Architektur Stahlbau
Ingenieur-Know-how und Stahlbaukompetenz
Das Ufer des Alstersees ist einer der beliebtesten Orte in Hamburg. Die Alstertreppen gegenüber dem Rathaus sind an sonnigen Tagen voll besetzt. Die Menschen kommen hierher zum Ausruhen und Entspannen. Einen solchen Ort bekommt jetzt auch Ludwigshafen: einen Ort der Begegnungen, ein urbanes Quartier mit vielen Bausteinen. Der Hamburger Projektentwickler ECE bringt mit der Rhein-Galerie ein Stück Hamburg in die Pfalz. Sie ist eines der spektakulärsten Zukunftsprojekte der boomenden Wirtschaftsregion Rhein-Neckar. Das Einkaufszentrum wurde auf dem Gelände des ehemaligen Zollhafens direkt am Rheinufer errichtet und öffnet damit die Innenstadt Ludwigshafens zum Rhein. Das zentrale Element ist das Wasser. Dieses wird dort künftig nicht nur zu sehen, sondern auch zu spüren sein.
Beim Bau des 220-Millionen-Projektes gibt es viel Bemerkenswertes architektonischer Art, vor allem rund um den Stahlbau, und dies in einer Art und Weise, die ihresgleichen sucht. Der Investor Union Investment Real Estate AG aus Hamburg lässt hier mit dem Generalübernehmer ECE aus Hamburg und dem Generalunternehmer Ed. Züblin AG aus Stuttgart ein monumentales Einkaufszentrum mit 32 000 m² Verkaufsfläche entstehen. Die Verkaufsebenen im Erdgeschoss und und im 1. Obergeschoss bieten Raum für 120 Shops und Gastronomie, das 2. und 3. Obergeschoss beherbergen 1 350 Parkplätze. Das architektonische Highlight ist jedoch die 80 x 400 m große lichtdurchlässige Membrandachkonstruktion, die das komplette Center überspannt.
Die Architekten, Hering Jost und Gisela Simon, ECE Hamburg, in Zusammenarbeit mit HPP Hentrich-Petschnigg & Partner KG, Düsseldorf, haben ihren Entwurf auf einen neu geschaffenen Stadtplatz hin orientiert. Im Zentrum der Ladenstraße wurde durch zwei ineinandergreifende Lichthöfe eine großzügige Raumsituation geschaffen.
Gestaltungsthema Wasser
Die wellenförmige Gestaltung der seitlichen Bögen des Membrandaches und gerundete Formen im gesamten Innen- und Außenbereich sollen architektonische Bezüge zu den Gestaltungsthemen „Fluss“ und „Wasser“ herstellen. In den Abendstunden und nachts wird die transluzente Dachkonstruktion spektakulär illuminiert und setzt damit auch bei Dunkelheit ein architektonisches Zeichen.
Die zweigeschossige 300 m lange Shopping-Mall erhält entlang der zentralen Galerieachse durch zahlreiche elliptische Glasdächer viel Tageslicht. Auch im Inneren wurde das Thema „Wasserlandschaft“ durch die Verwendung entsprechender Materialien und Wasserspielen aufgenommen.
Zum geplanten Ensemble der Rhein-Galerie gehören auch die ehemalige Werfthalle an der Uferpromenade und ein Gastronomie-Pavillon. Die Werfthalle wird nach Umbau und Sanierung ebenfalls für Gastronomie und Veranstaltungen genutzt. Mit den rund 25 000 m² hochwertig gestalteten Außenanlagen bekommt die Ludwigshafener Innenstadt erstmals einen direkten freien Zugang zum Rhein.
Herausforderungen
Stationiert am alten Winterhafen von Ludwigshafen, einem ehemaligen „Parkplatz“ für Schiffe während der kalten Jahreszeit, der in den 1950er Jahren zugeschüttet wurde, gestaltete sich die Gründung sehr problematisch. So war bei Baubeginn eine aufwändige Pfahlgründung nötig, bei der 550 Pfähle bis zu 25 m tief in den Untergrund gerammt wurden. Die besondere Herausforderung lag bei diesem Projekt jedoch im Stahlbau. Die technische Federführung in der ARGE Stahlbau Rhein-Galerie Ludwigshafen Vollack/Bühler wurde von Vollack® Stahlbau HiTec erbracht und durchgeführt. Sie war zuständig und verantwortlich für die technische Planung der Sonderlösungen sowie für Koordination und Umsetzung der kompletten Stahlkonstruktion im Erdgeschoss und 1. Obergeschoss, der Stahlverbundkonstruktion der Parkebene im 2. Obergeschoss sowie für die Ausführung der räumlichen Stahlrohrunterkonstruktion der Membrandächer, auf die im Folgenden näher eingegangen wird.
