Lichtlandschaft

Erste Campus, Wien/AT

Mit dem Wiener Erste Campus glückte den Architekten Henke Schreieck ein Leuchtturmprojekt, in dem Lichtstimmung und Transparenz eine wesentliche Rolle spielen. In Manfred Draxl von conceptlicht at fanden sie einen kongenialen Partner. Die Beleuchtung harmoniert auf jeder Ebene mit der Stadtlandschaft dieser Architektur. Licht als Leitelement lässt hier Innen- und Außenraum zu jeder Tageszeit ineinander übergehen.

Der Hauptsitz der österreichischen Erste Group Bank bietet rund 5 000 Mitarbeitern, deren Kunden, Passanten und Stadtflaneuren auf 117 000 m² Bruttogeschossfläche einen abwechslungsreichen Ort, an dem man sich gerne aufhält. Architektur dieser Dimension, die vom Städtebau über hochwertige Außenräume, Vorplätze, Foyers bis hin zu jedem einzelnen Arbeitsplatz im Großraumbüro und dem Gartendeck ein durchgängig hohes gestalterisches Niveau hält, ist selten. Es glückte, weil der Bauherr Qualität als identitätsstiftendes Merkmal verstand.

Das 25 000 m2 große Grundstück auf dem Areal des einstigen Südbahnhofs befindet sich unweit vom neuen Wiener Hauptbahnhof. An seiner langen Ostflanke, der Arsenalstraße, liegt der Schweizergarten, ein Park mit der Architekturikone „Belvedere 21“ von Karl Schwanzer. Im Norden verläuft der stark befahrene Wiedner Gürtel: Hier stößt der Erste Campus an gründerzeitliche Blockrandbebauung, während schräg gegenüber das Schloss Belvedere mit seinem Barockgarten anschließt.

2007 schrieb die Erste Group einen dreistufigen Architekturwettbewerb aus. Der Masterplan definierte bindend eine Fortführung des Blockrands. „Im Wesentlichen war die Kante zur Arsenalstraße geschlossen. Für uns war das problematisch: Wir wollten den Schweizergarten ins Innere des Campus führen“, so Architekt Dieter Henke. „Es musste eine Verbindung zum Grünraum geben.“ Lange tüftelten Henke Schreieck Architekten an der Geometrie der Baukörper: „Wichtig war uns der Maßstab.“ Daher fügten sie eine zweigeschossige Sockelzone mit Gartendeck ein, die in Höhe und Ausformung ein menschliches Maß vermittelt und das mächtige Volumen in den angrenzenden Grünraum integriert. Als Referenz an die Halle des alten Südbahnhofs wollten sie einen städtischen Platz schaffen, das Foyer der Öffentlichkeit zugänglich machen und die monofunktionalen Büros mit urbaner Infrastruktur anreichern. „Der Erste Campus sollte ein Teil der Stadt und die Stadt ein Teil des Erste Campus sein.“

Die freien Formen lösen die Idee schlüssig ein. Zum Wiedner Gürtel bilden sie eine geschwungene Flanke, beim Schweizergarten einen offenen Bogen. Ständig wurde die Form in Bezug auf den Grünraum, den Lichteinfall, die Sichtachsen und Durchwegbarkeit modifiziert. Die Baukörper sind in der Mitte gebaucht, an den Rändern verjüngt, an urbanen Ecken zur Kante zugespitzt und in der Höhe gestaffelt: Sie spiegeln sich wechselseitig in den Fassaden, treten trotz der Dichte fast spielerisch miteinander in Beziehung und spannen einen fließenden Freiraum auf.

