Bildungscampus Berresgasse, Wien/AT
Über tausend Kinder im Alter bis zu 14 Jahren werden im Campus Berresgasse in der Wiener Donaustadt unterrichtet. PSLA Architekten gelang es, diese riesige Bildungsstätte kindgerecht und kleinmaßstäblich so zu strukturieren, dass jedes einzelne Kind in seiner Altersstufe seine Bedürfnisse nach Austausch und Rückzug leben kann.
Campus plus
Dank ihrer Flächenreserven bietet die Donaustadt, der größte Bezirk Wiens, einen repräsentativen Querschnitt für zeitgenössischen sozialen Wohnbau. Im dortigen Stadtquartier Berresgasse entstehen bis 2022 etwa 3 500 neue Wohnungen. Dazu braucht es eine Bildungseinrichtung mit zeitgemäßer Pädagogik – einen „Campus plus“, für den die Stadt Wien einen offenen, EU-weiten, zweistufigen Generalplaner-Wettbewerb ausschrieb. PSLA Architekten gewannen. Der Campus wurde als PPP (Public Private Partnership) umgesetzt, als Generalunternehmer fungierte die Porr Bau GmbH, die Ausführungsplanung übernahm die Porr Design & Engineering, als PPP-Berater moderierte Vasko & Partner den Prozess und übernahm die Projektsteuerung seitens der Stadt. Ein Teil der künstlerischen Oberleitung blieb bei PSLA, die auch die Leitdetails entwickelten und als Generalplaner das Fachplanungsteam koordinierten. Zur Abstimmung mit den Fachplanern gab es wöchentlich interne Meetings, auch das Planungsteam der Stadt Wien trafen PSLA wöchentlich. Für alle Planungsphasen wurden sämtliche Projektstände digital nach den Richtlinien der Stadt erstellt und dem Auftraggeber zur Abnahme übergeben. Die Zusammenarbeit lief bestens: Alles wurde so umgesetzt wie geplant. Das merkt man dem Gebäude an.
In einem „Campus plus“ werden je vier Schulklassen und zwei bis vier Kindergartengruppen durch gemeinsame, multifunktionale Räume zum Biber (Bildungsbereich) zusammengefasst. Im Campus Berresgasse gibt es außerdem eine neue Mittelschule (NMS), Sondergruppen für Kinder mit besonderen Bedürfnissen und eine Dreifach-Turnhalle. Rund 1 125 Kinder im Alter von bis zu 14 Jahren und 153 PädagogInnen werden ihn nutzen. PSLA glückte es, jeder Altersgruppe in dieser riesigen Struktur eine entsprechende Lernumgebung mit Freiräumen zur selbstbestimmten Aneignung zu schaffen. Eine gute Orientierung spielte dabei ebenso eine Rolle wie eine überzeugende städtebauliche Figur, von der die künftige Entwicklung antizipiert wird.
Organische Struktur
Die Gegend ist dispers: Südwestlich der Berresgasse ragen als Großform gleichförmige Wohnscheiben aus den 1960er-Jahren in den Horizont, während sich nordöstlich Äcker ausbreiten. Hier türmt sich demnächst eine sehr dichte, bis zu 35 m hohe Wohnbebauung auf, während ein niedriger Kleingartensiedlungsteppich an die nordöstliche Grundgrenze anschließt. An der Kurve der Berresgasse im Süden ordneten PSLA die Dreifachturnhalle als solitären Quader an. Er formuliert eine Kante zur Straße, schirmt den dahinterliegenden Freibereich ab und bildet mit seinen 54 m Länge den Auftakt zum Campus. Mit seinen kaleidoskopartig verdrehten Geschossen, die sich pyramidenartig nach oben hin verjüngen, bildet er gleichermaßen eine organische Struktur. Die Fassade aus Lärchenholzfeldern, die wechselnd horizontal und vertikal angebracht sind, wird sich, wie beabsichtigt, immer vom Wohnungsbau unterscheiden. Mit vielen Vor- und Rücksprüngen mäandert die geknickte Fassade über fast 250 m von Süden nach Norden und definiert dabei scheinbar beiläufig drei verschiedene Freiräume: den Sportplatz im Süden, den vom Knick des Sockels gefassten, öffentlichen Raum mit Boulderwand, Bocciabahn, Parcoursflächen, Skaterpark usw. vor dem Haupteingang und die differenzierte, kindgerechte Spiellandschaft am Saum der Kleingartensiedlung.
