Anna-Pröll-Mittelschule, Gersthofen
Wie vom Winde verweht huscht die Zeile „Dem Guten, Wahren & Schönen“ in roter Schreibschrift über die Fassade des Neubaus der Anna-Pröll-Mittelschule im schwäbischen Gersthofen. Ein Statement, das nicht ganz in unsere Zeit zu passen scheint. Prangt es doch in ähnlicher Form über dem Hauptportal der Alten Oper Frankfurt, einem gravitätischen Renaissancebau aus den 1880er-Jahren, der diesem Motto der Weimarer Klassik weit nähersteht. Aber ach, auch Goethe und Schiller haben ja nur geklaut: Ihren Ursprung hat diese Formel nämlich in den Platonischen Dialogen, dort wird sie Sokrates zugeschrieben. Für einen Ort des selbstorganisierten Lernens und der Partizipation also vielleicht doch kein so unpassender Slogan?
2012 konnte das Münchener Büro von Behnisch Architekten den Wettbewerb für die Anna-Pröll-Schule für sich gewinnen. „Günter Behnisch hat mit seinen situativen, von Individualität geprägten Schulbauten Revolutionäres geleistet“, erinnert sich Robert Hösle, Partner im Büro München, der noch unter dem Firmengründer sein Handwerk gelernt hat. „Für uns Nachfolger begann Ende der 2000er-Jahre wieder eine interessante Phase. Hier konnten wir unsere Ideen einbringen, denn im Zuge neuer pädagogischer Lernkonzepte wuchs die Bereitschaft der öffentlichen Hand, mit Grundrissen und Clustern in Schulen zu experimentieren.“ Das Gymnasium in Ergolding, ebenfalls ein Schulbauprojekt des Münchener Standorts, habe viel positive Resonanz bekommen. Doch mit der Anna-Pröll-Mittelschule gelang es den Architekten, die Grundrisse noch weiterzuentwickeln.
Herausforderung Höhenversatz
So richtig zum Abschluss kamen die Arbeiten an den Außenanlagen des Schulcampus erst im September vergangenen Jahres. Seit diesem Frühjahr können die Schüler:innen die großzügig angelegte Terrassierung, die sich teils bis ins Gebäude und bis in die zentrale Aula zieht, als erweitertes Klassenzimmer im Freien nutzen. „Die Herausforderung bei diesem Projekt bestand darin, den Neubau auf dem ehemaligen Pausenhof des Bestandsgebäudes zu realisieren, während der Schulbetrieb wie gewohnt weiterlaufen sollte“, erinnert sich Thomas Weitzel, der als Projektarchitekt an Entwurf und Umsetzung der Mittelschule beteiligt war. Das erschwerte nicht nur die Ablaufplanung, sondern gab den Planer:innen auch ein Baugrundstück mit schwieriger Topografie an die Hand. Es galt nicht nur einen Höhenversatz zu überwinden, sondern den Baukörper auch so zu kontextualisieren, dass er sich selbstbewusst mit dem umgebenden Stadtraum verzahnt und eine Brücke in die Gemeinde schlägt.
„Unser Entwurf sah vor, dass wir anstelle des Bestandsbaus einen gemeinsamen Schulhof mit dem benachbarten Paul-Klee-Gymnasium schaffen und die neuen Gebäudetrakte wie Finger in den umgebenden Grünraum schieben“, erzählt Robert Hösle, „Den Anfang machten wir dabei mit der neuen Turnhalle.“ Sie ist zugleich auch einer der Bausteine, auf denen die gute Nachbarschaft mit der Gemeinde erbaut ist – diverse Sportvereine, die eine starke Lobby im Ort haben, brachten ihre Wünsche in die Gestaltung der Turnhalle ein. „Der örtlichen rhythmischen Sportgymnastikgruppe haben wir es zu verdanken, dass wir mit einer lichten Höhe von 9 statt der üblichen 7 m planen durften“, sagt Thomas Weitzel. „Deren Bänder hätten sich sonst beim Hochwirbeln in der Decke verfangen. Das gab uns die Möglichkeit, die Halle in den Höhenversatz einzugraben, statt sie ebenerdig zu realisieren.“ Doch auch andere Sportvereine meldeten ihre Bedürfnisse an, sodass heute eine Kletterwand, eine Tribüne, ein Kraftraum und eine Vorhalle für Veranstaltungen den ursprünglich als bloße Turnhalle geplanten Bau ergänzen.
Materialitäten im Fokus
„Da wir uns zum Teil unter der Erde befinden, entschieden wir uns für einen hellen Bodenbelag“, erklärt Projektarchitekt Thomas Weitzel. Großzügige Fenster in der oberen Wandhälfte leiten das Tageslicht auf den Hallenboden. „So wollten wir vermeiden, dass eine düstere Kelleratmosphäre entsteht.“ Damit waren schon einige Schlüsselthemen für die ästhetische Ausgestaltung des Campus gefunden – Transparenz und Helligkeit. Anders als beim Vorgängerbau, dem Gymnasium in Ergolding, entschieden sich Behnisch Architekten daher, beim Farbschema eher leise Töne anzuschlagen und die Materialien für sich sprechen zu lassen. „Holz, Beton, Glas, dazu Sandtöne im UG, das den Terrassen zugeordnet ist, Grüntöne im EG auf Höhe der umgebenden Vegetation und Blautöne in den beiden Obergeschossen, die sich in den Himmel erheben.“ Lediglich die Rückzugsorte mit Sitzgruppen für das Erledigen der Hausaufgaben im Rahmen der Ganztagsschule oder zum fokussierten Einzellernen setzen mit Rot- und Orangetönen kräftige Farbakzente.
