Interview mit C.F. Moller

Gebäude, die als Treffpunkt funktionieren

Lernen begleitet den Menschen sein Leben lang. In Schulen und anderen Bildungseinrichtungen werden schon früh die Weichen dafür gestellt, was und vor allem wie wir lernen. Wie Architektur dazu beitragen kann, dass wir für die Aufgaben in Beruf und Gesellschaft gut gerüstet sind, darüber sprachen Katja Reich und Mariella Schlüter mit Julian Weyer von C.F. Møller Architects, DBZ Heftpartner der Juniausgabe.

Julian_Weyer_CFMoller-DBZ Julian Weyer von C.F. Moller im Gespräch mit Katja Reich (links) und Mariella Schlüter (rechts) per Videocall
Screenshot: DBZ

Julian Weyer von C.F. Moller im Gespräch mit Katja Reich (links) und Mariella Schlüter (rechts) per Videocall
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DBZ: Bildung und Wissensvermittlung findet nicht nur in der Schule oder Hochschule statt. Welche Gebäudetypen gehören für Sie zum Thema „Bildungsbauten“?
Julian Weyer: Inzwischen ist es so, dass jedes öffentliche Gebäude einen Bildungsaspekt hat. Das fängt damit an, Schulen offener zu gestalten und Funktionen zusammenzubringen. Wir haben in den nordischen Ländern einige Beispiele, bei denen man Schulbauten gar nicht mehr als geschlossene Einheiten denkt, sondern in größere Agglomerate integriert. Gleichzeitig ist es so, dass alle öffentlichen Bauten, wie Bibliotheken und Kulturbauten, heute Lernen als einen Aspekt integriert haben. Ich würde sagen, es ist ein Thema, das alle unsere Gesellschaftsbauten betrifft.


Erinnern Sie sich an Ihren ersten Bildungsbau, den Sie realisieren durften? Nach welchen Konzepten haben Sie entworfen und was hat sich seitdem verändert?
Grundsätzlich gehen Pädagogik und Entwurfskonzept Hand in Hand. Ein frühes Projekt war eine Erweiterung des Universitätscampus in Aarhus. Ein Campus, der durch diese Erweiterung, neue Konzepte ermöglichen sollte. Kein radikaler Ausstieg aus dem was es früher gegeben hat, sondern ein evolutionäres Weiterarbeiten.


Wann haben Sie das Projekt realisiert?
1996. Ein entscheidendes Projekt war für mich jedoch einige Jahre später das Dänische Gymnasium in Schleswig, die A. P. Møller-Skolen. Das war ein Schulbau, der genau zwischen zwei Zeiten entstanden ist. Einerseits gab es schon die umfassenden Schulbaureformen der frühen 2000er-Jahre, wo man angefangen hat experimentell mit Unterrichtsräumen umzugehen. Andererseits war es ein Schulbau, der in Deutschland gebaut wurde, also immer noch den deutschen Schulgesetzen gerecht werden sollte. Daraus ist ein extrem interessanter Hybridbau entstanden, der einerseits für offene, moderne Pädagogik geschaffen wurde, aber gleichzeitig auch die traditionelle Struktur für Klassenunterricht hergibt. Das war ein fantastischer und spannender Bauprozess. Die Dänische Schule ist ein wichtiges Referenzprojekt geworden in Europa. Ein Zwitter zwischen dem radikalen, skandinavischen Konzept mit ganz offenen Strukturen und keine festen Klassenzimmer mehr und traditionellen Strukturen. Ein Hybrid, der die verschiedenen Systeme zusammenbringt und die unterschiedlichen Unterrichtsformen ermöglicht. Aber ohne alles über den Haufen zu werfen.


