BIM - Ein problematischer Trendbegriff
In den letzten Jahren hat das Thema Building Information Modeling (BIM) in der Bauwirtschaft zunehmend an Bedeutung gewonnen. In den USA, in Asien und im europäischen Ausland wird die BIM-Methode bereits seit längerem intensiv praktiziert. Sie gewinnt auch hier zunehmend an Bedeutung, aber die deutsche Baubranche hinkt momentan noch hinterher. Warum ist das so? Und was sind eigentlich die Vorteile, die die BIM-Methode mit sich bringt?
BIM?
Die Frage könnte zu einem tagesfüllenden Referat werden. Das Akronym BIM ist zu einem problematischen Trendbegriff geworden. Wir stellen allerdings fest, dass es (fast) so viele Erklärungen für BIM gibt wie echte oder selbsternannte Experten dafür. Die Verwirrung wird noch vergrößert, da das Akronym sowohl für das eigentliche virtuelle Bauwerksmodell als auch für die Methode selbst verwendet wird.
Eine „offizielle“ Definition in Deutschland wurde erstmalig mit dem vom Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur (BMVI) vorgelegten „Stufenplan Digitales Planen und Bauen“ (Einführung moderner, IT-gestützter Prozesse und Technologien bei Planung, Bau und Betrieb von Bauwerken) gegeben (BMVI, 2015):
„Building Information Modeling bezeichnet eine kooperative Arbeitsmethodik, mit der auf der Grundlage digitaler Modelle eines Bauwerks die für seinen Lebenszyklus relevanten Informationen und Daten konsistent erfasst, verwaltet und in einer transparenten Kommunikation zwischen den Beteiligten ausgetauscht oder für die weitere Bearbeitung übergeben werden.“
Die Definition mutet zunächst recht einfach, pragmatisch und sehr technisch an. Wenn man sich die Implikationen der Definition allerdings näher anschaut, wird schnell ein recht großes Komplikationspotential erkennbar.
Zunächst fällt auf, dass der Begriff „Building Information Modeling“ deutlich zu kurz greift. Der Begriff „Building“ schließt im Grunde den weitaus größeren Teil der Bauwerke, die der Infrastruktur, aus. Diese gehören aber ebenso zur gebauten Umwelt und werden mit den gleichen oder sehr ähnlichen Methoden und Werkzeugen geplant, gebaut und betrieben.
Für alle Akteure, die das Thema tiefer durchdrungen haben, ist der wichtigste Teil des Akronyms das „I“ für Information. Denn darum geht es im Grunde! Der anschaulichste Teil ist das „M“ für Modeling. Es wäre wohl besser von „Building Information Management“ oder vielleicht auch von „Construction Information Management“ zu sprechen. Der Begriff „Management“ schließt die Planung, die Organisation, die Beschaffung und die Kontrolle von Informationen über das Bauwerk ein und ist somit eher geeignet, den Prozess des Planens, Bauens und Betreibens eines Bauwerkes zu beschreiben. Allerdings ist dieser Begriff weder eingeführt noch sonderlich griffig. Wir werden also bei „Building Information Modeling“ für BIM bleiben müssen.
Kooperation | Kulturwandel
Ein weiterer Hinweis auf ein großes Komplikationspotential ist die Forderung, Informationen und Daten für die Zusammenarbeit über den gesamten Lebenszyklus des Bauwerks zu erarbeiten, zur Verfügung zu stellen und miteinander zu teilen. Eine reibungslose, partnerschaftliche und offene Zusammenarbeit zwischen Architekten, Ingenieuren, den Bauunternehmen und dem Auftraggeber und der offene, reibungslose Austausch von Informationen ist keineswegs der Normalfall beim Bauen und schon gar nicht der komplexer digitaler Informationen. Die Forderung, diese umfangreichen, digitalen Informationen zur Verfügung zu stellen und miteinander zu teilen, ist ein Kulturwandel. Bisher tauschen wir Informationen nur recht zögerlich und möglichst „kopiergeschützt“ auf Papier oder digital mit PDF-Dokumenten aus.