Im Fokus stehen im gesamten Bau Blickbezüge und Transparenz sowie die Ausrichtung auf die zentrale Aula, die als repräsentatives Treppenhaus mit Aufenthaltsqualität gestaltet ist. Das kleinste Cluster besteht aus zwei Klassenräumen, die über einen zusätzlichen Ausweichsraum verbunden sind. Hier können sich die Schüler:innen zu Gruppen- und Stillarbeiten zurückziehen und sind doch im Blick ihrer Kamerad:innen und der Pädagog:innen. „Die Besonderheiten des Baugrundstücks ziehen sich dabei bis in die Klassenräume“, sagt Thomas Weitzel. Ursprünglich wurde mit orthogonalen Klassenräumen geplant, die ließen sich jedoch schwierig in die Gebäude integrieren. Schließlich sei es Stefan Behnisch gewesen, der mit dem Hinweis „das Grundstück will gar keine orthogonalen Räume“ in die Richtung wies. Die heute leicht abgeknickte Form nimmt den Räumen die alte Ausrichtung auf den Platz der Pädagog:innen und unterstützt so das freie und selbstorganisierte Lernen der Schüler:innen in unterschiedlichen Konstellationen und Gruppenstärken. Zudem befinden sich an drei Wänden Schränke für Lernmaterialien, deren Oberflächen beschreibbar sind – auch das bricht mit der Orientierung des Raums auf die Lehrer:innen, wie sie früher beim Frontalunterricht üblich war. Die eigens designten Tische greifen die Trapezform der Räume auf und laden Schüler:innen und Lehrkörper ein, ihn nach den eigenen Vorstellungen und Bedarfen immer wieder neu zu konfigurieren.
Flexibler Flächengewinn
Dass Zusatzflächen nicht nur pädagogisch, sondern auch ganz praktisch ein Gewinn sind, erlebten Planer:innen und Schulleitung bereits während der Bauphase: Da der Erfolg – und damit der Bedarf an Räumen – des Schulkonzepts von der Gemeinde Gersthofen unterschätzt wurde, mussten die Planer:innen noch ein Stück am Südflügel dranplanen. Die Anzahl der Klassenzimmer wuchs so von 24 auf 30. „Das führte zu Verzögerungen am Bau, weshalb während einer zweijährigen Übergangsphase auch Ausweich-, Musik- und Werkräume als reguläre Klassenräume genutzt werden mussten“, erzählt Partner Robert Hösle. Diese Resilienz sei ein Zusatznutzen, den reine Flurschulen alten Typs kaum zu bieten haben. Zudem sei der Flächenbedarf – und damit die Kosten – für die flexiblen Flächen nicht allzu hoch, da ein Großteil mit ohnehin notwenigen Fluren und Erschließungsräumen zusammenfalle. Auf etwa zehn Prozent der Gesamtfläche beziffert ihn Robert Hösle. Das gelang auch durch den Trick, die Rettungswege konsequent direkt aus den Klassenzimmern über die rundum laufenden Terrassen zu führen.
Wie kreativ Schüler:innen und Pädagog:innen die flexiblen Möglichkeiten des Baus nutzen werden, werden nun die kommenden Monate zeigen. Aktuell ist erstmals wieder ein fast normaler Schulbetrieb möglich. Zaghafte Ansätze gibt es bereits – während des Kunstunterrichts öffnen die Lehrer:innen gern die Balkontür, um mit den Schüler:innen Zeichenübungen im Freien zu machen. Gleiches wünschen sich die Planer:innen auch für den Werk-, Koch-, oder Musikunterricht. Denn die Terrassierung des Pausenhofs eignet sich ideal für die Verlegung des Unterrichts ins Freie. Leider aber will nun das Land, welches das benachbarte Gymnasium betreibt, den Standort aufgeben und an einem anderen Ort neu bauen – damit ist auch der gemeinsam genutzte Standort Geschichte. Was aber auch neue Möglichkeiten eröffnet: Derzeit, so die Architekten, überlege die Gemeinde noch, was mit dem Grundstück zu tun sei. Vielleicht rückt ja die Gemeinde so noch ein wenig näher an ihr neues Bildungszentrum. Oder wäre das zu viel des Guten – und zu schön, um wahr zu sein? ⇥JA
Das neue Schulhaus rahmt durch seine freie Formensprache die Mitte des Schulcampus. Die bestehende Topografie mit Höhensprung wird zur Agora, die sich im Innenraum fortsetzt. Spielerisch gruppieren sich die Cluster um das lichtdurchflutete Atrium, sodass die Erschließungszonen vielfältig nutzbare, flexible Lernräume bilden.« DBZ Heftpartnerinnen Maria Hirnsperger und Angie Müller-Puch, Behnisch Architekten München/ Weimar
Projektdaten
Objekt: Anna-Pröll-Mittelschule
Standort: Theresienstraße 12,
86368 Gersthofen
Typologie: Schulbau mit Sporthalle
Bauherrin: Stadt Gersthofen
Nutzerin: Anna-Pröll-Mittelschule
Architektur: Behnisch Architekten, München
Team: Robert Hösle, Thomas Weitzel, Haidar Al-sitrawi, Simon Probst, Gina Gage, Bizhou Wang
Bauleitung: Tobias Roos, Rabea Klement
Bauzeit: Gesamtanlage in 3 Bauabschnitten: 2013-2021
Zertifizierungen: von Bauherrschaft nicht erwünscht.
