CIC – Coppenrath Innovation Centre, Osnabrück
In fußläufiger Nähe zum Hauptbahnhof Osnabrück befindet sich das Coppenrath Innovation Centre (CIC). Direkt hinter einer Eisenbahnbrücke schmiegt es sich an das Ufer der Hase. 1914 als Ringlokschuppen mit zwei Drehscheiben für 34 Lokomotiven errichtet, steht das sichelförmige Gebäude seit 1996 unter Denkmalschutz. Nach einem jahrzehntelangen Dornröschenschlaf markiert der Umbau des Lokschuppens den Auftakt zur Umgestaltung eines ganzen Stadtviertels.
Wie einst die 34 Dampfloks wurden pro Segment in dem höheren Hallenteil zweigeschossige Holz-Raummodule eingeschoben
Foto: HGEsch Photography
Das CIC wird einmal das Tor zu dem von Blauraum Architekten (in Kooperation mit Karres en Brands und Greenbox Architekten) geplanten neuen Stadtteil Lok-Viertel sein. Etwa 15 000 Menschen werden auf dem 22 ha großen ehemaligen Güterbahnhofsareal einmal arbeiten, forschen und wohnen. Auch eine Kita, eine Schule und zwei Mobilitätsstationen sind geplant. 2025 soll es losgehen.
Die Sichtachsen sollten zumindest in Teilen erhalten bleiben, sofern der Brandschutz dem nicht entgegenstand
Foto: Teschner
Beim Architekturbüro Kresings, das das CIC entworfen hat, ist sich Kilian Kresing der Verantwortung bewusst: „Der Charme-Faktor muss über den Ringlokschuppen getragen werden, damit das Viertel seine gewachsene Atmosphäre ein Stück weit behalten kann.“ Ein 8-geschossiger Hochpunkt kommt als nächstes neben den Lokschuppen. Kresing sieht es pragmatisch: „Wenn man der Erste ist, muss man immer damit rechnen, dass sich das Umfeld noch ändert.“ Nach jahrelangem Gerangel um die 30 Fußballfelder große Konversionsfläche war es ein Glücksfall, dass 2019 die Lok-Viertel-OS GmbH, eine Enkelgesellschaft der Aloys & Brigitte Coppenrath Stiftung, das Güterbahnhofsareal kaufte.
Qualität des Bestands: Die Deckenhöhen und die großen Fenster würde man heute wohl nicht mehr durchsetzen können
Foto: HGEsch Photography
Da waren Wettbewerb und Planungen für die Umgestaltung des Lokschuppens bereits weit vorangeschritten. Kilian Kresing war sofort klar: „Die Qualität, die der Bestand mitbringt, die kann man gar nicht herstellen.“ Deckenhöhen und die großen Fenster würde man heute preislich nicht mehr durchsetzen können.
Das Gebäude
Der große Veranstaltungssaal im Mittelteil bietet Platz für bis zu 600 Gäste
Foto: HGEsch Photography
Als ein Symbol für die industrielle Vergangenheit der Region wurde in enger Absprache mit dem Denkmalschutz die Außenhülle des Ringlokschuppens sorgfältig restauriert. Das Ensemble ist in drei ebenerdige Baukörper gegliedert, die als große Hallen kreissegmentartig angeordnet sind. In dem hohen Mittelbau, indem die Meister einst ihr Werkzeug aufbewahrten, befindet sich heute das 2-geschossige Innovatorium, ein großer Veranstaltungsraum für bis zu 600 Personen, der dank eines groben Akustikputzes unter der Decke eine sehr gute Akustik bietet. Der Betonglattstrich am Boden unterstreicht den Industriecharme.
Historische Fenster und Tore
Foto: HGEsch Photography
In die beiden anschließenden Hallen wurde − wie einst die 34 Dampflokomotiven − im höheren Hallenteil pro Segment je ein 2-geschossiges Holz-Raummodul eingeschoben. Der niedrigere Hallenteil bekam vereinzelt 1-geschossige Module und behielt damit seinen hallenartigen Charakter als Raumkontinuum. Kresing ist heute noch beeindruckt von dem Ursprungsgebäude: „Das war eine wahnsinnige Kraft, die dieser Raum mit seiner Krümmung hatte.“ Deshalb sollten die Sichtachsen zumindest in Teilen erhalten bleiben, sofern der Brandschutz dem nicht entgegenstand.
