Manchmal muss man buchstäblich mit der Tür ins Haus fallen. Das bedeutet hier durch den Haupteingang an der Prager Straße die Dresdner Centrum - Galerie zu betreten und zum Raum-Junkie zu werden. An den Enden der mächtigen mehrläufigen Rolltreppen in der Zugangsebene geht der Blick nach unten und oben fast gleichzeitig und trifft auf insgesamt vier Kaufetagen, gruppiert um ein Atrium, deren dekorierte Wände schimmern. Hier entfaltet der neue Kauftempel auf dem Platz eines alten sozialistischen Warenhauses gotische Raumqualitäten, das heißt diesen Blick ins Licht nach oben. Und die von der Renaissance inspirierten Wabenfassade, die den
„ Rolltreppengarten“ einrahmen, steigern Strenge und Distanz, was heißen soll, sie majorisieren den Blick und fangen wie ein Bühnenhintergrund Shops wie auch ihre Besucher auf, geben ihnen Halt und beherrschen diesen öffentlichen Stadtraum, der zufällig unter Dach liegt.
Kathedrale statt Souk
Dieses Einkaufszentrum beeindruckt durch Raum, nicht durch üblichen Designtand. Nicht alle Passanten sind darüber glücklich: „Mag ich nicht“, ist von Jugendlichen zu hören, „ zu groß zu hoch. Drüben in der Altmarktgalerie ist es viel gemütlicher!“ Es stehen zwei Modelle zur Auswahl: die Kathedrale und der Souk. Einkaufen und Handel werden häufig mit Letzterem assoziiert, mit Düften, Gerüchen, mit Enge und Schubsen. Mit möglichst vielen visuellen Provokationen und Retrodesign. Die mächtige ECE aus Hamburg, die größte Betreiberin von Einkaufszentren in Europa, hat mit diesem Motiv bisher in Deutschland flächendeckenden Erfolg gehabt und mitunter Schindluder getrieben, weil die Gestaltung den funktionalen und kommerziellen Bedürfnissen untergeordnet wurden. In ihren Passagen überlagern Reklame, Kulissen und Verkaufshilfen jegliche architektonische Ambition.
Die Centrum - Galerie ist das lang erwartete Gegenmodell und die Dresdner erkennen mehr und mehr, wie städtisch wertvoll auch der Moloch „EKZ“ sein kann, wenn man ihn als architektonische Komposition begreift. Diese hier spielt mit wenigen Motiven: Platz und Straße, die wichtige Punkte von draußen und drinnen miteinander verbinden. Eine gute, leichte verständliche Durchwegung also, denn man weiß immer, wo man gerade ist. Keine überfallartigen Belästigungen der Augen. Ruhe. Dazu diese Höhe und auch Weite, beispielsweise dann, wenn der Architekt im 2. Obergeschoss eine Wand am Atrium öffnet, dort die Läden wie Pavillons auf amöbenartigen Grundrisse in den Raum einstellt. Wie der Architekt sagt, „Ladenbauten wie Trüffel eingeschoben sind“. Plötzlich ist hier Souk in der Kathedrale. Übrigens hat man draußen auf der Prager Straße auch kleine Stadtmöbel aufgestellt.
Kein Abschied von der Moderne
Draußen entwickelte sich in den 1970er Jahren aus dem Altmarkt nach Süden mit dem Wiederaufbau der im Krieg völlig zerstörten Nord-Süd-Achse die Prager Straße als formal nachgeholte Moderne der DDR. Im zeitgenössischen Architekturführer des Bezirks Dresden ist eine gezeichnete Perspektive zu sehen, die in bester LEGO - Stadt - Manie die Apartmenthäuser, Hotels, eine 160 m lange Wohnscheibe und ein leicht aus der Achse gedrehtes Kaufhaus zu einem eleganten Stadtraum zusammensteckt: Solitäre im Park! „Nicht sächsisch, nicht DDR-deutsch, nicht osteuropäisch - sondern International“ hieß es in einer anderen zeitgenössischen Beschreibung. Die Prager Straße war die erste DDR-Fußgängerzone und ihre unendlich langen Schaufensterpassagen und zusätzlichen Pavillons als Straßenmöbel spielten mitten im real existierenden Sozialismus die Rolle eines Konsumboulevard ohne Autos: „Fußgängermagistrale und Zentrum des internationalen Tourismus“ lauteten die hehren Ziele.
