Bauen im Bestand
Mit modernen Gipsputzen und historischem Respekt aktualisieren

Architekten erleben es als außerordentlich aufschlussreich, bei der Bestandsaufnahme und späteren Sanierung von historischen Gebäuden den Intentionen der ursprünglichen Baumeister zu begegnen. Aus Achtung vor deren Können und Leistung orientieren sie ihre Arbeiten neben der Erneuerung an möglichst weitgehendem Bewahren von Bausub­stanz. Dies hat neben der kulturhistorischen auch eine materielle Dimension: Die Erhaltung vorhandener Baukörper schont natürliche Ressourcen, weil gegenüber einem Neubau weniger neue Baustoffe, Energien und letztlich auch finanzielle Mittel aufgewendet werden müssen. 

Zeitenunabhängige Stoffgleichheit

Sehr komplex stellt sich die zwischen Erhalten und Erneuern oszillierende Frage beim Innenputz, der auf Sanierungsbaustellen meist als Gipsputz angetroffen wird. Sofern der Putz durch anspruchsvolle Stuckgestaltungen Teil der unverwechselbaren Raumausstattung und -gestaltung ist, dürfte das Bewahren bzw. Erneuern der alten Form zumeist die sachgerechte Antwort sein. Auf glatten oder schmucklosen Decken und Wänden in Innenräumen entscheidet vor allem der Zustand des alten Putzes über die Vorgehensweise. Im Rahmen der umfassenden Bestandsaufnahme des zu sanierenden Objekts vor Beginn der Arbeiten ist darum auch die Beschaf­fenheit der alten Putzflächen gründlich und vor allem an verschiedenen Stellen des Gebäudes genau zu untersuchen. Alle losen und/oder in der Struktur mürben bzw. stark absandenden Putzflächen müssen abgeschlagen werden, ebenso alle hohlliegenden Altputze. 

Bei in sich festen und ohne Hohlräume fest haftenden Teilflächen, die nicht mit sperrenden Altanstrichen beschichtet sind, spricht aus rein putztechnischer Sicht nichts gegen den Erhalt. Gips bietet in solchen Situationen den großen Vorteil, dass abgeschlagene und zu erneuernde Teilflächen stoffgleich zur ursprünglichen Ausführung sowie zu eventuell erhaltenswerten Abschnitten erneuert werden können. Falls erforderlich und gewünscht lässt sich die gesamte Oberfläche nach einer Teilreparatur und -wiederherstellung mit einem Gipsspachtel überziehen, sodass eine einheit­liche, ebene und glatte Ansicht entsteht. Dies ist die Vorgehensweise des maximalen Bewah­rens, die den zusätzlichen Charme hat, dass alle Wand- und Deckenflächen nach der Sanierung homogen aus Gips bestehen und damit die Materialwahl des ursprünglichen Bau­meisters sozusagen noch einmal bestätigen. 

Es stellt sich allerdings die Frage, ob die Teilflächenreparatur tatsächlich auch die Intention des früheren Architekten trifft und ob sie dem Gesamtziel der heutigen Modernisierung gerecht wird. Putzschichten wurden in der Vergangenheit als Verschleißschichten interpretiert, die nach Jahrzehnten der Nutzung und damit auch Abnutzung planmäßig erneuert werden sollten. Die komplette Beseitigung und Erneuerung eines stark vernutzten Innen­putzes zeugt unter diesem Aspekt also nicht von mangelndem Respekt gegenüber der ursprünglichen Leistung, sondern ist im Gegen­teil die adäquate Fortführung der historischen Idee. Außerdem können gerade mit Gips moderne Ansprüche an Bauphysik, Behaglichkeit und optische Qualität beim Bauen im Bestand berücksichtigt werden. Dadurch erhalten Gebäude mit einem komplett neuen Innenputz ihre zeitgemäße Funktionalität und Nutzbarkeit zurück. 