Licht als Leitelement

Ein freigeformtes Dach aus Sichtbeton, das mit runden Öffnungen perforiert ist, definiert gleichermaßen einen gedeckten Platz und eine Passage vorm Haupteingang. Durch die Löcher fällt das Tageslicht kreisförmig auf den hellen, geschliffenen Betonboden, schräg stehende, abgebrochene, rostige Stahlstützen mit demselben Querschnitt wie die geraden Originale verstärken den tänzerischen Eindruck: Kunst am Bau von Roman Ondak. „Der Bauherr hat jedem Detail großes Augenmerk geschenkt, alles war wichtig“, so Dieter Henke. Licht wirkt hier als Leitelement, das die Atmosphäre bestimmt, tief ins Innere des zweigeschossigen Atriums lenkt und die hochwertigen Oberflächen perfekt zur Geltung bringt. „Das übergeordnete Ziel der Architektur war hier die Stadtlandschaft. Wir übersetzten das in eine Lichtlandschaft“, so Manfred Draxl von conceptlicht at. Ihn verbinden oftmalige Zusammenarbeit und tiefes Vertrauen mit Henke Schreieck. „Licht schafft die Atmosphäre, die alles einbringt, was ein Gebäude ausmacht. Wir entwickeln eigene Lichtlösun­gen, die Jahre später zum Stand der Technik werden.“

Transparenz umsetzen

Die umlaufende Doppelfassade aus raumhohen Gläsern, die auch den Lärm von Gürtel und Bahn abschirmt, hat Rahmen aus Lärche. Jedes zweite Element im Raster ist als öffenbarer Fensterflügel ausgeführt. Die Prall­scheibe ist ohne Sonnenschutzbeschichtung äußerst transparent, damit das Licht durchscheinen kann. Der Sonnenschutz wird automatisch gesteuert, was der Fassade zusätzlich Lebendigkeit verleiht. Außerdem ist er individuell nachjustierbar. Um eine fundierte Entscheidung für eine Fassade aus Holz oder Alu treffen zu können, wurden beide Varianten geplant, durchdetailliert, ausgeschrieben und von beiden ein 1:1 Mockup gebaut. Der direkte Vergleich überzeugte den Bauherrn. „Für ein ein­ladendes äußeres Erscheinungsbild und die warme Atmosphäre innen war das Holz sehr wesentlich“, so Architekt Dieter Henke. Die Holzrahmen werden von vertikalem Streiflicht an der Fassade optisch betont. Außerdem sollte der Grünraum förmlich ins Innere leuchten. Also beleuch­teten conceptlicht at den grünen Innenhof aus der Deckenrandkante. Am Gartendeck wurden Mastleuchten palo di Graz eingesetzt, die den Rasen aufhellen – auch die auskragenden Elemente sind beleuchtet. „Wenn Sie den Außenraum nicht beleuchten, haben Sie schwarze Spiegelscheiben und sehen nicht hinunter.“

Wenig Leuchtkörper, großer Wirkungsgrad

Um die gewünschte Transparenz und Durchlässigkeit zu erreichen, setzte conceptlicht at bei den Glasfassaden der Innenhöfe im Schatten der Windaussteifungsprofile Leuchtelemente, die an die Decke strahlen. So gibt es in diesem Randbereich eine Helligkeit, die das einfallen­de Tageslicht perfekt integriert. „Grundsätzlich war uns wichtig, möglichst wenig Einbauten in der Decke zu haben und sie trotzdem bis zum Rand auszuleuchten. Leuchten müssen stets im Hintergrund sein.“ Als wesentliches Beleuchtungselement wirken Downlights mit ihrer ausgeblendeten Strahlungsgeometrie in verschiedenen Größen. Sie sind wie Streublumen über die Decke verteilt. Man nimmt sie kaum wahr, spürt nur die angenehme Helligkeit. Dazwischen schweben abgependelte, scheibenartige Leuchten als perfekte Ergänzung zu den runden Oberlichtern, die auch im Inneren des Atriums für Tageslicht sorgen. „Unser Einvernehmen mit den Bauherren war sehr gut. Der Verantwortliche für die Lichttechnik hatte Zweifel, dass die Halle wirklich hell wird, weil wir so wenige Leuchtkörper brauchten. Als die ersten 20 % montiert waren, ließ er sie extra auf der Baustelle einschalten. Alle waren erstaunt, dass es funktionierte“, erinnert sich Draxl. „Unsere Leuchten haben sehr hohe Wirkungsgrade und viel Komfort.“