Post festum begann in der Mitte der 1990er Jahre der heutige Hamburger Oberbaudirektor Jörn Walter als damaliger Dresdner Planungsamtsleiter damit, die sächsische Landeshauptstadt städtebaulich in die neue Zeit zu bringen. Einer seiner Schwerpunkte: die Nachverdichtung der ehemals stark zerstörten Sektoren der Altstadt und der angrenzenden Vorstädten, die mit sanfter Reihenbebauung und offenen Blöcken wiederaufgefüllt worden waren. Der Altmarkt wurde jetzt durch spätmoderne Schönheiten verkleinert, die Prager Straße geriet zwischen die Zeiten und Systeme; neue Kaufhäuser trafen auf Altpavillons aus DDR Zeiten, C&A statt HO-Konsum der südliche Straßenraum blieb weitgehend authentisch, zwischen ihm und dem Altmarkt wurde die Straße schmaler, das Thema hieß jetzt klassischer Block und Parzelle.
Die neue Galerie liegt an der Schnittstelle, genauer gesagt an mehreren. Am nördlichen Ende bildet sie den Eyecatcher einer weitläufigen, architektonisch spätmodernen Fußgängerzone, wie es sie nach dem reset, also der Modernisierung im wiedervereinigten Deutschland in dieser Qualität kaum ein zweites Mal gibt. Dann aber ordnet sie sich dem neuen/alten Blockrandgedanken unter; ein Baumspalier erinnert jetzt daran, wie frech diagonal einst das Kaufhaus gestanden hatte.
Hinter der Fassade ist weder ein großflächiges Warenhaus noch ein auf penetrante Verkaufsstrategien getrimmtes EKZ zu finden, sondern eben die Fortsetzung des städtischen Raumes mit modernen städtebaulichen Mitteln, wobei der Architekt das übliche spätmoderne Vokabular verlässt, indem das Vorhangfassadenmotiv der Wabe von außen in einer Version mit Renaissancemotiven innen wieder aufnimmt.
Sozialistisch begonnen, kapitalistisch vollendet
Und dann gibt es noch die Rückseite einer Verknüpfung. Dort stürzt die Innenstadt durch einen verhältnismäßig niedlichen Wiederaufbau in den 1950ern in eine Art Vorstadtmilieu der 1950er Jahre ab. Trotzdem wird man den Charakter hier halten müssen, denn in neuen Wohnungsbau wird hier keiner investieren wollen. Peter Kulka nutzt den Rückraum, die Automobilität der Dresdner hier durch die Hintertür mit der City zu verbinden. Eine stolze Rampenspindel als Zeichen lockt sie in diese gekonnte innerstädtische HochgarageDie Besucher, die mit dem Auto kommen, fallen durch den „Himmel“ ein und treffen hier auf einen Mediamarkt und vieles mehr mitten in der City . So lässt sich in positiver Kritik zusammenfassen: Die Architekten trafen hier auf den offensiven Kaufmannsgeist von niederländischen Investoren, die nach dem Vorsatz handeln: Ich baue das, was mir hilft erfolgreich zu sein. Das geht nur, wenn es die hiesigen Menschen und ihre Stadt unterstützt. So entstand eine der Stadt dienliche Passage, die sich spürbar mit ihr vernetzt und das bestehende Stadtgesicht und -system aufnimmt: kein Fremdkörper sondern Teil des Spiels, kein Feind des bestehenden Einzelhandels, sondern ihr Förderer, weil die City ein Stück attraktiver geworden ist. Über die aufregenden Rekonstruktionen von Schloss und Frauenkirche, über die gelungene Wiederherstellung der barocken Neustadt und den leicht zu Attrappen verkommenen, aber gut gemeinten „alten“ Fassaden am Neumarkt hatte man vergessen, dass Dresdens Prager Straße eine moderne Großstadtstraße besitzt.Sozialistisch begonnen, kapitalistisch vollendet, eine Ehe, die funktioniert, wie auch die Centrum - Galerie beweist.
Alle Texte: Dirk Meyhöfer,Hamburg
Wie ordnen Sie die Centrum-Galerie in Ihr Werk als moderner Architekt ein?
Peter Kulka: Ich habe ja noch nie ein Einkaufszentrum gebaut. Deswegen trifft hier das Prinzip der Unschuld zu, und das ist immer gut. Projekte, die man zum ersten Mal bearbeitet, sind für uns Architekten besonders spannend. Wenn man sich mit einem bestimmten Thema noch nicht verbraucht hat, steigert das die eigene Spontanität und Offenheit. Im vorliegenden Fall konnten wir zusätzlich eine wichtige Alltagsaufgabe neu definieren. Die Funktion „Kaufen“ hat an Glanz verloren, die traditionellen Warenhäuser tun sich sehr schwer. Deren Nachfolgekonstruktion, die Einkaufszentren, wenn sie draußen an der Peripherie liegen, nehmen den Städten ihre urbane Kraft, drinnen bedrohen sie durch ihre Größe die Innenstädte direkt. Und so ein bisschen war hier ein solches Problem auch zu lösen.