Dachkonstruktion
Zusammengefasst werden die einzelnen Baukörper des Einkaufscenters Rhein-Galerie Ludwigshafen durch ein monumentales, alles überspannendes Dach. Das Membrandach ist das architektonische Highlight. Es besteht aus einer Unterkonstruktion aus Stahl und einer Membrankonstruktion aus glasfaserverstärkter PTFE–Folie. Das Membrandach ist in zwei Hauptteile gegliedert. Das „große Dach“ ist rund 230 m lang und 80 m breit und ist in insgesamt 22 Hauptachsen gegliedert, das „kleine Dach“ ist immer noch etwa 110 m lang mit 10 Hauptachsen. Über eine Länge von 80 m in Querrichtung gespannte Kastenträger, die aus Blechen unterschiedlicher Dicke zu Hohlkästen zusammengesetzt wurden (b/d = 300 x 700 mm), werden diese in jeder Achse von je zwei Baumstützen mit jeweils vier Ästen und zwei V-Stützen mit zwei Ästen gestützt. Insgesamt ergeben sich somit 32 Baumstützen mit 128 Ästen und 16 V-Stützen mit 32 Ästen. An den Längsrändern erfolgt die Lastabtragung durch jeweils über 30 m bzw. 40 m frei gespannte Längsbinder aus zweifach gekrümmten Rohren mit einem Außendurchmesser von 506 mm in unterschiedlichen Wandstärken. An den Stirnseiten erhielt das Dach einen Randabschluss über freitragende Giebelrohrbinder mit den gleichen Abmessungen. Stabilisierend zwischen den Hauptquerbindern sind die Rundrohrpfetten mit Durchmesser 244,5 mm in ebenfalls unterschiedlichen Wandstärken angeordnet.
Jeder dieser Äste, Giebelrohr- und Längsrohrbinder und auch die Kastenträger wurden als geschraubte Konstruktion im Rahmen eines Sondervorschlages konzipiert. Ausgehend vom Entwurf der bauseitigen Planung des Bauherrn, bei der eine komplett geschweißte Konstruktion vorgesehen war, entwarfen und planten die Stahlbauexperten von Vollack® HiTec bereits im Angebotsstadium den später auch ausgeführten geschraubten Entwurf.
Getreu dem Motto von Stahlbau HiTec „Partner von Anfang an“ wurde der Sonderentwurf zur Ausführungsreife detailliert und ausgearbeitet. Gegenüber dem ausgeschriebenen Ursprungsentwurf konnte mehr als 1 Mio. € eingespart werden und die Montagezeit gegenüber der ursprünglich geplanten Version mit Hunderten von Baustellenschweißungen erheblich reduziert werden.
Fertigung
Neben der reinen geometrischen Planung sind bei solch komplexen und architektonisch anspruchsvollen Geometrien auch Punkte wie „optimierte Fertigung“, „reibungslose Logistik“ und „effiziente Montage“ bei der Ausarbeitung der Sondervorschläge zu berücksichtigen. Es gibt z. B. in Europa nur wenige Betriebe, die solche Rohre entsprechend den CAD-Vorgaben biegen können. Beim Bau der Rheingalerie war höchstes technisches Know-how, intensives Vordenken, Anlieferung „just in sequence“ und präziser Einbau nötig, um die Terminvorgaben und das Budget einzuhalten sowie insbesondere die gewünschte Qualität zu erreichen.
Aufgrund der komplizierten, räumlich zweifach gekrümmten Geometrie wurde die Stahlkonstruktion der Längs- und Giebelbögen in einer um 90 Grad zur Vertikalen gekippten 1:1-Schablone gefertigt. Für gleiche Bauteile wurden spezielle, justierbare Schablonen zur Fertigung hergestellt, um die notwendige Genauigkeit zu gewährleisten. Bereits in der Fertigung wurden Bauteilgruppen in Echtgröße zusammengebaut, um auch hier Rückschlüsse für die spätere Montage vor Ort zu gewinnen und gleichzeitig die in separaten Plänen dargestellten Kontrollmaße zu überprüfen. Darüber hinaus wurden diese Bauteile dazu genutzt, um mit den Architekten Anschlussdetails, Verblendungen etc. bemustern und besprechen zu können.