Holzkuben als Raumelemente
Der Mittelbau des Ringlokschuppens während der Bauarbeiten
Foto: Ringlokschuppen Osnabrück GmbH
Alle eingeschobenen Raummodule sind in BIM als elementierte Massivholzkonstruktionen geplant. Dabei wollten die Architektinnen und Architekten eine gewisse Grobheit auch innen beibehalten. Hinter den Kuben aus Fichte-Brettsperrholzplatten steckt eine anspruchsvolle Montage. Da der Ringlokschuppen in der Bautiefe niedriger zuläuft, wurde bei den meist 2-geschossigen Kuben zuerst die 2 t schwere Abschlussdecke mit einem selbst entwickelten Hubtisch auf Rollen gehalten, um dann mit einem Saugnapfroboter die Wände darunter zu stellen. Als Kranersatz transportierte vorab ein langarmiger Teleskopstapler die Elemente in die Halle. Ein Team aus vier Zimmerleuten bestückte je ein Lokschuppensegment pro Tag. Alle 40 konisch zulaufenden Kuben sind aufgrund der Bestandsvorgaben Unikate. Insgesamt wurde nahezu verschwenderisch mit Fläche umgegangen, was dem Design sehr guttat.
Grundriss Obergeschoss, M 1 : 1 250
Grundriss Erdgeschoss, M 1 : 1 250
Die Gebäudekubatur mit einer Deckenhöhe von 8 m eignete sich für einen Open-Space-Bereich. Diese Multifunktions- und Gemeinschaftsflächen fungieren als Ort für Begegnung und Austausch. Auch die Innenarchitektur für den Hauptmieter stammt von Kresings, die dafür eigens Innenarchitektinnen im Team haben. Neue Treppenräume und hölzerne Freitreppen verbinden die Ebenen und laden zum Sitzen ein. Im Sinne einer flexiblen Nachnutzung können die Mieteinheiten durch die Moduleinbauten jederzeit erweitert oder verkleinert werden. „Dafür, dass man das Gebäude kein bisschen flexibel geplant hat, ist es ein wahnsinnig flexibles Gebäude“, ist Kilian Kresing überzeugt.
Fehlende Fundamente und verschiedene Maße
Lageplan, M 1 : 5 000
Schnitt Halle, M 1 : 750
Überraschungen blieben beim Umbau des 110 Jahre alten Bestandsgebäudes nicht aus. So stellte sich erst im Bauprozess heraus, dass die wuchtigen Betonstützen gar keine Fundamente hatten und neu unterfüttert werden mussten. Kresing: „Das war erst einmal ein Schock.“ Neu fundiert wurden sie dann von Hand abgestrahlt. „Mir ist das fast noch ein bisschen zu schick. Da muss noch Patina drauf.“
Fassadenschnitt, M 1 : 50
Dachaufbau
1 Ortbetondecke Bestand 140 mm (verl. Schalung), 120 mm Ortbetondecke neu, n. Angabe Statik mit der Bestandsdecke vernagelt, Voranstrich, Dampfsperre verschweißt, 80 mm Dämmplatte PIR-FA 80 mm verklebt, Dichtungsbahn, 2-lagig Elastomerbitumen mit Polymerbitumen, Beschieferung in graphitschwarz, vollflächig verschweißt, 40 mm Holzbohle, bzw. im Brandwandbereich zementgeb. Holzfaserplatte (A2)
Fassade
2 Holz-Isolierfenster
3 Stahlfenster (Festverglasung)
4 Stb.-Riegel/MW-Stütze (Stärke des Stb.-Riegels bzw. der MW Stütze variiert leicht, hängt von der jeweiligen Bestandssituation ab)
5 Stahlbeton-Ringbalken
Auch stellten die Auflagen des Denkmalschutzes im Inneren das Team vor Herausforderungen. So war der Ringlokschuppen 1914 eines der ersten Gebäude, das in Stahlbeton-Skelettbauweise errichtet worden war. Teilweise waren die Stahlbetonträger jedoch durch Anbauten zu verschiedenen Zeiten errichtet worden, weswegen die Dimensionen der Auflager oft voneinander abweichen. Kresing nimmt es gelassen: „Hier ist halt viel Geschichte drin.“
Handarbeit und steigende Holzpreise
Die Geschichte des Gebäudes ließ sich auch anhand der verrosteten Stahlstreben ablesen, die oberhalb der Fassade zutage traten. Der Betonabschluss oben am Dach war viel Handarbeit. „Und viel Handarbeit bedeutet immer auch ein hoher Preis“, so Kresing. Ein weiterer Kostentreiber waren die Holzkosten für die Module, die während der Bauzeit durch die Decke gingen. Für die vorgesetzten Bestandsfenster und die eisernen Tore davor wurde ein lokaler Metallbauer gefunden. Da es sich hierbei um eine sehr kleine Firma handelt, stehen noch Restarbeiten aus. „Die Stiftung hat großen Wert daraufgelegt, lokale Firmen mit ins Boot zu holen“, sagt der Architekt. Die Familie Coppenrath wolle mit dem Projekt ein Stück weit auch Handwerkskunst zeigen.
