hertie-Pleite im Jahr 1993 erst ab 2005 wieder als CCO mit wechselndem Erfolg bespielten. Der Elektronikkonzern Saturn und das Unternehmen Spielemax, beide mit großem Flächenbedarf, belebten die alten Gemäuer. Allerdings zog Saturn nur wenige Jahre später seine 3 600 m2 Fläche wieder frei. Und Spielemax nutzte seine 2 500 m2 zunehmend als Lagerfläche und entzog sie so dem städtischen Raum. Fortan nutzte eine Mall kleinere Teilflächen des Gebäudes und die Immobilie dümpelte nicht mehr nur am Rande der Fußgängerzone, sondern auch am Rande der Aufmerksamkeitsschwelle.
„Für die von uns angedachte neue Nutzung war die Substanz ideal“, erinnert sich Alexis Angelis. Die Fassaden, 2005 für Saturn und Spielemax saniert, waren intakt und weiter nutzbar, ebenso wie die Lüftungstechnik auf dem Dach. Im Grunde sei es darum gegangen, die großen, 10 x 10 m großen Raster leerzuräumen und in neue, zeitgemäß nutzbare Häppchen aufzuteilen. Ideal für ein Vorhaben, das die Wirtschaftlichkeit der Immobilie neu denken sollte: Zwei Jahre lang entwickelte der Architekt mit lokalen Verbündeten die Idee von einem regionalen Kraftzentrum, das „die vielen kleinen Feuer in der Region bündelt und zu einem weithin sichtbaren Leuchtfeuer vereint.“ Im Kampf um Talente, so Angelis, tun sich kleinere und mittlere Städte schwer. Dabei sei in Oldenburg mit zwei Hochschulen, international agierenden Konzernen wie CEWE und Unternehmen der Digitalbranche wie Offis, reichlich Potenzial vorhanden – man müsse es nur sichtbar machen.
Neben gemeinschaftlich nutzbaren
Büroflächen bietet das CORE auch
Besprechungsräume, Rückzugsräume und Intensivarbeitsplätze unterschiedlicher Dimension und Atmosphäre
Foto: CORE / Ulf Duda
Befreit von alten Einbauten boten die ehemaligen Verkaufsflächen des Spielemax auf zwei Etagen Platz für das CORE-Konzept – aber keinen unbegrenzten. Es galt, den Sweetspot zwischen „wirtschaftlich tragfähig“ und „attraktiv für neue Nutzer:innen“ zu treffen. „Uns kam dabei zugute, dass wir anders als klassische Investor:innen nicht mit einem Raumprogramm mit zugehöriger Kostenrechnung beginnen, sondern umgekehrt vorgehen und bestehende Flächen in unserem Sinn umprogrammieren.“
Atmosphäre statt Kalkül
Eine der größten Aufgaben sei es gewesen, in dem tiefen Baukörper eine moderne, lichte Atmosphäre zu schaffen, die gerade im OG für eine attraktive Co-Working-Landschaft unabdingbar sei. „Wir wollten mit unserem Konzept inspirieren und einen Ort schaffen, der als Mehrwert wahrgenommen wird. Da konnten wir nicht wie andere Akteure am Markt knallhart nach Quadratmeter kalkulieren.“ Eine diagonale Erschließung, die von Fassade zu Fassade die Arbeitsplätze, Meetingräume und Rückzugsorte miteinander verbindet, schafft im Obergeschoss jene Großzügigkeit, welche die Flächen von anderen ihrer Art unterscheidet und die sich über den Lichthof auch mit dem Untergeschoss verbindet.
Und dort breitet sich der eigentliche Clou des CORE aus: Die Markthalle, mit einem zeitgemäßen Angebot verschiedener Küchen und Spezialitäten, wird den Pächtern deutlich günstiger als üblich angeboten – was kleinen Anbietern und Start-ups die Möglichkeit bietet, sich einem breiteren Publikum zu präsentieren. Eventflächen stehen für Vorträge, Lesungen und andere, kulturelle wie wissenschaftliche Nutzungen zur Verfügung. „Klassisch wird das EG im Handel als Cashcow gedacht, die maßgeblich zur Wirtschaftlichkeit einer Immobilie beiträgt – wir gehen den umgekehrten Weg“, erläutert Alexis Angelis. „Wir machen die ehemaligen Filetstücke möglichst niederschwellig zugängig, um die Immobilie insgesamt wieder auf ein wirtschaftliches Niveau zu heben.“
Größter Erfolg dabei bislang: Für die ehemaligen Saturnflächen wurde die Oldenburgische Landesbank (OLB) als neuer Ankermieter gewonnen. Sie schätzt die Nähe zu einem Kreativstandort der Business, Forschung und Kultur vereint. Als nächsten Meilenstein peilen Angelis und seine Mitstreiter:innen eine Kulturmall nach Vorbild des Bikini in Berlin an: kleine Ladenzeilen, die je nach Bedarf angemietet, geteilt und erweitert werden können. Auch Pop-ups, also Händler:innen mit außergewöhnlichen Konzepten und kurzer Verweildauer will man einen Platz bieten. 400 m2 für sieben bis acht Geschäfte sind dafür vorgesehen. Die Umsetzung erfolgt 2023.