Sanieren mit neuem genius loci

Die Neubewertung der Bauwerkserhaltung in unserer Gesellschaft zeigt sich nicht nur an den oben diskutierten, ideellen Fragen des Bewahrens und des kulturhistorischen Respekts. Sie hat auch ganz praktische Auswirkungen auf die Beurteilung der Baustoffe, weil neben deren Einsatzcharakteristik im Neubau ebenso die spezielle Eignung für das Bauen im Bestand hinterfragt wird. Hier zeichnen sich Gipsputze gleich durch mehrere spezifische Vorteile aus. Sie haben mit 50 - 65 Volumen-prozent ein sehr großes Porenvolumen. Das offenporige Gefüge mit relativ großen Kapillaren sorgt für ein zügiges Austrocknen. Gleichzeitig können sie bei einem Überangebot an Luftfeuchtigkeit im Raum diese Feuchte in den Poren speichern und in trockenen Perioden schnell wieder abgeben. Gipsputze regulieren auf diese Weise das Raumklima und halten die klimatischen Raumbedingungen stets in einem für den Menschen sehr angenehmen Bereich. Die Behaglichkeit wird zusätzlich durch die sich warm anfühlen­den Oberflächen von Gipsputzen unterstützt. Im Unterschied etwa zu Marmor oder Metall tritt bei Gips an den Bauteiloberflächen keine Kältestrahlung auf. Verantwortlich für diese Materialeigenschaft ist die Vielzahl der Poren im Gips, verbunden mit der niedrigen Wärmeleitfähigkeit λ von etwa 0,35 W/(mK). 

Gerade Altbauten aus massivem Mauerwerk profitieren bei Sanierungen von der speziellen, trocken-warmen Raumklimatisierung des Gipses. Jede haptische Assoziation an „kalt-klammes Mauerwerk“ wird vermieden. Die Nutzer erleben subjektiv als Wohnbehaglichkeit, was objektiv als geringe Luftfeuchtigkeit bzw. relativ hohe Oberflächentemperatur gemessen werden kann. Dieser Umstand sollte vor allem dann berücksichtigt werden, wenn eine komplett neue Raumatmosphäre geschaffen werden soll, z. B. beim Umbau von Kasernen zu Wohnungen im Rahmen einer Konversion. Dabei soll in aller Regel der ehemalige militärische genius loci von Fluren und Mannschaftsstuben bewusst zugunsten der Wohnbehaglichkeit gebrochen werden. 

Zeitgemäß klare Raumstrukturen

Ein weiterer sanierungsspezifischer Vorteil von Gipsputz sind die relativ großen Schichtdicken, die schnell und wirtschaftlich mit nur einer Lage aufgetragen werden können. Die nach DIN V 18550 erforderliche Putzdicke für Gipsputz beträgt 10 mm, auf einzelnen Stellen sind 5 mm Putzdicke zulässig. Damit liegt Gips in der Größenordnung aller gängigen Innenputze. Die hohe Haftfestigkeit und das geringe Mörtelgewicht ermöglichen es jedoch, auch bis zu 25 mm Putzdicke in nur einer Lage zu verarbeiten. Auf kleinflächigen Teilbereichen kann die Putzdicke bis zu 35 mm betragen, unter günstigen Bedingungen sogar bis 50 mm. Putzmörtel mit einer anderen Bindemittelbasis als Gips rutschen bei einlagiger Verarbeitung in diesen Dicken in aller Regel ab, so dass ein zeit- und arbeitsaufwändiges zweilagiges Putzen erforderlich wäre. Mit den gro-ßen Schichtdicken der Gipsputze lassen sich selbst tiefere Unebenheiten im Untergrund ohne zusätzlichen Aufwand ausgleichen. Zusätzlich kann der Putz Abweichungen der alten Wände aus Flucht und Lot, wie sie in historischen Mauerwerksbauten sehr häufig anzutreffen sind, kompensieren. Das Ergebnis sind klare, rechtwinklige Raumstrukturen mit ebenen und glatten Oberflächen. 

Strahlungswärme aus der Wand

Die großen Schichtdicken provozieren förmlich die Ausführung von Wandheizungen bzw. Hüllflächentemperierungen, bei der die Heizungsrohre direkt in den Putz eingebettet wer­den. Wandheizungen geben ihre Energie als sehr gleichmäßige und angenehme Strahlungs­wärme ab. Sie werden ähnlich wie Fußboden­heizungen energiesparend mit niedrigen Vorlauftemperaturen betrieben. Vor allem aber benötigen sie kaum zusätzlichen Platz und sind darum für den Einbau in bestehende Raumstrukturen besonders geeignet. Einen Sonderfall der Wandheizung stellt die Bauteil­temperierung dar, die nicht primär der Raumheizung dient, sondern der Stabilisierung der bauphysikalischen Verhältnisse in den Hüllflächen von Bestandsgebäuden. Speziell historisch wertvolle und eventuell denkmalgeschützte Bausubstanz, bei der sich zusätzliche Wärmedämmschichten oder Bauwerksabdich­tungen aus optischen Gründen verbieten, kann mit einer Flächentemperierung in den Außen­wänden kontinuierlich warm und trocken gehalten werden. 