Wie lautet Ihr Lösungsansatz?
Peter Kulka: Ich kenne das unzerstörte Dresden noch aus meiner Kindheit und wollte den Dresdnern ein Stück Stadt zurückgeben. Im Wiederaufbau wurde Dresden hauptsächlich durch die Nord-Süd-Verbindung „Hauptbahnhof – Schloss – Augustus-Brücke“ geprägt. Das alte Centrum-Warenhaus war im Sinne der modernen Stadtplanung ein mächtiger Solitär, der wegen seiner Größe, der heruntergekommenen Bausubstanz und den neuen städtebaulichen Vorgaben nach der Wende nicht mehr gerettet werden konnte. Wir wollten nun die Außen- und Innenräume besonders gut miteinander vernetzen. Das gelingt uns durch wenige Maßnahmen, also durch Anbindung von unten und von oben. Unten in der Prager Straße und an den Seiten für die Fußgänger, von oben durch das Parkhaus, das auf dem Dach liegt. Und dann vor allem durch ein klares Erschließungskonzept mit deutlicher Orientierung.
Das gelingt durch den architektonischen Ansatz des eindeutigen und sehr hohen Raumes?
Peter Kulka: Natürlich. Orientierung durch Wegweiser ist immer nur ein schwacher Ersatz. Der Raum und die Wegeführung müssen sofort sich selbst erklären; so wird Identität geschaffen. Und das gelingt nur mit architektonischen, nicht mit stilistischen Interventionen. Wir greifen auf die jüngste Geschichte zurück und haben uns dabei auf die Materialität des Vorgängerbauwerks bezogen, also auf die alten Wabenvorhangelemente des Kaufhauses und haben sie dann in einer Variation auch nach innen gebracht. Was zunächst verwirrt – der Innenraum sieht wie der Außenraum aus – schafft Orientierung und Ordnung. Läden wirken hier wie Geschäfte in einer Straße. Öffentlicher Raum und privater Verkaufsraum sind klar erkennbar getrennt.
Sie sind ein Architekt, dessen Merkmal seine klassisch moderne Sprache ist. Aber in letzter Zeit haben Sie sich mehr und mehr mit dem Bestand und seinen Traditionen beschäftigt. Mit der Centrum-Galerie treffen sie auf die Geschichte der Moderne...
Peter Kulka: Die moderne Architektur muss sich immer wieder neu erfinden, damit sie keine Reproduktion oder Klischee wird. Zum andern müssen wir die Nutzerseite betrachten. Die Moderne hat es aufgrund ihrer Reduktionstendenzen inzwischen sehr schwer, akzeptiert zu werden, was zu einer eigenartigen Retro-Diskussion geführt hat. Die Menschen möchten nicht geschichtslos leben. Unter diesem Aspekt muss sich die Moderne stetig anpassen und ihre Architektur geschichtsbewusster werden. Deswegen handele ich inzwischen auch nicht mehr so fanatisch puristisch und nicht mehr so stringent modern wie früher.
Was bedeutet das im Detail für Ihr Entwurfsvorgehen?
Peter Kulka: Das ist von Projekt zu Projekt verschieden. Ich habe gerade dazu einmal wieder brav meinen Adolf Loos gelesen, der damals zu Beginn der Moderne in aller Radikalität das Ornament in die Nähe einer gestalterischen Untat rückte und in der Folge dann alles unterlassen wurde, was ornamental schmückt. Aber so einfach ist es nicht. Eine moderne Frau trägt trotz aller praktischen Hosenanzüge doch immer wieder gern ein Kleid mit Blumenmotiven. Und genau so braucht auch die Moderne wieder ein „Kleid“, eine Oberflächenmodellierung aus Licht und Schatten. Sie braucht wieder Proportionen und Materialspiel. Nicht zu vergessen: Wir wollten städtebaulich an der Prager Straße nicht die ursprüngliche Brachialmoderne fortführen und deswegen brauchten wir innen das Ornament.
Und damit erreichen Sie den guten Zweck, drinnen und draußen zu vermischen und ihr Ziel, ein Stück Stadt unter Dach zu verwirklichen?
Peter Kulka: Was uns wichtig war, ist der Wunsch, draußen nicht eine Hülle zu haben, die mit dem Innenraum nichts zu tun hat. Das war ja mit dem Fassadenwettbewerb eigentlich angelegt. Unser größter Erfolg ist es zu zeigen, dass innen und außen miteinander zu tun haben und dass wir dem Chaos der vielen Eindrücke etwas Ernsthaftes entgegen zu setzen haben.
