Baukultur ist alles, was gebaut ist

In einer der ersten Ausgaben der DBZ Deutsche BauZeitschrift, genauer der Novemberausgabe 1954, gab es einen mehrseitigen Artikel über den Wiederaufbau Kölns. Wie überhaupt viele der ers-ten Ausgaben unserer 1953 gegründeten Bauzeitschrift den Wiederaufbau großer deutscher Städte zum Thema hatten. Was nahelag, die Wohnungsnot war längst nicht gelindert, Industrie und ­Gewerbe suchten händeringend nach Pro­duk­tionsanlagen/-bauten, die Infrastruktur kämpfte mit Totalverlusten. In diesem Beitrag über den „Neubau Kölns und die geistigen Maßstäbe“ von Carl Oskar Jatho waren es zwölf Männer (Apostel), die die Fragen des Wiederaufbaus in der Rheinstadt erörterten. Ihre Namen werden nicht genannt und der Autor damals verweist – immerhin schon fast zehn Jahre nach dem Kriegsende in Deutschland – auf die „siegreich gebliebenen res­taurativen Kräfte“, die die Herausbildung einer von den Aposteln angestrebten „Hochstadt“ einzubremsen wussten.

Köln ist zwar viel mehr als der Dom, aber der Dom ist alles. Ankommensgruß für Bahnfahrer und Ausgangspunkt für Stadtplanung
Foto: Benedikt Kraft

Köln ist zwar viel mehr als der Dom, aber der Dom ist alles. Ankommensgruß für Bahnfahrer und Ausgangspunkt für Stadtplanung
Foto: Benedikt Kraft

Der 2021 hundertjährig verstorbene Gottfried Böhm war ihm zu jung, selbst ein Rudolf Schwarz erschien dem Autor zu schwach, das rechte Maß in der Suche nach einem neuen Köln zu finden. Vielleicht, so sein Resümee, findet sich die neue Stadt, der Neuanfang deutscher Stadtbaukultur in der Wohnsiedlung im Raderthal, deren Gestaltung Ausdruck zeitgenössischer Planerkunst ist, deren „urbane Gehobenheit, die Kultiviertheit des Behauptetseins und des bürgerlich öffentlichen Zirkulierens wesensähnlich dem Köln ist, von dem der junge Petrarca Anno 1333 schwärmerischen Bericht nach der Pontificalstadt Avignon“ gab. Die als Gartenstadt konzipierte Siedlung, die britischen Offizieren Wohnraum schaffen sollte, wurde im Rahmen der Bauprogramme „JOINT“ und „ZECO“ finanziert. Planung und Ausführung wurden vom Land, der Stadt, der Arge „Besatzungsbauten Köln“ sowie der Gemeinnützigen Aktiengesellschaft für Wohnungsbau Köln (GAG Köln) übernommen, Entwurfsarchitekten waren u. a. Wilhelm Riphahn, Fritz Schaller oder Theodor Kelter. Häuser dieser Siedlung sind heute extrem gefragte Einzelobjekte, hier hatte der Autor damals, also vor 70 Jahren, eine zutreffende Einschätzung von der baulichen wie gestalterischen Qualtität.

Nun sprechen wir heute nicht mehr von „Hochstadt“. „Baukultur“ meint nun das, was Hochstadt einmal sein sollte: Ausdruck für eine wie auch immer gelungene, weil höchst professionelle, interdisziplinäre Planung. Restaurative Kräfte gibt es immer noch. Manches, was im Krieg 1939–45 und insbesondere in den Jahre 1942–45 völlig zerstört wurde, war bereits wieder aufgebaut, teils als kritische Rekonstruktion, teils als Nachahmung. Dieser Wiederaufbau, der sich kontinuierlich und schließlich in großen und kleine Neubauentwicklungen am Rand, wie aber auch mitten in der Stadt, fortsetzte, ist zahlreich dokumentiert. Nicht zuletzt in der schon genannten frühen DBZ-Ausgabe, in der die Bauten von Rip­hahn oder Paul Doetsch, Eugen Blanck, Bernhard Hermkes oder Fritz Schaller sowie zahlreicher weiterer Kollegen aus dem Hochbauamt beschrieben sind. Und dann in vielen, vielen weiteren Ausgaben, die auf Einzelprojekte schauten wie auf Kirchen oder Museen, auf Rundfunkhäuser, Kaufhäuser, Malls, auf den Wohnungsbau neu wie im Bestand, auf Ergänzungen und Abrisse … Stichwort: Kölner Loch! (gibt es auch in München oder Frankfurt, Berlin sowieso, aber dort werden die Kellergeschosse der Abrisse offensichtlich schneller mit Neubauten gefüllt; in Köln läuft das gerne auch einmal anders). Dass damals das erwähnte Hochbauamt eine wichtige Rolle spielen konnte, überrascht, schaue ich auf das, was die Ämter heute noch leisten; Ausnahmen bestätigen die Regel. Damals, kurz nach der mit Berechnung in die Welt gesetzten „Stunde Null“, hatten die Städte hier noch eine wesentliche Planerinstanz, die gut ausgestattet war mit hervorragenden Architekten. Planerinnen sind – jedenfalls in diesen frühen Heft – (noch) nicht zu finden.

Mit den Rädern unterwegs
Foto: Benedikt Kraft

Mit den Rädern unterwegs
Foto: Benedikt Kraft

Das Lesen Jathos „Neubau Kölns und die geistigen Maßstäbe“ ist nun der Auslöser eines Gedankens: Wie steht es eigentlich heute um Köln, welche Projekte stehen an, welche Knoten gilt es durchzuhauen, welche Zöpfe abzuschneiden? und: Was geht dort eigentlich gar nicht, wer dreht hier möglicherweise wem eine Nase und ist Köln wirklich so larmoyant, wie mancher behauptet? Wie schauen die Jungen, wie die Alten? Wie die Büro­inhaber, die Verantwortung auch für ihre Mitarbeiterinnen tragen, wie schauen die Mitarbeiter? Ich wollte eine Reise durch meine deutsche Lieblingsstadt machen, auf dem Rad – weil Köln eben doch ganz schön groß ist – und zu Fuß, weil allein der Fußgänger Stadt intensiv und wirklich wahrnimmt (liebe Alison Smith: „AS in DS“ ist ja ganz schön, aber die „Promenadologie“ des Lucius Burckhardt‘s … dafür Dank in die Schweiz!).

Ich verabredete mich mit dem mir schon lange angefreundeten Pablo Molestina, er wollte/sollte eine junge Kollegin mitbringen (Farina Kaemmerer). Der Architekt und Hochschullehrer hat die kleine Tour durch die Stadt organisiert, durch die Innenstadt, denn mehr ist bei dieser Stadtgröße nicht drin, trotz Fahrrad. Die Reise hätte ich in einen Film packen können, wenn ich filmen könnte. Ich hätte auch einen theoretischen Text zu Erkundungsstrategien von Stadträumen und Orten schreiben können, auch das mache ich nicht.

Aber die Idee war, Stimmen und Stimmungen einzufangen, vor den Bauten, auf den Plätzen, vielleicht gar beim Nebeneinanderradeln auf dem Radweg oder abseits von diesem, da auch in Köln ständig Baustellen das gewohnte Bild irritieren, zu Umwegen zwingen, Abkürzungen provozieren oder die Querung vielbefahrener Verkehrsadern, ein Erbe des Wiederaufbaus, der – wie in anderen Städten auch – dem Auto gerecht werden musste. Die „autogerechte Stadt“, deren Realisierung in Köln auf Planungen von Fritz Schumacher aus den 1920er-Jahren zurückgeht, wies in Düsseldorf in die Höhe (der „Tausendfüssler“, die ehemalige Hochstraße, entworfen von Friedrich Tamms), in Köln ging sie in die Erde.

