Bauen im Bestand –
Der kleine Wurf
Dipl.-Ing. Heinz Eustrup

zum Thema „Bauen im Bestand“

Generell besteht heute kaum ein wachstumsorientierter Bedarf an Neubauten. Die Standortvorzüge vorhandener Bebauung, deren öko­nomischer Wert oder gar der Denkmalanspruch der vorhandenen Objekte animieren immer dort zum Weiterbauen, wo sich wandelnde Nutzeranforderungen im Bestand realisieren lassen, dort, wo ein allgemeiner baulicher Verschleiß zu beheben ist und letztlich immer dort, wo eine ökonomische und/oder ökologische Ausrichtung zur so genannten energetischen Optimierung veranlasst.

Die Feullitons werden durchwoben von der Auffassung, die Beschäftigung mit historischer Bausubstanz sei in den meisten Fällen eine wunderbare Aufgabe. Danach folgt in der Regel der Verweis auf die einschlägigen Großmeister dieses Genres von Döllgast über Scarpa zu Schattner und Chipperfield. Das Castel Vecchio in Verona, die Museen von Stüler und Klenze waren auch vor den Zugriffen der berühm­ten Kollegen „Qualitätsarchitekturen“, Denkmale. Nach herrschender Lehrmeinung hat das Weiterbauen diesen Objekten nicht geschadet, nein, sie sind durch Hinzufügen eines neuen zusätzlichen Zeitlayers komplexer geworden, geradezu zu einer höheren Ordnung aufgestiegen. Soweit so richtig.

Doch zurück in den Alltag, zurück in die westdeutsche Großstadt und zu dem in diesem Zusammenhang herausragenden Aufgabentyp, der oft anonymgesichtigen Schule der 70er und 80er Jahre des letzten Jahrhunderts, wo kein Denkmal einen dankbar entgegengenommenen Gestaltwert stiftet. Diese Gebäudeart unterliegt regelmäßig einer einerseits starken nutzungsbedingten Erosion und ist, verschleißverschärfend, offenkundig vielerorts unzureichend unterhalten worden.

Die Schulgebäude von vor 30 bis 40 Jahren, die man nun als Sanierungspatienten vermehrt antrifft, sind hier häufig von einer unüberwindlichen Sprödigkeit. Man ist in einer „Schwarzbrotregion“ unseres Berufsstandes angekommen. Es geht hier nicht um die spekta­kuläre Konversion einer Kirche in ein Hotel oder die Wiederbelebung eines – wodurch auch immer – verstorbenen Museums. Den Spielräumen zur Entfaltung der Kunstwilligkeit des Architekten sind enge Grenzen gesetzt. Keine städtebauliche Idee kann hier Platz greifen, kein virtu­oser Raumplan entwickelt werden, keine kühne Konstruktion vorgeschlagen werden. Oft ist auch schon einem Material- und Farbgebungskonzept durch die kostenbedingte Übernahmeerfordernis von Bestandsvorgaben jegliche Zündkraft genommen.

Hier bleibt dem Architekten die Verlagerung auf sein Organisations­vermögen und seine Betreuungskompetenz. Nutzungsunterbrechungs­freier Umbau und Integration von Wünschen eines 80-köpfigen Kollegiums sind gefragt.

Der Aufgaben sind hier viele – weniger und vor allem unspektakulärer sind jedoch die Möglichkeiten, durch Architekturen prägnante Zeitzeugnisse abzubilden. Bedauerlich ist, dass allein die Aspekte der Sicherheit, der Energieoptimierung oder des Komforts die To-Do-Listen und die Budgets dominieren. Der Wunsch bleibt, gerade diesen Objekten ein zweites Leben zu schenken, welches sich vom ersten nicht nur durch einen gesenkten Primärenergiebedarf unterscheidet. Der Wunsch bleibt nach mehr Mut zur ganzheitlichen Zukunftsorientierung. Mehr Mut, auch bauliche Strukturen und Anmutungen radikaler zu wandeln. Nur so lässt sich die nur alle 40 Jahre vorhandene Chance nutzen, qualitativ tatsächlich zu einem neuen Schulgebäude aufzuschließen.

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