Heute wird in den Hallen an künstlicher Intelligenz geforscht
Foto: Teschner
Der Bund förderte das CIC im Rahmen des Bundesprogramms „NPS – Nationale Projekte des Städtebaus“, das damit investive sowie konzeptionelle Projekte mit besonderer nationaler oder internationaler Wahrnehmbarkeit, mit hoher fachlicher Qualität oder mit hohem Innovationspotenzial unterstützen möchte.
Das Energiekonzept
Besprechungsraum mit Ausblick in die Halle
Foto: HGEsch Photography
Das Energiekonzept des Ringlokschuppens setzt auf den Wärmeschutz durch den Dämmstandard der opaken Bauteile. Die Fenster bestehen aus einer Mischung aus 3-fach und 2-fach-Verglasungen mit vorgesetzter Bestandsverglasung. Es wurde auf eine luftdichte Bauweise geachtet zur Verringerung der unbeabsichtigten Lüftungsverluste. Im Sommer sorgt die optimierte Nachtluftspülung mit Querlüftung durch die Fassade und Oberlichter für passive Kühlung. Auch die Speichereffekte der größtenteils nicht abgehängten Decken und der massiven Stützpfeiler wirken einer Überhitzung im Sommer entgegen wie auch der außenliegende bewegliche Sonnenschutz und die Verschattung durch die Metalltore. Die Fußböden dienen als Flächenheizung und ermöglichen bei Bedarf im Sommer auch Kühlung.
Die Treppen laden zum Sitzen ein
Foto: HGEsch Photography
Zuluft kommt primär durch die alten Wartungsgänge im Boden und wird als Quellluft in die Schuppenbereiche verteilt. Nach Bedarf kann manuell über die Fenster gelüftet werden. Dezentrale Lüftungsgeräte mit effizienter Wärmerückgewinnung sind pro Schuppenbereich nahe den Nasszellen vorgesehen. Das offene Raumvolumen und die Einbindung in die Luftverteilung minimieren das Lüftungskanalnetz. Im Verbund der Architektur mit dem Wärmepumpensystem entstehe ein ökologisches Vorzeigeprojekt hinsichtlich der Ressourcenschonung, so das Architekturbüro.
Hauptmieter mit Mitspracherecht
Ursprungszustand vor Beginn der Bauarbeiten
Foto: Ringlokschuppen Osnabrück GmbH
Als Ankermieter von Beginn an mit an Bord ist das Deutsche Forschungszentrum für künstliche Intelligenz (DKFI), das die Hälfte des Lokschuppens angemietet hat. Es folgten Gründerszene, Handwerkskammer, Fachhochschule und Universität. Das DFKI forscht in Osnabrück an KI-gestützter Agrarrobotik für Erntemaschinen und will zusammen mit Unternehmen aus Handwerk und Wirtschaft ein deutschlandweit einzigartiges „Agrotech Valley“ aufbauen. „Wir konnten und können ganz viel mitbestimmen“, sagt Rissa Hinse-Lohr, Leiterin der DFKI-Hausverwaltung zur Zusammenarbeit mit den Architekten. „Der Freiraum hier ist inspirierend für Forscherinnen und Forscher.“ Doch wie motiviert man Leute, wieder mehr Zeit im Büro zu verbringen? „Ich glaube, dass das Büro als Ort eine kleine Reinkarnation erfahren wird und man sich mehr Mühe gibt, individuelle Räume zu schaffen, wo es wirklich Spaß macht, da zu sein“, sagt Kresing.
Offene Wünsche
Gewünscht hätte sich der Architekt noch eine gestaltete Einbindung der Hase in Richtung Hauptbahnhof, die direkt an der Terrasse des CIC-Hauptgebäudes vorbeifließt. Stattdessen wurden dort zugunsten eines Radwegs entlang der Hamburger Straße zahlreiche alte Bäume gefällt und etwas versetzt eine neue Betonbrücke gebaut. Die Chance auf eine atmosphärisch-wertvolle, direkte Fußgängeranbindung an den Bahnhof wurde damit erst einmal vertan. Aber das kann sich ja noch ändern.