Nord-Süd-Fahrt: eine Schneise, unüberwindbarer Stadtgraben, miten in der Stadt
Foto: Benedikt Kraft

Nord-Süd-Fahrt: eine Schneise, unüberwindbarer Stadtgraben, miten in der Stadt
Foto: Benedikt Kraft

Die bis heute die Innenstadt zerteilende Nord-Süd-Fahrt bildet, trotz ihres Abstiegs zwischen Cäcilienstraße und Schildergasse, einen Canyon, der viele 100 m lang nicht zu queren ist. Auf dem Tunneldach ein Kaufhaus, das „Weltstadthaus“, ein Entwurf von Renzo Piano, fertiggestellt 2005. Dass auf dem nördlichen Ende der Tunneldecke, auf dem 1950er-Jahre Haus der Berlitz-Sprachschule, der Schriftzug „Liebe deine Stadt“ mahnt und fordert, ist ein Kuriosum, mit dem die Stadtväter und -mütter offenbar gut leben können. Der Imperativ jedenfalls geht offensichtlich schnurgerade an ihnen vorbei; ist ja auch nur Kunst!

Die Wanderung per Rad – ist das noch Promenadologie? – ist ein Einsammeln von Eindrücken, visuellen natürlich, aber auch wörtlichen. Daraus formt sich der im folgenden gedruckte Text. Paradoxerweise formlos, denn die Gespräche, Gesprächsfetzen, das Einwerfen von „Schau mal hier“ oder „das habe ich aber so nicht gemeint“ oder „das aber bitte nicht drucken“ korrumpiert die Sache des Fachlichen dieses Beitrags. Aber soll der überhaupt ein Fachbeitrag werden? Nicht eher ein Reflex auf das Arbeiten eines Redakteurs, der sich in diesem Kontext der Ausnahmepublikation etwas herauszunehmen wagt: nämlich das Spontane, die Überforderung im Chaos, auch das Anspruchsvolle, einmal mehr zu lesen und denken, als nur zu schauen … um dann zu denken? Zwei der eigentlich eingeplanten Protagonisten haben abgewunken: zu riskant. Was verständlich ist, angesichts der vielen off-the-record-Äußerungen, die in Lesefluss zu bringen tatsächlich den Redakteur überforderten und dem Text zuviele Einfallstore öffneten für Nachfragen, Überraschungen, Verärgerungen, Zweideutigkeiten. Also bleibt vieles ungenannt, oder anders: von mir milde gespiegelt und ganz allgemein und wertfrei gehalten. Die Gespräche auf dem Rad, in der Straße, sitzend im Café oder zu Fuß gehend, verschwinden damit hinter dem Vorhang des Reflektorischen. Literatur ist eben nicht die Sache einer Fachzeitschrift.

Heumarkt. Die Reiterstatue (Friedrich Wilhelm III) war kriegsbeschädigt, fiel der Verkehrsplanung zum Opfer, und steht so erst seit ein paar Jahren wieder am Ort
Foto: Benedikt Kraft

Heumarkt. Die Reiterstatue (Friedrich Wilhelm III) war kriegsbeschädigt, fiel der Verkehrsplanung zum Opfer, und steht so erst seit ein paar Jahren wieder am Ort
Foto: Benedikt Kraft

Heumarkt

Wir treffen uns am Heumarkt, Farina Kaemmerer, Pablo Molestina (Molestina Architekten) und ich. Der Platz ist weit und ungerichtet, die nördliche Hälfte fußgängerberuhigt. In der Platzrandbebauung (überwiegend oder komplett 1950er-Jahre-Bauten mit teils schon begrenzter Zukunft) sind ausschließlich Lokale ­un­tergebracht, die sich auf den Platz mittels Tisch-Stuhl-Sonnenschirm-Kombination erweitern. Auf der südlichen Seite, also hinter dem etwa mittig platzierten Kaiser Wilhelm III., rauscht der Verkehr. Hier ist die Innenstadt ans Rechtsrheinische, die gerne sich selbst so nennende „Schäl Sick“ (falsche Seite) angebunden. Der Heumarkt ist damit ein Verkehrsknotenpunkt und keine von Flaneuren gefüllte italienische Piazza. Er ist Teil des „Wir brauchen den Individualverkehr“-Mantras der Kaufleute, wie in jeder Stadt. Vielleicht, weil die kaufkräftigste Klientel ältere Herrschaften sind, die die Einkäufe nicht mehr zu Fuß bewegen können, bewegen wollen?

Auf dem Heumarkt auf dem Rad: Benedikt Kraft, Pablo Molestina
Foto: Freundliche Touristin aus den USA

Auf dem Heumarkt auf dem Rad: Benedikt Kraft, Pablo Molestina
Foto: Freundliche Touristin aus den USA

Wir schließen die Räder an und ab und setzen uns in ein Café zwischen die vielen anderen Cafés ringsum mit vergleichbaren Speisekarten. Touristen laufen an uns vorbei, ansonsten ist der Platz hier im Fußgängerberuhigten eher leer.

Ich schalte das Aufnahmegerät ein. Ready, Band läuft. Und weil wir gerade erst angekommen sind und ich um die intensive Beschäftigung des Büros  Molestina Architekten mit dem Heumarkt weiß, frage ich Farina Kaemmerer, ob sie unsere Zeitschrift, die DBZ, überhaupt schon mal in Händen gehalten hat? Ja, sie kenne die DBZ, sei aber nicht die Zeitschriftenleserin. Mit Abos habe sie es auch schon einmal probiert, doch die kontinuierlich bei ihr im Briefkasten landenden Exemplare hätten bei ihr Stapel ungelesener Hefte produziert. Der Druck, das alles auch die nächsten Tage, Wochen einmal und vielleicht sogar komplett zu lesen, wäre mit der Stapelhöhe gestiegen. „Irgendwann kam ich dann nicht mehr mit, da habe ich die Abos wieder abbestellt.“ Ob denn eine Zeitschrift, die es auf nun 70 Jahre gebracht hätte, nicht auch einen altbackenen Eindruck erzeuge, ein Bild von Altehrwürdigem und eigentlich längst Überholtem? Das sieht sie nicht so, im Gegenteil empfindet die junge Architektin es als gutes Zeichen, dass es die DBZ schon so lange gibt.

Pablo Molestina stimmt dem zu, auch bestätigt er, dass der Umgang mit dem Print natürlich von Google verändert wurde. Die Suchmaschine hätte vieles „so viel bequemer“ gemacht. Wenn er allerdings mehr Tiefe, mehr Hintergrundinformationen sucht, „dann hole ich mir die Zeitschrift, ein Buch, also das auf Papier Gedruckte.“ Für das Lesen eines Printprodukts, wie wir es im Verlag   bezeichnen, muss er aber Zeit haben, ein paar Stunden fürs Konzentriertsein, gerne auch am Wochenende. Das Klischee, das Architektinnen anhaftet, sie wären „Augenmenschen“ und also Durchblätterer von Zeitschriften, bestätigt er. Allerdings hat sich das Durchblättern längst zum Scrollen auf den Seiten digitaler Plattformen im Netz verändert, was durchaus etwas von strolling hat, also dem dem Zufall zugewandten Ambulare.

