Altstoffsammelzentrum Vorderland, Sulz
Eine Reduktion der Materialien und Bauteile war bereits im Wettbewerb für das Altstoffsammelzentrum vorgegeben. Doch die Entscheidung für eine hybride Bauweise fiel vor allem aus der Erwägung heraus, wie Gestaltung und konstruktiv beste Lösung am sinnvollsten in Einklang zu bringen wären. So entstand durch die Kombination von Beton, Stahl und Holz ein Tragwerk, das mehr ist als die Summe seiner Teile.
Bis 2050 will die EU klimaneutral sein. „European Green Deal“ heißt das Zauberwort, das die ökologische Wende der Industrienationen in puncto Umweltschutz, Ressourcenschonung und Förderung einer grünen Wirtschaft lenken soll. Dazu sind Maßnahmen in allen Bereichen der Wirtschaft erforderlich, wie zum Beispiel eine Veränderung unserer Produktions- und Verbrauchsmuster. Lediglich 12 % recycelte Materialien werden aktuell von der europäischen Industrie verwendet. Auch bei der Abfallvermeidung in den privaten Haushalten ist noch viel Luft nach oben: Pro Jahr produziert jeder EU-Bürger im Durchschnitt immer noch fast eine halbe Tonne Siedlungsabfälle. Umso mehr Aufmerksamkeit muss den Wertstoffhöfen bzw. Altstoffsammelzentren zukommen. Denn hier beginnt der kommunale Wertstoffkreislauf durch sortenreine Trennung und Erfassung von werthaltigen Abfällen zum Recycling.
Je mehr Altstoffe getrennt gesammelt werden, desto höher ist die Recyclingquote und umso mehr werden unsere begrenzten Ressourcen nachhaltig geschont. Vorarlberg ist hier schon länger Vorreiter. Bereits 2014 eröffnete mit dem Altstoffsammelzentrum (ASZ) in Feldkirch eine hochmoderne Anlage, die nun durch den Neubau des Altstoffsammelzentrums Vorderland in Sulz ergänzt wird. Von den 11 Gemeinden, die sich als Bauherr zusammengeschlossen haben, wurde ein Architekturwettbewerb ausgelobt, den Hermann Kaufmann + Partner ZT GmbH + Arch. DI Christian Lenz, Schwarzach, mit merz kley partner für sich entscheiden konnten. Gut sichtbar zwischen der Autobahn und einer Bundesstraße liegt der Neubau in einem Gewerbegebiet, bequem zu erreichen von den 30 000 Anwohnern der kooperierenden Gemeinden. Der Wunsch nach einer maximalen Ausnutzung des Grundstücks definiert die funktionalen Grundparameter des Zweckbaus: das Tragwerk und die verkehrstechnische Orientierung ergeben eine klare Struktur, die sowohl für die Nutzer als auch die Dienstleister ersichtlich ist.
Visuelle Orientierung
Über eine leicht ansteigende Rampe werden die Fahrzeuge auf einer Asphaltspur durch die Halle geführt, um entlang der Fahrspur an den Sammelbehältern ihre Recyclingmaterialien abzugeben. Abgerechnet wird nach Gewicht, bezahlt wird bargeldlos an diversen Stationen oder im Bürgerbüro, das wie eine eingeschobene Kommandozentrale zwischen Einfahrt und Ausfahrt sitzt. An der Ostseite reihen sich der Verwaltungsbereich und die Sanitäranlagen als eingeschossiger Körper in Holzrahmenbauweise innerhalb der Halle aneinander. Das Lager für Problemstoffe schließt sich in einem geschützten Bereich an. Während sich die Fassade zur Autobahn als Abschottung zur Lärmbelastung geschlossen zeigt, öffnet sich die Halle über die Sägezahnrampe zur Straße. Der Höhenunterschied zwischen den Containern und der Abwurfstelle in der Halle ermöglicht getrennte Erschließungswege, sodass Nutzer und Containeranlieferung sich nicht in die Quere kommen. Das ist auch notwendig, denn bei einer Kundenfrequenz von 25 000 Autos im Jahr steht die optimale Funktion im Vordergrund. Dass die Architektur sich dieser unterordnet, aber auf den zweiten Blick die Feinheiten der Konstruktion sichtbar werden, macht den Zweckbau umso interessanter.