Durch die Aufbauhöhe der Heizschlangen auf der Rohbauwand sowie die erforderliche Überdeckung (mind. 10 mm) ergeben sich bei Wandheizungen oder Bauteiltemperierungen Gesamtputzdicken in Größenordnungen von 20 bis 30 mm, die aber mit Gipsputz in jedem Fall einlagig ausgeführt werden können. Die Vorlauftemperatur von Wandheizungen in Gipsputz soll im Regelbetrieb 50 °C nicht über­schreiten. Nach Untersuchungen der Gipsindustrie sind unter Beachtung bestimmter Randbedingungen jedoch auch bis zu 60 °C möglich, womit der typische Betriebsbereich von Wandheizungen komplett abgedeckt ist. Solche hohen Vorlauftemperaturen sind nur selten praxisrelevant, weil Wandoberflächentemperaturen oberhalb von 34 °C nicht mehr als angenehm empfunden werden. 

Brandschutz für historische Bauteile

Gips ist chemisch gesehen Calciumsulfat (CaSO4), das in verschiedenen Hydratstufen mit in der Struktur gebundenem Kristallwasser (H2O) vorliegen kann. Gipsputz besteht im abgebundenen Zustand vor allem aus Calciumsulfat Dihydrat, (CaSO4·2H2O), enthält also 2 Wassermoleküle pro Molekül Calciumsulfat. Obwohl die Putzoberflächen absolut trocken sind, enthalten sie einen hohen Anteil Wasser, das so genannte Kristallwasser. Bei reinem Gips sind dies etwa 21 %, so dass bei 10 mm Putzdicke und einem mittleren Materialbedarf von 10 kg/m² jeder Quadratmeter Wand ca. 2,1 Liter Wasser in kristallin gebundener Form enthält. Im Brandfall wird dieses inhärente Potential zunächst „aufgezehrt“ und dadurch die verputzten Bauteile geschützt. Der nach DIN 4102 in die Baustoffklasse A1 eingestufte Gips ist also nicht nur selbst unbrennbar, er leistet auch einen aktiven Beitrag gegen die Feuerausbreitung. Dieser Effekt lässt sich sowohl für Putzflächen an Wänden oder Decken einsetzen als auch für die Ertüchtigung von Stützen und kon-struktiv wichtigen oder tragenden Bauteilen. Bei Sanierungen kann speziell der Brandschutz von Holzfachwerken und Stahlträgern sowie von gemauerten Gewölben auf diese Weise verbessert werden. Oft handelt es sich um die einzige Möglichkeit, den Feuerwiderstand von historischen Konstruktionen zu erhöhen, ohne aufwändige und platzraubende Abschot­tungen zu verwenden. 

Putzarbeiten in Bestandsbauten

Es gehört zu den faszinierenden Herausforderungen der Bauwerksmodernisierung, dass jedes einzelne Objekt eine neue Situation mit jeweils eigener Herangehensweise erfordert. Damit der Planer auf die verschiedensten Problemstellungen beim Innenputz fachgerecht reagieren kann, hat die IGB Industrie­gruppe Baugipse im Bundesverband der

Gipsindustrie e.V. jetzt in einem Grundlagenwerk die wichtigsten Aspekte der Bestandsaufnahme und Schadenanalyse sowie der Sanie­rungsplanung und -ausführung zusammengefasst. Das Werk behandelt ausführlich den Baustoff Gips sowie historische Bauweisen mit Gips und ihre Reparatur. Großen Raum nehmen die gerade für Bestandsbauten sehr sensible Beurteilung und Vorbehandlung von Untergründen sowie die Ausführung der Putz­arbeiten ein. Mit bau

praktisch orientierten Kapiteln zum Brandschutz, Anwendungen in häuslichen Küchen und Bädern oder zum Einsatz bei Flächenheizungen und -kühlungen stellt das Werk ein zweckmäßiges Handbuch für die Aufgaben des Sanierungsplaners dar. „Gipsputze – Zukunftsaufgabe Bauen im Bestand“ erscheint im September 2009. Es kann als Einzelexemplar beim Bundesverband der Gipsindustrie in Darmstadt unter der Faxnummer 0 61 51/3 66 82-22 kostenfrei bestellt werden.

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