Zeitschriften generell überzeugen ihn mit einer sauberen Grafik, zahlreichen Plänen wie Grundrissen, Schnitten, Ansichten, dazu schon ein paar Fotos, wenn sie denn auch einmal den Kontext zeigen, der seiner Auffassung nach meist ausgeblendet wird. Was stimmt und ein großes Problem der Architekturdarstellung seitens der professionellen Fotografinnen ist, die meist das fotografieren, was ihre Auftraggeber beauftragen. Bei den Texten ist Pablo Molestina kritisch, ihm ist der Hang suspekt, aktuelle Themen in mittlerweile gängigen Stereotyen überzubetonen. Dass das Nachhaltige mittlerweile Attribut jeder Bauweise geworden ist, das ist ihm zuviel verschwendeter Platz auf den Seiten, den er lieber für anderes genutzt sähe: „Trifft in der Regel eh nicht zu oder ist fast immer aufgesetzt.“

Farina Kaemmerer sieht insgesamt die Tendenz, dass sich die Oberflächen, also das Layout der Zeitschriften auf das schnelle Erfassen von Inhalten konzentriere. Die „Bleiwüsten“ aus vorvergangenen Heften, die der Redakteur in Rahmen der Recherchen zum Jubiläum selbst und sehr deutlich als extrem dicht gefüllt wahrgenommen hat, seien längst einem dynamischen Bilder- und Lesefluss gewichen. Heute gelte: lesen, anschauen, fertig. Womit sie auch folgert, dass wir Zeitschriftenmacherinnen uns „viel mehr anstrengen müssen für den ersten Eindruck, fürs Auge, damit wir Leser überhaupt bei einem Artikel hängenbleiben und ihn komplett lesen. „Weil das Angebot so riesig geworden ist?“ „Ja.“ Die Texte erscheinen ihr, „auch durch dieses ganze Gendergedöns“, aufgeblasen zu sein, für sie gibt es zu viele Floskeln, die sie nicht lesen möchte. Bilder funktionieren da direkter und offenbar bieten sie mehr Raum für das eigene Denken, auch für die eigene Emotion: „Schaue ich auf ein großes Foto, entdecke ich viele Dinge, assoziiere ich eigene Bilder und manchmal denke ich ‚Oh, das sieht schön aus‘.“

Pablo Molestina verbindet mit dem Gedruckten ein Mehr an Seriösität. Der gedruckte Text „verspricht mir eine gute Recherche, einen Artikel, der eine Übersicht und eine kritische Auseinandersetzung mit dem Thema anbietet. Das findet man im Internet eher selten. Und – das ist auch wesentlich – ich erwarte von der DBZ einen anderen Blickwinkel als ihn die Bauwelt hat, die ARCH+ oder die BDA Zeitschrift Die Architekt ...“ Ob „Die Architekt“ nun gelungen ist oder nicht, darüber sprechen wir eher am Rande. Ich, der ich Hardcore-Genderer bin, wundere mich wieder einmal über die Ablehnung des Genderns durch die Frauen selbst … Gendergedöns!

Unseren Anspruch, praxisorientiert zu veröffentlichen, Architektur als integrales Arbeiten zu ­pushen oder eben zu zeigen, „wie gebaut wird und womit“, nimmt der Architekt zum Anlass, unseren Praxisfokus zu erweitern: Wir hätten auch die Aufgabe, die zurzeit überall und durchaus emotional geführten Debatten mit Fakten zu versachlichen. Er wünsche sich mehr Informationstiefe zum Thema Nachhaltigkeit beispielsweise, „dass ich und die Kollegen ein bisschen mehr durch das Dickicht der Nachhaltigkeitsbehauptungen durchblicken können. Und beispielsweise feststellen und argumentieren können, dass ein massiver Einsatz von Holz möglicherweise nicht die Antwort liefert zu den Fragen, wie eine nachhaltige Bauweise aussehen könnte. Oder, dass es eine schwindend kleine Rolle spielt, was für ein Material du benutzt, verglichen mit der Frage, wie viel dein Gebäude wiegt, also wieviel Material du benutzt. Vielleicht ist deine leichte Aluminiumkis­te nachhaltiger als dein schwereres Holzhochhaus?!“ Der Architekt wünscht sich Überraschendes, das neben den ausgefahrenen Gleisen läuft und damit aufklärt. Das, so Pablo Molestina, „liegt auch in der Reichweite der DBZ. Ihr dürft ruhig ein bisschen radikaler werden! Also noch ein bisschen grüner, noch reduzierter und zugleich eleganter, höher ...“

Und dann kommen wir natürlich doch noch auf den Heumarkt zu sprechen, die beiden Architekten haben Material mitgebracht. Schwarzpläne, Lagepläne, farbige Strukturanalysen, his­torische Fotos in Kopie. Das alles liegt nun vor uns auf dem wackeligen Alu-Tisch und zeigt die Arbeit, Gedanken dazu, Pläne und Vorschläge der letzten Jahre, die im Büro und der Hochschule entstanden waren. Ich frage die beiden, ob sie für ihre Sache auch die Presse eingespannt hätten, die lokale hoffentlich, die Fachpresse sicherlich? Farina Kaemmerer betont, man habe das sehr wohl getan. Sie selbst sei überzeugt davon, dass das ein guter Weg ist, Themen in der Gesellschaft zu bewegen, „auch wenn wir uns schon mal wunderten, was die Redaktionen aus unseren Informationen gemacht haben.“ Es sei auch nicht einfach, das Eigentliche, die Qualität des Platzes als öffentlicher Raum und das, was die Menschen heute von ihm wahrnehmen, in einen wirkungsvollen Bezug zu setzen. „Ich selbst habe den südlichen Platzteil, wo heute der Autoverkehr stattfindet, gar nicht als Teil des Platzes erkannt. Die eingeschränkte Wahrnehmung zu verändern, könnte über einen Beitrag in einer Zeitung passieren, mit der Darstellung dessen, was den Heumarkt einmal ausgemacht hat. Hier könnte man dann auch auf ein Experiment hinweisen, dass man den Platz probehalber einen Tag lang für den Autoverkehr sperrt und ihn damit als Ganzes wiederherstellt. Dann könnten die Leute an diesem Tag kommen und die Presse, ihr würdet Interviews mit allen machen, die neue Platzwirkung erkunden und darüber schreiben … Das würde sicher Wirkung entfalten!“

Wir fragen uns, ob denn eine Fachzeitschrift, die das fachlich Neutrale im Namen trägt, sich vor einen Karren spannen lassen darf? Und sei er noch so wertvoll für die Weiterentwicklung der (Stadt-)Gesellschaft). Natürlich ist eine objektive Berichterstattung illusionär, alles Fokussieren, alles Schärfen drückt Aspekte zur Seite, die es möglicherweise auch zu erwägen gilt. Und ist Fokussierung nicht immer auch Meinungsjournalismus? Ja, so der Architekt, aber ich hätte es ja schon gesagt: Objektivität in der Berichterstattung ist eine Illusion. „Und wirklich finde ich es angenehmer“, so Pablo Molestina, „wenn man den Standpunkt und die Haltung des Redakteurs erkennen kann und sie nicht zwischen den Zeilen herauslesen muss. Man darf nicht vergessen, dass Architektur und Städtebau eine eminent wichtige gesellschaftliche Rolle spielen, eine politische. Ich sage ‚politisch‘ im Sinne von ‚Polis‘, Stadt. Architektur betrifft alle Bewohner, betrifft ihre Lebensqualität. Wenn du und deine Kollegen seitenlang schwafeln – verzeih! – und euch in politically korrekten Positionen übt oder technische Zwänge als Ausrede für ein Versagen duldet oder Berichte von Wirtschaftlichkeit nachdruckt, die nicht näher geprüft werden, dann bin ich enttäuscht. Denn was man meint ihr mit Wirtschaftlichkeit? Meint ihr den kulturellen Reichtum der Stadt oder meint ihr den Wohlstand Einzelner? Und genau diese Fülle an Aspekten findet man in jedem Architekturprojekt und jedem städtebaulichen Projekt. Und die hierin verwobenen Chancen wie auch die Konflikte muss ein guter Redakteur an die Oberfläche bringen. Wer das kann, ist ein wertvoller Vermittler dieser sehr komplexen Themenwelten, im Idealfall auf allen intellektuellen Ebenen.“

