Demut ist eine kreative HaltungEin Gespräch mit Alexander Schwarz, Berlin
Die Neue Nationalgalerie in Berlin, eine Ikone der Moderne aus dem Büro Mies van der Rohes, wird Ende dieses Jahres für ihre Grundinstandsetzung geschlossen. Bis dahin haben David Chipperfield Architects Berlin mit „Sticks and Stones“ eine wie sie sagen „Intervention“ realisiert, die das Grundlegende des Museumsbau offenbaren soll und zugleich einen anderen, vielleicht ganz neuen Blick auf den Bau möglich macht. Darüber wie auch über Demut sprachen wir mit dem Partner und Design Director bei David Chipperfield Architects Berlin, Alexander Schwarz.
Alexander Schwarz, ist die Neue Nationalgalerie nicht am schönsten, wenn der obere Raum leer ist?
Die Architektur ist natürlich am reinsten, wenn man die leere Halle sieht. Erstaunlicherweise aber wirkt die Halle fast immer leer.
Kunst im Untergeschoss, purer Raumluxus oben drüber?
Der Glasraum, in dem wir stehen, ist für eine kuratorische Nutzung sicherlich problematisch. Andererseits kann man auch sagen, dass Mies hier einen Raum für die Kunstpräsentation geschaffen hat, der in die Zukunft verweist. Mies spricht von einer Art Bühne, auf der Kunst „aufgeführt“ wird. Wir haben hier keine Wände, an denen Bilder hängen, sondern eine ganz andere Form der Präsentation. Die erste Ausstellung, die das vielleicht als erste erfüllt hat, war Panamarenko [„Luftschiff“ von Panamarenko, 1978; Be. K.] mit diesen großen Objekten, die einfach in der Halle schwebten, standen etc. Es ist tatsächlich ein problematischer Ausstellungsraum, aber trotzdem ganz große Architektur, die wohl nur über Architektur spricht. Sie verweist aber nicht auf eine Bedeutung. Als Architekturrezipient muss man diese Halle mit einem Glücksgefühl wahrnehmen.
Nun arbeitet das Büro David Chipperfield Architects durchaus mit Bedeutung, etwa in der Fortschreibung von Geschichte. Wie packen Sie diese reine Architektur im Rahmen der Sanierung dann an?
Die Grundinstandsetzung der Neuen Nationalgalerie ist eine Aufgabe, die ein gewisses Maß an Demut fordert. Es geht ja darum, eine ganze Menge so zu machen, dass man am Ende davon nichts sieht. Wir müssen ja nicht nur das Erscheinungsbild der Neuen Nationalgalerie erhalten, sondern es geht auch schlicht darum, das Materielle der Architektur zu reparieren.
Es gibt Restaurierungen von Ikonen der Moderne, die dazu führen, dass man hinterher ein neues Gebäude hat, vielleicht auch nur das Abbild des Gebäudes aus der Zeit als es neu war. Aber es wurde materiell komplett ersetzt.
Nennen Sie mir ein Beispiel?
Hm ...
Wollen Sie jetzt keine Kollegen nennen?
Keineswegs. Es finden sich hier viele Beispiele, auch bei Häusern von Mies van der Rohe. Das beginnt schon bei der Optimierung der Fens-terprofile, wie das vom Gesetzgeber eigentlich verlangt wird, wo schnell die Geometrien nicht mehr funktionieren.
Hier werden also die Profile gestrichen. Auch thermisch optimiert?
Nein. Das Ziel ist, dass wir die Substanz erhalten können. Wir müssen vielleicht damit leben, was das Gebäude kann und was nicht.
Da klingt Demut an. Wie sieht es mit Dankbarkeit aus? Einen neuen Entwurf werden wir ja nicht bekommen, obwohl das Büro hier ja viel Energie und Kreativität investieren wird denke ich.
Es ist sehr viel Kreativität gefragt, aber eben nicht im Sinne von „Wie kann das Büro seine eigene Handschrift unterbringen?“ Wir bauen ja Gott sei dank auch noch viele andere Dinge, insofern ist es eine demütige Haltung, die auch Spaß macht und gut ertragbar ist. Wäre das Gebäude nicht so gut, wäre das sicherlich anders.
Wo aber kommt das Kreative an welcher Stelle?
Naja, beispielsweise ist es ziemlich schwierig, die Fassade, vor der wir stehen, so weit durch minimalinvasive Eingriffe zu verändern, dass das Glas nicht mehr bricht.
War Glasbruch von Anfang an ein Problem?
Ja. Thermisch bedingte Dehnungen, die nicht planbar waren, Mies van der Rohe hat keine Fassade dieser Größe zuvor gebaut.