Roter Faden
„Aufgrund seiner Größe hat dieser Campus eine städtebauliche Dimension. Wir wollten seine Freiräume mit der Stadt verzahnen“, so Ali Seghatoleslami von PSLA. „Wesentlich war uns ein inklusiver Zugang und dass alle Kinder zwischen 0 und 14 Jahren ihre Bedürfnisse nach Sozialisierung leben können, ohne dass es zwischen den Gruppen zu Kollisionen kommt.“ Das umfasst auch mehrfachbehinderte und schwersterziehbare, oft auch (auto)aggressive Kinder, die hier betreut werden. Sehr subtile, wohldurchdachte und wirksame räumliche Maßnahmen tragen dazu bei, dass jedes einzelne Kind in dieser „Stadt in der Stadt“ in seinem spezifischen Umfeld sowohl Sozialisierung als auch Rückzug leben kann. Die kaleidoskopartig auskragenden Räume im ersten Stock schaffen im Freiraum witterungsgeschützte Vorplätze. Zwischen ihren Stahlbetonstützen baumeln coole Schaukeln und wachsen Sitzwürfel aus Beton. Unterschiedliche Bodenbeläge gliedern diese Bereiche zusätzlich. Sie finden sich auch im Inneren wieder: Fliesen für die öffentlichen Zonen, Eiche in den Klassen, Teppiche zum Spielen, Holz in den Küchen der „Marktplätze.“ Dieses Ineinandergreifen ist der rote Faden durchs Projekt. PSLA definierten klare Rahmen und ließen dabei viele Wahlmöglichkeiten. Das zeigt sich schon bei der Erschließung. „Generell gibt es drei Zugänge, die nicht exklusiv, sondern demokratisiert sind.“ Trotzdem werden sie durch Anordnung und Ausführung automatisch von denen genutzt, für die sie gedacht sind: Die Treppe im Foyer beginnt mit Sitzstufen, um sich dann nach oben in den dritten Stock zu schrauben. Nichts für kleine Kinder, aber perfekt für die Jugendlichen der dort angesiedelten NMS. Kindergarten und Volksschule haben eigene Eingänge. Die Minis (bis 3 Jahre) sind im Erdgeschoss untergebracht und von den Eltern gleich zu sehen. Auch die Gruppen für schwererziehbare Kinder haben eigene Spielzonen.
„Stadt in der Stadt“
Der Campus ist klar gegliedert: Im Sockel sind Foyer, Veranstaltungssaal, Bibliothek, Sonderunterrichtsräume, Verwaltung, Mensa und die Minis, im ersten Stock alle weiteren Kindergartengruppen, im zweiten die Volksschule, im dritten die NMS. Ausgehend von der Grundfigur eines Dreiecks entwickelten PSLA eine windradartig verdrehte Form, aus der je drei – durch die Ergänzung eines weiteren Dreiecks erzeugte – rechtwinklige Raumeinheiten unterschiedlich weit vorstehen. So lassen sich die zweistöckigen Grundelemente der Biber (Bildungsbereiche) für je drei bis vier Kindergartengruppen und vier Volksschulklassen an ihren Kanten leicht addieren. Alle Bildungs- und Teamräume sind rechteckig, gut möblierbar und über Eck orientiert. „Es gibt immer einen Erker, der einen Blick über die eigene Fassade ermöglicht“, so PSLA. „Dadurch wird auch der Tagesverlauf spürbar. Diese Klassen sind wie kleine Häuser.“ Sie sind nach außen zu Terrassen und nach innen zum „Marktplatz“ orientiert, auch die Höhen sind differenziert. Fenster gibt es in zwei Varianten – bodennah und mit Sitzbank, an ihnen sind auch Regale angeordnet. „Die Kinder gehen zum Licht, wenn sie sich ein Buch holen.