Château Royale, Berlin
Willkommen im Berliner Stadtschlösschen: Das Château Royal schließt eine der letzten verbliebenen Nachwendebauaufgaben in Mitte ab
Foto: Felix Brüggemann
Im Nachwende-Berlin gab es so einen Ort im Bezirk Mitte noch in fast jeder Straße: Am Eckgebäude fehlt der Stuck und der Nachbar steht leer, weil sein Grundriss für ein Gewerbe entworfen wurde, das in diesem Teil der Stadt schon lange keinen goldenen Boden mehr hat. Auf der Brache daneben stand hingegen einmal ein Haus, dessen Fundamenten – aufgrund des langen Leerstands – die Bautätigkeiten in seinem Umfeld nicht gut bekommen sind.
2023 ist Mitte inzwischen durchsaniert: Selbst auf dem Gelände der ehemaligen Kreativruine „Tacheles“, das mit Künstlerstudios, Clubs, Kino und Bars eine der bekanntesten Spielwiesen der kreativen Hauptstadt war, erhebt sich seit kurzem ein generisches Stadtquartier für eine zahlungskräftige Klientel.
Frühere Autowerkstatt: Das zum Hotel gehörige Restaurant Dóttir hat seine Heimat im EG des Teilgebäudes von 1908 gefunden
Foto: Felix Brüggemann
Berliner Zeitenschichten
Das Gefühl, dass die Filetstücke im Bezirk Mitte bereits verteilt sind, herrschte allerdings bereits im Jahr 2014 vor, als der Startschuss für das Château Royal fiel.Auf der Rückseite des Boulevards Unter den Linden fand der Investor dennoch eine jener Ecken, die mit entstuckter Gründerzeit-Schönheit, Autoschlosserei von 1908 und Brache die alte Mitte und ihre Möglichkeiten verkörperte. „Für uns war sofort klar, dass wir so viel Substanz wie möglich erhalten möchten, da es schon damals kaum noch solche Orte im Bezirk gab, an denen man das ursprüngliche Berlin bewahren konnte“, erzählt Frithjof Kahl von Chipperfield Architekten, die mit der denkmalgerechten Sanierung und den Ergänzungsbauten betraut waren. „Deshalb war es für uns ein großes Glück, dass sich der Bauherr und die späteren Mieter darin einig waren, mit der Substanz umzugehen und den eklektizistischen Charme der verschiedenen Zeitenschichten zu etwas Neuem, Eigenständigem und doch sehr Ortstypischem zu verbinden.“
Eine Herausforderung, da es sich hierbei nicht um Loftbüros handeln sollte, für die man einfach alle nichttragenden Wände herausreißt, oder um die üblichen Luxuswohnungen, bei denen die Kosten für den Umbau kaum eine Rolle spielen; sondern um ein Hotel, das für gewöhnlich klare Grundrisse, eine effiziente Infrastruktur und minimierte Verkehrswege benötigt, um wirtschaftlich arbeiten zu können. Chipperfield Architekten fanden eine Klammer, die sowohl dem Bestand, als auch den Wünschen des Bauherren und den späteren Mieterinnen gerecht wurde.