Fazit
„Mein Verständnis von Denkmalschutz ist, dass es darum geht, den Bestand weiterleben zu lassen unter der Prämisse, dass da etwas Neues entsteht.“ Schließlich ermögliche die neue Nutzung erst, dass das alte Gemäuer überhaupt stehen bleiben kann, sagt Kresing und fügt hinzu: „Neu und Alt zusammenzubringen − das haben wir ganz gut hinbekommen.“ Der Erfolg scheint ihm Recht zu geben: Derzeit steht das Projekt mit sechs weiteren auf der Shortlist für den Niedersächsischen Staatspreis für Architektur, der Ende Oktober vergeben wird.
Heide Teschner/DBZ
KRESINGS Architekten Münster GmbH,
Kilian Kresing
www.kresings.com
Foto: Marlena Kretzer
Projektdaten
Objekt: CIC – Coppenrath Innovation Centre
Standort: Osnabrück
Typologie: Bau im Bestand/Denkmalschutz/Büro, Forschung
Bauherr/Bauherrin: Ringlokschuppen Osnabrück GmbH
Nutzer/Nutzerin: DFKI – Deutsches Forschungsinstitut für künstliche Intelligenz, Universität Osnabrück, Hochschule Osnabrück u.a.
Architektur: KRESINGS Architekten Münster GmbH, Münster, Düsseldorf, Osnabrück, www.kresings.com
Team: Kilian Kresing (Projektpartner), Stefan Fuchs (Projektleiter), Henning Hummel, Julian Hoffschlag, André Pannenbäcker, Agnieszka Kociemska, Raul Zinni-Gerk, Liana Laios, Tim Sommer, Steven Gorgon, Alessa Rink, Felica Wewer
Bauleitung: KRESINGS – Stefan Koch, Hans Zündorf
Bauzeit: 05.2021–08.2024
Grundstücksgröße: 26 500 m²
Grundflächenzahl: 0,9
Nutzfläche gesamt: 8 350 m²
Nutzfläche: 5 870 m²
Technikfläche: 530 m²
Verkehrsfläche: 1 950 m²
Brutto-Grundfläche: 9 400 m²
Brutto-Rauminhalt: 47 500 m³
Fachplanung
Tragwerksplanung: Ing. Büro Fleddermann GmbH, Osnabrück
TGA-Planung: O&P Projektingenieure GmbH,
Ibbenbüren, www.op-projekt.de
Innenarchitektur: KRESINGS, www.kresings.com
Landschaftsarchitektur: MDL Müller Darms Landschaften, Osnabrück, www.mueller-dams.de
Energieplanung: Transsolar Energietechnik GmbH Stuttgart, www.transsolar.com
Brandschutz: BKK Brechler.Kiküm.Klein GmbH, Warendorf, www.bkk-ing.de
Energieberatung: NaCon GmbH, Osnabrück,
www.energieloesungen.net
Lichtplanung: LICHTART Osnabrück GmbH & CoKG, Osnabrück, www.lichtart.info
Akustik/Bauphysik: Hansen + Partner Ingenieure GmbH, Wuppertal, www.hansen-ingenieure.de
Energie
Energiestandard: KfW Effizienzhaus 100
Primärenergiebedarf: 134,52 kWh/m²a nach EnEV
Endenergiebedarf: 74,62 kWh/m²a nach EnEV
Endenergiebedarf Wärme: 45 kWh/m²a
Endenergiebedarf Strom: 30 kWh/m²a
Hersteller
Beleuchtung: Vibia, www.vibia.com
Bodenbeläge: Interface, Krefeld, www.interface.com
Innenwände/Trockenbau: Derix, Westerkappeln, www.derix.de
Büromöbel u. a.: Assmann GmbH + Co KG, Melle, www.assmann.de
Bürostühle u.a.: Steelcase AG, München,
www.steelcase.com
Sonstige Möbel: Muuto, www.muuto.com, Hay,
hay.dk, Wendelbo, wendelbo.dk, Emu, www.emu.it, Boss Design, www.bossdesign.com, Vitra, www.vitra.com, Formvorrat, www.formvorrat.net, etc.
Umsetzung: Prooffice, Osnabrück, www.prooffice.de
Türen/Tore: Solarlux, Melle, www.solarlux.com
Wärmedämmung: Brillux, Münster, www.brillux.de