Generationengespräch. Bei KRESINGS, Münster
Wie unterschiedlich schauen die Alten und Jungen auf das Bauen? Gibt es das für viele wesentliche Themen angenommene Generationen-Gap auch in der planenden Zunft? Hier zu einer Erkenntnis zu gelangen, interessiert Verleger ebenso wie die Verbände, Redakteure wie die Bauindustrie. Letztere beide – die DBZ Redaktion zusammen mit der Initiative „Die wertvolle Wand“ – luden nun Sohn und Vater, Kilian Kresing und Rainer M. Kresing, zu einer Gesprächsrunde ein. Genauer, die Kresings luden uns zu sich ein, in ihr Büro, das in einem umgenutzten Gewerbebau in der Innenstadt Münsters untergebracht ist.
„Ein schwerer Kampf“ sei es, den ArchitektInnen das Thema „Oberflächengestaltung“ näher zu bringen, denn gerade hier spiele Saint-Gobain Weber seine (Putz-)Stärken aus. Das, was Christian Poprawa (Direktor Marketing Saint-Gobain Weber) schon in der kurzen Vorstellungsrunde in eben diese hineinwirft, beschreibt vielleicht ungewollt Erwartung und Ausblick auf das Gespräch, das wir in Münster im Rahmen unseres „Generationengesprächs“ mit ArchitektInnen und Industrie initiierten. Das Miteinander, die reale Kommunikation zwischen denen, die die Architektur planen, und denen, die dazu das passende Material liefern, läuft nicht immer rund. Oder besser: Sie könnte zielführender, auf die jeweiligen und durchaus unterschiedlich verorteten Bedürfnisse zugeschnitten sein. Unternehmen, die langfristig denken, brauchen, da waren sich alle im Gespräch einig, u. a. eine gute Außendarstellung und nachvollziehbar dargestellte Ziele. Die sollten über eine reine Produktschau weit hinaus gehen und das Unternehmen als einen für die Gesellschaft verantwortlich agierenden Player definieren. Keine leichte Aufgabe, gerade auch, wenn der Blick auf die kommenden Jahre geht.
KS-Original und Saint-Gobain Weber haben aktuell die Initiative „Die wertvolle Wand“ ins Leben gerufen, um über diese Inhalte zu vermitteln und zu signalisieren, dass man sich „für ein Wertebewusstsein in der Baukultur ein[setzt]“. Gemeinsam haben die beiden Hersteller Kriterien für bauliche Werte anhand des Bauteils Wand definiert. Das klingt fast schon ein wenig zu detailverliebt, aber tatsächlich ist die Wand ein nicht zu unterschätzendes Bauteil, das allerdings in der Vergangenheit nicht immer den Respekt erfahren hat – auch seitens der Hersteller –, den es eigentlich verdient. Ob hier aber eine andere, jüngere Sicht das Werthaltige des Bauteils, insbesondere das seiner Materialität entdeckt, entdecken will? Wie schaut ein junger Planer anders auf die Möglichkeit der Elementierung, auf die Notwendigkeit, Teil eines Materialkreislaufs zu sein? Denken also die Alten über das Wertvolle in der Architektur anders als die Jungen? Über den Daumen gepeilt: Ja, die jungen PlanerInnen denken anders über das, was den Alten wertvoll war. Denn häufig kommt diese Idee vom Wert – wie in vielen anderen Generationenfragen auch – immer wieder unter die Räder des ewigen Wertewandels. Aber stimmt das tatsächlich?
Wir sitzen im großen Besprechungsraum des Architekturbüros KRESINGS, der Blick geht auf den schönen, von Backsteinbauten gefassten Innenhof. Im Rund sitzen sich gegenüber Kilian Kresing, Rainer M. Kresing, Christian Poprawa (Direktor Marketing Saint-Gobain Weber), Michelina von Peterffy-Rolff (Architektin, GF Kalksandsteinwerke Schencking, stellvertr. KS-ORIGINAL Beiratsvorsitzende), Katja Reich (Chefredakteurin DBZ) und Benedikt Kraft (stellvertr. Chefredakteur DBZ). Thema: Corona. Man kommt an diesem Thema auch in einer solchen Runde offenbar nicht vorbei. Doch schnell geht es zu den Dingen, die oben schon skizziert sind, auf das Werthaltige im Bauen, auf den Wert der Architektur für den Einzelnen und die Gesellschaft. Die Runde entfaltet dabei sukzessive ein Panorama, das vom Bauen, dem Verwalten des Bauens, den Ansprüchen und Möglichkeiten der Bauherrschaft bis zum Partnerschaftlichen reicht, das die ArchitektInnen in Bezug auf ihr Gegenüber feststellen. Die Industrie sieht Kilian Kresing – und hier kommt sein Beinaheschlusswort nach ganz vorne – „als Partner, auf den wir aktiv zugehen, wenn wir ein Problem haben, weil wir mit den Standards nicht weiterkommen. Dann trifft man sich auch, spricht miteinander, macht vielleicht einen kleinen Workshop.“ Die GesprächspartnerInnen seien zumeist bekannt, vertraut. Ganz anders sei das bei Herstellern, die, kaum habe man einen Wettbewerb gewonnen, auf das Büro zugehen und ihre Lösungen anbieten. Das sei wenig zielführend, wenig werthaltig, zumal bei öffentlichen Bauvorhaben!
