Winzerkunstwerkstatt
Weingut Château Cheval Blanc, St. Emilion/FR

Nur eine halbe Autostunde von Bordeaux entfernt, schwingt eine weiße Betonkurve sanft über dem uralten Rebland von St. Emilion: die Kelter und das Weinlager des Château Cheval Blanc. Die alten Gebäude neben dem Schloss entsprachen nicht der subtilen Arbeitsweise der Weinspezialisten. Gefragt war die Verschmelzung von präzisen Abläufen mit Ort, Tradition und langfristig gültiger Modernität.

Entgegen der allgemeinen Tendenz in dieser Region Frankreichs die neue Architektur eines Weinkellers als Teil des Marketings zu begreifen, handelt es sich bei der Entwicklung der Kellerei Château Cheval Blanc, die aus dem Pariser Büro Christian de Portzamparc stammt, um ein fast mönchisches Gebäude. Eingebettet in Weinparzellen, deren Rebstöcke vor fast 100 Jahren gesetzt wurden und die das Land wie einen japanischen Garten rhythmisieren, ist diese Betonkonstruktion bei aller Eleganz und Raffinesse vor allem ein Ort der konzentrierten Arbeit für Fachleute. Ansonsten findet nur Einlass, wer sich vorher persönlich anmeldet oder geladen ist. Das Cheval Blanc ist sich gute Gestaltung schuldig, braucht sie aber nicht als Imagetreibmittel, denn hier wird allerhöchste Kelterkunst betrieben, um den seit 1954 mit „A“ klassifizierten Premier Grand Cru zu komponieren.

Ein gut gestalteter Arbeitsplatz

Die Namen der beiden Privatbesitzer des Châteaus, Baron Frère und Bernard Arnault, Chef des weltgrößten Luxusimperiums, lassen an einen fast unbegrenzten Kostenrahmen und üppiges Design denken, aber weit gefehlt: „Uns wurde ganz klar gesagt, wenn auch bei einem sehr schönen Essen, dass man das Budget auf gar keinen Fall auch nur um einen einzigen Euro aufstocken werde“, erinnert sich Etienne Pierres, einer der Projektarchitekten. Ebenso klar sieht es beim Punkt Gestaltung aus: die Architekten bezeichnen das von je zwei weißen Betonflügeln flankierte Gebilde nüchtern als Industriegebäude, denn Form und Material folgen einzig dem strengen Prozedere der Weinbereitung. Dieses besteht aus der Anlieferung der Reben im offenen, überdachten Bereich zwischen Halle der Betongärtanks, der zweiten Station, und dem Flaschenlager. Der Jungwein aus den verschiedenen Parzellen wird dann in holzverkleideten Verkostungsräumen nebenan zu einem Cheval Blanc komponiert. In 900 Barriquefässern ruht er anschließend streng überwacht bis zu eineinhalb Jahre lang im Keller, bevor er nach fast zwei Jahren wieder in den Anlieferungsbereich zur Abfüllung und Etikettierung zurückkehrt. Für angemeldete Gäste und Weinhändler wurde ein Empfangs- und Speisesaal als Nahtstelle zwischen der Orangerie des Schlosses und die Kelter gesetzt.
Einzige Ausnahme vom Arbeitsprogramm ist das über eine sanft ansteigende Rampe begehbare, begrünte Dach. Es vermittelt dem Betrachter trotz eines Höhenunterschieds von 9 m dank der Intervention des Landschaftsarchitekten Regis Guignard den Eindruck inmitten der sanften Hügel zu stehen.