Modulbauweise: Garderobe, Nassraum und WC finden in einem Raummodul aus Eichenholz Platz, das auf die individuellen Maße der Zimmer und Suiten angepasst wurde
Foto: Felix Brüggemann
Hierfür erhielt der Gründerzeitbau seine schöne Stuckfassade zurück: „Dabei verließen wir uns vor allem auf historische Fotos“, sagt Architekt Frithjof Kahl. Das sei kein einfacher Prozess gewesen, da die Denkmalschutzbehörde – wohl auch aufgrund von schlechten Erfahrungen in der Vergangenheit im Bezirk – die Zügel recht stramm gezogen habe. „Allerdings hat unser Büro viel Erfahrung auf diesem Gebiet, sodass unsere Lösungsvorschläge durchaus gehört wurden. Zum Beispiel konnten wir anhand einer historischen Luftaufnahme ein unscharfes Turmzimmer erkennen, dass wir auf Wunsch des Bauherrn und in Absprache mit dem Denkmalschutz wieder rekonstruieren konnten.“
Nostalgischer Charme: Die modernen Fliesen erinnern in Farbgebung und Haptik an die Gestaltung in den 1920er-Jahren
Foto: Felix Brüggemann
Traufhöhe und Staffelgeschoss
Bei der Traufhöhe, ohnehin eins der ewigen Streitthemen in Berlin, ließ sich die Denkmalschutzbehörde hingegen nicht erweichen: Der Gründerzeitbau sollte sein Schrägdach mit damit verbundener, klar ablesbarer Traufhöhe behalten. Das Werkstattgebäude und der Neubau durften nur mit Staffelgeschossen über zwei Etagen aufgestockt werden. Immerhin bot diese Lösung mehr Raum für Gästezimmer in den Obergeschossen, was den Planerinnen wiederum mehr Spielraum für großzügige Lösungen der Empfangs-, Besprechungs- und Gasträume im Erdgeschoss verschaffte. Von der Lobby im Eckgebäude geht es linkerhand in die Bar, die fließend in den Restaurantbereich im Werkstattgebäude übergeht. Dieser wiederum mündet in einer offenen Küche, deren Fliesen und übergroßen Atelierfenster noch an die frühere Nutzung als Autowerkstatt erinnern. Einen typischen, schmalen Innenhof überglasten die Architektinnen zu einem Wintergarten, ein anderer dient als Außenbereich für das Restaurant. Von diesem erreicht man auch das Vorderhaus, dessen Eingangstüren sich zur Prachtmeile unter der Linden öffnen. Das Vorderhaus hatte der Bauherr allerdings für die Büronutzung vorgesehen, es gehört zwar zum Umbauprojekt, nicht aber zum Hotel. Vor allem in diesem Hof, aber auch im Restaurant und in den Treppenhäusern zeigt sich die historische Substanz mit behutsam gepflegter Patina, die nostalgischen Lokalkolorit mit eleganter Modernität verbindet. Als Bindeglied und Ergänzung dazu schufen Chipperfield Architekten einen schlichten, klar strukturierten Neubau, der deutlich die Handschrift des Büros trägt, sich sonst aber eher dezent in das Ensemble fügt. Ohnehin erleben die meisten Gäste ein Hotel ja meist von innen, und dort wird die historische Substanz durch eine Ausstattung komplettiert, die Anknüpfungspunkte an die glamourösen 1920er-Jahre der Hauptstadt schafft, ohne diese zu musealisieren: „Unser Ziel war es, Einheimischen wie Gästen einen Ort zu bieten, der Ihnen das Gefühl gibt, in Berlin zu sein – ohne dass sie dafür vor die Tür treten müssen“, sagt Innenarchitektin Irina Kromayer. Sie hatte die Aufgabe, die Vision der Inhaber umzusetzen, einen charakteristischen Ort inmitten einer Hotellandschaft zu schaffen, die einen gefälligen, internationalen Stil bevorzugt. Ihre Verbündeten dabei: Materialien und Farben aus der Zeit, als Berlin noch eines der Epizentren der Moderne war, die Zeitspanne zwischen Fin de Siècle und Erstem Weltkrieg, in dem auch die beiden historischen Gebäude entstanden: Jungendstil und Bauhaus, Gründerzeit und Moderne – dieser ganz spezielle Mix aus Kunst, Literatur, Design und Fortschrittsglaube, der einst den Ruf der Hauptstadt begründet hat, spiegelt sich im Chateâu Royal in den lasierten Jugendstilfliesen und den Chrome-Armaturen der Bäder, der Zinnoberfläche der Bar und im vielfarbigen Drahtglas-Baldachin des Weinzimmers. Statt von der Stange zu wählen, schuf Kromayer gemeinsam mit Handwerkern Einzelstücke, die sich schon in der Machart der seriellen Ödnis großer Hotelketten verweigern.