Dann kamen wir noch darauf, bitte doch nicht „die Intelligenz der Leserinnen“ zu unterschätzen; ein Fehler, den auch viele Architekturbüros bezogen auf Wettbewerbsjurys machen, die die immer spektakulärer erscheinenden Projektpräsentationen inzwischen mit einer gewissen Skepsis anschauen: „Man ahnt, dass da irgendetwas überspielt wird“, so Pablo Molestina. Und er schließt – als wir schon bezahlt haben, die leichten Alu-Stühle über den Granitboden schrill schrammen – unser Heumarkt-Gespräch mit der Anmerkung: „Was mir gestern abend beim Nachdenken über unser Treffen heute noch in den Kopf kam ist, dass mir die wunderbare ZEIT nach dem letzten Relaunch noch klarer als die Grafik einer Stadt erscheint. Es gibt dort Wege, Abzweigungen, Kreuzungen, es gibt große, kleine, ruhige oder quirlige Plätze.“ Und Farina Kaemmerer schließt an: „Es gibt die großen Alleen, es gibt die Highlights, die Schmuckplätze auch. Eine Landkarte, die uns durch die Themenlandschaft führt. Super angenehm! Wenn mir dadurch der Zugang zu den Inhalten erleichtert wird, dann bin ich auch deiner Meinung. Im Netz ist das anders, hier muss es offener, assoziativer zugehen.“ „Das würde ich“, so Pablo Molestina, „noch ergänzen: Es ist ein Gebot der Web-Grafik, dass sie nicht zu deutlich sein sollte. Dass sie zu Umwegen verführt, dass sie einlädt, unbekannten Links zu folgen, ohne genau zu wissen, wohin die führen.“ Mit diesem Bild vom Layout einer Zeitschrift als Stadtplan im Kopf gehen wir zu den Rädern. Die Grafik als Leseplan, das Heft als eine urbane Struktur, durch die man lesend spazieren geht, offenen Auges, das wäre wohl eine Auszeichnung für eine Zeitschrift, sei sie yellow oder fachzeitschriftlich.

Am Wohnungsbauprojekt „Viva Agrippinia“ auf dem Zurich Areal. Nach all dem Sprechen eine kurze Pause vor dem Agrippina-Bestand mit Pablo Molestina und Viola Jäck
Foto: Benedikt Kraft

Am Wohnungsbauprojekt „Viva Agrippinia“ auf dem Zurich Areal. Nach all dem Sprechen eine kurze Pause vor dem Agrippina-Bestand mit Pablo Molestina und Viola Jäck
Foto: Benedikt Kraft

Zurich Areal

Wir fahren mit den Rädern gen Norden, am Dom vorbei den Rhein abwärts in Richtung Zurich ­Areal. Hier haben Molestina Architekten u. a. zusammen mit jäck molina architekten eine Blockbebauung für Wohnungsneubau geplant. Das Projekt trägt den verdächtig schönen Titel „Viva Agrippina“, darin stecken der Name des Bauherrn (die Agrippina Versicherung wurde von der Schweizer Zurich zwar vor Jahren gekauft, das Viertel allerdings ist noch immer mit dem alten Namen verbunden) und natürlich eine Ahnung von „Leben“, hier Wohnen, was ja Teil des Lebens ist. Der Rohbau steht kurz vor dem Abschluss, wir treffen uns in der Worringer Straße / Ecke Riehler Straße mit Viola Jäck, Partnerin bei jäck molina architekten. Der Verkehr rauscht, der Bestand an der Riehler Straße ist grauschwarz, von saurer Stadtluft gefärbter Sandstein. Darin eine Niederlassung des Bauherrn, der auf dem ehemaligen Campus – mit Bestandsbauten aus den 1960er-Jahren und später – nach Bestandsabriss nun selbst Wohnungsbau realisiert.

Da drängen sich Fragen auf. Zuerst eine, die durchaus über die kritisierte political correctness ­hinausgeht, was an das gerade Geschriebene anknüpft. Denn: Muss ein Versicherungskonzern heutzutage nicht zuerst an den Bestand denken? Ans Umbauen, Weiterbauen etc.? „Muss er nicht“, so Viola Jäck, und „wir hätten hier zuviele Probleme gehabt. Möglicherweise auch nicht die Fläche, die Raumhöhe … Und – Pablo sagte es gerade – die Frage der Dichte war hier entscheidend.“ An diese Pragmatik schließt sich aus Sicht des Redakteurs zwangsläufig die Frage an, warum denn Architekten bei Projekten dieser Art noch mitmachen? Zeichnet sich ein Büro heute nicht eher dadurch aus, offensiv gegen „Abriss first“ zu argumentieren, für vielleicht kleinere, sparsamere Lösungen, die aber eine deutlich größere, positive Klimarelevanz haben als alle Niedrig­energielösungen? Und nerve es nicht auch – wie schon das Genderthema –, wenn schon wieder jemand, der kein Planungsbüro habe, keinen Mitarbeiterstamm, in fast verantwortungslos leichter Art und Weise vom Verzicht spricht? Und den Neubaustopp fordert und gar Pragmatismus dort feststellt, wo Planerinnenherzblut und durchgearbeitete Wochenenden hinter stecken? „Nein. Ich glaube“, so Pablo Molestina, „wir freuen uns über jede Frage. Naja, fast jede. Aber vielleicht sind wir die falschen Adressaten? Dem Investor kannst du sie wohl auch nicht stellen, er wird dir vorrechnen, dass es nicht anders geht. Die Stadt, die Kommune wäre hier die richtige Adresse. Die Stadtverwaltung, die Stadtplanung, die Stadtentwicklung. Die haben hier allerdings ihre Mittel längst aus der Hand gegeben, Stichwort Bodenmanagement. Trotz aller Bekenntnisse zum grünen Bauen, Stichwort Klimanotstand. Die Stadt entscheidet trotz alledem, den Verkauf von Grundstücken durch das Katasteramt gewinnbringend zu gestalten, anstatt sich an langfristige Ziele zu halten.“ Auf die Frage, ob denn hier die Presse nicht mehr machen könnte: „Vielleicht, aber wohl nur langsam. Steter Tropfen, so etwas in der Art. Die Stadt Wien besitzt etwa 90 % des potenziellen Baulands. Damit kann die Stadt auch Bodenpreispolitik machen. Die wollen kein Cash, die wollen die Qualität der ­Siedlungen nachhaltig sichern. Und so sehen wir in vielen Projekten kleine Schwimmbäder, kommunale Küchen, sehr lokale Kinderhorte, Fahr­rad­re­paraturwerkstätten … Das sind die Tokens, mit denen dort ein Projektentwickler versucht, die Stadt zu überzeugen. In Wien schafft er das.“

