„Beton ist mehr als das. Eine Liebeserklärung“
Wenn ich mir das heute genauer betrachte, lebe ich eine nahezu intime Beziehung zu diesem als Bauwerkstoff bezeichneten Material. So bade ich doch in einer aus Beton an Ort und Stelle gegossenen Wanne, reinige mein Gesicht an einem vom Handwerker mit der Stahlkelle fein abgezogenen Waschtisch aus Beton und temperiere mir in der Übergangszeit zum Winter die Wohnung in einer offen, eher brachialen Feuerstelle aus Beton mit Holz. Ich lege zuhause meine Teppiche aus fernen Ländern auf den Betonsteinboden, den wir fein geschliffen haben, der uns durch diesen Schliff seine Konsistenz und Herkunft verrät, der durch diese Bearbeitung seinen eigenen Farbton, je nach Lichteinfall, freigibt. Durch die Bearbeitung fühlt er sich zart an wie eine geschmeidige Hand und hält die ihm eingelegten Muscheln von unseren Reisen zum Indischen Ocean fest.
Ein glücklicher Zufall ermöglichte mir Mitte der 80er Jahre, eines der Erstlingswerke von Mario Botta in Riva San Vitale zu besichtigen. Das Wohnhaus wurde 1972 gebaut, das milde Tessiner Klima ermöglichte es, die Betonstruktur dieses Wohnhauses innen wie außen sichtbar zu belassen. Das im Grundriss kompakte, quadratische Wohnhaus ist eine beeindruckende, reduziert organisierte Betonstruktur, die über 5 Geschosse in die Höhe wächst und mit dünnen Glasscheiben ausgefacht wurde. Da sich das Haus am Hang befindet, bildet eine feine Stahlbrücke den Zugang. Mario Botta’s Werk war zu dieser Zeit noch frei von jeglicher Ornamentik.
Etwas später verbrachte ich eine Semesterwoche im Kloster von La Tourette, erbaut von Le Corbusier zwischen 1956-1960. Dass dieser Bauwerkstoff weitaus mehr als Struktur sein kann, erfährt man beeindruckend in diesem Kloster. So sind Räume zu finden, die in ihrer Dichte die Geborgenheit einer Höhle vermitteln. Ein durch die Deckenöffnung eindringender Lichtstrahl bringt diese aber je nach Sonnenstand zum Glühen. Der gegossene Beton, der bei zurückhaltender Belichtung samtig und weich wirkt, wird durch das eindringende Streiflicht unvermittelt zum Erzähler. Aufgrund der durchdachten Schalungsart erkennt man jedes Holzbrett, seine Oberflächenbearbeitung und dessen Zeichnung. Jedes Schalungsbrett wurde vom Handwerker einzeln gelegt, jeder Nagel, der es hält, wird Teil der Negativoberfläche. So werden Tagesabläufe, das zu nasse oder zu trockene Wetter, die Gemütsverfassung des Handwerkers sowie das geschlagene Holz Teil der atmosphärischen, authentischen Dichte dieses in Beton gegossenen Raumes.
Und alles, was die Benutzer dieser Räume benötigen, seien es die Fenstersimse, der Gebetsschemel, der Handlauf zur Überwindung steiler Betontreppen oder Nischenplätze, wurden zuerst im Negativ mit Brettern geschalt, ausgegossen und dann mit einer Erwartung ausgeschalt, die einem Ritual gleichkommt. Denn die große Ungewissheit, ob der fließende Beton seinen Weg gefunden hat, ist immer Teil des Betonieraktes. Der jahrzehntelange Gebrauch durch die Benutzer hat die Handläufe verjüngt. Sie wurden nicht geschliffen, aber das Material hat durch die jahrelange Berührung sich der Handform angenommen. Die Oberfläche hat sich unmerklich verdichtet, hat ihre geschmeidige, leicht verdunkelte Patina erlangt. Diese Erfahrungen werden Teil unserer Bauten, wenn wir an den Baustoff Beton denken und mit ihm arbeiten.
Der Architekt
Daniel Buchner, 1967 geboren in Berneck, 1993 Architekturdiplom an der Ingenieurschule beider Basel. 1994 Mitarbeit im Architekturbüro Morger & Degelo, Basel. 1997 Gründung des Architekturbüros Buchner Bründler mit Andreas Bründler in Basel. 2003 Aufnahme in den Bund Schweizer Architekten (BSA). 2008 Gastprofessur, Ecole Polytechique Fédérale EPF Lausanne, Masterstudium. 2009 Gastprofessur, Ecole Polytechique Fédérale EPF Lausanne, Bachelorstudium. 2010 Gastdozent im Entwurf, Eidgenössische Technische Hochschule ETH Zürich. www.bbarc.ch