Beton + Holz
Eine Reduktion auf wenige Materialien und Bauteile wurde bereits im Wettbewerb festgelegt. Um Setzungen im Baugrund zu vermeiden, stabilisieren 414 Rammpfähle mit bis zu 20 m Länge die Stahlbetonplatte, auf der die Gebäudehülle sitzt. Die Sockel- und Rampenelemente sind aus Beton gegossen, ebenso wie die Lager für Problemstoffe. Für die großflächige Dachkonstruktion griffen die Planer auf ein bereits erprobtes, kos-teneffizientes System zurück: Brettschichtholzrippen in einer Höhe von 1 m bilden im Abstand von 2 m und mit einer darüberliegenden Dreischichtplatte das Dach. Die Träger aus Fichten-Brettschichtholz sind in zwei Fachwerkträger aus Baubuche eingespannt, die wiederum je mit einer Spannweite von 18 m auf drei massiven Stützen aus Ortbeton sowie Stahlstützen am Hallenende aufliegen. Zur offenen Hallenseite liegt jede dritte Rippe direkt auf einer filigranen Stütze auf, die dazwischenliegenden Rippen werden über eine Unterspannung aufgelagert. Auf der Ostseite liegt die Konstruktion auf der Außenwand, einer Holzkonstruktion mit Holzstützen und 3S-Platten, auf. Diese Bauweise ermöglicht ein zentrales Oberlicht in der Mittelachse, dessen Lichteintrag im Innenraum eine angenehme Atmosphäre erzeugt und den Bedarf an künstlicher Beleuchtung minimiert. Die Stegplatten des Oberlichts sind an Stahlprofilen befestigt und liegen auf einer Holzzarge auf.
Für die Stützen entschied man sich gegen Holz und für Beton, um den Schutz gegen eingeschlepptes Wasser zu gewährleisten, aber auch um Anpralllasten von Lkw und anderen Fahrzeugen abzufangen. Durch die Einspannung der Stützen in das Betonfundament steifen diese das Gebäude auch in Längs- und Querrichtung aus, was eine Filigranität der Stützen in der Fassade ermöglicht. Ein Vorteil der Bauweise war der hohe Vorfertigungsgrad, gefertigt von einem Holzbauer, der seine Werkhalle in kurzer Distanz hat und den Bau innerhalb von 14 Tagen stellen konnte. Als Weiterentwicklung zum Vorgängerprojekt in Lauterach wurden die architektonischen Details überarbeitet – angefangen bei der Zuspitzung der Stützenköpfe bis zur Ästhetik der aufgefächerten Untersicht der Brettschichtholzrippen, die zugleich für die Wetterseite Schutz vor Vergrauen bieten.
Flirrende Fassade
Holz ist auch das bestimmende Element der Fassade. Unterschiedlich breite Holzstäbe aus Fichte mit Maßen bis zu 12 x 14 cm strukturieren die geschlossene Fassade und ergeben durch die wechselnden Tiefen ein lebendiges Spiel mit dem Lichteinfall. An der Nordseite erstreckt sich eine transparente Lamellenwand; hier erlauben Polycarbonatplatten zwischen den Holzstäben fein gefiltertes Licht und weite Blicke ins Industriequartier. Auf diese Weise bekommt das große Volumen eine wohltuende Kleinteiligkeit und das warme Holz korrespondiert mit dem hellen Sichtbeton der Sägezahnrampe.