„Es gibt viele Leute, die lieber eine skurrile Wohnung an einem dann aber attraktiven Ort nehmen würden.“

„Ganz so schwarz will ich das jetzt für Köln nicht sehen“, so Viola Jäck. „Der BDA wirkt seit Jahren mit entsprechenden Veranstaltungen auf dieses Thema ein, lädt regelmäßig die Vertreter der Stadt dazu. Dennoch gibt es bezogen auf das Plus – wie du es gerade für Wien aufgezählt hast – hier eine Zurückhaltung. Möglicherweise, weil was man noch nie gemacht hat, das traut sich keiner. Investoren haben immer noch Angst davor, Geld zu versenken in einem Gebäude, in dem Probleme auftauchen, die nicht kalkuliert waren. Was übrigens ein Narrativ ist – schönes Wort! –, das bis heute wirkt, aber sich längst von der Realität verabschiedet hat.“

Skurriles Wohnen? 2010, in Köln an der Aachener Straße im „Rucksackhaus. Vom Künstler Stefan Eberstadt, im Rahmen der „plan 2010“
Foto: Benedikt Kraft

Skurriles Wohnen? 2010, in Köln an der Aachener Straße im „Rucksackhaus. Vom Künstler Stefan Eberstadt, im Rahmen der „plan 2010“
Foto: Benedikt Kraft

„Du hast vorhin gesagt, es gäbe einen großen Bedarf an Wohnungen“, so Pablo Molestina. „Ja, aber warum gleich Neubau?! Es gibt viele Leute, die lieber eine skurrile Wohnung an einem dann aber attraktiven Ort nehmen würden. Dafür bekommst du aber keine Finanzierung. Oder es gibt die Richtlinie für sozialen Wohnungsbau, die noch aus vorvergangener Zeit kommt mit Grundrissvorgaben für eine Familie mit Mutter, Vater, Kind, Kind. Die gibt es doch gar nicht mehr! Und: Damit lässt sich kein Bürogebäude beispielsweise umbauen, völlig ausgeschlossen.“ „Es ist wirklich kompliziert“, ergänzt Viola Jäck, „jedenfalls, was die Planung von Wohnraum angeht. Manche gehen davon aus, dass alles schon da sei, man müsse es nur umverteilen. Aber es gibt doch die sig­nifikanten Bewegungen vom Land in die Stadt und jetzt wieder zurück. Wo sollen wir also bauen? In der Stadt finde ich keinen Wohnraum mehr. Zu teuer, zu anonym, zu schnell. Viele ziehen jetzt wieder nach draußen, weil man das Wohnen dort auch bezahlen kann.“

Gefragt danach, ob ich, der ich glücklich auf dem Land lebe, nicht doch auch in eine der hier erstellten Wohnungen ziehen wollte – weil ja Köln meine Lieblingsstadt sei und so weiter –, antworte ich mit „Nein“, selbst dann nicht, wenn die Miete auf Landniveau liegen würde. Farina Kaemmerer würde das ebenfalls nicht sofort und ohne Wenn und Aber wollen. Ihr sind „Neubauprojekte, die gleich ein ganzes Viertel darstellen, am Anfang oft ohne jeden Charakter. In der Stadt leben viele Menschen, die sagen: ‚Ich will hier ano­nym sein.‘ Und wenn dann das Zuhause noch so neu ist und noch nichts Nachbarschaftliches vorhanden … Alle sind sich fremd zu Anfang und es gibt noch nicht den Viertelgeruch. Klar, ich muss mich da auch an meine eigene Nasenspitze fassen, aber das Anfangen in einer solchen Wohnanlage, die Entwicklung eines Charakters kostet viel Energie.“

Auf meine Frage, ob es hier bei „Viva Agrippina“ Gemeinschaftsräume gibt, erläutert Viola Jäck den Anger, eine kleine, begrünte, autofreie Straße, die den Block durchschneidet. In diesen Anger-Raum weisen dann auch die Terrassen und Balkone der anliegenden Bauten, hier soll Nachbarschaftliches produziert werden können. Die Chance ist gegeben, ob sie aber wahrgenommen wird? Vor 70 Jahren hat man sich draußen, auf der Straße, dem Anger getroffen, hier war die Gemeinde als Gemeinschaft lebendig. „Oder im Treppenhaus“, so Viola Jäck, Treppenhäuser gibt es hier eben auch. Oder bei der Tante Emma, die hier „Büdchen“ heißt und wohl nicht die zwei Ladeneinheiten meint, die in der Anlage im Erdgeschoss geplant sind.

Wir sprechen noch über die Verantwortung der Büroinhaber den Angestellten gegenüber, den Alternativen zum scheinbar alternativlosen Planen von Neubauwohneinheiten. Die man, da scheinen wir uns einig, im besten Fall auch mit einer Baugruppe macht, die aber noch anstrengender ist, als nur ein Gegenüber. Doch Baugruppen kommen über Netzwerke und die muss man haben und ihren Aufbau wollen. Ein Problem sieht Farina Kaemmerer auch in der Entscheiderebene der großen Projektentwickler, die immer noch fest in den Händen der älteren Generation ist. Hier würde eben anders entschieden, als sich das diejenigen wünschen, die eine Generation jünger sind, aber auch schon am Planungsgeschäft mitarbeiten.

Das Wefershaus (Arch.: Karl Band) erscheint als ein Kulminationspunkt der deutschen 1950er-Jahre-Baugeschichte
Foto: Benedikt Kraft

Das Wefershaus (Arch.: Karl Band) erscheint als ein Kulminationspunkt der deutschen 1950er-Jahre-Baugeschichte
Foto: Benedikt Kraft

„Lieber eine Lanze brechen für die Wiedereroberung des öffentlichen Raums“

Wir drei sitzen fast schon auf den Rädern, zurück in Richtung Kölner Innenstadt, als ich die drei noch frage, ob es denn in Köln für sie ein Gebäude, ein Gebäudeensemble gibt, an welchem ihr Herz derart hängt, dass ein Verlust (Abriss?) sogar zu lang­anhaltender Traurigkeit führe. Viola Jäcks Favorit kommt sehr schnell, als hätte sie auf diese Frage gewartet: „Klar, das Wefershaus. Ein Entwurf von Karl Band, irgendwann aus den 1950ern.“ „Warum?“ „Schau es dir es. Das Haus ist einfach …“ „Ein Traum?“ „Ja, ein Traum!“ Farina Kaemmerer nennt ein Haus, das ich sehr gut kenne, besser als den Paramente-Laden auf der alten Stadtmauer … was, wir werden hinfahren, ein Fehler ist. Nicht, weil das Kolumba, das die junge Architektin nennt, weniger wäre, vielleicht, weil ich es bedauere, den Band-Entwurf nicht schon längst entdeckt zu haben.