Aber zurück zum Kreativen, es gibt ehrlich gesagt, viel Kreativität in dem Prozess. Ich glaube, es ist eine kulturelle Höchstleistung, dass alle verstehen, dass der Wärmedurchgangskoeffizient der Fassade der Glashalle nicht der deutschen Gesetzgebung entspricht. Das müssen alle mittragen. Und es gibt viele kleine Fragen, die irgendwie auch schon Entwurfsaufgaben sind.
So der behindertengerecht ausgeführte neue Zugang?
Es gibt in dieser Garderobe [er zeigt auf den Einbau] einen Lastenaufzug, der einen Rollstuhlfahrer beispielsweise befördert, was ein nichttragbarer Zustand ist. Der Putzraum in der anderen Garderobe wird dann umgewidmet für einen Personenaufzug. Man wird den in der Halle nicht sehen. Das ist einer der ganz wenigen Eingriffe.
Wie intensiv kennen Sie den Bau? Waren Sie gar als Kind schon hier?
Tatsächlich kenne ich das Museum seit ich 16 war. Wir hatten eine Klassenfahrt gemacht. Überhaupt, wenn man sich intensiv mit Architektur beschäftigt, kommt man an diesem Haus nicht vorbei. Auch innerhalb des Werks von Mies van der Rohe ist dieser Bau noch mal ein Kulminationspunkt im Werk. Und er war sich dessen auch bewusst.
Ein Vermächtnis?
Unbedingt. Wir haben nichts Besseres.
Welche Planer haben Sie ins Team geholt?
Wir haben ein ziemlich großes Team. Es gibt den Nutzer, den Auftraggeber, das Bundesamt für Bauwesen und Raumordnung BBR. Dann natürlich sehr viele Fachplaner. Wir haben eine Menge Untersuchungen vor uns. Viele physische Eingriffe lassen sich nur verhindern, wenn man genau weiß, was passiert. Das haben wir ja auch beim Neuen Museum Berlin gemacht, testen und messen was geht.
Das ist schon spannend hier Lösungen zu finden, die vielleicht oder ganz sicher der Gesetzgebung widersprechen. Das empfinde ich auch als ein wichtiges kulturelles Statement. Heute wird viel zu viel auch im Denkmalbereich optimiert, meist in eine Richtung, selten ist das dann, ganzheitlich betrachtet, auch gut für ein Haus. Warum schmeißt ein ganzes Dorf seine Holzfenster weg? Nur weil die Gesetzgebung es so vorsieht.
Es muss ja nicht gleich Kunststoff sein.
Ja, aber vielleicht wäre es doch einfacher, die alten Fenster zu lassen, sie zu renovieren. Die Grundinstandsetzung dieses Hauses wird hoffentlich eine sein, die dem Connaisseur Fragen der Baukultur aufwirft. Beispielsweise, ob die Moderne, die ewige Jugend verspricht, auch altern darf, romantisch sein … darf sie das?
Sticks and Stones. Eine Intervention. Gibt es dazu eine Geschichte?
Am Anfang sollte David hier eine Ausstellung über David Chipperfield Architects machen. Dann kam, mit dem Sanierungsauftrag die Idee, eine Ausstellung über die Säule zu machen. Ich habe dann die Baumstämme ins Spiel gebracht, die den stützenfreien Raum füllen sollen. Damit sind wir auch dem Dilemma entkommen, nur indirekt über Architektur zu sprechen, also über die Geschichte der Säule mittels Säulenrepliken. Die Bäume sind Primärexponate, sehr physisch, individuell und bedeuten erstmal sich selbst.
Wie beziehen sich die Bäume auf den Mies-Raum, das Gebäude?
Wahrscheinlich ist Mies van der Rohes Säule die letzte moderne Säule; die erste, die es gab, war ein Baumstamm. Zwischen diesen beiden liegt dann die ganze menschliche Baugeschichte, die auf Säulen rekurriert. Die Baumstämme bewirken auf jeden Fall, dass man den Wald weniger kunsthistorisch betrachtet, sondern als Architekturerfahrung. Es geht um das Interkoluminum ebenso wie um die Säule selbst. Und bevor gleich die Fragen nach dem Warum kommen soll der Besucher den Raum spüren wie er ist. Das ist Raumerfahrung, das ist Glück, das man empfinden kann. Das ist wohl das Beste, was Architektur hat.
Mit Alexander Schwarz sprach DBZ-Redakteur Benedikt Kraft am 30. September in der Neuen Nationalgalerie, Berlin, Wochen vor deren Schließung für eine grundlegende Grundinstandsetzung durch David Chipperfield Architects Berlin.