Ihr Büro arbeitet international. Spielen unterschiedliche Lernsysteme der Länder eine Rolle für die Räume, in denen dies geschieht? Gibt es übergreifende, allgemeingültige Kriterien?
Allgemeingültig ist schwer zu sagen, denn vieles ist kulturell bedingt. Es gibt insofern Allgemeingültiges, dass man heute mit Schule bzw. mit Bildung anders umgeht als vor 100 Jahren, und andere Ideale dahinter stecken. Was wir aber vor allen Dingen sehen, ist eine starke Beeinflussung verschiedener Regionen untereinander. Die neuen Schulbauweisen in Skandinavien waren stark beeinflusst von Konzepten aus England und aus Neuseeland, Deutschland wurde dann von Skandinavien beeinflusst. Wir können dies an veränderten Unterrichtsformen sehen, aber auch daran wie man Bildungsbauten gliedern möchte. Übergreifend ist die Veränderung der Begriffe Schule und Lernen: Von etwa, das in einen bestimmten Zeitraum und einen begrenzten Raum stattfindet, zu etwas Fließendem, Breiterem, was nicht unbedingt mit dem Schulabschluss aufhört. Die Schule ist pädagogisch viel demokratischer geworden und hat nicht mehr diesen einseitigen Wissenstransfer. Sie ist vor allem ein Austausch mit einem beidseitigen Teilnehmen am Unterricht geworden.


Haben Sie auch Erfahrungen mit internationalen Schulkonzepten gesammelt?
Wir haben Schulen außerhalb Europas gebaut, aber diese stützen sich auf europäische Konzepte. Wir verfolgen, welche Ideen international entstehen. Sowohl in den Schulen als auch im Schulbau. Da ist es interessant zu sehen, dass Schulen durch die Kulturunterschiede ganz andere Institutionen sind. Aber es gibt trotzdem den gegenseitigen Austausch von Ideen. Manchmal fängt es bildhaft an und man reproduziert etwas, das man woanders gesehen hat. Dann sehen die Bauten ähnlich aus, aber die Pädagogik ist völlig unterschiedlich. Mit der Zeit fließen dort auch andere Ideen ein. Das ist eigentlich für uns das wichtigste. Es geht uns nicht darum, irgendein bestimmtes Bild zu bauen. Es ist ein direkter Austausch mit den pädagogischen Ideen, die dahinterstehen. Jeder Schulbau muss das widerspiegeln, was die tragende Idee des Unterrichts ist.


Erzählen Sie uns von Ihrer Herangehensweise. Arbeiten Sie viel mit den Nutzern zusammen?
Das ist absolut wichtig. Und es ist eine Herausforderung, wenn das nicht möglich ist. Die Schule in Schleswig war eine neu gegründete Schule. Daher gab es keine Nutzergruppe, an die wir uns hätten wenden können. Das ist tatsächlich schwieriger. Wir sind lieber direkt involviert und sprechen mit den Leuten darüber, welche Ideen sie haben. Das ist unsere wichtigste Aufgabe als Architekten: Die Ideen und die Konzepte hinter den Gebäuden in konkrete Räume umzusetzen. Wir sprechen auch von Co-Creation. Es geht uns nicht darum den Nutzern ein Konzept vorzuschreiben. Sondern es soll ein gegenseitiger Austausch, ein gegenseitiges Lernen sein. Um solche Prozesse gut umsetzen zu können haben wir viele Werkzeuge entwickelt.


Neben einem stimmigen Raumkonzept, spielen Aspekte wie Licht, Akustik, technische Ausstattung etc. eine immer größere Rolle. Auf welche Anforderungen achten Sie heute besonders in Bildungsbauten?
Im Bildungsbau ist es wichtig, dass man die für das Konzeptrichtigen Räume schafft, die unterstützen, was man dort erreichen möchte. Aber natürlich auch, dass die Räume die funktionalen Anforderungen erfüllen können. Wenn wir Schulen entwerfen mit freien demokratischen Räumen, mit unterschiedlichen Gruppenarbeitsplätzen in großen Räumen, gibt es z.B. bestimmte Anforderungen an die Akustik. Sonst funktioniert es nicht. Genauso, wenn das Raumklima oder das Licht nicht stimmen. Man kann noch so spannende Räume entwerfen, wenn es kein gutes Raumklima oder Tages- bzw. Kunstlicht gibt, dann ist nichts gewonnen. Es geht also alles Hand in Hand. Das Thema ist extrem ernst zu nehmen. In den nordischen Ländern sind die Bauanforderungen z.B. extrem hoch, was die Qualität der Raumluft betrifft.