Am Anfang des Projekts stand ein internationaler Fassadenwettbewerb. Seit den 1970er Jahren waren die Dresdner an ihre „Wabe“ am Centrum-Kaufhaus gewohnt. Und eine Petitesse der Biographie des Peter Kulka will es, dass er irgendwie daran beteiligt war. Der in Dresden gebürtige Architekt studierte in Berlin-Weißensee und traf in den 1960er Jahren auf den mächtigen Architekturdespoten Hermann Henselmann, der gerade vom Parteigenossen Walter Ulbricht den Auftrag bekommen hatte, mit seinem Institut für Typenplanung ein sozialistisches Kaufhaus zu generieren. Peter Kulka zeichnete mit. Es lief auf einen imaginären Entwerferkrieg „Eiermann gegen Henselmann“ hinaus und beide Teile Deutschlands sind sich nicht sicher, welcher Wabenentwurf, jener für Horten-West oder Centrum-Ost mehr Verwirrung und Fassadenkitsch geliefert hat. Vierzig Jahr später gewinnt Peter Kulka mit seinem Büro den Wettbewerb für eine neue Fassade eines neuen Einkaufszentrums an der Prager Straße.
Auf der Basis des genius loci wurde an die ursprüngliche Planung unter Wiederverwendung der ursprünglichen Fassade aus Aluminiumwaben angeknüpft – sechseckige Teile unterschiedlich in Dreiecks- und Vierecksflächen in Aufriss und Grundriss gegliedert. Die alten Paneele waren nicht mehr brauchbar und wurden rekonstruiert, dass ehemals weiße Fugenbild durch ein technisch potenteres und dunkleres ersetzt. Der Aufbau der Fassade entspricht aktuellen Energiedämmstandards.
Die architektonische Leistung besteht darin, nicht mehr die Box in einer Gesamthülle aus diesen Waben zu verkleiden, nicht mehr den Solitärcharakter des Hauses zu betonen, sondern die Galerie in den neuen Block zu integrieren. So bildet die neue Wabe mit großzügigen Zugängen und Glasfassaden, die bis ins 2. Obergeschoss reichen und Einblicke in die Welt des Forums geben, jetzt eine spannungsreiche Hülle, die einer modernen großstädtischen Einkaufsstraße gerechter wird als der ehemalige Einheitslook des „sozialistischen Kaufhauses“.
Diese wird dem Kontext und neuen Maßstab der Prager Straße gerechter und antwortet auch auf die neuen funktionalen Bedingungen: Die oberen beiden Parkdecks werden teilweise durch die Aluminiumwaben und teilweise durch Aluminiumglattblechpaneele geschlossen. Die Eckausbildung der Fassade mit den Aluminiumwaben in den Obergeschossen am Prager Platz und Dippoldiswalder Platz stärken den Wiedererkennungswert. Der Kubus im Fußgängerbereich am Prager Platz sowie die transluzente Fassade der Spindel liefern neue Identifikationspunkte für diesen ehemaligen „Hinterhof“ der Pragerstraße.
Die Innenfassade der Mall
Ursprünglich waren die Architekten nur für das Äußere der Galerie zuständig. Der Bauherr lud sie dann aber ein, auch das Innere zu planen. Peter Kulka entwickelte als innere Spiegelung des Äußeren einen neuen Wabenvorhang. Wie für die äußeren Waben wurden auch für das Atrium Aluminiumtafeln als Vorhang für die Fassaden benutzt, hier aber ornamental ausgeschnitten. Dies geschah durch einen Laser. Es wurden Muster aus dem Dresdener Schloss aufgegriffen, die einem Geländer aus der Zeit der Renaissance entlehnt wurden. Die Tafeln aus eloxiertem Aluminium (E6EV1) sind geschosshoch (ca. 4.20 m) und in drei Ebenen übereinander angeordnet. In der Breite beziehen sich die Elemente auf das Gebäuderaster von 10,625 m. Die Fassade ist 25 cm vor dem Rohbau auf einer Unterkonstruktion befestigt. In dem Zwischenraum ist eine mineralische Dämmung und jeweils entlang der Unterkante der mit Lasertechnik geschnittenen Bleche eine LED-Lichtleiste montiert. Die Aluminiumtafeln können für die Hinterleuchtung jeweils einzeln in allen Farbtönen angesteuert werden Und die Dresdner dürfen jetzt entscheiden, wo die Fassade besser gelungen ist – drinnen oder draußen.