Pädagogische Knotenpunkte

Bildungszentrum Frastanz-Hofen/AT

Der klassische Frontalunterricht ist schon länger ein Auslaufmodell. Individuelle, inklusive, vielfältige und flexible Lernorte erfordern andere räumliche Konzepte für das Miteinander von Schüler:innen und Lehrkräften. Das Konzept der freien Lernlandschaften wird mit dem neuen Bildungszentrum in Frastanz noch ein Stück weitergedacht. Mit dem Gedanken des Voneinander-Lernens zugunsten durchgehender Bildungsbiografien vereint das Bildungshaus Kinderbetreuung, Kindergarten sowie die Volksschule – alle(s) unter einem Dach!

Schule muss ein Stück Heimat sein. Die Kinder verbringen schließlich einen Großteil ihrer Zeit hier an diesem sie prägenden Ort. Das war auch den Verantwortlichen in Frastanz bewusst, als sie 2013 – im Zuge der Vorbereitung zur Erweiterung der bestehenden Schule im Ortszentrum – vor der Defini­tion der Bauaufgabe das neue pädagogische Konzept ­er­arbeitet haben. Um eine möglichst durchgängige und zielgerichtete Pädagogik für die Kinder im Alter von 1,5 bis 10 Jahren zu ermöglichen, wurde großer Wert darauf gelegt, einen nachvollziehbaren Übergang von der Kinderbetreuung in den Kindergarten und dann in die Volks- bzw. Grundschule abzubilden. So wurde das „Treffen“ aller Altersstufen, neben den gestalterischen und baulichen Anforderungen, zu einem Schwerpunkt in dem zweistufigen Verhandlungsverfahren, das Pedevilla Architekten aus Bruneck in Südtirol für sich entscheiden konnten. Der Architekt Armin Pedevilla bringt die Idee in einer einfachen Formel auf den Punkt: „Der Mittelpunkt des neuen Bildungszentrums sind die pädagogischen Knotenpunkte in Form des Marktplatzes entlang der zentralen Bildungsachse. Hier kommen die Kinder, Schüler:innen und Pädagog:innen zusammen und verteilen sich wieder in ihre Bildungsbereiche. Auch den Eltern dient diese Zone als gesellschaftlicher Treffpunkt, die Begegnung und Austausch fördert.“  

Umgang mit dem Bestand

Doch so einfach wie auf den ersten Blick ist die Gemengelage nicht. Denn eine Vorgabe für das Bildungszentrum war die Inte­gration des Gebäudebestands von 1952 in das neue architektonische Konzept. Im Sinne eines nachhaltigen Umgangs mit dem Bestehenden wurde schon im Wettbewerb entschieden, die gute Bausubstanz zu nutzen. „Das Weiterbauen findet auf verschiedenen Ebenen statt: der Ausnutzung der räumlichen Qualitäten der Grundrisse mit breiten Fluren und hohen Räumen, aber auch der Maßnahmen im Sinne einer Wiederverwendung. Die in den 1990er-Jahren eingebaute Dämmung wurde erhalten, ebenso wie die Fenster, die durch eine neue Verglasung nun den heutigen energetischen Standards entsprechen“, führt Robert Hartmann, Bauherrenvertreter und Leiter des Bauamts von Frastanz, dazu aus.

Die Setzung des Bestandsgebäudes erlaubte ein funktionelles und strukturelles Weiterbauen, um für Pädagog:innen und Kinder optimale Arbeitsbedingungen zu schaffen. Der Bestand wurde durch zwei Flügel ergänzt sowie durch einen weiteren Baukörper erweitert. So entstehen durch die neue Gesamtform des Baukörpers separate Gebäudeteile, die durch den zentralen Verbindungskörper eine Einheit bilden. Es werden je nach Cluster verschiedene Raumangebote für die Kinderbetreuung, den Kindergarten und die Volksschule geschaffen – von flexiblen Lernlandschaften bis zu ruhigen, introvertierten Randzonen und Sonderflächen. Auch die Verwaltung und die Sozial­räume können so im Obergeschoss des Bildungszentrums integriert werden, ebenso wie die Musikschule und der örtliche Musikverein. Doch die neuen Flügel erlauben nicht nur innerhalb der Struktur gezielte Ein- und Ausblicke und räumliche Verbindungen. Die entstandenen Innenhöfe und Freiräume verzahnen sich mit den Innenräumen, so dass jeder Lernlandschaft ein Freibereich für die individuelle Aneignung zugeordnet werden kann, inklusive Unterrichtseinheiten im Freien.