Welche Rolle spielen die Freiräume solcher Gebäude?
Das ist ein wichtiges Thema. Für viele Bildungseinrichtungen und Universitäten ist es eine Voraussetzung, dass sie sich als ein Teil der Stadt integrieren. Die Idee Inseln zu schaffen und sie abzuschotten, funktioniert heute gar nicht mehr. Also nicht in unseren Gesellschaften. Deshalb ist die Idee, den Campus zu öffnen, etwas was sich überall in Deutschland durchsetzt. Das Verknüpfen mit der Pädagogik ist ebenso wichtig. Die Copenhagen International School ein interessantes Beispiel. Die Schule hat Konzepte und Themen, wie Nachhaltigkeit, Ernährung oder Bewegung, die den gesamten Unterricht unterstützen. Das heißt es würde gar nicht funktionieren, wenn der Schulbau nur ein geschlossenes Inneres wäre. Die äußere Umgebung gehört mit ins Konzept, mit ins Curriculum, mit hinein in alles was sich dort abspielen wird. Die Copenhagen International School liegt mitten im Wasser. Die Schüler können hier direkt etwas über die Ozeane der Welt lernen, auf das Dach steigen und dort im Gewächshaus das Thema der Nachhaltigkeit weiterverfolgen. Es ist einfach eine durchgreifende Idee,  Bauten viel offener und viel vernetzter zu sehen.


Durch die Corona-Krise befinden wir uns momentan in einer ungeahnten Situation. Sämtliche Bildungseinrichtungen wurden geschlossen und die Menschen müssen von zuhause aus lernen. Sehen Sie hierin auch eine Chance? Wie wird sich das Lernen räumlich verändern in Zukunft? 
Zurzeit passiert etwas ganz Spannendes. Wir werden uns bewusster, warum wir Schulen bauen. Es ist nicht nur, um ein Programm widerzuspiegeln. Gebäude sind heute nicht mehr die Voraussetzung, um arbeiten zu können, um Lernen zu können, dafür brauchen wir die Gebäude nicht mehr. Das lässt sich alles anders beschaffen. Aber wir wollen nicht alleine in Isolation lernen und arbeiten. Wir wollen uns dabei gerne treffen. Und deshalb brauchen wir Gebäude, die als Treffpunkt funktionieren. Das gilt für Schulbauten, für unsere Bürobauten und für unsere Kultureinrichtungen. Es sind vor allem Treffpunkte. Jetzt, da wir uns nicht mehr treffen können, wird einem bewusst, wie sehr das einem fehlt und wie wichtig es ist, dass es diese Gebäude bzw. Einrichtungen gibt. Eigentlich können wir doch alles von zu Hause aus digital lernen. Aber wir gehen in die Schule bzw. ins Büro, damit wir uns treffen und den direkten Austausch haben können. Deshalb werden wir wieder ins Büro gehen, wenn die Corona-Krise überstanden ist.


Sie kennen sicherlich den Spruch „Man lernt ein Leben lang“: Wie war und ist es bei Ihnen? Was haben Sie zuletzt gelernt, wo und wie?
Ich lerne jeden Tag. Jedes Projekt ist ein neues Auseinandersetzen mit neuen Ideen und Gedanken. Der Ausgangspunkt ist immer die Neugier. Was ist die Idee dahinter und weshalb tun wir das? Und daraus entwickeln sich die Fragen, die man gemeinsam mit dem Nutzer besprechen kann. Um zu verstehen, was soll hier entstehen? Architekt zu sein, ist ein ständiger Lernprozess. Weil diese Fragen immer neu gestellt werden.

Vielen Dank für das Gespräch.

C.F. Møller sind DBZ Heftpartner zum Thema Bildungsbauten. Das Magazin können Sie hier bestellen.

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