Beton – Ausschweifung und lokales Gestein
zanderroth architekten, Berlin, Christian Roth und
Sascha Zander zum Thema „Beton“

Dass wir etwas über Beton schreiben dürfen ist erstaunlich. Schließlich machen wir Wohnungsbau. Im Wohnungsbau ist jede Betonwand, die keine Mauerwerkswand ist, eine Ausschweifung des Architekten. Mauerwerk ist günstiger.

In der Rückschau haben wir in vielen Projekten Beton sichtbar belassen. Sichtbar belassen ist der richtige Ausdruck, da es nie um geplante Perfektion gehen konnte, sondern um die sich ergebende Möglichkeit es trotzdem zu machen – ohne oder mit nur geringem Aufwand.

Im Wohnungsbau werden für Wände und Decken gerne Halbfertigteile eingesetzt. Bei der Produktion dieser Elemente scheint es von der Fertigungstechnologie unvermeidbar, dass perfekter Sichtbeton entsteht, seidig glatt anzufassen und von einheitlicher Färbung. Das wird er allerdings nur theoretisch bleiben. Ein Arbeiter wird, um den Kranhaken zu lösen, darüberlaufen und vorher in eine weiche Bitumennaht der Abdichtung gegen Bodenfeuchtigkeit treten oder das Element wird zu schnell abgesetzt und ist beschädigt. Akzeptiert der Bewohner diese Historie eines Bauteiles, ist Sichtbeton im Inneren von Wohnungsbauten möglich.

Ein andere Möglichkeit sind Häuser, die keine eigentliche Fassade haben; zumindest keine sogenannte Außenwandbekleidung. Diese haben Fenster, möglichst groß, um rauszuschauen, und z. B. gebäudebreite Balkonbrüstungen. Die werden ganz selbstverständlich mit Isokörben am Rohbau befestigt, die Brüstungen im Fertigteilwerk in Sichtbetonqualität produziert. Das ist eine kostengünstige Variante einer vorgehängten Sichtbetonfertigteilfassade.

Eine weitere – nicht planbare – Möglichkeit sind Koalitionen mit den Ausführenden. In einem Fall teilte uns eine Firma nach Auftragsvergabe mit, dass sie nicht in der Lage sei Sichtbeton zu fertigen. Gemeinsam entwickelten wir die Idee Matrizen in die Schalung einzulegen, was uns Gestaltung ermöglichte und für den Unternehmer die Anforderungen an die Oberfläche reduzierte.

Thomas Edison hat zu Beginn des 20. Jahrhunderts das sogenannte Single-Pour-Concrete-House entwickelt, ein System zur industrialisierten Herstellung von Häusern aus Beton. Eine unglaublich komplexe Schalung bildet das übrigens klassisch aussehende Haus mit Verzierungen und Badewanne ab – an nur einer Stelle wird der Beton eingefüllt. Ein wirklich monolithisches Gebäude in konsequenter Ausführung. Die Spannung, wenn der Beton soweit ausgehärtet ist, dass ausgeschalt werden kann, muss bei diesen Häusern unerträglich gewesen sein. Die Enttäuschung über das Ergebnis – mangelnde Verdichtung und große Fehlstellen – vermutlich ebenso.

Dieser Idealvorstellung eines Hauses aus einem Guß sind wir bei unserem Haus in der Christinenstraße recht nahe gekommen. Der moderne Leichtbeton kann ausreichend tragend ausgebildet werden und erfüllt den aktuellsten EnEV-Standard. Die Ausführung bzgl. Betonierabschnitten und bezahlbarer Großflächenschalung war planerisch äußerst komplex und nur mit einer begeisterungsfähigen Rohbaufirma möglich.

Grundsätzlich ist Beton ein Werkstoff, dessen in Normen geregelten Eigenschaften, wie Festigkeit, Wärmeleitfähigkeit usw. leicht einzuhalten sind, in seiner Erscheinung ist er delikat. Er reagiert auf alles, was an ihn herangetragen wird oder um es anders zu sagen: Man kann nicht sicher sein, was dabei herauskommt. Ein besonders kalter Winter kann die Temperierbarkeit eines Fertigteilwerkes überfordern – heraus kommt fast schwarzer Beton. Ein in die Schalung gefallener Nagel bleibt sichtbar.

Beton ist nicht der neue Marmor, sondern das lokale Gestein.

Die Architekten

Christian Roth, 1970 geboren in Wiesbaden. Studium an der RWTH Aachen, Kunstakademie Düsseldorf, E.T.S.A. Madrid. 1998 Diplom.
Sascha Zander, 1968 geboren in Düsseldorf. Studium an der RWTH Aachen, Kunstakademie Düsseldorf, Bartlett School London. 1995 Diploma und 1997 Diplom.
Beide gründeten 1999 das Büro zanderroth architekten in Berlin. Spezialisiert vor allem auf Wohnungsbau, erarbeiteten sie ein erfolgreiches Baugruppenkonzept. www.zanderroth.de

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