Handgemacht

„Wir leuchten die Architektur an, weil wir wollen, dass der Mensch ein Licht bekommt, das mit Information aufgeladen ist,“ so Draxl. „Erst das reflektierte Licht der Objekte vermittelt uns das Bild der Umwelt.“ Das Empfangspult beispielsweise ist exakt seiner Form entsprechend ausgeleuchtet und als hellere Lichtinsel wahrzunehmen. Die meisten Wandflächen in öffentlichen Bereichen sind mit Kalkglätte oder Lehmkasein beschichtet. Ein Handwerker aus dem Bregenzerwald, der diese Technik beherrscht, lernte alle Ausführenden an der Baustelle eigens an. Diese handgefertigte Oberfläche wird mit deckenintegrierten, wand­begleitenden Systemen und einer asymmetrischen Lichtverteilung angeleuchtet und erreicht so die gewünschte Raumwahrnehmung. Isabella Marboe, Wien

Baudaten

Objekt: Erste Campus

Standort: A-1100 Wien, Am Belvedere 1

Typologie: Bürogebäude

Bauherr: Erste Group Bank AG, www.erstegroup.com

Architektur: Henke Schreieck Architekten, www.henkeschreieck.at

Mitarbeiter: Gavin Rae (Projektleitung), Margarida Amial, Ana Barros, Francesca Bocchini, Bug˘ra Çeteci, Nicole David-Rees, Danijel Dukic´, Jörg Fend, Jelena Jokic, Monika Liebmann-Zugschwert, Wolfgang Malzer, Conal Mc Kelvey, Ana Raquel Lopes dos Santos, Bo Ye, Christine Lanzenberger

Visualisierungen: Boanet, www.boanet.at; VDX, www.vdx.at; zoomVP, www.zoomvp.at

Modellbau: Martin Huber, Albert Wilfert,
Brüll Modellbau, www.bruellmodellbau.at

Fachplaner

Lichtplanung: conceptlicht at GmbH, Mils/AT, Mitarbeiter: DI Tina Schneider
www.conceptlicht.at

Statik: gmeiner I haferl zivilingenieure zt gmbh,  Wien/AT, www.gmeiner-haferl.com

Grünraumplanung: Auböck + Kárász Landscape Architects, Wien/AT, www.auboeck-karasz.at

Haustechnik: Altherm Engineering GmbH, Baden/AT, www.altherm.at

Bauphysik: Dr. Pfeiler ZT GmbH, Graz/AT, www.zt-pfeiler.at

Brandschutz: kunz DIE INNOVATIVEN BRANDSCHUTZPLANER GMBH, Maria Enzersdorf/AT, www.brandschutzplaner.at

Leitsystem: polyform | Götzelmann Middel Schumann GbR, Berlin, www.polyform-net.de

Projektentwicklung: Erste Group Immorent AG, Wien/AT, www.erstegroupimmorent.at

ÖBA: Erste Campus Arge ÖBA IC-Hof, Wien/AT

Begleitende Kontrolle: Werkstatt Wien – Spiegelfeld, Wien/AT, www.werkstattwien.at; Holnsteiner & Co.KG,
Wien/AT

Projektdaten

Wettbewerb: 2008

Ausführung: 2010 – 2015

Grundstücksfläche: 25 000 m2

BGF: 117 000 m2

Bebaute Fläche: 18 700 m2

Arbeitsplätze: 4 500

Baukosten: 300 Mio. €

Hersteller

Innenbeleuchtung: Viabizzuno, www.viabizzuno.com; Hoffmeister, www.hoffmeister.de; Zumtobel, www.zumtobel.com; Ansorg, www.ansorg.com; Birke Leuchten, www.sonderleuchten-metallbau.de;
Lichtunion Widner, www.lichtunion.at

Außenbeleuchtung:

Viabizzuno, www.viabizzuno.com

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