In vielen Unternehmen werden bereits Planungsobjekte mit hoher Qualität modelliert und mit guten Informationen ausgestattet. Nur: Wenn diese Planung mit anderen an der Planung und am Bauen Beteiligten „geteilt“ werden soll, werden systematisch Daten und damit bereits vorhandene Werte vernichtet. Übergabeformate für komplexe Daten an andere Beteiligte, welche in der Regel auch andere Softwarewerkzeuge verwenden, sind im Normalfall der kleinste gemeinsame Nenner und transportieren nur einen Bruchteil der vorhandenen Informationen. Die Erstellung von Bauwerksdatenmodellen mit einer Fülle von Informationen, die nicht nur die Anforderungen der eigenen Organisation erfüllen sollen, sondern auch die anderer Beteiligter, ist eine neue verantwortungsvolle Aufgabe, die einen höheren Aufwand erfordert als bisherige Lösungen. Im Gesamtprojekt werden mit durchgängigen Methoden des Informationsmanagements nach bisherigen Erfahrungen deutliche Effizienzsteigerungen erzielt. Wenn aber der wirtschaftliche Vorteil nicht unbedingt dort entsteht, wo ein höherer Aufwand erforderlich wird, bedeutet das auch eine Neuorganisation der Zusammen-arbeitsmodelle und Vergütungssysteme.
BIM ist eine Kategorie von Lean (Management)
Die Nutzung moderner Informations- und Kommunikationstechniken kann mittels einer umfassenden, konsistenten Datenbasis für alle Baubeteiligten gleichzeitige und einheitliche Verfügbarkeit aller aktuellen und relevanten Daten ermöglichen und damit eine große Prozesstransparenz sicherstellen. Die Methode ermöglicht und formt den Informationsaustausch in digitalen und konsistenten Prozessketten. Die Information steht fach- und disziplinübergreifend zur Verfügung.
BIM hat somit das Potential, entscheidend zur Kosten- und Terminsicherheit beizutragen, die Planungs- und Ausführungsqualität zu verbessern sowie die Fehlerreduzierung zu gewährleisten und umfassende Lebenszyklusbetrachtungen zu ermöglichen.
Ein Beispiel: Das koordinierte, interdisziplinäre, virtuelle Bauwerksmodell enthält, wenn sorgfältig vorbereitet, alle Informationen des geforderten Planungsstandes. Koordinationsbesprechungen finden anhand eines für alle Beteiligten gleichzeitig sichtbaren räumlichen Modells mit Detailinformationen statt, ohne dass die Informationen aus einer Reihe von unterschiedlichen Dokumenten in Geheimsprachen (Zeichnungsnormen) „zusammengedacht“ werden müssen. Genau hier liegt der Unterschied zu einer traditionellen Planungsbesprechung: Alle sehen das Gleiche. Die daraus resultierenden Vorteile sind enorm: Die Darstellung ist vollständig und konsistent. Kollisionsprobleme werden erkannt, lange bevor die Baustelle beginnt. Selbst ungeschulte Beteiligte oder die späteren Nutzer verstehen die Modelle.
Die konsistente Datenbasis ermöglicht (wenn die entsprechenden Informationen an dem Ursprungsort eingetragen wurden) beliebige Auswertungen. Das Führen von Informationen an anderen Stellen, in anderen Tabellen und Dokumenten wird minimiert bzw. fällt im Idealfall ganz weg. Die mühsame Aufbereitung von Informationen in anderen Medien, die dann in der Regel mit denen in dem zentralen CAD-Projekt nicht vollständig übereinstimmen, entfällt. Das routinierte Team hat damit weitgehend überflüssige Fleißarbeiten eliminiert, die Arbeit auf die eigentlich wertschöpfenden Prozesse reduziert. Ein professioneller BIM-Implementierungsplan sowie ein sorgfältiges BIM-Management sorgen dafür, dass der fachliche Input vollständig, zur richtigen Zeit, im richtigen Umfang und mit hoher Qualität eingebracht wird. Dies sind wesentliche Kriterien des „Lean-Prinzips“ (Lean Management, Lean Production etc.):
- Verschwendung vermeiden
- auf die Wertschöpfung reduzieren
- überflüssige Tätigkeiten weglassen
- Prozessorientierung (Input zur richtigen Zeit im richtigen Umfang einbringen; Just in Time)
planen-bauen 4.0 | Initiative aus der Mitte der Bauwirtschaft
Die Aktivierung unterschiedlicher Akteure (Bauherren, Planer, Bauhaupt- und Ausbaugewerbe, Zulieferer, Baustoffhersteller, unterstützende Dienstleister und Institutionen) bedarf in der vergleichsweise fragmentierten Wertschöpfungskette Bau eines Impulses, den im Grunde nur der Staat und mit ihm die öffentliche Hand als größter Auftraggeber setzen kann. Das Thema war am 15.05.2014 Gegenstand in der 3. Sitzung der Reformkommission. Ähnlich wie derzeit bei der Initiative Industrie 4.0 wurden durch die Reformkommission Großprojekte im BMVI die Gründung eines nationalen Kompetenzzentrums, der Aufbau einer Wissensplattform und die Erarbeitung einer integrierten Forschungsagenda empfohlen (BMVI, 2015).