Form und Farbe

Nach dem Vorbild dörflicher Strukturen wurde das große Bauvolumen des neuen Bildungszentrums durch die gewählte Struktur auf den Maßstab des heterogenen Kontexts heruntergebrochen. Die architektonische Gestalt der kompakten Geometrie spielt mit dem einfachen Motiv des Satteldachs, welches im Gebäudebestand und im nahen Umfeld in vielfachen Variationen zu finden ist. Der Clou an der Formgebung ist der mutige Einsatz von Farbe. Der einheitliche, erdige Farbton fasst das Ensemble und dessen Außenwände, Vordächer, Vorplatz, Fenster und Markisen, verbindet Alt und Neu und vermittelt als Ruhepol zwischen den Baustilen und Baujahren der Umgebung. Das Motiv des Satteldachs bestimmt nicht nur die äußere Erscheinung, sondern erfährt auch in den Innenräumen eine Weiterführung. Die Sichtbarkeit der Dachgeometrie lässt verschiedene Raumatmosphären entstehen, die emotional spürbar sind und zugleich als Identifikationspunkt für die Kinder fungieren. Als durchgehendes Motiv setzt sich die Silhouette des Dachs bis ins kleinste Detail fort – vom Fahrradständer bis zum Signet auf dem Garderobenkästchen.

Im Inneren der Volksschule werden die unterschiedlichen Nutzungen von den pädagogischen Knotenpunkten auf dem Marktplatz erschlossen. Jeweils zwei Cluster pro Ebene bilden eine Einheit, in der drei Bildungsräume, Gemeinschaftsbereiche, Gruppen- und Projekträume sich entlang der großzügigen, offenen Flurbereiche gruppieren. Gemeinschaftsbereiche und Projekträume, die der übergreifenden Kommunikation zwischen den Clustern dienen, und ein Elterncafé liegen zusätzlich im Bereich der Bildungsachse. Auch neue Sport- und Werkräume sowie mehrere Musiksäle konnten im Zuge der Erweiterung geschaffen werden. Die Kinderbetreuung und der Kindergarten sind den Anforderungen entsprechend organisiert.

Neben der geschickten räumlichen Organisation der Vernetzung und Separierung der Altersstufen fällt die Materialwahl ins Auge. Anstelle steriler Oberflächen aus dem Schulbaukatalog empfängt ein heller, bandsägerau belassener Holzboden aus Weißtanne die Nutzer- und Besucher:innen. Die warme Optik und Haptik des Materials setzt sich in den Öffnungen in Türen und Fensterflächen fort. Helle Akustikplatten aus Holzwollefaser an der Decke sowie ein handgefertigter und -verriebener Kalkputz mit lokalen Zuschlagstoffen an den Wänden ergänzen den Materialkanon. Während der Kalkputz in den öffentlichen Flächen den erdigen Farbton der Fassade aufnimmt, bleibt der Farbton in den Lernräumen neutral. Ein Glücksfall für die Pädagog:innen war das Engagement der Architekt:innen bei der Auswahl der Schulmöbel. Das bestehende Angebot entsprach nicht deren Vorstellungen, so dass ein eigens entworfenes Möbelsystem und lokal mit heimischem Ahornholz gefertigte Stühle und Tische zum Einsatz kommen. Drei verschiedene Größen und diverse Sonderelemente ermöglichen den Einsatz in allen Altersstufen und geben eher ein Gefühl von Wohnraum als von Klassenzimmer.

Emotionale Nachhaltigkeit

Eine weitere Besonderheit des Projekts ist der Bau nach den Richtlinien des Vorarlberger Kommunalgebäudeausweises (KGA). Dessen Kriterien, u. a. Standort & Infrastruktur, Energie & Versorgung, Baustoffe & Konstruktion, Komfort & Raumluftqualität, setzen hohe Standards für einen Neubau, aber auch den Bestand. Die vom Bauherrn geforderten 800 von 1 000 möglichen Punkte konnten locker erfüllt werden, mit 969 Punkten ist das neue Bildungszentrum unter den besten kommunalen Bauten des Bundeslandes. Mit ein Grund, weshalb dem Projekt kürzlich der ­Österreichische Staatspreis Architektur und Nachhaltigkeit verliehen wurde.