EG, M 1 : 1 000
1 forum
2 food
3 event
4 community
5 meet
6 work
Baustein der Stadtgesellschaft
Im Gebäudekomplex befindet sich neben dem CORE und der OLB noch ein Bestandshotel sowie eine Fitnesskette, die als Nachmieter für eine andere einzog. Insgesamt steht die Immobilie so wirtschaftlich gesund und neubelebt da. Wie es weitergehen wird, kann angesichts der jüngsten Energiekrise und dem damit verbundenen Druck auf Einzelhandel und Gewerbe in der Innenstadt natürlich niemand sagen. Aber Angelis ist optimistisch: „Der alltägliche und gewöhnliche Konsum, wie ihn die großen Kaufhäuser früher boten und es jetzt die Zentren im Speckgürtel tun, wird immer weiter ins Internet abfließen. Für Beratung, für die Unterhaltung und für das Event werden die Menschen aber weiterhin zusammenkommen“, sagt Angelis. „Dafür sind aber Mischnutzungen, die dem Außergewöhnlichen eine Nische bieten, umso wichtiger – für die Menschen, die auch weiterhin am öffentlichen Leben teilnehmen wollen. Und für die Städte, die den Menschen ein attraktives Umfeld bieten müssen, wollen sie Abwanderung vermeiden.“
Aus dieser Perspektive sind 25 % Leerstand ein gutes Stück Stadt, die für innovative Konzepte und kleine Händler:innen wieder erschwinglich, einfach anzueignen und zu entwickeln sind.
Angelis & Partner
Alexis Angelis, Geschäftsführender Gesellschafter
www.angelis-partner.de
Foto: Core/ Ulf Duda
Projektdaten
Objekt: CORE Oldenburg
Standort: Heiligengeistwall 6-8, 26212 Oldenburg
Typologie: Umnutzung
Bauherr/Bauherrin: CO/RE Coinnovation & Recreation GmbH
www.core-oldenburg.de
Nutzer/Nutzerin: CO/RE Coinnovation & Recreation GmbH
Architektur: ANGELIS & PARTNER Architekten mbB, Oldenburg
Team: Alexis Angelis, Doreen Todtenhaupt, Anne-Katharina Döhle
Bauleitung: Sebastian Ackert
Bauzeit: Sommer 2020 – April 2021
Brutto-Grundfläche: 3 400 m²
Brutto-Rauminhalt: 14 450 m²
Baukosten (nach DIN 276):
Gesamt brutto: 2,7 Mio. € Brutto
Fachplanung
Tragwerksplanung: OP Engineers GmbH, Buxtehude,
www.op-engineers.de
TGA-Planung: Dammann Ingenieurgesellschaft für technische Gebäudeausrüstung mbH, Oldenburg,
www.gruppe-ingenieurbau.de (Gebäudetechnik), Ingenieurbüro Kiedrowski beratende Ingenieure GmbH (Elektrotechnik), Oldenburg,
www.gruppe-ingenieurbau.de
Lichtplanung: ERCO GmbH, Lüdenscheid, www.erco.com
Innenarchitektur: ANGELIS & PARTNER Architekten mbB in Zusammenarbeit mit NOORD GOOD INTERIOR, Oldenburg, www.noord-design.de
Brandschutz: Hambrock Bauplanung GmbH, Oldenburg,
www.hambrock-bauplanung.de
Küchenplanung: Hase GmbH+ Co KG, Osnabrück, www.haseundco.de
Energie
Fenster (Umax) = 1,3W/(m²K),
Verglasung (Ug) = 1,1 W/(m²K)
Hersteller
Beleuchtung: ERCO GmbH,
www.erco.com
Innenwände/Trockenbau: feco-feederle, www.feco.de
Möbel: Vitra International AG,
www.vitra.com, Wilkhahn Wilkening + Hahne GmbH & Co. KG,
www.wilkhahn.com
Akustik: Troldtekt, www.troldtekt.de