Kleben im Stahlbau
Entwicklung von Bemessungskonzepten

Um im internationalen Umfeld wettbewerbsfähig zu bleiben, ist es für den deut-schen Stahlbau erforderlich, Innovatio­nen zur Steigerung der Produktivität und Effi­­zienz, der Qualität und Langlebigkeit wahrzunehmen sowie architektonisch anspruchsvolle Gestaltungskonzepte zu realisieren.

Die klassischen Fügetechniken im Stahlbau, also das Schrauben als lösbares Verbindungsmittel und das Schweißen als nicht lösbare Verbindung, haben zwar immer wieder Weiterentwicklungen erfahren, jedoch bleiben grundsätzlich die Probleme und Einsatzschranken dieser Fügeverfahren bestehen. Die Anwendung der Klebtechnik kann hier Abhilfe schaffen. Es ist daher wichtig, das Kleben auch im Stahlbau als Standard zu etablieren. Der Lehrstuhl für Stahl- und Holzbau von Prof. Dr.-Ing. habil. Hartmut Pasternak der Brandenburgischen Technischen Universität (BTU) in Cottbus entwickelt in Zusammenarbeit mit dem Institut für Füge- und Schweißtechnik (ifs) an der TU Braunschweig Eurocode-basierte Bemessungskonzepte für Stahlklebverbindungen.

Warum kleben?

Aufgrund des hohen Vorfertigungsgrades und der geringen Fertigungstoleranzen ist der Stahlbau prädestiniert für die Anwendung der Klebtechnik. Der Fahrzeug- und Flugzeugbau macht es bereits seit Jahrzehnten eindrucksvoll vor.

Im Vergleich zu geschraubten oder genieteten Verbindungen besitzt eine Klebung den Vorteil einer gleichmäßigen Spannungsverteilung senkrecht zur Belastungsrichtung, da keine Querschnittschwächungen durch Löcher vorhanden sind und eine gleichmäßige Gefüge­struktur vorliegt. Die Lastübertragung erfolgt laminar über die Fügefläche verteilt. Dies kann zu einer Reduzierung der Materialdicke führen, was eine Senkung der Kosten bedeutet. Im Gegensatz zu geschweißten Verbindungen implizieren die Fügeteile keine wärmebeeinflussten Zonen; somit sind keine thermischen Gefügebeeinflussungen und kein temperatur­bedingter Bauteilverzug vorhanden.

Des Weiteren ermöglicht die Klebtechnik Verbindungen für unterschiedliche Materialkombinationen, für sehr dünne Fügeteile, für besonders wärmeempfindliche Werkstoffe und für Metalle unterschiedlicher elektrochemischer Eigenschaften. Der Grund hierfür ist die isolierende Wirkung der Klebschicht. Kleb­verbindungen weisen eine hohe dynamische Festigkeit und ein großes Schwingungsdämp­fungsvermögen auf.


Vorteile und Nachteile

Durch die Anwendung der Klebtechnologie im Bereich der Fassade können architektonisch ansprechende und gleichmäßige Ansichten errichtet werden. Im Vergleich zu herkömmlichen Schrauben, Nieten oder Setzbolzen, müssen die Profile nicht durchlöchert werden, dementsprechend bleiben Fehler bei der Montage nicht sichtbar. Außerdem müssen keine Verbindungsmittelköpfe in der Ansicht toleriert werden.

Der Selbstreinigungseffekt von Fassaden durch Regen wird im Bereich von Verbindungs­mitteln gestört, was zu einer unsauberen und ungleichmäßigen Ansicht führt: In Abhängigkeit von der Materialqualität treten in diesen Bereichen oft „Rostfahnen“auf. Oder es entstehen Dellen im Gebiet der punktuellen Verbindungen. Bei der Montage auf der Baustelle kommt es nicht selten zu sichtbaren Kratzern auf der Fassadenoberfläche. Diese Nachteile werden durch die Anwendung der Klebtechnologie minimiert.

Geklebte Fassadenverstärkungen machen es möglich, transparente Fassaden mit grossen Stützweiten und guter Seitenblicktransparenz auszuführen. Durch das Einkleben von Verstärkungen in die Hohlprofile von Pfosten-Riegel-Fassaden können die Tragfähigkeiten dieser ohne Änderung der äußeren Abmaße enorm gesteigert werden.