Die Bundesregierung wurde gebeten, diese Plattform sowohl im Rahmen einer Innovationsinitiative als auch in den relevanten Forschungsinitiativen zu unterstützen und damit auch Signale für eine breite Anwendung von transparenten, digitalen Prozessen in der öffentlichen Vergabe zu setzen. Der Vorschlag wurde von den zentralen Berufsverbänden der deutschen Bauwirtschaft aufgegriffen und wird vom Ministerium unterstützt. Hieraus ist zunächst eine Initiative aus der Mitte der Bauwirtschaft heraus entstanden. Die öffentliche Hand beteiligt sich bisher leider noch nicht. Die „planen-bauen 4.0 – Gesellschaft zur Digitalisierung des Planens, Bauens und Betreibens mbH“ wurde von 14 Berufsverbänden der deutschen Bauwirtschaft am 20.02.2015 gegründet (pb40, 2015). Dieser Schritt ist aufsehenerregend und his-torisch einmalig, denn hier finden sich Verbände der gesamten Wertschöpfungskette der Bauwirtschaft in einer Gesellschaft wieder mit dem Ziel, die Digitalisierung der Bauwirtschaft gemeinsam zu betreiben.
Kompetenzsteigerung ist eine Investition!
Um die anstehenden Aufgaben zur Ausschöpfung der Effizienzpotentiale in den Büros und Unternehmen zu beschreiben, wäre es geeigneter, nicht mehr von BIM, sondern von der „Digitalisierung der Wertschöpfungskette Bau“ zu sprechen. Der wesentliche Schritt in diese neue Arbeitsweise besteht darin, sich klar zu machen, worum es geht. Es geht um die möglichst fehlerfreie, konsis-tente Sammlung von Informationen zu einem Bauwerk in einer Quelle (Datenbank), die in der Regel mit dem Modell gleichgesetzt wird. Das passiert zunächst in der eigenen Organisation. Um jedoch diese Informationen mit anderen Beteiligten im Planungs-, Bau- und Facility Management Prozess möglichst verlustfrei und reibungslos teilen zu können, müssen wir zunächst unsere Denkweise und unsere Sprache überprüfen. Bspw. müssen wir uns klar machen, dass unser zentrales Produkt nicht mehr ein Dokument ist, sondern dass diese Informationen digitale Ableitungen, d. h. Auswertungen, aus der gleichen Quelle sein müssen. Nur wenn die im Prozess benötigten Informationen aus der gleichen Quelle kommen, ist Konsistenz gegeben. Wir zeichnen also nicht mehr, sondern wir modellieren und kumulieren Informationen und werten diese aus. Daraus entstehen die Dokumente, die wir als Menschen benötigen, um die komplexen Informationen lesen zu können. Der Computer braucht das nicht, er kann viel besser mit strukturierten, komplexen Datensätzen in einer Datenbank umgehen. Diese Denkweise ist zunächst ein Paradigmenwechsel, der mit Technologie noch gar nichts zu tun hat. Aus diesem Ansatz, kombiniert mit der Aufgabe, die Informationen mit Vielen zu teilen, erwächst eine ganze Reihe von Veränderungserfordernissen an lange eingeübte Gewohnheiten und Regelwerke. Meines Erachtens ist die wesentliche erforderliche Kompetenz für die Geschäftsleitung der Unternehmen das Erkennen und Umsetzen dieses Paradigmenwechsels und seiner Konsequenzen. Die erforderliche Technologie einzusetzen und zu beherrschen, ist ein zwar notwendiger Schritt, der aber in der Regel überschätzt wird.