St. Kolumba (Museumsbau von Peter Zumthor), eine ganz andere Architektur als „die kölsche“ und auch deshalb Lieblingsbau in Köln von Farina Kaemmerer
Foto: Benedikt Kraft

St. Kolumba (Museumsbau von Peter Zumthor), eine ganz andere Architektur als „die kölsche“ und auch deshalb Lieblingsbau in Köln von Farina Kaemmerer
Foto: Benedikt Kraft

Das Kolumba gefalle ihr vor allem, weil es nicht dieses ‚typisch Köln‘ präsentiert, weil es das Niveau des Wefer-Hauses habe, aber eben aus dieser Zeit stamme; dann wohl aus ihrer?! Pablo Molestina wollte auch den Band-Bau nennen, „aber Viola war schneller.“ Das „Domforum“ vielleicht … Aber eigentlich möchte er lieber die Lanze brechen für die Wiedereroberung der öffentlichen Räume in Köln. Von schönen, von guten Gebäuden habe Köln aus jeder Epoche eine gute Anzahl, „da gibt es wenig zu tun. Aber was die Stadt und ihre Räume angeht, da ist der Kampf noch nicht zu Ende. Es gibt doch fantastische Plätze in Köln, die noch da sind, die aber für den Menschen erst wieder hergestellt werden müssen.“ Wir fahren gleich am Ebertplatz vorbei, wo wir im Reallabor „Ebertplatz 0?“ als Teil des Zwischennutzungsprojekts „Unser Ebertplatz“ einen „Kampf“ um die Wiedererlangung von öffentlichem Raum anschauen können. Unsere Fahrradroute wurde wohl mit Bedacht gewählt! Und Farina Kaemmerer schließt das Thema Wohnen in der Stadt mit: „Vielleicht ist das Drinnen demnächst auch gar nicht mehr so wichtig, ist die Wohnungsnot in Köln nicht mehr so krass, weil wir wieder Lust haben, uns auch draußen aufzuhalten und nur noch zum Schlafen nach Hause gehen. Dann wird auch die Wohnfläche kleiner, Qualität ist nicht mehr in Normen zu messen, sondern im Wohlbefinden.“ Das erscheint mir ein perfektes Schlusswort für diese Etappe, dann kommt mir aber eine Frage in den Sinn, die ich längst schon allen hatte stellen wollen. Wo wir doch alle so korrekt sein wollen: Dürfen wir Fachzeitschriftenmedien die krassen Bauten mit Ikonen-Anspruch à la Hadid, Libeskind oder Gehry gar nicht mehr zeigen? Sind nur noch Analysen, Rechtsbehelfe und konstruktive Details sowie Material­analysen erlaubt?

„Und deshalb ist diese Art von Architektur immer noch wichtig und sie muss gezeigt werden.“

„Nein“, reagiert fast erschrocken Pablo Molestina mit Nachdruck, „bitte nicht! Ich habe gerade ein Museum von Studio Gang in New York vor Augen [DBZ 09 2023], das ist pure Architektur. Ich weiß, dass die meisten meiner Freunde und Bekannten dahin gehen, weil die Räume großartig und inspirierend sind. Du siehst die Menschen in einem völlig überraschenden Rahmen. Der Raum ist eigentlich wie eine Höhle, vielleicht 20 m hoch, mit spektakulären Tageslichteinfällen. Das macht Spaß, es beflügelt mich. Von einem solchen Projekt aus siehst du deine eigene Arbeit mit anderen Augen und bist vielleicht bereit, 20 % in allem weiterzugehen als vorher. Allein das hat die neue Architektur mit mir gemacht. Und deshalb ist diese Art von Architektur, trotz der Skepsis mancher Redakteure, immer noch wichtig, und sie muss gezeigt werden. Cristal Palace, Eiffelturm … Wie oft wurde schon gezeigt, dass es anders geht, radikaler, schön, gewagter … Nur nicht im kommerziellen und sozialen Wohnungsbau. In Gent, in einer Stadt, die wenig abreißt, wo jede Skurrilität erlaubt ist, wo Charakter überall zu spüren ist, haben die Viertel zumindest, trotz aller Singularität, eine durchgängige Kohärenz. Nein, ihr müsst uns die Ausnahmen zeigen!“ Bevor noch ein Thema aufkommt, verabschieden wir uns von Viola Jäck herzlich und ich mache das Gerät aus.

„Liebe deine Stadt“

Vom Zurich Areal fahren wir in Richtung Oper, dem Sanierungsskandalprojekt Nr. 1 in Köln, mit einigen anderen. Und wie schon gesagt kommen wir am Ebertplatz vorbei, der – wie andere Plätze in der Innenstadt auch – unverstellt anschaulich werden lässt, wie alt die Stadt wohl sein muss: Der Platz liegt auf ca. Ursprungsniveau, ein paar Meter unter dem Straßenniveau ringsum. „Kulturschutt“, wie die Archäologen sagen, hat die neueren Stadtteile Meter um Meter in die Höhe gehoben.

Auf dem Weg vom Zurich Areal zu „Liebe deine Stadt“ vorbei am Reallabor „Ebertplatz 0.?“, Teil des Zwischennutzungsprojekts „Unser Ebertplatz“. Hier wird deutlich, mit welch einfachen Mitteln auf Mängel im öffentlichen Raum hingewiesen werden kann, wie man sie mildert und was langfristig zu tun ist, auch an anderen Orten in der Stadt
Foto: Benedikt Kraft

Auf dem Weg vom Zurich Areal zu „Liebe deine Stadt“ vorbei am Reallabor „Ebertplatz 0.?“, Teil des Zwischennutzungsprojekts „Unser Ebertplatz“. Hier wird deutlich, mit welch einfachen Mitteln auf Mängel im öffentlichen Raum hingewiesen werden kann, wie man sie mildert und was langfristig zu tun ist, auch an anderen Orten in der Stadt
Foto: Benedikt Kraft

Wir steigen kurz von den Rädern und schauen es uns an, die hölzerne Freitreppe, die den dortigen Eigelstein und den Ebertplatz verbindet. Mit dem temporären Bauwerk – sonst ist so etwas nicht zu genehmigen – wollen Studenten und Lehrerinnen der Fakultät für Architektur der TH Köln in Kooperation mit dem Brunnen e. V. und Baukultur NRW e. V. sowie mit Unterstützung des Kulturamts der Stadt Köln – einen Beitrag zur langfristigen Umgestaltung des Platzes leisten. Der wie in den Stadtboden versunkene Ort, um den sonst alle gerne einen Bogen machten, ist mit dieser einfachen Installation nun – auch für vorbeiradelnde Reisende – sichtbarer und ohne eine Unterführung erreichbar. Wer sich auf der Freitreppe, auf den für das Platznehmen vorgesehenen Plateauflächen niederlässt, dem eröffnen sich tatsächlich neue Perspektiven auf den besonderen Stadtraum. Der versprochene Eiswagen war nicht zu sehen, wir fahren weiter.

Und kommen zum Offenbachplatz, an dessen Westkante die Oper aufragt. Der Vorplatz des Musikhauses, das seit Jahren saniert wird und dessen Sanierungskosten mehrfach rasant gestiegen sind, wird auf der Ostseite von der schon genannten Nord-Süd-Fahrt begrenzt; und akustisch dominiert, die vierspurige Straße gehört zu den meist befahrenen. Weiter hinten links über diese Straße hinweggeschaut sieht man das Kolumba von Peter Zumthor. Die Gerüste, die zwecks Fassadenwasserschadensanierung hier lange aufgebaut waren, sind fort, der Zumthor-Ziegel darf wieder herrlich warm im späten Nachmittagslicht leuchten. Schaut man dann auf den Brückenbau, der über der nördlichen Tunneleinfahrt steht, sehen wir das „Liebe deine Stadt“ in leuchtendem Rot, seit einigen Wochen steht es wieder hier, davor hatte es seinen temporären Platz im Zumthor-Bau, dort gab es eine Werkschau des Konzeptkünstlers Merlin Bauer. Der Schriftzug ist Stadtkunst, Kunst? Die Arbeit Merlin Bauers ist nicht nur, aber wohl vor allem als Aufforderung zur aktiven Teilhabe/Teilnahme ein wesentliches Statement für den Diskurs zur Stadt.