Hybrides System
Da das Gebäude nach dem Kommunalgebäudeausweis KGA zertifiziert werden musste, spielten die Materialwahl und Bauweise eine große Rolle. So musste die für die Punkteverteilung negativ bewertete Betonmenge für die Fundamente durch den Einsatz von CO2-neutralen Baustoffen wie Holz egalisiert werden. Doch die Entscheidung für ein hybrides System fiel nicht aus taktischen Gründen, um die maximale Punktezahl für die Zertifizierung zu erreichen. Vielmehr war es eine Entscheidung, die gestalterisch und konstruktiv beste Lösung gegeneinander abzuwägen. Die Bandbreite der Reinheit des Materials bis zur Idee der hybriden Konstruktion ist für Andreas Ströhle, Projektleiter bei Hermann Kaufmann + Partner, eine Bereicherung der Möglichkeiten. „Es sind drei wesentliche Materialien – Beton, Stahl und Holz –, die beim Bauen verwendet werden. Jedes Material hat seine eigenen Stärken, wir wären ignorant, wenn wir diese nicht kombinieren würden.“ Auch für Matthias Eisele, Ingenieur bei merz kley partner, sind hybride Tragwerke interessant, sei es bei einer Holzverbunddecke oder einem Fachwerkträger wie hier mit Stahlzugstäben und Holzdruckstäben. „Holz ist unglaublich auf dem Vormarsch, aber es sollte nur das in Holz gebaut werden, was auch Sinn macht. Aufwand und Ergebnis sollten in einem Verhältnis stehen. Hätten wir Holzstützen anstelle der filigranen Stahlstützen für den Lastabtrag des Daches gewählt, würde das Ergebnis ganz anders aussehen …“
Von hoher gestalterischer Wirkung ist das filigrane, fast schwebende hölzerne Dachtragwerk, welches zentral auf wenigen prägnanten und hochbelasteten Stahlbetonstützen ruht. Deckengleiche Fachwerkträger aus BauBuche in Kombination mit Fichten-Brettschichtholzträgern überzeugen als Ingenieurbaukunst aus Holz.«
DBZ Heftpartner, Prof. Dr.-Ing. Jürgen Graf und Prof. Stephan Birk, TU Kaiserslautern
Baudaten
Objekt: Altstoffsammelzentrum Vorderland, Sulz
Standort: Sulz/AT
Typologie: Abfallsammelzentrum/ Wertstoffhof
Nutzer: Gemeindeverband Altstoffsammelzentrum Vorderland, Sulz
Architekt: Architekten Hermann Kaufmann ZT GmbH, Schwarzach /AT
www.hkarchitekten.at
mit Architekturbüro Dipl.-Ing. Christian Lenz ZT GmbH
Tragwerksplanung: merz kley partner ZT GmbH, Dornbirn /AT www.mkp-ing.com
Mitarbeiter (Team):
Projektleitung: Andreas Ströhle M.Sc.
Mitarbeit: Martin Rümmele, Niklas Vogt
Projektsteuerung/Bauleitung: Büro Gernot Thurnher, Feldkirch
Kostenplanung: Arch. DI Roland Wehinger, Manfred Pozetti, Ing. Emanuel Holbach
Bauzeit: 09/2018 – 08 /2019
Projektdaten
NGF: warm 124,09 m² / kalt 135,26 m² / Halle inkl. Sägezahnrampe, Lager OG 2 297,50 m²,
BGF: 2 746,2 m², BRI: 20 478,3 m³
Energie: 66 kWh/m²a
Kommunalgebäudeausweis
Weitere Planungsbeteiligte
Ökologische Bauleitung: Ökoberatung G. Bertsch, Ludesch www.oekoberatung.at
HLS Planung: Herbert Roth – Technisches Büro, Lauterach www.tb-roth.at
Elektroplanung: elplan Lingg Elektroplanungs GmbH, Schoppernau www.elplan.at
Bauphysik: Weithas Bernhard GmbH, Lauterach www.weithas.com
Brandschutzplanung: k&m Brandschutztechnik GmbH, Lochau
www.km-brandschutz.at
Geologie: 3P-Geotechnik ZT GmbH, Lochau www.3pgeo.com
Gebäudeorganisation: Umweltverband Vorarlberg, Dornbirn
www.umweltverband.at
Aushubsuntersuchung: wpa-beratende Ingenieure GmbH, Dornbirn www.wpa.at
Entwässerungsplanung: Rudhart / Gasser / Pfefferkorn ZT, Bregenz
www.rgpzt.at
Verkehrsplanung: Besch und Partner, Feldkirch www.verkehrsingenieure.com