Man muss sich darüber im Klaren sein, dass der wesentliche Schritt ein mentaler ist! Die neue Methode einzusetzen, geschieht insbesondere im Hinblick auf die Erreichung einer besseren Wirtschaftlichkeit der eigenen Organisation im Verbund mit den anderen Akteuren. Wer die Steigerung der eigenen Wirtschaftlichkeit nicht erkennt, sollte sich nicht weiter damit befassen. Allerdings ist es erforderlich, sich zur Erreichung dieses Ziels neue Kompetenzen, d. h. ein Verständnis für die Methode, die Abhängigkeiten zu eigenen und fremden Informationsprozessen zu erreichen und sich natürlich mit den erforderlichen Ressourcen, sprich Software, Hardware und Mitarbeiter-Know-how, zu befassen sowie in diese zu investieren. Dabei kann nicht oft genug betont werden, dass jeder Erwerb und jede Steigerung von Kompetenz immer auch eine Investition ist mit dem Ziel, die eigene Position zu stärken und zukünftig besser, wirtschaftlicher arbeiten zu können. Dauerhaft höheren Aufwand und höhere Kosten zu erzeugen, wäre tatsächlich Unsinn. Kaum jemand käme auch auf die Idee, die Investitionen in eine Büroausstattung oder die Ausbildung von Mitarbeitern auf ein einziges oder wenige Projekte umlegen zu wollen. Insofern muss hier von einer strategischen Investition gesprochen werden.
Der Aufwand wird nicht größer!
Ich höre oft, dass dieser „Mehraufwand“ vom Kunden vergütet werden muss. Hier stellt sich die Frage, von welchem Mehraufwand die Rede ist. Wie gesagt, es entsteht kein kontinuierlicher Mehraufwand, zumindest nicht in der Summe der im Lebenszyklus einer Immobilie erforderlichen Aufwände. Alles andere wäre Unfug. Allerdings ist die Erstellung von Bauwerksdatenmodellen mit einer Informationsfülle, die nicht nur die Anforderungen der eigenen Organisation erfüllen, sondern auch die anderer Beteiligter, eine neue verantwortungsvolle Aufgabe, die einen höheren Aufwand erfordert als bisher. Im Gesamtprojekt werden mit durchgängigen Methoden des Informationsmanagements nach bisherigen Erfahrungen jedoch deutliche Effizienzsteigerungen erzielt. Wenn also der wirtschaftliche Vorteil nicht unbedingt dort entsteht, wo ein höherer Aufwand erforderlich wird, bedeutet das eine Neuorganisation der Zusammenarbeitsmodelle und Vergütungssysteme. Zu diesem Thema habe ich in einem Gutachten Stellung genommen (Liebich/
Schweer/Wernik, 2011). Es kann also sein, dass der Kunde in dem einen oder anderen Vertragsverhältnis höhere Kosten in Kauf nehmen muss. Dies wird jedoch mit der Minderung an anderen Stellen zumindest kompensiert. Da es aber für diese Modelle noch keine verbindlichen und routinierten Strukturen gibt, werden wir die Praxis nur mit Teams erproben können, die bereit sind, neue Strukturen kooperativ miteinander zu entwickeln. Für den Endkunden bedeutet das, er erhält einen Mehrwert (dessen tatsächlicher Wert zurzeit noch immens unterschätzt wird), ohne dafür mittelfristig höhere Kosten aufwenden zu müssen. Allerdings ist er ebenfalls aufgefordert, kooperativ in dem Team mitzuarbeiten.
Fazit
Wir haben es bei BIM in großem Umfang mit einem anstehenden Kulturwandel der Bauwirtschaft zu tun, hinter dem die technologischen Aspekte bereits weit zurücktreten. Die Technik funktioniert bereits sehr gut. Der mentale Wandel steht noch an.