Beton um den Wein

Außen markieren je zwei selbsttragende Betonschwingen auf jeder Seite das Gebäude. Um den Aufwand bei der Schalung zu begrenzen, werden alle vier durch die selben Radien definiert, wirken aber nicht repetitiv, weil sie gegeneinander versetzt angeordnet sind. Um die richtige Mischung des Betons zu definieren wurden zwei große und sechs kleinere Prototypen gegossen. Die Architekten legten Wert
darauf diese vor Ort erstellen zu lassen, um die konkreten Auswirkungen der Umgebung, beispielweise die der Luftfeuchtigkeit, auf den Beton beurteilen zu können. Die Tönung der mit wasserabweisenden Zusätzen versehenen Masse entspricht der Farbigkeit des örtlichen Gesteins. Ihre Oberfläche wurde zum Schluss mit Hochdruckwasserstrahl behandelt und soll allein durch die Reinigungswirkung des Regenwassers ihren hellen Ton ohne weitere Maßnahmen behalten. Um absolute Homogenität der Betonbauteile auf der teilweise rund um die Uhr laufenden Baustelle zu erreichen wurde ein genauer Lieferzeitplan für den Baustoff erstellt, der die Ankunftszeiten auf 30 Minuten genau bestimmte. Später gelieferter Beton wurde nicht akzeptiert. Dies war notwendig, weil die Zusammen­setzung der Masse je nach den verschiedenen Gießabschnitten variierte. Ein Beton-Flügel liegt nur einige Meter am Boden auf, der Rest schwebt frei, deshalb musste nicht nur die Bewehrung den verschiedenen Belastungszonen der Flügel angepasst, sondern auch jedes dieser circa 35 m langen Elemente auf einmal über die ganze Länge gegossen werden. Der hohe Druck, der nach und nach auf die vor Ort zusammengebaute Holzschalung im unteren Bereich entstand, wurde dadurch minimiert, dass die Aushärtung und erreichte Stabilität der bereits gegossenen Schicht es erlaubte die nächste Füllung darüber zu tragen und so Last von der Schalung zu nehmen.

Wein im Beton

In der Kelter des Château Cheval Blanc fungiert Beton nicht nur als Hülle, sondern er tritt tatsächlich auch mit dem Wein in Berührung. Im größten Raum thronen amphorenförmige Weintanks nach Größe der Reihe nach aufgestellt. Diese Betonskulpturen, sind, so sehr sie auch nach feinem Design aussehen mögen, formaler Ausdruck ihres Zwecks. Die sich nach oben verjüngende Form entspricht dem idealen Verhältnis zwischen Rebensaftoberfläche und Luft. Die Innenwand wird jährlich neu mit einem Trauben­extrakt imprägniert und so für das Befüllen vorbereitet. Der Baustoff Beton eignet sich mit seiner Speicherfähigkeit und Trägheit, was den Temperaturwechsel betrifft, ideal für den eineinhalb Monate dauernden Reifungsprozess. Verglaste Belichtungsbänder lassen entlang der Betonflügel das Tageslicht von oben direkt über die Tanks einfallen und inszenieren ihre Eleganz. Die 52 hellgrauen
Behälter entsprechen den 52 Parzellen des Weingutes. So ist es möglich, erstmalig den Wein wie ein Gemälde aus dieser Anzahl der Geschmacksfarben zu komponieren. Die Architekten vergleichen darum diesen immer ausgeglichen temperierten Bereich mit der Palette eines Malers. In den unmittelbar angrenzenden eingestellten Holzkuben vermählen passionierte Fachleute die in St. Emilion traditionelle Rebsorte Merlot mit dem Cabernet Franc und erschaffen einen der größten Weine Frankreichs. Anschließend reift der Wein in Barriquefässer im darunter liegenden und aufgrund des hohen Grundwasserspiegels als Wanne konzipierten Keller. Ein Teil des Weines diffundiert dabei im Laufe der 18 Monate. „Es sind im Durchschnitt sieben Liter pro Fass, das nennt man in der Fachsprache „la part des anges“ (der Anteil für die Engel) und dafür brauchen wir ideale Belüftungsbedingungen“, erklärt Etienne
Pierres. Wie überall in diesem als HQE (Gebäude mit hohen Umweltstandards) klassi­fizierten Gebäude verbirgt sich die Technik hinter ansprechenden Formen, hier sind es die im arabischen Stil gemauerten perforierten Längswände, deren Ziegelmuster auf der einen Seite genau dem idealen Zuluft- und gegenüber dem Abluftvolumen entsprechen. Alle sonstigen Leitungen verbergen sich in U-förmigen Trägern, die mit ihrer leicht geschwungenen Unterkante das Motiv und Material der weißen Betonflügel auf­nehmen. Vor allem Industriegebäude? – Mag sein, aber inspirierend und poetisch, wie wohl die wenigsten! Cornelie Kraus, Jazé/FR

Interview unter DBZ.de Webcode DBZ355RL

Interview mit Etienne Pierres, (Wettbewerb, Ausführung) und Daniel Roméo (Ausführung, Baustelle), Büro Christian de Portzamparc

Ist dieser Neubau einer Weinkelter ein Luxusprojekt für das Luxusprodukt Premier Grand Cru Château Cheval Blanc? Ging es formal darum ein entsprechendes Image zu schaffen?