Montage
Neben den Werkstattschablonen wurden auch entsprechende Schablonen für die Montage geplant und konzipiert. So konnte die vermessungstechnische Kontrolle der Konstruktion im Raum vorgenommen und die Standsicherheit der Teilsysteme gewährleistet werden. Diese Montagegerüste wurden aus der 3D-CAD-Planung abgeleitet und vor Ort von einem Vermesser entsprechend eingemessen und montiert. Zunächst wurde ein räumliches Gerüst für die Bauteilgruppe „Baum mit Ästen“ errichtet, indem die vier Äste zusammen mit dem Baumstamm ausgerichtet wurden. Diese Gerüste wurden in vierfacher Ausfertigung jeweils zweimal links und zweimal rechts der Firstlinie angeordnet und waren für sich alleine standsicher. Auf den so in der Lage gesicherten schräg verlaufendenen Ästen wurden die Kastenträger aufgelegt und mit den Rundrohrpfetten gekoppelt. Nächster Schritt war die Einrichtung des Montagegerüstes V-Stützen einschl. der Stützen selbst. Diese wurden jeweils zweifach auf der Rheinseite und zweifach auf der Straßenseite ebenfalls spiegelbildlich zur Firstlinie errichtet. Zwischen diesen Einzelgruppen fand dann der Formschluss durch Einbau der restlichen Kastenträgern statt.
Parallel zu der Montage der Kastenträger Baumstützen und V-Stützen fand die Montage der Längsbinder statt, die ein Geschoss niedriger positioniert sind. Auch für diese aufwändige, zweifach gekrümmte Konstruktion wurde ein separates Montagegerüst in Form eines Dreibeines entwickelt. Mit Hilfe dieses Gerüstes wurden dann die Längsbinder montiert und ausgerichtet bevor der letzte Formschluss zwischen V-Stützen und Längsrohrbinder über die fast senkrecht verlaufenden Kastenträger erfolgte.
Nachdem dann der über vier Achsen verlaufende Teilbereich für sich standsicher verschraubt war, wurden die Montagegerüste wieder demontiert. Dasselbe Prozedere begann dann vier Achsen weiter wieder von vorn. So wurde Zug um Zug – unter Verwendung einer definierten Anzahl von Montagegerüsten – die Gesamtkonstruktion, entsprechend der von Vollack erstellen Montagestatik, unfallfrei montiert.
Zusammenfassung
Bei jedem modernen Gebäude aus Stahl steht am Anfang der gestalterische Entwurf des Architekten. Ästhetik und Freiformen stehen oft im Vordergrund. Die Einbindung der Stahlbauingenieure erfolgt jedoch meist erst nach oder während der Ausschreibungsphase. Aus Sicht des Stahlbauexperten ist es bei komplexen, architektonisch anspruchsvollen Gebäuden jedoch wünschenswert, dass das stahlbauspezifische Ingenieur-Know-how und die Stahlbaukompetenz der Spezialisten früher zum Tragen kommt und in vielen Bereichen schon in den Genehmigungsentwurf miteinfließen kann. So hätten viele der beim Projekt Rheingalerie im Nachgang aufgeworfenen Fragen und Details schon frühzeitig in die Gesamtplanung ohne Termindruck eingebracht werden können: Grenzabmessungen für Rohrbiegungen, Verfügbarkeit und Walztermine der Rohrquerschnitte, Hilfsunterstützungen für Montage, Transportlängen, Terminfenster für Sonderbearbeitung wie „CAD-Rohrkonturfräsung“, Kran-Kapazitäten, Montagestöße, Baustellenschweißungen, Schnittmengen mit angrenzenden Gewerken wie Betonbau und Membrandach, zu berücksichtigende Randbedingungen anderer Gewerke und vieles mehr.
Partner von Anfang an – das ist das Ziel, das man anstreben sollte – im Sinne des Projektes und aller Planungsbeteiligten.