Textur und Farbe
Techniken der Flächengestaltung mit Sichtbeton
Qualitativ hochwertige Sichtbetonflächen entstehen nur, wenn fachgerechte Gestaltung, Planung, Baustofftechnik und Baubetrieb erfolgreich zusammenwirken. Die optischen Wirkungen, die durch Schalungsabdruck, Oberflächenbearbeitung oder Farbgebung erreicht werden können, sind nahezu unbegrenzt.
Die Gleichmäßigkeit der beabsichtigten farblichen Wirkung ist abhängig von der Farbwahl, den Gesteinskörnungen und der Wahl der Oberflächenbearbeitung: dunkle, glatte Oberflächen werden eher unterschiedlich empfunden als helle, raue Oberflächen. Der Einsatz von Matrizen oder einer besonders texturierten Schalhaut schafft ebenfalls eine sehr exakte Oberfläche. „Gerade die Oberflächentexturen, die durch Stocken, Scharieren oder Schleifen bearbeitet werden, sind sehr aufwendig und erfordern mehrere Arbeitsgänge,“ erklärt Dipl. Ing. Heinz Eberherr, Architekt bei Laumer Bautechnik GmbH.
Bez + Kock Architekten aus Stuttgart bauten für die Gemeinde Poing bei München ein Gemeindezentrum mit einer aufwendig gestalteten Sichtbetonoberfläche. Ihren Entwurf erläutern die Architekten: „Das Bürgerhaus spielt aufgrund seiner übergeordneten Funktion eine besondere Rolle in der öffentlichen Wahrnehmung. Dieser Logik folgend haben wir das Gebäude als ein ganz besonderes Haus entwickelt, welches sich in Form, Material und Detailausbildung von seiner Umgebung deutlich unterscheidet.“ Während sich das Gebäude zur Straße hin eher geschlossen zeigt, sind im Bereich der Säle große Fensteröffnungen in den Baukörper geschnitten, die die Innenräume in ein helles Tageslicht tauchen. Hinter der präzise gearbeiteten Betonfassade sind alle Aufgaben für ein funktionierendes Gemeinwohl hinter einer exklusiven Gebäudehülle zusammengefasst, von Räumen für Verwaltung und Vereinsarbeit über Sitzungssaal und repräsentatives Foyer bis hin zu Mehrzweckräumen für kulturelle und sportliche Betätigung.
Durch die Reduktion auf wenige große Betonierabschnitte und die gezielte Oberflächenbearbeitung durch Stocken der beigegelb durchgefärbten Betonschale konnte ein unverwechselbarer Gesamteindruck erzeugt werden, der mit seiner Modernität der Gediegenheit einer traditionellen bayrischen Bautradition in nichts nachsteht. Mit der einheitlichen Außenfläche ohne sichtbare Fugen oder Ankerlöcher, die mit ihrer changierenden Farbigkeit an eine Natursteinfassade erinnert, verbinden Bez + Kock Architekten die gewünschte Hochwertigkeit der Fassadenwirkung mit der erforderlichen Robustheit eines öffentlichen Gebäudes.
Als Fassade und Außenwand realisierten die Architekten eine tragende 32 cm starke Betonschale, die komplett ohne Fugen mit Ortbeton in hoher Sichtbetonqualität hergestellt wurde. Der Rohbauer wählte größt-mögliche Schaltafeln und belegte das Schalsystem vollflächig mit Betonplan, um sichtbare Stöße weitestgehend zu minimieren und den homogenen Gesamteindruck zu verstärken. Die Spannankerlöcher wurden farblich abgestimmt verspachtelt. Außerdem wurde die gesamte Außenwandfläche mit über 1 100 m² von einem spezialisierten Fachbetrieb gestockt. So sind Schalbild und Ankerlöcher kaum zu sehen und die Fassadenansicht zeigt eine grobkörnige Oberflächenstruktur, die die natürliche Wirkung unterstreicht. Innenseitig erfolgte der Aufbau mit Wärmedämmung, Vormauerung mit KS-Steinen sowie einem durchgefärbten zweilagigen Innenputz, der ebenso wie die Außenfassade in einem Beigeton eingefärbt wurde. Die Geschossdecken und das Dach liegen abgekoppelt von der Außenwand nur über einzelne Auflagerkonsolen im Abstand von 3 m auf der äußeren Sichtbetonhülle auf.