Womit wir mittendrin sind. Und zugleich in einem ganzen Wertekosmos, denn das Werthaltige, Wertvolle könne man nicht in einem Produkt festmachen, nicht in einer Bauweise. Nachhaltigkeit, so Kilian Kresing weiter, definiere sich nicht allein darüber, ob Architektur eine Re-use-Geschichte beispielsweise hat, das auch. Nachhaltigkeit manifestiere sich doch in den Stichworten wie „soziale Rendite, Synergie und nicht zuletzt über einen Mehrwert für die Gesellschaft, uns alle!“ Er nennt beispielsweise Kirchenbauten, die seien „wahnsinnig nachhaltige Bauten“. Betrachte man sie aber unter energetischen Aspekten im Betrieb seien sie eher wahre Energieschleudern.
Rainer M. Kresing zeigt auf das Haus jenseits des Hofs gegenüber, ein 135 Jahre alter Gewerbebau mit einer Backsteinfassade. Solche Architektur sei wertvoll, weil sie sich „aufgrund ihrer Robustheit in der Geschichte behauptet hat. Das Haus ist ein gutes Beispiel für, ich nenne es mal, Gutmütigkeit. Wir alle wissen nicht, wie die Welt morgen aussieht, darum sollten wir unsere Häuser so bauen, dass sie alles können. Naja, fast alles!“ Häuser, die auf einen speziellen Zweck hin heute gebaut wurden und die zudem sehr kokett mit der Urheberschaft spielen – Stichwort „Markenarchitektur“ – sind ihm „suspekt. Wir Architekten sollten aus Egoismus heraus keine Unikate schaffen, wir sollten Diener sein, die Belange des Nutzers, der Nutzergemeinschaft, Nachbarschaft im Augen haben.“ Stilistische Zuschreibungen hält Rainer M. Kresing für überholt und wieder weist er, dieses Mal unbestimmter, nach draußen, etwa in Richtung Westen, zur deutsch-niederländischen Grenze, die von hieraus so weit entfernt nicht ist: „Die Holländer bauen eher urbanistisch unbestimmt, weil sie erkannt haben, dass das Gebaute langsamer in der Zeit ist als die Zeit selbst.“
Aber zurück zum Material, zu seiner Verarbeitung, seiner Dauerhaftigkeit, der Entwicklung, die es zu Höchstleistungen gebracht hat. Michelina von Peterffy-Rolff, Architektin, Geschäftsführerin des Familienunternehmens der Kalksandsteinwerke Schencking und stellvertretende Beiratsvorsitzende bei KS-ORIGINAL, betont, dass sich ihr Unternehmen „nicht allein als Produzent sieht, und das war schon so bei meinem Vater. Wir sehen uns auch als Dienstleister und Problemlöser für sowohl die Planer als auch die Baustelle. Die Haltung mancher Produzenten, man sei eben nur das und für sonst nichts zuständig, für nichts verantwortlich, ist nicht unsere und sie würde uns auch unterfordern.“ Natürlich konkurriere man mit serieller Großfertigung, „wir haben das vorkonfektionierte ‚Planelemente System‘ auch deshalb, weil das Mauern mit einzelnen Steinen nicht mehr überall gekonnt wird.“ Geht damit, so die Zwischenfrage, das behauptet Wertvolle aber nicht in der Massenproduktion unter? Nein, trotz aller Systemlösungen können mit dieser Bauweise immer noch individuelle Lösungen geliefert werden: „Wir arbeiten eben nicht auf großvolumige Standard-Einheiten zu, auf irgendwelche Kisten, die zwar viel können, aber am Ende etwas erzeugen, was rein gar nichts mehr mit Architektur zu tun hat.“ Und: Mit dem Sichtmauersystem mit Fasensteinen habe man immer noch einen Produktionszweig im Haus, „den wir durchaus als etwas Manufakturelles ansehen.“
Das „Manufakturelle“ nimmt Rainer M. Kresing als Stichwort, um auf zwei Dinge hinzuweisen, die dem Wertvollen durchaus im Weg stehen können: Die zunehmende Digitalisierung erzeuge – neben allen Möglichkeiten – zunehmend Zwänge im Hinblick auf die Freiheit in der Architektenplanung. Das reiche von Ausschreibungsformalien bis hin zur Vereinheitlichung von Produktstandards, die europa-, ja weltweit zu Austauschbarkeit und Beliebigkeit führten. Einen weiteren Qualitätsverlust sieht er im schon angedeuteten Schwinden der Bedeutung des Handwerklichen im Bauen, was vielerlei Gründe habe, sicher auch mit der zunehmenden Standardisierung zusammenhänge. Und ja, was mit der Hand gemacht sei, verbinde sich doch gleich mit Dauerhaftem und hier setze er auf den Vollstein, der dann, direkt verputzt, die Raum-atmosphäre wesentlich bestimme. Michelina von Peterffy-Rolff greift den „Vollstein“ auf und verweist auf den Vorteil der hohen Dichte und Druckfestigkeit des Kalksandsteins, der schlanke Wandstärken und damit mehr Nutzfläche erlaubt. Die Koppelung an ein WDVS sieht sie als vorteilhaft für die Bau- und Planungsprozesse und weist darauf hin, dass man bei einer funktionsgetrennten Wand heute schon den sortenreinen Kalksandstein vollständig recyceln kann. Und man habe neben den Transportwegen auch den Verpackungsabfall im Blick: Länger schon werden die aus ihrem Werk auf Paletten gelieferten Steine nicht mehr foliert, sondern nur noch gebändert. Was anfangs auf mancher Baustelle nicht so gut ankam, weil offenbar das Folienverpackte mit Frische und Qualität des glänzend verpackten Gemüses im Supermarkt gleichgesetzt wird!
