Behutsamer Umgang mit NaturWeingut Franz Keller, Oberbergen
Früher wurde der Wein an idyllischen ländlichen Orten, oft mitten im Dorf produziert. Man sprach korrekterweise von einem Weinbauernhof. Heute liest sich das ein wenig komplizierter: Weinmachen ist zum industrialisierten Prozess geworden. Das heißt, die Abläufe folgen einer Produktionslogik in einem vorgegebenen Fluss, die damit die nachhaltige Architektur des Weinguts bestimmen.
Franz Keller in Oberbergen im Kaiserstuhl gehört zu den erfolgreichsten deutschen Gütern und hat sich 2013 einen neuen Betrieb zugelegt. Der Erfolg des rheinischen Weines im Allgemeinen und der des Gutes Keller im Speziellen zeigte Folgen. Die Gründe für eine Betriebsvergrößerung waren ob der steigenden Nachfrage zwingend: die benötigten Flächen werden immer größer, aber das Zeitfenster für Lese und das Keltern ist nur einige Wochen offen. Die Entscheidung für eine Lage am Dorfrand hatte Konsequenzen. Schließlich mussten Grundstücke von elf unterschiedlichen Eignern zusammengebracht, also gekauft oder getauscht werden. Wichtige Vorarbeit um eine Nutzfläche von 4 500 m² bei einem umbauten Raum von 22 500 m³ unterzubringen. Es wurde ein Aushub von 50 000 m³ notwendig. Das bedeutet einen Inhalt von etwa 4 200 LKW-Ladungen.
Das Weinmachen ist vertikal organisiert
Doch das Vorgehen eines behutsamen und Natur synchronen Aufbaus rechtfertigte den Aufwand. Architekt Michael Geis spricht von „Verschmelzung von Natur und dem neuen Bauwerk“. Er nutzt die vorgegebenen Abläufe von Ernte, Traubensammlung, Kelterung und Lagerung und ordnet sie den Gesetzen der Gravitation unter. Geis, ein erfahrener Freiburger Architekt steht für eine ortsverbundene Architektur, was hier bedeutete, „dem Gleichklang des Schichtenmodells Kaiserstuhl zu folgen und mit einem schonenden und natürlichen Produktionsablauf entlang der Schwerkraft zu antworten“. So passt sich das neue Bauwerk in die Landschaft ein und die vier Geschosse des Hauses terrassieren sich entlang des Hanges und greifen die typische Art des hiesigen Weinanbaus auf. Die optimale Integration aller „Keller“ technischen Abläufe in den Berg löst einen grundsätzlichen Widerspruch: „Der Mensch möchte es warm!“ sagt Winzer Fritz Keller (deswegen liegen dessen Bereiche Restaurant, Showroom, Büros oben) „und der Wein hat´s gern kühl.“
Damit ist das dreidimensionale Diagramm des Hauses erklärt: Auf der oberen Ebene liegt die Anlieferung, die über einen kleinen Innenhof läuft. Der mutiert sommertags zu einem schönen Outdoor-Musiktheater mit nachgewiesenen guten akustischen Qualitäten, was sich inzwischen bis zum Südwestrundfunk herumgesprochen hat. Im Innern dieser oberen Ebene liegen die Traubenannahme mit Förderbändern und Sortiertischen, darunter Traubenkühlräume für bestmögliche Bedingungen für die Verarbeitung der Trauben. Nur etwa sechs Wochen braucht man diesen Bereich in seiner eigentlichen Bestimmung. Deswegen hat die Winzerfamilie Keller eine weitere Nutzung als Eventbereich vorgesehen und so kommt es, dass keine wichtige Hochzeitgesellschaft im Breisgau nicht zumindestens anfragt, ob sie hier feiern kann. Daneben liegt das „Keller-Restaurant“, dessen Küche und Facilities entsprechend gut ausgenutzt werden können. Darunter dann die Pressen, Maischegärung, Holzcuvées sowie der Weinverkauf mit Nebenräumen. Unten sind die Sedimentationstanks, das Edelstahl-Tankkeller und das Holzfasskeller durch eine Lichtinstallation so inszeniert, dass sie bei internen Führungen ganz großes „Weintheater“ geben. Die Hanglage macht es möglich, dass der „Weinladen“ einen direkten, nach vorn gelegenen Eingang hat. Man spürt überall, dass der Architekt die Regie des Hanges verstanden hat.
Funktion folgt Nachhaltigkeit
Mit der Logik des Eingrabens ergibt sich ein natürliches Energiekonzept, unterstützt durch die Lage des Grundstücks nach Norden. Im Erdreich kann das gewünschte stets gleiche Temperaturniveau leicht gehalten werden. Dieses energiebewusste und nachhaltige Grundkonzept wird von moderner Steuerungs- und TGA-Technik dort unterstützt wo durch das Restaurant und die temporären Eventflächen die Ansprüche an die Klimatisierung kompliziert werden. Eine pfiffige, d. h. sehr überlegte nachhaltige Einrichtung ist ein etwa 160 m langer Installationsgang rund ums Bauwerk, der etwa 20 m hoch ist und über den beinahe jeder Ort des Hauses versorgt werden kann. Dieser Spalt zwischen Bauwerk und Berg wird zum Klimapuffer, der die Kühle des Berges konserviert und dafür sorgt, dass so wenig wie nötig künstlich gekühlt werden muss. Das Bauwerk ist ein System mit Synergie aus Natur und Technik. Das Dach wurde mit einer 15 bis 30 cm dicken Erdschicht mit Bodenaushub aufgeschüttet und mit ortstypischen Saatgut aus dem nahen Naturschutzgebiet Badberg begrünt. Das Regenwasser der Dachfläche wird als Grauwasser in einer 4 000 m³ fassenden Zisterne gesammelt. Es zeigt sich, dass ein derart komplexes Gebäude natürlich nur in engen Kooperationen mit Ingenieuren, Geologen, Önologen und anderen Fachleuten erdacht und konstruiert werden konnte (siehe Interview Seite 80). Hier soll zunächst nur der Hinweis auf die entstandenen konstruktiven Anforderungen der großen Spannweiten für die entsprechenden Nutzungen (Restaurant, Produktion, Keller) erfolgen, die ja bauteilaktiviert sind und in die Lüftungssystem integriert werden. Zur Sicherung des Bergrückens, an den das Bauwerk im Kreisbogen mit einem Radius von 225 m angelegt ist, wurden u. a. 57 Bohrpfähle in den Boden getrieben und etwa 150 Rückverankerungen verbaut. Es musste zunächst mit einem vorgezogenen Versuch vor Ort die Trag- und Zugkraft des Lössbodens mit zwei Ankerzugversuchen getestet werden.
Das neue Weingut Franz Keller zeigt sehr deutlich, wie sich die Dinge in Mitteleuropas Weinregionen verändern. Mit der Rückkehr zum traditionellen Weinmachen, wo Qualität statt Quantität zählt und das für einen weltweiten Erfolg sorgt, ergeben sich Möglichkeiten, die Bedingungen für die notwendigen Bauten neu zu durchdenken. Der Weinbauernhof von gestern wird dabei (nicht wie in den USA) zur Weinfabrik. Im Fall von Franz Keller ist das Gegenteil der Fall. Aber wenn man
die natürlichen Verhältnisse berücksichtigt und die Prozesse des Erntens, Lagerns, Kelterns und wiederum Lagerns logisch einbaut – dann entstehen am Ende Bauwerke wie dieses. D. Meyhöfer, Hamburg