Das Bildungszentrum ist aber noch durch ein anderes Detail herausragend. Ökonomie, Nachhaltigkeit und Baukultur zeigen sich hier nicht als unvereinbare Gegensätze oder schwierige Kompromisse. Oder wie Armin Pedevilla sagt: „Nicht nur die errechneten Kennwerte des Lebenszyklus machen die Nachhaltigkeit aus, sondern auch die emotionale Komponente. Das Gefühl, wie ein Raum mich berührt, ein Wohlbefinden und damit Identifikation auslöst.“ Schön, was der Raum als dritter Pädagoge hier alles sein kann… ⇥Eva Herrmann, München

Projektdaten

Objekt: Bildungszentrum Frastanz-Hofen/AT

Standort: Frastanz, Vorarlberg/AT

Typologie: Bildungsbau

Bauherrin: Marktgemeinde Frastanz

Nutzerin: Volksschule, Kindergarten, Kinderbetreuung, Musikverein

Architektur/Bauleitung: PEDEVILLA ARCHITECTS, Bruneck/IT,
www.pedevilla.info

Team: Armin Pedevilla, Alexander Pedevilla, Johanna Herzog, Frank Oberlerchner, Robert Rau, Valentin Dürselen

Bauzeit: 07.2019 – 02.2021

Zertifizierungen: klimaaktiv gold, Kommunalgebäudeausweis Vorarlberg (drittbester Wert in Vorarlberg), „Nullenergiegebäude“-Standard (nearly zero emission EU standard), Zertifiziertes Passivhaus nach PHPP

Grundstücksgröße: 8 320 m²

Nutzfläche gesamt: 6 800 m²

Brutto-Rauminhalt: 39 610 m³

Baukosten (nach DIN 276):

Gesamt brutto: 19,8 Mio €

 

Fachplanung

Tragwerksplanung/Projektsteuerung: gbd ZT GmbH, Dornbirn/AT, www.gbd.group.de

TGA-Planung: E-Plus Planungsteam GmbH, Egg/AT, www.e-plus.at

Energieplanung: SPEKTRUM Bauphysik & Bauökologie GmbH, Dornbirn/AT, www.spektrum.co.at

Energieberatung: Nachhaltig

Bauen in der Gemeinde: Vorarlberger Gemeindehaus, Dornbirn/AT; Energieinstitut Vorarlberg, Dornbirn/AT, www.energieinstutut.at; SPEKTRUM Bauphysik & Bauökologie GmbH, Dornbirn/AT, www.spektrum.co.at

Brandschutz: K&M Brandschutztechnik GmbH, Lochau/AT,

www.brandschutz-k.at

Örtliche Bauaufsicht: Albrecht Baumanagement GmbH, Dornbirn/AT, www.albrechtbau.com

Elektroplanung: elektrodesign Fröhle René, Schlins/AT,

www.elektrodesign.at

Infrastruktur: breuß mähr Bauingenieure GmbH, Koblach/AT,

www.breuss-maehr.at

Geotechnik: 3P Geotechnik ZT GmbH, Bregenz/AT, www.3pgeo.com

 

Energie

Primärenergiebedarf: 115,4 kWh/m²a nach OIB RL 6 - 2015

Jahresheizwärmebedarf: 27,5 kWh/m²a nach PHPP / OIB RL 6 - 2015

Energiekonzept: sanierte und neue Bauteile in Passivhausqualität; neue Fenster in Passivhausqualität; Fenster im Bestandsgebäude: nach Wirtschaftlichkeitsbetrachtung sind die Rahmen unverändert beibehalten worden, ein Glastausch war jedoch wirtschaftlich sinnvoll und wurde daher vorgenommen; die Außenwände des Bestands wurden nach Betrachtung der Wirtschaftlichkeit einer Ertüchtigung der Fassadendämmung nicht zusätzlich gedämmt (wurden bereits 1995 mit einer Außendämmung ertüchtigt)

U-Werte Gebäudehülle:

mittlerer Wert 0,2 W/(m²K)

Haustechnik: Heizung über Fußbodenheizung in Neubauten und Zwischendecken im Bestand; im Bestand zum Teil Heizkörper (v. a. UG); Kühlung nur für Server; Warmwasser dezentral elektrisch (energetisch sinnvoll bei Schulen und dem damit verbundenen, geringen WW-Bedarf durch Einsparung der Zirkulation)

Wärmeversorgung zentral, Anschluss an Fernwärme (erneuerbar); 80 kWp PV-Anlage auf Neubau- Dächern; Lüftung mit zentralen Lüftungsgeräten, Zuluft in Haupträumen, Überströmung in Allgemeinbereiche (Einsparung Kanalnetz) und Absaugung in WC, Küche usw.

 

Herstellerfirmen

Beleuchtung: Zumtobel Lighting GmbH, www.zumtobel.com

Außenputz: Sto SE & Co. KGaA,

www.sto.de 

Die dörfliche Struktur dient der Schule sowohl inhaltlich als auch räumlich zum Vorbild. Sie integriert KiTa, Kindergarten und Grundschule und bietet zudem Raum für die Ortsgemeinschaft. Die behutsame Erweiterung des Bestands mit regionalen Materialien bewahrt die Identität des Ortes und lässt ein Gefühl des Zuhauseseins entstehen.« DBZ Heftpartnerinnen Maria Hirnsperger und Angie Müller-Puch, Behnisch Architekten München/ Weimar

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