Alles klar am Döppersberg, Wuppertal?

Wo es Täler gibt, da sind auch Berge. In Wuppertal, einer Großstadt mit 350 000 Einwohnern, stehen die Berge, die auch Flussufer sind, dicht an. So streckt sich die ehemalige Industriestadt etwa 20 km weit auf der Nord- bzw. der Südseite des seit langem schon kanalisierten Wassers. Maximaler Höhenunterschied auf dem Stadtgebiet: rund 250 m. Das hat der Stadt steile wie abschüssige Straßen und zahllose Treppenanlagen eingebracht.

In diese Enge eine Bahnstrecke zu bauen, erforderte Ingenieurskunst und ergab – vom damaligen Standpunkt ausgesehen zwangsläufig – einen mächtigen Höhenversprung zwischen dem Hauptbahnhof von 1848 und dem Stadtzentrum Elberfeldt. Zu diesem Hindernis kommen der Fluss und eine große Straße und in der Folge zahllose Behelfsbauten sowie eine Tunnelanlage, die die Schnittstelle Fernverkehr-Stadt immer verschwommener haben werden lassen.

Mit Blick auf andere Städte in vergleichsweise ähnlicher Situation und dem zunehmend enger werdenden Aorta-System der Stadt, lobte Wuppertal 2004 einen städtebaulichen Realisierungswettbewerb aus. Das Wettbewerbsgebiet umfasste sagenhafte kernstädtische 15 ha Fläche, gefordert waren 30 000 m² BGF plus Fläche und Bauten für einen Busbahnhof. Gewonnen hatten den Wettbewerb die Kölner JSWD Architekten, die sich mit ihrem ausgezeichneten Entwurf aufmachten, „ein lebenswertes und belebtes Viertel mit optimalem Zugang zu Bus und Bahn“ zu entwickeln.

Das Ganze sollte auf mehreren Ebenen entwickelt werden, um zwischen den unterschiedlichen stadträumlichen Höhenniveaus zu vermitteln. Der Entwurf sah vor, klare, an der vorhandenen Bebauung orientierte Raumkanten zu formulieren, in deren Rahmen ein „repräsentativer Solitärbau […] zusammen mit dem historischen Bahnhofsgebäude und der ehemaligen Bundesbahndirektion ein Ensemble“ bildet (JSWD). Die „Barriere Bundesstraße“ wird tiefergelegt und in Teilen gedeckelt, der Fußgängeranschluss, also die Erweiterung der Einkaufszone der Innenstadt wird als bebaute Fußgängerbrücke realisiert. Die Bebauung ist als Einzelhandelszone definiert, die über den Vorplatz in die nächste Einkaufsmeile, die Bahnhofsmall, mündet. Von dort aus werden die Fußgängerströme zu den Bus- oder Bahngleisen weitergeleitet.

Fünf Jahre nach dem Wettbewerb ging es dann los, die Bagger rückten an und schufen mit Abrissen der Bahnhofszubauten, der Fußgängerbrücke, dem Tunnel etc. bis 2013 Tabula rasa im Vorfeld der historischen Bahnhofsgebäude. Zu diesem Zeitpunkt waren die Wettbewerbsgewinner und Generalplaner JSWD Architekten nicht mehr an Bord, Stadt und Architekten stritten um Honoraransprüche. Die nachfolgende Arge von GKK Architekten, Hamburg und HIG, Kassel, brachte das Projekt bis zum heutigen Stand. Mit Änderungen allerdings, die sich vor allem auf die Platzierung des „repräsentativen Solitärbaus“ bezogen, der nun etwa 23 m weiter in Richtung Westen auf den Bahnhofsvorplatz gerückt ist und sein Volumen deutlich vergrößerte. Auch wenn in den ersten Animationen der Büroquader von JSWD Architekten noch zitiert wird, war schnell klar, dass in diesem Bau nicht die ursprünglich vorgeschlagenen Büroflächen realisiert werden. Hier hatte 2015 der Investor Signature Capital/Irland etwa 55 Mio. € Invest versprochen und gleich den Architekten mitgebracht: Chapman Taylor/London, die auf dem Retail-Feld vielleicht Weltmarktführer sind. Gezahlt hat Signature Capital 2,31 Mio. € für das etwa 6 000 m² große Grundstück, darin eingeschlossen die Rechte für die Straßen­überbauung mit der Geschäftsbrücke. Aus dem eher schlanken Büroturm wurde ein hinter messingfarbenen Paneelen schwingender Mehrgeschosser mit rund 10 000 m² Verkaufsfläche, Ankermieter soll zurzeit sein der übliche Verdächtige:
Primark, Irland.

Auf der Geschäftsbrücke richten sich gerade kleine Filialen großer Ketten ein. In die über allem schwebende Bundesbahndirektion am westlichen Rand des Planungsgebiets sowie in angrenzenden Gebäuden und freien Flächen möchte die Cleesgruppe 30 000 m² vermietbarer Fläche in drei Bauabschnitten realisieren. Nachbarzentren aber auch der Einzelhandel in Wuppertal haben bereits Bedenken gegen das Factory Outlet Center FOC geäußert. Allerdings ist vom FOC-Fortschritt noch wenig zu sehen.

Mit Blick auf die „Monokultur Shopping“ rund um den Bahnhof überkommt einen das Gefühl, das städtebauliche Ziel, Wuppertal im Kern neu zu beleben, könnte möglicherweise verfehlt werden. Schon die Aufgabe „Revitalisierung Bahnhofsgebäude“, für deren Bearbeitung aktuell noch die Bahn AG zuständig ist und die hierfür bis Frühjahr 2019 einen privaten Investor sucht, kann das Gesamtprojekt Stadterneuerung gefährden. Dass sich aktuell die Wuppertaler über die Natursteinmauer aus örtlichem Kalkstein aufregen – die Stadt hat sogar den Abriss der Wand auf der Kostenseite prüfen lassen – deutet zudem auf Unsicherheiten seitens der Bauherrschaft, die zwischen Investoren und Bahn AG eingekeilt keine gute Figur macht. Sie hat bisher 140,5 Mio. € in die Umbaumaßnahme investiert, etwa 30 Mio. € mehr als ursprünglich geplant. Dieses Geld wird mit geschätzten mehr als 500 neuen Arbeitsplätzen gerechtfertigt, welcher Art die sein werden angesichts der Mieterschaft, kann man sich vorstellen. Dem architektonischen Aufbruch sollte ein konzeptioneller folgen, sonst wird es Primark-Time im Herzen der alten Industriestadt, die da nicht die erste wäre. Be. K.

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