Um die gewünschte Sichtbetonqualität zu erreichen, war Teamwork zwischen Architekten, Fachplanern, Rohbauer, Betonlieferant und Steinmetz unabdingbar. Für die Betonberatung wurde das Ingenieurbüro Schießl Gehlen Sodeikat GmbH gewonnen. Um die 60 m lange Außenwand fugenlos auszubilden, berechnete der Tragwerksplaner entsprechende Vorgaben für Wandstärke und Bewehrung. Mit dem Rohbauer wurden die Betonierabschnitte abgesprochen und, nachdem ihre Anzahl auf ein Mindestmaß reduziert werden konnte, an möglichst unauffälligen Stellen angeordnet. So wurde in der Vertikalen lediglich ein Betonierabschnitt auf der Höhe von Fensterbrüstungen ausgeführt, in der Horizontalen waren sechs Betonierabschnitte nötig. Zur Beurteilung der Durchfärbung und der Oberflächenbearbeitung erstellte man zunächst kleine Musterplatten. An einer 2-geschossigen Musterwand ließ sich anschließend auch die Art der Ausführung bis zu den Details der Fensteranschlüsse abstimmen.
Bei gestockten Flächen sind die Anforderungen an die Oberflächenqualität etwas geringer als bei glatten Sichtbetonflächen, da die oberste Betonschicht bei der Bearbeitung in Millimeterstärke entfernt wird, trotzdem sind hohe Betongüte und äußerste Sorgfalt aller Beteiligten erforderlich. Anhand der Bemusterung war erkannt worden, dass man den Mehlkorngehalt der vorgesehenen Betonrezeptur erhöhen sollte, um einer Entmischung auch in Teilbereichen gegenzusteuern. Deshalb wurde mit Unterstützung einer nicht saugenden Schalung darauf geachtet, dass sich keine Luftporen bildeten. Man entschied sich, die freien Schütthöhen bei der Betonage auf ein Minimum von 1 bis 1,5 m zu beschränken, um unzureichende Verdichtung, Lunker und Kiesnester, die nach dem Stocken zu Tage traten, zu vermeiden. Zudem wurde mit dem Rohbauer eine lagenweise Verdichtung auf alle 50 cm festgelegt. Ein Beton der Festigkeitsklasse 30/37 mit F4 Konsistenz, einem w/z-Wert von 0,51 und einem Zementgehalt von 360 kg/m³ erfüllte letztlich die gewünschten Voraussetzungen.
Für die Durchfärbung wurde 3% Trockenpigment bezogen auf den Zementgehalt verwendet, wobei eine Mischung von 95% gelb und 5 % Rot zum gewünschten Farbton führte. Entscheidend und im diesem Fall beabsichtigtes Ergebnis war, dass der Gelbton des ungestockten Betons eine weniger satte Farbanmutung aufwies als nach der Oberflächenbearbeitung: Durch das Stocken wird pigmentierter Zement abgetragen, wodurch die Farbgebung der Zuschlagstoffe mehr zur Geltung kommt. Schließlich musste berücksichtigt werden, dass die nicht durchgefärbten Abstandhalter aus Beton, die zwischen Bewehrung und Schalung eingesetzt werden, wenig Auflagerfläche bieten, damit sie nicht später trotz Stocken an der Oberfläche sichtbar werden. Alle Kanten wurden von Hand schariert, die Ankerlöcher wurden ausgemörtelt und nachträglich gestockt.
Die große Musterwand, ausgeführt mit der modifizierten Betonrezeptur und der entsprechenden Betonage, brachte schließlich ein Ergebnis, das in das Bauwerk übertragen werden konnte. Schließlich wurde auch ein abschließender Graffitischutz gefunden, dessen Schutzschicht nicht sichtbar ist und der eine unverfälschte Oberfläche bietet. Für das liefernde Betonwerk war die exakte Einhaltung der Rezeptur Vorgabe. Anhand der Musterflächen und der realmaßstäblichen Musterwand legten die Architekten im Vorfeld alle Maßnahmen fest, die zu der überzeugenden Homogenität der Sichtbetonflächen des Bürgerhauses führten.