Die Nachteile von Klebungen beruhen hauptsächlich auf den mechanischen Eigenschaften der Klebschicht, wie Temperatur, Alterung und Einwirkungsdauer. Zudem sind bei der Herstellung von Klebverbindungen einige Qualitätsanforderun­gen, wie Presskontrolle und eine erforderliche Oberflächenvorbehandlung der Fügeteile zu erfüllen.

Die Festigkeitsberechnung von Klebschich­ten ist sehr komplex, weshalb ein unkomplizierter Nachweis im Stahlbau derzeit nicht möglich ist. Aus diesem Grund sollen Eurocode-basierte Bemessungskonzepte für Klebverbindungen entwickelt werden.

Entwicklungen in der Klebtechnologie

Im Flugzeug- und Automobilbau ist das Kleben seit vielen Jahren Stand der Technik.

Erfahrungen aus dem Metallflugzeugbau zeigen, dass durch Anwendung des Fügeverfahrens Kleben im Vergleich zu traditionellen Nietverbindungen bis zu 15 % Gewichtsersparnis erreicht werden kann. Die positiven Effekte des verbesserten Dämpfungsvermögens, der hohen Ermüdungsfestigkeit und des guten Deformationsverhaltens von Klebverbindungen werden im Fahrzeugbau gezielt zur Gewährleistung von Dauerhaftigkeit und Fahrsicherheit genutzt.

Im Bauwesen, speziell im Stahlbau, steht man dieser Verbindungstechnik allerdings noch immer zurückhaltend gegenüber, was durch Zweifel an der Dauerhaftigkeit und vor allem durch das Fehlen von Bemessungshilfen begründet ist. Dabei besitzt die Anwendung der Klebtechnologie im Bauwesen eine lange Tradition. Schließlich sind Mörtel, die im Mauerwerksbau und zum Verlegen keramischer Fliesen zum Einsatz kommen, nichts anderes als Klebstoffe. Ebenso Beton, der als Verbundwerkstoff von Zuschlägen und Bewehrung verstanden werden kann, wobei der Verbund durch Zementleim hergestellt wird. Seit 40 Jahren ist im Holzbau die Verwendung von Brettschichtholz gängige Praxis – die Verbindung der Holzlamellen geschieht durch den Einsatz von Klebstoffen. Die Befestigung von Verglasungs- und Brüstungselementen am Traggerüst mit elastischen Silikonklebstoffen im Fassadenbereich wird als „Structural Silicone Glazing“ bezeichnet und ist ein weiteres Anwendungsgebiet der Klebtechnologie. Damit können vollständig mit Glas verkleidete Bauwerke errichtet werden.

Auch im Stahlbau lassen sich einige Beispie-le der Klebtechnik ausfindig machen. Um das Jahr 1955 entstand über dem Lippe-Seitenkanal bei Marl die erste geklebte Rohr- und Fußgängerbrücke mit einer Stütz­weite von 56 m. Grundgedanke der Konstruktion war die Ersetzung bzw. Steigerung des Gleitwiderstandes hochfest vorgespannter Schraubverbindungen. Die Füllstäbe des gebildeten Viergurtfachwerkes wurden über geklebte Flanschverbindungen an die Fachwerk­gurte angeschlossen, wobei für eine einfache Montage zusätzlich Schrauben angeordnet wurden. Diese haben ein Lochspiel von 2 mm, so dass sie erst nach Versagen der Klebfuge auf Abscheren beansprucht werden. 2001 wurde ­diese Brücke noch genutzt. Über Schäden an den Klebfugen war nichts bekannt.


Das Forschungsprojekt

Untersuchungsgegenstand des Forschungsprojektes mit dem Titel „Entwicklung eines Eurocode-basierten Bemessungskonzeptes für Klebverbindungen im Stahlbau“ sind Anwendungsbeispiele aus dem Fassadenbau.