Kunst an der Wand: Für jedes der rund 100 Zimmer stand eine Künstlerin oder ein Künstler Pate
Foto: Felix Brüggemann
Kunst auf Fluren und Zimmern
„Die Kunst ist ein weiterer wichtiger Bestandteil des Gestaltungskonzepts“, sagt Irina Kromayer. „Bereits sehr früh haben die Betreiber rund hundert ausgewählte Künstlerinnen und Künstler dazu eingeladen, Werke für die Gästezimmer, das Restaurant und die Bar zu schaffen.“ Gemälde, Fresken, Assemblagen und Lichtinstallationen zahlen auf das kreative Image der Stadt ein. Auf den Fluren wird sie in Schaukästen in Szene gesetzt, über Türen zu den Zimmer und Suiten stehen die Namen der Kunstschaffenden, die sich dort verewigt haben. Mit jedem Schritt, mit dem man das Hotel erkundet, gibt es etwas zu entdecken und zu schauen.
Transitzone: Von der Lobby gelangen die Gäste in den Barbereich, der gleichzeitig auch den Übergang zu dem Restaurant schafft
Foto: Felix Brüggemann
Damit das Ensemble nicht nur gestalterisch harmoniert, sondern auch funktional die Bedürfnisse der Gäste befriedigt, hat Irina Kromayer eine Art semi-modulare Nassraumzelle aus edlem Eichenpaneel entworfen, die auf der Zimmerseite Regale und Schränke, innen Privatheit und großzügige Eleganz bieten. „Bei 26 verschiedenen Grundrissen und rund 100 Zimmern hält sich die Serialität allerdings in Grenzen. Gemeinsam mit einem Tischlermeister haben wir fast alle Elemente individuell auf die jeweilige Situation angepasst“, sagt Irina Kromayer. Grundsätzlich fungiert es immer als Garderobe, Raum für ein getrenntes Bad und WC sowie als Stauraum. Ein Fenster mit opakem Kathedralglas lässt natürliches Licht in das Bad, aber keine Blicke. Auch diese Lösung orientiert sich in Material und Optik an der Vergangenheit. Ein antiker Schrank hier, eine Bauhaus-Replik da ergänzen die Grundausstattung aus Bett und Sesseln, die sich in allen Zimmern ähneln. Vor allem aber die imposanten Deckenhöhen im Altbau sowie die – trotz der modularen Ergänzung immer noch – großzügigen Grundrisse, erinnern gerade Berlinerinnen und Berliner an die traditionellen Kieze in Schöne-, Kreuz- und Prenzlauer Berg. Is‘ dit nu Berlin? Naja, die Einheimischen wissen: Berlin ist nicht, Berlin wird. Und dazu haben eben internationale Gäste, die sich hier zuhause fühlen, immer schon ihren Teil beigetragen.
Projektdaten
Objekt: Château Royale
Standort: Mittelstraße 41-44, 10117 Berlin
Typologie: Hotel
Architekt: David Chipperfield Architects, www.davidchipperfield.com
Partner: David Chipperfield, Martin Reichert, Alexander Schwarz
Projektleitung: Ulrike Eberhard, Niklas Veelken, Frithjof Kahl
Projektteam: Dirk Gschwind, Kristin Karig, Cyril Kriwan, Dalia Liksaite, Franziska Michalsky, Sandra Morar, Elsa Pandozi, Christoph Piaskowski, Ken Polster, Lydia Ramakers, Antje Maxi Reschke, Lion Schreiber, Alvaro Gonzalez Zanetich
Innenarchitektur: Irina Kromayer
Bauherr: Müller-Spreer & Co. Unter den Linden 40 KG, Hamburg
Nutzer: Château Royal
Eröffnung: 2022
Zimmer: ca. 93
Preis pro Übernachtung: im Mittel 296 €
Fachplaner
Bauleitung: Klaus Starke Architekt, Berlin
Tragwerksplanung: Rüdiger Jockwer GmbH, Berlin
TGA Planung: Ingenieurbüro für Energie- und Haustechnik Andreas Duba GmbH, Tröbnitz
Bauphysik, Akustik: Müller-BBM GmbH, Planegg/München,
www.muellerbbm.de
Brandschutz: BBIG Berliner Brandschutz Ingenieurgesellschaft mbH, www.berlinerbrandschutz.de
Stuckarbeiten Fassade: Sebastian Rost, www.sebastian-rost.de
Ausführungsplanung, Kostenplanung: Braun und Braun, Berlin,
www.braunundbraun.com