Überidentifikation auf psychoanalytischer Ebene denkbar, aber sonst?

Dabei ist die Aufforderung mit imperativem Ton schon durch viele Vermarktungsmühlen gegangen, die bekannteste Variante ist vermutlich die, die Lukas Podolsky 2016 als Song auf den Markt brachte: „Liebe deinen Stadt“ hieß das Stück, mit dem er kurzzeitig in die Spitze der Download-Charts stürmte. Ob der Grazer Merlin Bauer hieraus Tantieme generieren konnte, ist nicht bekannt. Bekannter ist allerdings, dass dieses „Liebe deine Stadt“ ein großes Missverständnis all derer ist, die sich auf das Fan-Sein zurückziehen. Meine Stadt ist schön, ist die schönste und darum liebe ich sie, das wäre nach Merlin Bauer eine „Überidentifikation“, man könnte auch schreiben, eine Übersprungshandlung, also etwas, was nur auf einer psychoanalytisch betrachteten Ebene Sinn ergäbe, nicht auf der diskursiven eines Tom Sieverts zum Beispiel. Liebe deine Stadt meint eben auch, dass man ihr etwas zurückgeben soll. Respekt, der sich beispielsweise in Pflege äußert, Pflege, als Ausdruck von „Ich schaue dich an“. Die Architektur, die ja ein konstituierender Teil der Stadt ist, darf sich, ja muss sich verändern können, weil auch Gesellschaften sich verändern. „Liebe deine Stadt“ heißt dann beispielsweise, Rücklagen bilden, um seinen Besitz zu bewahren. Dass den Städten diese Selbstverständlichkeit abhandengekommen ist, dass wir heute eher einem „administrativen Vandalismus“ (Andreas Rossmann in der FAZ) zuschauen als aktiver, die Geschichte schätzende und die Zukunft anvisierende Stadtplanung, verwundert angesichts des um sich greifenden Neoliberalismus nicht. Auch Städte sollen, müssen vielleicht gar Profit-Center sein, um das, was einmal mit vollen Händen weggeworfen wurde, zurückzugewinnen.

Wir stehen unter dem „Liebe deine Stadt“-Imperativ, der Autoverkehr tost, in einer Seitenstraße liegt ein ruhiges Café. Hier frage ich Pablo Molestina, ob denn die Architekten – wie die Künstler – das Wort nicht noch lauter erheben, es gar auf die Dächer ihrer Häuser schrauben sollten? „Vielleicht nicht in dieser demonstrativen Weise. Aber: Meine Arbeit als Architekt ist immer auch eine Reflektion der Gesellschaft, die wiederum meine Arbeit hervorbringt. Wenn die Gesellschaft bereit ist, Veränderungen anzunehmen, dann mangelt es nicht an Ideen von Architekten. Dann ist die Saat gelegt für eine neue Architektur. Die interessantesten, die radikalsten Beiträge passieren meist in Momenten großer sozialer Umbrüche. Ich denke hier an die Konstruktivistinnen, an die sozialen architektonischen Projekte der 1920er- und 1930er-Jahre.“ Der Café kommt, wir reden noch über dies und das und schauen auf die Opernbaustelle, die, von außen gesehen, seit langem Stillstand signalisiert. Es wird Zeit, weiterzufahren.

Die Domplatte auf der Südseite. ­Roncalli Platz mit Hotelneubau hinter ­historischer Fassade. Rechts der Dom im Anschnitt
Foto: Benedikt Kraft

Die Domplatte auf der Südseite. ­Roncalli Platz mit Hotelneubau hinter ­historischer Fassade. Rechts der Dom im Anschnitt
Foto: Benedikt Kraft

Domplatte, Wefershaus und die katholische Kirche

Von der Oper zurück zum Heiligsten in der Stadt, dem gotischen Dom. Der, so wie er da steht, erst Ende des 19. Jahrhunderts fertiggestellt wurde, nach 632 Jahren Bauzeit. Und der in dem schon genannten Artikel „Neubau Kölns und die geis­tigen Maßstäbe“ von Carl Oskar Jatho keine Rolle spielt. Wie der Rhein keine Rolle spielt oder der Himmel über der Stadt. Die Dauerbaustelle mit überragender Präsenz und Höhenlimitierung innerstädtischer Hochhausambitionen steht länger schon auf einer Platte. Das heißt, dieser Platz ist eigentlich kein Sockel, eher die passgenaue Einfassung des Doms und auch und zuallererst der Deckel von Verkehrswegen und einer Tiefgarage. Wie schon gesagt: In Köln ist man immer unter die Erde gegangen. Die Domplatte wurde 1970 fertiggestellt, seitdem gibt es immer wieder kleinere Veränderungen baulicher Art. Die zugige Betonebene um den Dom galt auch schon mal als beliebtester Platz Deutschlands. Hier ist man umringt von Architektur der frühen Nachkriegszeit, weniges ist noch ein Original der Vorkriegszeit. Von der Domplatte gelangt man zu den Museen, zum Rhein, nach Deutz oder über die Hohe Straße, in die Einkaufsmeile mit ihren Nebenschauplätzen, alles 1950er-Jahre. Was man als Zeichen für den Mut der Wiederaufbauer bezeichnen könnte, die gegen jede Restauration waren, oder für die Mutlosigkeit der Stadtplaner, die erst jetzt, so will es scheinen, Verbindungslinie sehen zwischen wichtigen Bezugsorten. Eine davon die „Via Culturalis“, eine Kulturmeile, die vor etwa 25 Jahren geboren wurde und auf eine Idee von Oswald Mathias Ungers zurückgeht. Und die längst Stadtraum-Dimensionen angenommen hat, theoretisch jedenfalls. Viele der Neubauprojekte sind noch in Planung oder warten darauf, gestartet zu werden.

Via culturalis vs. gemischtes, urbanes Quartier

Nicht ganz so culturalis, aber eben Ausdruck unserer Baukultur, ist das „Laurenz Quartier“, das kister scheithauer gross in direkter Nachbarschaft zum Dom geplant haben und das sich in der ers-ten Realisierungsphase befindet. Über einen Wettbewerb, den die „Gerchgroup Einkaufs-GbR“ auslobte und den das Büro in letzter Runde gewann, sollen auf dem ehemaligen WDR-Gelände, nach teils schon vollzogenem Abriss des Bestands, auf ca. 9 000 m² Grundfläche das sagenumwobene, in jeder Großstadt schon angekündig-te, aber selten so gesehene „gemischte, urbane Quartier“ entstehen. Urban, mitten in der Stadt. Ein Invest, das die Klimaverbesserungsanstrengungen der Stadt sicher nicht leichter macht, den „Schandfleck“ (lokale Presse) im Herzen der Domstadt aber beseitigt. Dass die Gerchgroup ausgerechnet über das Kölner Projekt stolperte und im Herbst dieses Jahres Insolvenz anmelden musste, wirft ein deutliches Bild auf das einmal so lukrative Geschäft mit Immobilien auf städtischen Filetgrundstücken. Was genau hat Köln von dem Projekt? Ach ja, „Köln kann sich über eine gelungene und spannende Symbiose von Städtebau und Stadtvitalisierung freuen!“, so der damalige Juryvorsitzende, Jörg Aldinger der Aldinger Architekten Planungsgesellschaft mbH, Stuttgart.