“ Die Bildungsräume sind 3 m hoch, die Nischen zum Rückzug 2,20 m, während in der Mitte ein 7 m hoher, zweigeschossiger, freigeformter multifunktionaler Bereich mit Galerie um einen hohen Luftraum entsteht. Bunte Vorhänge ermöglichen flexibel eine weitere Zonierung und verbessern den Schallschutz. In dieser Halle wird gegessen, sind Sichtbeziehungen zwischen beiden Ebenen möglich und wird der ungezwungene Austausch verstärkt. Die Größeren lernen, auf die Kleinen Rücksicht zu nehmen, die Kleinen verlieren ihre Angst vor der Einschulung, Geschwister können einander treffen. Einläufige, teils geknickte Stiegen, die zwischen zwei Wandscheiben aus Sichtbeton verlaufen, bieten zusätzliche Orte des Rückzugs. Obwohl sich jede Biber-Einheit aufgrund ihrer Lage im Baukörper, ihrer spezifischen Ausrichtung und den dazugehören Terrassenbereichen unterscheidet, ist die Orientierung sehr einfach. „Alle Kleinen wechseln immer nur eine Ebene. Der Campus wirkt für sie also nicht sehr hoch.“ Zusätzliche Freiräume sind vertikal gestapelt: Die oberen Biber erweitern sich auf 1 819 m² Terrassen und 546 m² Beete.⇥Isabella Marboe, Wien/AT
Ein faszinierendes Beispiel ist das Wiener Bildungscampusmodell, das derzeit im großen Maßstab ausgerollt wird, mit innovativen Grundrissen als Spiegel der neuen pädagogischen Ansätze. Das Clustermodell zeigt hier in den sternförmig angelegten Bildungsbereichen besonders raffinierte räumliche und materielle Qualitäten und bildet gut proportionierte „Kleinschulen“ im großen Campus.« ⇥DBZ Heftpartner Mads Mandrup Hansen und Julian Weyer, C.F. Møller Architects
Baudaten
Projekt: Bildungscampus Berresgasse
Standort: Scheedgasse 2, Wien/AT
Bauherr: Stadt Wien, MA 56 Wiener Schulen, MA 10 Wiener Kindergärten
Generalunternehmer inkl. Ausführungsplanung: Porr Bau GmbH/ Porr Design & Engineering, Wien/AT,
www.porr.at
Architektur, Generalplanung, Projektleitung, Einrichtung: PSLA ARCHITEKTEN ZT GMBH, Wien/AT, www.psla.at
Mitarbeiter: Lilli Pschill, Ali Seghatoleslami, Aiste Ambrazeviciute, Christopher Ghouse, Andreas Hradil, Marc Werner, Anna Barbieri, Andreas Metzler, Roland Basista
Statik, Bauphysik: FCP Fritsch, Chiari und Partner ZT GmbH, Wien/AT,
www.fcp.at
Haustechnik: rhm gmbh, Aspang/AT, www.rhm.at
Landschaftsplanung: EGKK Landschaftsarchitektur, Wien/AT,
www.egkk.at
Projektdaten
Grundstücksfläche: 19 070 m²
Nutzfläche: 16 780 m²
Bebaute Fläche: 7 190 m²
Umbauter Raum: 79 700 m³ BGF oberirdisch
Planungsbeginn: Dezember 2015
Bauzeit: Oktober 2017 – August 2019
Baukosten: 38,9 Mio €
Kosten pro m²: 2 300 € /m² NGF
Hersteller
Beleuchtung: Zumtobel Lighting GmbH, www.zumtobel.com
Kautschukböden: Nora systems GmbH, www.nora.com
Holzböden: Puchegger u. Jilg ParkettGmbH, Krumbach/AT
Möbel: Fürst Möbel GmbH,
www.fuerst-moebel.at
Vorhänge: Kvadrat, www.kvadrat.dk
Netze: Carl Stahl GmbH,
www.carlstahl.de