Das anvisierte Ziel des Vorhabens ist die Bestimmung von normkonformen Teilsicherheitsbeiwerten und Umrechnungsfaktoren für die genannten Anwendungsfälle, als auch allgemein für Stahlklebverbindungen. Das IGF-Vorhaben IGF-Nr. 16494 BG/2 der Forschungsvereinigung Stahlanwendung e.V. – FOSTA, Düsseldorf, wurde über die AiF im Rahmen des Programms zur Förderung der industriellen Gemeinschaftsforschung und -entwicklung (IGF) vom Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie gefördert. Aufgrund fehlender Normungen zum Nachweis von Klebverbindungen im Stahlbau sind die untersuchten funktionsfähigen und praxis-tauglichen Anwendungen bis heute nicht ohne größeren Aufwand nachweisbar. Bei der Planung und Realisierung geklebter Konstruktionen läuft somit alles auf eine „Zustimmung im Einzelfall“ oder eine „Allgemeine bauaufsichtliche Zulassung“ hinaus, was aufgrund fehlender Grundlagen aufwändig und kostenintensiv ist. Viele Unternehmen entscheiden sich aus diesem Grund für andere Fügeverfahren. Mögliche Aufträge, die z. B. aus ästhetischer Sicht nur durch den Einsatz der Klebtechnik realisierbar wären, kommen ohne Nachweis nicht zur Ausführung, was die Wettbewerbs- und Innovationsfähigkeit der Unternehmen deutlich einschränkt.

Um Stahlklebungen nachweisbar zu ma­chen, werden experimentelle Untersuchun­gen an Kleinteilproben am ifs Braunschweig durchgeführt. Neben der Ermittlung von charakteristischen Klebstoffeigenschaften sollen ebenfalls Einflüsse aus Klebschichtdickenva­riation sowie Temperatur und Luftfeuchtigkeit erfasst werden. Des Weiteren werden Realbauteilversuche und Push-Out-Versuche an der BTU durchgeführt. Neben der Prüfung der Übertragbarkeit der Ergebnisse und der Validierung von analytischen Modellen zur Berechnung der Tragfähigkeit werden Umgebungseinflüsse betrachtet. Hierfür werden die Proben bei verschiedenen Temperaturen und Klimawechselbeanspruchungen untersucht. Die Tests liefern Eingangsdaten für probabilistische Konzeptionen, die das Be­messungskonzept statistisch und normenkonform absichern sollen. So werden Teil­sicherheitsbeiwerte bestimmt, die sowohl den stochastischen Charakter der Klebstoffeigenschaften als auch Modellunsicherheiten bei den Bauwerkswiderständen berücksichtigen. Zur Erfassung der Degradationseffekte der Klebstoffkennwerte bei Temperatur- und Feuchtigkeitseinwirkung und des Tragverhaltens in Abhängigkeit der Klebschichtdicke werden separate Umrechnungsfaktoren ermittelt. Das Forschungsprojekt endet 2012 mit der Demonstration der Funktionsweise des Bemessungskonzeptes und der Festsetzung einiger Randbedingun­gen für Versuche und Fertigung von Klebungen im Stahlbau.

Als Ergebnis werden mit dem Abschluss des Forschungsvorhabens zwei auf der Grundlage des Eurocode kalibrierte Klebanwendungen im Stahlbau vorliegen. Mit wachsender Zahl funktionsfähiger und berechenbarer Klebanwendungen wird das Interesse an der Erstellung eines Normen-Entwurfes als Grundlage zur Berechnung und Bemessung von Klebverbindungen im Stahlbau weiter steigen.

Bemessungsbeispiele zeigen die Möglichkeiten für den Stahl- und Stahlleichtbau, die sich durch die Anwendung der Klebtechnik bieten. Das Risiko eines Entwicklungsvorhabens unter Verwendung der Klebtechnik im Vergleich zu anderen Fügeverfahren kann besser eingeschätzt werden. Darüber hinaus reduziert sich der Aufwand bei der Entwicklung neuer Konstruktionen auf die klebgerechte Gestaltung der Anschlüsse und geeigneter Ingenieurmodelle zur Berechnung der bemessungsmaßgebenden Klebschichtspannungen, da mit diesem Forschungsvorhaben grundlegende technische Regeln zur Anwendung der Klebtechnik im Stahlbau gegeben werden und die Verantwortung zur Bereitstellung charakterisierender Klebstoffparameter bei den Klebstoffherstellern liegt.

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