Grundstücksgröße: 24 130 m²
Grundflächenzahl: 0,45
Geschossflächenzahl: 0,58
Nutzfläche gesamt: 8 539 m²
Haupt-Nutzfläche: 8 024 m²
Technikfläche: 972 m²
Verkehrsfläche: 2 510 m²
Brutto-Grundfläche: 14 078 m²
Brutto-Rauminhalt: 64 527 m³
Baukosten (brutto KG 200-600): € 32,9 Mio
Gesamt brutto (KG 100-700): € 39,9 Mio
Hauptnutzfläche: 4 100 €/m²
Brutto-Rauminhalt: 64 527 €/m³
Fachplanung
Tragwerksplanung: Leonhardt, Andrä und Partner, Stuttgart, www.lap-consult.com,
IB Steinherr, Neusäß,
www.aktionsgemeinschaft-neusaess.de
TGA-Planung: IG Frey Donabauer Wich mbH, Gaimersheim, www.ib-fdw.com,
Wimmer Ingenieure, Gersthofen,
www.wimmer-ingenieure.de
Elektroplanung/Lichtplanung/Aufzüge: Ingenieure Bamberger GmbH + Co. KG, Pfünz, www.ibamberger.de
Landschaftsarchitektur: Liebald + Aufermann Landschaftsarchitekten, München,
www.liebald-aufermann.de
Energieberatung: Transsolar KlimaEngineering, München, www.transsolar.com
Brandschutz: Brandschutz Consulting Sonntag, München, www.brandschutzconsulting.de
Baugrundgutachten/Hydrogeologie: Büro für Geotechnik und Umweltfragen GbR, Eching, www.b-g-u.de
Bauphysik/Akustik: PMI GmbH, Unterhaching, www.pmi-ing.de
Küchenplanung: B.O.B. GmbH Catering-Managementberater & Küchenplaner, Bad Feilnbach, www.bob-bf.de
Sicherheitskoordination: InterQuality Architekten GmbH, Augsburg, www.interquality.de
Schadstoffgutachter: Intergeo Augsburg GmbH, www.intergeo.com
Energie
Primärenergiebedarf: 170,9 kWh/m²a nach EnEV 2014
Endenergiebedarf (Wärme+Strom):
95,2 kWh/m²a nach EnEV 2014
Jahresheizwärmebedarf: 40,9 kWh/m²a nach PHPP/EnEV 2014
U-Werte Gebäudehülle:
Außenwand = 0,24 / 0,17 W/(m²K)
Fassadenpaneel = 0,17 W/(m²K)
Bodenplatte = 0,17 W/(m²K)
Dach = 0,14 W/(m²K)
Fenster (Uw) = 0,9 W/(m²K)
Verglasung (Ug) = 0,6 W/(m²K)
Ug-total (mit Sonnenschutz) = 0,9 W/(m²K)
Luftwechselrate n50 = 2/h
Haustechnik:
Geothermie mit Wärmepumpe und Niedrig-energie, Bauteilaktivierung,
Hybridlüftung aus mechanischer Grundlüftung und Stoßlüftung (40 % weniger Technik),
PV-Anlage zur Eigenbedarfsdeckung, hoher Tageslichtquotient in Kombination mit kompletter LED Leuchtmittel-Ausstattung
Hersteller
Beleuchtung: Nimbus, www.nimbus-lighting.com
Bodenbeläge: Fabromont Kugelgarn,
www.fabromont.ch, Joka Parkett, www.joka.de, DLW Linoleum, www.gerflor.de
Dach: Bauder, www.bauder.de,
Sika, www.sika.com
Fassade/Außenwand: Schüco,
www.schueco.com, Raico, www.raico.de
Fenster: Schüco, www.schueco.com, Raico,
www.raico.de, Glas Trösch, www.glastroesch.com, Börner Lichtkuppeln, www.acryl.de,
Velux, www.commercial.velux.de
Trockenbau: Rigips, www.rigips.de,
Knauf, www.knauf.de
Lüftung: Trox, www.trox.de
Möbel: VS Vereinigte Spezialmöbelfabriken
www.vs.de
RWA-Anlage: Geze, www.geze.de,
D+h, www.dh-partner.com