Etienne Pierres: „ Nein, absolut nicht. Das ist ja auch kein öffentlich zugänglicher Ort. Hierher sollen keine Touristenströme gelenkt werden. Man kommt da nur nach Anmeldung überhaupt hinein. Es ist ganz einfach ein Industriegebäude, in dem hochqualifizierte, leidenschaftliche Spezialisten Wein herstellen. Sie machen das immer in Bezug auf die Landschaft darum herum. Diese Kelter unter einem künstlichen Hügel lässt deshalb auch deshalb das Tageslicht einfallen. Es gibt kein sich Abschließen gegen die Landschaft.

Seit 1871 gibt es diese 52 Weinparzellen in unveränderter Form, jede mit ihrem typischen Charakter und man wollte in dem Raum mit den Weingärtanks genau diese Struktur abbilden, eben weil das auch exakt der nun möglichen, präziseren Arbeitsweise der Kellermeister entspricht! Vorher war man gezwungen den Traubensaft in den Tanks teilweise zu mischen. Aber nichts soll sich hier den Sachzwängen oder rein kommerziellen Aspekten unterordnen. Was zählt ist nur das Können, die Tradition. Eine Atmosphäre der Bedachtsamkeit und Konzentration, das alles mit einem hohen ökologischen Anspruch an den Anbau, Arbeitsweise und so auch an die Kelter selbst.

Der Wein entsteht also als Komposition der jeweiligen Parzellenerträge in diesen ihnen zugeordneten Behältern. Diese Parzellen sind nicht alle gleich groß, also sind es die Tanks auch nicht. Es gibt jetzt mehr Platz, denn wir haben das neue Gebäude an einer Seite ins Gelände geschoben, da wo das Rebland weniger guter Qualität ist und dafür auf der anderen Seite wertvollen Boden gewonnen.
Den überdachten, offenen Bereich nutzt man im Herbst um die Trauben nach der Lese zu sortieren und später werden hier die Flaschen verschickt. Der Wein bleibt von der Lese bis zur Abholung insgesamt zwei Jahre hier.“

Warum haben Sie Beton als Baustoff gewählt?

Daniel Roméo: „Die Bauherren wünschten eine qualitativ hochwertige, auf Dauer angelegte, nachhaltige Arbeit. Eine Metallkonstruktion wurde von vornherein ausgeschlossen und ebenso ein hoher
Verglasungsanteil, denn in diesem Gebiet mit einem Grundwasserspiegel, der bis auf das Niveau Null steigt, gibt es sehr viele Mücken und die werden natürlich von erleuchteten Fenstern angezogen.

Wir hatten einen engen Zeitrahmen für die Phase des Betonierens. Die Baustelle begann im Januar 2010 und ein Jahr später, im Juni, musste das Projekt für eine Ausstellung zur Verfügung stehen.Im Juli hatten wir mit dem Betonieren begonnen, nachdem wir vor Ort die Zusammensetzung der Betonmasse definiert hatten und wir mussten unbedingt im November fertig sein. Durch einen Antifrost-Zusatz hätte sich der Farbton geändert. Angeliefert wurde bei Bedarf auch nachts, damit wir extreme Temperaturdifferenzen  vermeiden.
Zudem wollte man die Weintanks ausdrücklich aus Beton mit einer speziellen, in die fünfzehn bis 20 cm starken Behälterwände integrierten, Technik. Deshalb wurden sie auch in Italien hergestellt, nur da hat man das Savoir-Faire. Normalerweise befindet sich eine Metallspirale in diesen Tanks, die aber problematisch ist, was die Reinigung und auch die Effizienz angeht. Beton nicht nur für den Bau, sondern eben direkt auch für den Wein einzusetzen, ist also nicht eine gestalterische Entscheidung, sondern eine praktische. Im Gegensatz zu den üblichen Behältern aus Metall, wie etwa Edelstahl, verändert sich
die Temperatur langsamer und die Übergänge sind sanfter. Dieser besondere Wein wird ständig gepflegt, überwacht. Dank der Trägheit des Betons lassen sich die Vorgänge besser kontrollieren.“

Das Interview führte: Cornelie Kraus, Jazé/FR

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