Spannender scheint eher der Blick zu sein, den wir schweifen lassen von der Platte aus, 1,5 m über dem eigentlichen Domsockel. Unter dem ruht neben der städtischen Infrastruktur auch römische Geschichte, man müsste nur an den Autos vorbei, eine Stahltür öffnen und wäre 2.000 Jahre zurückversetzt. Nein, damals war auch nicht alles besser, aber anders. Massiver vielleicht, haltbarer, anspruchsloser, was Haustechnik und Komfort angeht.

4711-Haus, Müller-Erkelenz und Paul Bonats

An Komfort hatte Fritz Schaller, der Planer der Domplatte, beim uns gegenüberliegenden Domforum wohl auch nicht gedacht, eher an Eleganz und den Überraschungseffekt: den Lichthof über dem Deckenauge des ehemaligen Kassensaals vermutet niemand, der außen von der Nüchternheit der 1950er-Jahre-Fassade geblendet ist, der es aber besser wissen könnten, schaut er auf die Erdgeschossfassade mit ihren Fensterrauten. Auf der Ecke zum Dom hat das im Besitz der katholischen Kirche seiende Gebäude einen kleinen Erscheinungsbalkon. Auf dem wer demnächst erscheint?

„Ich“, so Pablo Molestina, der aber gleich fortfährt, „ich habe da einmal von draußen gesehen, dass oben auf dem Laubengang eine Party gefeiert wurde. Ich war neugierig, aber nicht eingeladen, so bin ich hochgegangen. Veranstalter der Feier war der Katholische Dienst, KD. Ich hatte verstanden ‚Kommunistisches Deutschland‘, auch KD. Da habe ich die ganze Zeit Themen aufgemacht, die mit Kommunismus zu tun hatten. Kam nicht gut, ich bin dann wieder gegangen.“

Hier stehen sie, die Touristen, und knipsen den Dom von der „Burgmauer“ genannten Gasse aus. Rechts, sehr
dezent Bauten von Karl Band
für die katholische Kirche
Foto: Benedikt Kraft

Hier stehen sie, die Touristen, und knipsen den Dom von der „Burgmauer“ genannten Gasse aus. Rechts, sehr
dezent Bauten von Karl Band
für die katholische Kirche
Foto: Benedikt Kraft

Der Kirche gehört hier das Meiste, das sehen wir auch, als wir schon das 4711-Haus verlassen, den Deichmann-Bau. Bonats hat hier gebaut und Müller-Erkelenz, also der Müller aus Erkelenz, wie mir gesagt wird. So wie Schneider-Esleben oder Schneider-Wessling. Wir laufen also die „Burgmauer“ genannte Straße vom Dom weg an Kirchenbauten vorbei. Ein paar Touristen versuchen aus dieser Gasse, die die ehemalige Stadtmauer markiert, den Dom ohne stürzende Linien auf’s Bild zu bekommen. Schlichter Ziegel links und rechts, viele Häuser von Karl Band, den wir gleich am Wefershaus noch sehen. Rechts öffnet sich hinter einer Burgturmform eine kleine Gasse, durch die wir St. Andreas sehen. In der romanischen Kirche, eine der zwölf großen romanischen Kirchen Kölns, liegt in seiner Gruft kein Geringerer als der Universalgelehrte Albertus Mag­nus, mit dessen Forschungen sich zu beschäftigen, mit dessen Wirkung auf die Kirche und Kirchengeschichte man viele Reisen nach Köln füllen kann, Wochen, Monate, Jahre.

Blick aus der „Burgmauer“ genannten Gasse, am „Burgturm“ mit vergitterten Fenstern vorbei in Richtung St. Andreas, wo die Überreste des Albert Magnus‘ in der Krypta ruhen
Foto: Benedikt Kraft

Blick aus der „Burgmauer“ genannten Gasse, am „Burgturm“ mit vergitterten Fenstern vorbei in Richtung St. Andreas, wo die Überreste des Albert Magnus‘ in der Krypta ruhen
Foto: Benedikt Kraft

Der Kardinal wohnt am Priesterseminar und Rudolf Schwarz gleich nebenan

Der Domprobst wohnt hier, in der „Burgmauer“. Viele bauliche Details gibt es zu entdecken, bis wir schließlich vor dem Wefershaus stehen (nach kurzer Inaugenscheinnahme des WDR-Neubaus von Buchner Bründler, Basel über der Tunisstraße. Ziemlich viel Beton! Die Schweizer halt!). Hier, am Wefershaus scheinen die 1950er-Jahre auf das Dichteste gedrängt zusammen, Rasterung der Fassade (hier im Wechsel von Ziegel zu Beton), Filigranität der Details, Rundungen und feine Linien, Proportionen im dynamischen Gleichgewicht … Ja, die Wahl Viola Jäcks ist nachvollziehbar. Wir schauen ins Innere, schauen auf die ausgestellten Paramente, die festlichen Kleider für jeden liturgischen Anlass. Geht hier kunstvolles Handwerk in eins? Kann das heute noch so gelingen? Fehlt uns das Handwerkliche nicht dringend, da, wo es Objekte des Gebrauchs anfertigt, da, wo Raum geschaffen wird für die Anfertigung?

Geschäfts- und Verwaltungsbau Frank & Lehmann, 1914, von Peter Behrens im Kattebug
Foto: Benedikt Kraft

Geschäfts- und Verwaltungsbau Frank & Lehmann, 1914, von Peter Behrens im Kattebug
Foto: Benedikt Kraft

Wir gehen noch schnell durch den Kattebug, am Behrens vorbei zur Gereonstraße. Hier ist das His-torische Archiv des Erzbistums Köln, u. a. mit Nachlässen von Rudolf Schwarz und Fritz Schaller. Das Priesterseminar findet sich ebenfalls da, ebenfalls an diesem Ort die Wohnung des Kardinals. Hineingegangen sind wir nicht, die Zeit drängte. Gleich sollte doch Inken und Hinrich Baller der Große BDA Preis für ihr Lebenswerk überreicht werden, im Museum für Angewandte Kunst, natürlich 1950er-Jahre, ein Haus von Rudolf Schwarz mit Josef Bernard, sensibel bearbeitet von Walter von Lom.

Historisches Archiv mit Priesterseminar dahinter (Arch.: Hans Schumacher und Willy Weyres)
Foto: Benedikt Kraft

Historisches Archiv mit Priesterseminar dahinter (Arch.: Hans Schumacher und Willy Weyres)
Foto: Benedikt Kraft

Und während die einen noch vor dem Abend-event „in kölscher Manier“ noch ein ebensolches trinken wollen, haben die anderen genug Architektur für heute gehabt. Wir sind in gemischter Stimmung aber doch gutgelaunt von der erlebten „urbanen Gehobenheit“, von der vor bald 70 Jahren ein Autor in der DBZ ahnte, dass es schwer wird, diese nach den Bombardements der Kriegsjahre für Köln und sicher jede andere Stadt in Europa wieder zu erlangen. Der Spaziergang durch die sehr segmentierte Baugeschichte hat aber nicht nur mir gezeigt, dass das Bauen, das in der Stadt Weiter- und Neubauen Gehobenheit erzeugt, wenn man die Geschichte und Geschichten hinter allem diesen mitgeliefert bekommt, von Engagierten, Kennern und Zweiflern, die erzählen können und wollen. So, wie man es in dieser Zeitschrift seit eben 70 Jahren macht.

Benedikt Kraft/DBZ

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