Auf die Frage, ob man denn nicht bloß mit Ziegel- und Porenbetonindustrie im Wettbewerb stehe, sondern auch mit dem Leichtbau, verweist die Architektin auf die nicht nur in diesem Land starke Betonlobby. Die zudem in der Architektenschaft traditionell gut verankert sei, werden ArchitektInnen doch bereits ab dem ersten Semester auf der Hochschule mit dem Material Beton bekannt gemacht. Hier sieht sie weiterhin dringenden Handlungsbedarf seitens des Industrieverbands, bereits in der Lehre verstärkt den Blick der zukünftigen PlanerInnen auf die ganze Materialpalette zu weiten.
Und vielleicht auch auf die Abhängigkeiten von Geben und Bekommen: Gebe ich als Bauherr wenig (Geld), bekomme ich auch weniger (Qualität). Denn das ist den Anwesenden, klar: Wer Nachhaltigkeit im umfassenden Sinne erwerben möchte, muss dafür bereit sein, mehr als das Wenigste zu zahlen. Rainer M. Kresing brachte das so und sehr deutlich auf den Punkt: „Wer kein Geld hat, sollte nicht bauen! Zu dieser Selbstverständlichkeit in völligem Gegensatz wird aber propagiert, dass man unbedingt bauen soll, die Argumente dafür sind viele!“ Und der junge Kresing ergänzt: „Der Preis bestimmt zurzeit das Bauen. Viele Bauherrn wollen ihr eigenes Haus. Aber schon beim Autokauf sind die meisten anspruchsvoller! So lange diese Art der Nachfrage nach Architektur funktioniert, wird sich nichts Wesentliches im Bauen verändern. Ich stehe da ja nicht allein, wenn ich sage, dass das Wissen von Wert und Wertigkeit Unterrichtsstoff werden muss! Und weil es sich auch ökonomisch extrem lohnt, ordentlich, wertig zu bauen, hat sich die Highspeed-Architektur der Vermarkter und Abschreibungsgesellschaften aus meiner Sicht erledigt.“
Und wie schafft das ein mittelständisches Büro, gegen den Mainstream zu arbeiten, gegen das reine Renditedenken der Geldgeber, aber auch gegen die Anspruchslosigkeit unwissender Bauherrschaft? Mit mehr Robustheit, mit Rückfallpositionen für die Fälle, in denen jedes Detail kleingespart werden soll. Aber vor allem auch mit einem hohen Maß an Identität: „Die große Kunst wird sein, jedes gebaute Massenprodukt zu einem Leuchtturm zu machen, sonst kommen wir nicht weiter. Das ist eine Mammutaufgabe und vielleicht stellt das das Disruptive dar, über das wir am Anfang sprachen“, so Kilian Kresing fast am Ende des Gesprächs. „‘So wie immer‘, das geht heute schon nicht mehr!“
Wozu man schreiben könnte, dass es das „So wie immer“ auch gar nicht gibt, es sei denn, die Zeit stünde still. Dass dem so nicht ist, darauf verweist zum Schluss Christian Poprawa mit Blick auf sein Business. Längst sehe man sich als Berater, der dezidierte Angebote mache, der vorsichtig lenkend Einfluss nehmen möchte auf Entscheidungen für ein hochwertigeres Bauen. Solches anzubieten erlaube, Nischen erfolgreich zu besetzen. Und davon haben Industrie und Planer und Bauherrn am Ende mehr und vielleicht auch eine wertvolle Wand. Be. K.
Mit dem beiden Architekten machten wir noch unser Frage- und Antwortspiel "Dies oder Das", war wir hier im folgenden Video zeigen: